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Geschwindigkeitsüberschreitung – Fahreridentifizierung trotz verdeckten Haaransatzes auf Messfoto

KG Berlin – Az.: 3 Ws (B) 350/19 – 162 Ss 139/19 – Beschluss vom 26.11.2019

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 30. Juli 2019 wird gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 349 Abs. 2 StPO mit der Maßgabe als offensichtlich unbegründet verworfen,

– dass der Schuldspruch dahin klargestellt wird, dass der Betroffene wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit in Tateinheit mit fahrlässigem Nichtanlegen des Sicherheitsgurtes verurteilt wurde

– und dem Betroffenen gestattet wird, die Geldbuße in fünf monatlichen Raten von jeweils 100 Euro, jeweils zum 15. eines Monats, beginnend ab dem 15. Dezember 2019, zu zahlen. Die Vergünstigung, die Geldbuße in Teilbeträgen zu zahlen, entfällt, wenn der Betroffene einen Teilbetrag nicht fristgerecht zahlt.

Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen (§§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 Satz 1 StPO).

Gründe

I.

Der Polizeipräsident in B. hat mit Bußgeldbescheid vom 3. Mai 2018 gegen den Betroffenen wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 49 km/h in Tateinheit mit fahrlässigem Nichtanlegen des Sicherheitsgurtes ein Bußgeld in Höhe von 750 Euro sowie ein einmonatiges Fahrverbot verhängt. Auf seinen hiergegen gerichteten Einspruch hat das Amtsgericht Tiergarten den Betroffenen am 30. Juli 2019 wegen „vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit in Tateinheit mit Nichtanlegen des Sicherheitsgurtes“ verurteilt und hat eine Geldbuße in Höhe von 500 Euro sowie ein einmonatiges Fahrverbot verhängt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit seiner auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Rechtsbeschwerde.

II.

Die nach § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde hat in der Sache – neben der vom Senat vorgenommenen Klarstellung hinsichtlich des Urteilstenors – allein im Hinblick auf die Nichtgewährung einer Zahlungserleichterung nach § 18 OWiG Erfolg.

1. Eine den Begründungsanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG genügende Verfahrensrüge liegt nicht vor.

In zulässiger Form ist die Aufklärungsrüge nur dann erhoben, wenn die Rechtsbeschwerde die Tatsache, die das Gericht zu ermitteln unterlassen hat, und das Beweismittel bezeichnet, dessen sich der Tatrichter hätte bedienen sollen (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Oktober 2018 – 1 StR 257/18 -, juris m.w.N.; Senat, Beschluss vom 29. Oktober 2015 – 3 Ws (B) 473/15 -, beide bei juris). Darüber hinaus ist bestimmt und konkret anzugeben, welche Umstände das Gericht zu weiteren Ermittlungen drängen mussten (vgl. BGH NStZ 1999, 45) und welches Ergebnis von der unterbliebenen Beweiserhebung zu erwarten gewesen wäre (vgl. Senat a.a.O.). Diesen Maßstäben wird die Rechtsbeschwerdebegründung nicht gerecht.

a.) Soweit die Rechtsbeschwerde mit der Aufklärungsrüge die unterbliebene Vernehmung des Zeugen C beanstandet, ist die Rüge schon deshalb unzulässig, weil die ladungsfähige Anschrift des Zeugen nicht mitgeteilt wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. Juni 2018 – 4 StR 569/17 – und vom 30. Juli 2014 – 4 StR 263/14 -; Urteile vom 21. November 2013 – 4 StR 242/13 – und vom 9. Dezember 2008 – 5 StR 412/08 -, OLG Bamberg, Urteil vom 9. Februar 2018 – 3 OLG 110 Ss 138/17 -, alle bei juris).

b.) Hinsichtlich der Rüge, das Amtsgericht habe kein anthropologisches Gutachten eingeholt, lässt die Rechtsbeschwerde aufgrund widersprüchlichen Vorbringens die erforderliche klare Bezeichnung der Angriffsrichtung vermissen, sodass die Rüge bereits aufgrund dessen nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG entspricht. Denn die Rechtsbeschwerde führt einerseits aus, dass ein anthropologisches Sachverständigengutachten ergeben hätte, dass die Nase, die Gesichtsform, die Ohren sowie die Stirnpartie des Zeugen C. mit dem Erscheinungsbild dieser Merkmale der auf dem Messfoto abgebildeten Person übereinstimme. Andererseits trägt sie – dem widersprechend – vor, dieses Messfoto lasse aufgrund seiner Unschärfe die „anthropologischen Details der Gesichtsform, der Nase als auch der Ohren“ nicht erkennen, was – das Zutreffen dieses Vortrages unterstellt – dazu führt, dass das Messbild keine hinreichende Grundlage für das von der Rechtsbeschwerde begehrte Sachverständigengutachten bilden kann. Ein solches in tatsächlicher Hinsicht widersprüchliches Vorbringen innerhalb der Rechtsbeschwerdebegründung entspricht nicht dem Erfordernis der Darlegung eines bestimmten Verfahrensverstoßes (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Januar 2012 – 1 StR 373/11 -, juris) und kann nicht Grundlage einer erfolgreichen Verfahrensrüge sein (vgl. BGH NStZ 2013, 58; NStZ 2008, 353, Beschlüsse vom 25. April 2012 – 1 StR 566/11-, und vom 29. Juni 2010 – 1 StR 157/10 -, jeweils bei juris).

c.) Schließlich dringt die Aufklärungsrüge auch mit dem Vortrag, das Amtsgericht sei gehalten gewesen, bei der Bußgeldstelle einen Hochglanzabzug des Messfotos anzufordern, nicht durch. Denn insoweit lässt die Begründungsschrift Angaben dazu vermissen, aufgrund welcher Tatsachen sich das Amtsgericht hierzu gedrängt sehen musste und welches Beweisergebnis sich aus der Anforderung des Hochglanzbildes ergeben hätte.

