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Geschwindigkeitsüberschreitung – Lichtbildgutachten zur Fahreridentifizierung

OLG Bamberg – Az.: 3 Ss OWi 1566/16 – Beschluss vom 29.12.2016

I. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts vom 7. Oktober 2016 mit den zugrundeliegenden Feststellungen, soweit sie sich auf die Fahrereigenschaft des Betroffenen zur Tatzeit und die subjektive Tatseite beziehen, aufgehoben. Die übrigen Feststellungen bleiben aufrechterhalten.

II. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Gründe

I.

Mit Ersturteil vom 19.02.2016 hat das Amtsgericht den Betroffenen wegen einer am 15.06.2015 als Führer eines Pkw auf einer Autobahn fahrlässig begangenen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 28 km/h (§ 24 Abs. 1 StVG i.V.m. §§ 41 Abs. 2, 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO) zu einer Geldbuße von 80 Euro verurteilt und gegen ihn wegen eines Regelfalls eines beharrlichen Pflichtenverstoßes im Sinne der §§ 25 Abs. 1 Satz 1 2. Alt., 26a StVG i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV ein mit einem beschränkten Vollstreckungsaufschub nach § 25 Abs. 2a Satz 1 StVG verbundenes Fahrverbot für die Dauer eines Monats angeordnet. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hob der Senat mit Beschluss vom 24.05.2016 das Ersturteil mit den zugrundeliegenden Feststellungen auf und verwies die Sache an das Amtsgericht zurück. Auf die Gründe des Senatsbeschlusses vom 24.05.2016 wird Bezug genommen.

Mit dem hier verfahrensgegenständlichen Urteil vom 07.10.2016 hat das Amtsgericht den Betroffenen entsprechend dem Ersturteil wiederum wegen fahrlässiger Überschreitung der außerorts zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 28 km/h zu einer Geldbuße in gleicher Höhe verurteilt und gegen ihn erneut ein einmonatiges Fahrverbot nach Maßgabe des § 25 Abs. 2a Satz 1 StVG angeordnet. Hiergegen wendet sich erneut der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde, mit der er die Verletzung sachlichen und formellen Rechts beanstandet.

II.

Die statthafte (§ 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG) und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde erweist sich wiederum mit der Sachrüge als begründet, so dass es auf die jedenfalls unbegründete verfahrensrechtliche Beanstandung der Verletzung des Beweisantragsrechts bzw. des rechtlichen Gehörs nicht mehr ankommt. Das Rechtsmittel zwingt den Senat – wenn auch aus anderem Grund – zur neuerlichen Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang.

1. Die Überzeugung des Amtsgerichts von der Fahrereigenschaft des Betroffenen beruht auf den sachverständigen Darlegungen des mit der Erstellung eines anthropologischen Gutachtens beauftragten und im Termin gehörten Sachverständigen, welche es sich „in Gänze zu Eigen“ macht mit der Folge, dass „letztlich […] keinerlei vernünftige Zweifel an der Fahreigenschaft des Betroffenen“ bestanden.

2. Wie die Rechtsbeschwerde und auch die Generalstaatsanwaltschaft jeweils zu Recht beanstanden, genügt dies nicht den nach den §§ 71 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 267 Abs. 1 StPO gebotenen sachlich-rechtlichen Mindestanforderungen an eine nachvollziehbare Urteilsdarstellung, nachdem das Amtsgericht aus für den Senat nicht transparenten Gründen den Betroffenen offenbar nicht allein anhand der vorhanden Lichtbilder wiedererkannt und demgemäß nicht von der ansonsten nahe liegenden, weil einfachen Möglichkeit einer deutlichen und zweifelsfreien Bezugnahme nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG (zu den Anforderungen zuletzt BGH, Urteil vom 28.01.2016 – 3 StR 425/16 = StraFo 2016, 155 = NStZ-RR 2016, 178 = BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 3 Verweisung 5 und OLG Bamberg, Beschluss vom 14.11.2016 – 3 Ss OWi 1164/16 [bei juris], jeweils m.w.N.) auf ein „bei den Akten“ befindliches Messfoto bzw. „Frontfoto“ Gebrauch gemacht hat, zumal sich dann eine ausführliche Beschreibung des Messfotos nach Inhalt und Qualität in den Urteilsgründen erübrigt hätte (st.Rspr., vgl. neben BGH, Beschluss vom 19.12.1995 – 4 StR 170/95 = BGHSt 41, 376/382 = DAR 1996, 98 = NJW 1996, 1420 = NZV 1996, 413 = MDR 1996, 512 = BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 3 Verweisung 2 = StV 1996, 413 = VerkMitt 1996, 89 und BayObLG a.a.O. u.a. OLG Bamberg, Beschlüsse vom 20.02.2008 – 3 Ss OWi 180/08 = NZV 2008, 211 = VRS 114, 285 [2008]; 21.04.2008 – 2 Ss OWi 499/08 = NZV 2008, 469; 06.04.2010 – 3 Ss OWi 378/10 = DAR 2010, 390 = StV 2011, 717 = zfs 2010, 469 = SVR 2011, 344; 22.02.2012 – 2 Ss OWi 143/12 = DAR 2012, 215 = NZV 2012, 250 und vom 02.04.2015 – 2 Ss OWi 251/15 [bei juris]; vgl. zuletzt auch OLG Hamm, Beschlüsse vom 11.04.2016 – 4 RBs 74/16 und 08.03.2016 – 4 RBs 37/16 [jeweils bei juris]; OLG Brandenburg, Beschluss vom 02.02.2016 – 53 Ss-OWi 664/15 = DAR 2016, 282; KG, Beschlüsse vom 15.12.2015 – 121 Ss 216/15 = OLGSt StPO § 267 Nr. 29 = NJ 2016, 393 und vom 17.10.2014 – 3 Ws [B] 550/14 = VRS 127 [2015], 295; OLG Koblenz, Beschluss vom 10.06.2015 – 1 Ss 188/13 = StraFo 2015, 286; OLG Brandenburg, Beschluss vom 02.02.2016 – 53 Ss-OWi 664/15 = DAR 2016, 282; OLG Hamm, Beschluss vom 08.03.2016 – 4 RBs 37/16 = DAR 2016, 399 sowie OLG Frankfurt, Beschluss vom 11.08.2016 – 2 Ss OWi 562/16 [bei juris]; Göhler/Seitz § 71, Rn. 47a f.; KK-OWiG/Senge § 71 Rn. 116 f.; Meyer-Goßner/Schmitt StPO 59. Aufl. § 267 Rn. 8 ff.; zur Unzulässigkeit der Verweisung auf ein elektronisches Speichermedium [Bezugnahme auf bei den Akten befindlicher CD-ROM gespeicherte „bewegte“ Videoaufzeichnung bzw. Bilddatei als solche] BGH, Urteil vom 02.11.2011 – 2 StR 332/11 = BGHSt 57, 53 = NJW 2012, 244 f. = NStZ 2012, 228 f. = NZV 2012, 143 = StV 2012, 272 = BGHR stopp § 267 Abs. 1 Satz 3 Verweisung 4; KK-OWiG/Senge § 71 Rn. 116 a.E.; Burhoff/Gübner Rn. 2735 f.).

a) Wenn auch in Bußgeldsachen als Massenverfahren an die Abfassung der Urteilsgründe keine übertrieben hohen Anforderungen zu stellen sind, kann für sie als alleiniger Grundlage für die sachlich-rechtliche Überprüfung des angefochtenen Urteils prinzipiell nichts anderes gelten wie für Urteile im Strafsachen. Die Urteilsgründe müssen deshalb nach § 71 OWiG i.V.m. § 267 Abs. 1, Abs. 3 StPO auch in Bußgeldsachen wenigstens so beschaffen sein, dass ihnen das Rechtsbeschwerdegericht im Rahmen der Nachprüfung einer richtigen Rechtsanwendung entnehmen kann, welche Feststellungen der Tatrichter zu den objektiven und subjektiven Tatbestandselementen getroffen hat und welche tatrichterlichen Erwägungen der Bemessung der Geldbuße und der Anordnung oder dem Absehen von Nebenfolgen zugrunde liegen. Dies gilt auch für die Beweiswürdigung, weil das Rechtsbeschwerdegericht nur so in den Stand gesetzt wird, diese auf Widersprüche, Unklarheiten, Lücken oder Verstöße gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze zu überprüfen (st.Rspr., vgl. zuletzt nur OLG Bamberg, Beschlüsse vom 01.12.2015 – 3 Ss OWi 834/15 = ZfS 2016, 116 und 14.11.2016 – 3 Ss OWi 1164/16 [bei juris], jeweils m.w.N.).

b) Das Amtsgericht durfte sich deshalb nicht damit begnügen, lediglich – wenn auch wortreich – das Ergebnis der anthropologischen Begutachtung mitzuteilen, weil dem Rechtsbeschwerdegericht allein mit diesen Angaben ohne zusätzliche Ausführungen wenigstens zu den wesentlichen Anknüpfungstatsachen des Gutachtens eine Beurteilung seiner Schlüssigkeit und damit die rechtliche Nachprüfung des Urteils als Ergebnis einer gegenüber der sachverständigen Wertung selbständigen Urteilsfindung schon im Ansatz verwehrt ist. Schließt sich das Tatgericht bei seiner Beweiswürdigung ohne weitere eigene Erwägungen den Ausführungen des Sachverständigen an, müssen im Urteil deshalb die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und fachbezogenen Ausführungen des Sachverständigen – wenigstens in zusammenfassender, im Einzelfall auch nur „gedrängter“ Form – mindestens derart wiedergegeben werden, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit unabdingbar ist, um dem Rechtsbeschwerdegericht eine Überprüfung zu ermöglichen, ob die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und die gezogenen Schlussfolgerungen (Befundtatsachen) nach den Gesetzen der Logik, den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens und den Erkenntnissen der Wissenschaft möglich sind. Der jeweils gebotene Umfang der Darlegungspflicht hängt im Einzelfall von der Beweislage und der Bedeutung der Beweisfrage, die dieser für die Entscheidung zukommt, ab (st.Rspr.; vgl. neben BGHSt 39, 291/297 u.a. BGH, Beschlüsse vom 02.04.2015 – 3 StR 103/15 [bei juris]; 06.05.2014 – 5 StR 168/14 = NStZ-RR 2014, 244 und vom 17.06.2014 – 4 StR 171/14 = NStZ-RR 2014, 305; ferner zuletzt OLG Bamberg, Beschlüsse vom 14.11.2016 – 3 Ss OWi 1164/16 [zur Veröffentlichung bestimmt] und 20.10.2015 – 3 Ss OWi 1220/15 [bei juris], jeweils m.w.N.; vgl. auch OLG Frankfurt, Beschluss vom 23.11.2015 – 1 Ss 386/15 = BA 53 [2016], 53; OLG Brandenburg, Beschluss vom 28.07.2015 – 53 Ss-OWi 278/15 = [bei juris]; KG, Beschluss vom 09.07.2014 – 122 Ss 97/14 = VRS 127 [2014], 86 und OLG Celle, Beschluss vom 24.08.2016 – 2 Ss 98/16 [bei juris]; auch Göhler/Seitz § 71, Rn. 43d.; KK-OWiG/Senge § 71 Rn. 119; Meyer-Goßner/Schmitt § 267 Rn. 13 f.; KK/Kuckein § 267 Rn. 16 und LR/Stuckenberg § 267 Rn. 66). Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht; insbesondere hätte – wenigstens zusammenfassend – dargestellt werden müssen, auf wie viele und welche konkreten übereinstimmenden medizinischen Körpermerkmale sich der anthropologische Sachverständige bei seiner Bewertung bezogen, wie er die Übereinstimmungen ermittelt, auf welches biostatische Vergleichsmaterial sich die von ihm vorgenommene Wahrscheinlichkeitsberechnung gestützt und welche Beweisbedeutung er den einzelnen Merkmalen beigemessen hat (vgl. schon OLG Bamberg, Beschluss vom 20.02.2008 – 3 Ss OWi 180/08 = NZV 2008, 211 = VRS 114, 285 m.w.N.).

III.

Aufgrund des aufgezeigten (neuerlichen) Darstellungsmangels können der Schuldspruch und damit auch der Rechtsfolgenausspruch keinen Bestand haben. Das an- gefochtene Urteil ist deshalb aufzuheben (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 353 Abs. 1 StPO). Die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen werden jedoch nur insoweit aufgehoben, soweit sie von dem Rechtsfehler betroffen sind (§ 79 Abs. 3 OWiG, § 353 Abs. 2 StPO). Das sind hier lediglich die Feststellungen zur Fahreridentität, aber auch zur (möglichen) subjektiven Tatseite des Betroffenen. Denn möglicherweise kann die Fahreridentität in der neuen Hauptverhandlung schon aufgrund eines Geständnisses geklärt werden. Ergäben sich daraus von den bisherigen Feststellungen abweichende Erkenntnisse zur subjektiven Tatseite, stünde die Aufrechterhaltung des Urteils in diesem Punkt einer vollständigen Sachaufklärung entgegen. Demgegenüber können die sonstigen tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts zum objektiven Tatgeschehen, insbesondere zu dem festgestellten Geschwindigkeitsverstoß, bestehen bleiben, weil sie durch die Gesetzesverletzung nicht betroffen sind (§ 353 Abs. 2 StPO).

IV.

Gemäß § 79 Abs. 6 OWiG wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung nochmals an das Amtsgericht zurückverwiesen.

V.

Der Senat entscheidet durch Beschluss gemäß § 79 Abs. 5 Satz 1 OWiG.

Gemäß § 80a Abs. 1 OWiG entscheidet der Einzelrichter.

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