2. Die erhobene Sachrüge ist im Wesentlichen unbegründet. Sie deckt – abgesehen von der Klarstellung des Urteilstenors durch den Senat – allein hinsichtlich der Nichtgewährung einer Zahlungserleichterung nach § 18 OWiG einen Rechtsfehler auf.

a.) Ein durchgreifender, zur Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils führender Rechtsfehler ergibt sich nicht bereits aus der Tenorierung des angefochtenen Urteils. Zwar ist dem Urteilstenor des Amtsgerichts im Hinblick auf den Verstoß gegen die Gurtpflicht keine Schuldform zu entnehmen, diese konnte der Senat jedoch nach Maßgabe von § 354 Abs. 1 StPO, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG klarstellend selbst ergänzen, da sich aus den Urteilsgründen zweifelsfrei ergibt, dass das Amtsgericht insoweit von einer fahrlässigen Begehungsweise ausgegangen ist.

b.) Die dem Schuldspruch zugrunde liegende Beweiswürdigung hält rechtlicher Nachprüfung stand.

Die Würdigung der Beweise ist Sache des Tatrichters. Das Rechtsbeschwerdegericht hat aber auf die Sachrüge zu prüfen, ob ihm hierbei Rechtsfehler unterlaufen sind. Rechtsfehlerhaft ist die Beweiswürdigung dann, wenn sie in sich widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist. Dabei brauchen die Schlussfolgerungen des Tatrichters zwar nicht zwingend zu sein. Es genügt grundsätzlich, dass sie möglich sind und er von ihrer Richtigkeit überzeugt ist. Das Gericht muss jedoch die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die Erfahrungssätze des täglichen Lebens und die Gesetze der Logik beachten. Um dem Rechtsbeschwerdegericht diese Nachprüfung zu ermöglichen, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsichtigen Tatsachengrundlage beruht und dass die vom Gericht gezogene Schlussfolgerung nicht etwa lediglich eine Annahme ist oder sich als bloße Vermutung erweist, die letztlich nicht mehr als einen – wenn auch möglicherweise schwerwiegenden – Verdacht zu begründen vermag (vgl. Senat, Beschluss vom 19. Februar 2014 – 3 Ws (B) 67/14 – m.w.N.). Diesen Maßstäben wird die Beweiswürdigung des Amtsgerichts gerecht.

Ob ein Lichtbild die Feststellung zulässt, dass der Betroffene der abgebildete Fahrzeugführer ist, hat dem folgend allein der Tatrichter zu entscheiden (BGH NJW 1979, 2318). Der freien Beweiswürdigung durch den Tatrichter sind indessen auch bezüglich der Identifizierung eines Betroffenen Grenzen gesetzt. So kann sich die Überzeugungsbildung hinsichtlich der Identifizierung durch Vergleich mit dem Erscheinungsbild des in der Hauptverhandlung anwesenden Betroffenen anhand eines unscharfen oder das Gesicht des Fahrers nur zu einem geringen Teil abbildenden Fotos als willkürlich erweisen (vgl. BGH NJW 1996, 1420). Die Urteilsgründe müssen vor diesem Hintergrund so gefasst sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht prüfen kann, ob das Belegfoto überhaupt geeignet ist, die Identifizierung einer Person zu ermöglichen (vgl. BGH NJW 1996, 1420). Insoweit reicht die deutlich und zweifelsfrei (BGH NStZ-RR 2016, 178) zum Ausdruck gebrachte Bezugnahme auf das in der Akte befindliche Foto gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG in den Urteilsgründen aus, um dem Rechtsbeschwerdegericht zu ermöglichen, die Abbildung aus eigener Anschauung zu würdigen.

Das Amtsgericht hat diesen Maßstäben entsprechend durch genaue Bezeichnung der Seitenzahl in der Akte das in Bezug genommene Lichtbild zum Inhalt des Urteils gemacht. Ferner hat es sich hinreichend mit der Ergiebigkeit des Fotos auseinandergesetzt und kommt in rechtlich nicht zu beanstandender Weise zu der Überzeugung, dass das Lichtbild den Betroffenen zeigt, was es unter Darlegung und Beschreibung verschiedener Identifikationsmerkmale (wie Gesichtsform, Erscheinungsbild von Nase, Ohren sowie Stirnpartie) begründet. Der Umstand, dass der Haaransatz der auf dem Messfoto abgebildeten Person verdeckt ist, führt nicht zur generellen Ungeeignetheit des Bildes zur Fahreridentifizierung (vgl. Senat, Beschluss vom 6. August 2018 – 3 Ws (B) 168/18 -, juris m.w.N.). Das zum Inhalt der Urteilsurkunde gemachte Lichtbild erweist sich auf dieser Grundlage als zur Identifizierung geeignet, sodass Zweifel dahingehend, dass das Tatgericht anhand dessen einen Vergleich auf Übereinstimmung der darauf abgebildeten Person mit dem äußeren Erscheinungsbild des in der Hauptverhandlung anwesenden Betroffenen vorzunehmen vermochte, nicht bestehen.

c.) In Anbetracht der im Urteil des Amtsgerichts festgestellten wirtschaftlichen Verhältnisse des im elterlichen Haushalt lebenden Betroffenen, der über einen monatlichen Nettoverdienst von 440 Euro verfügt, war ihm indessen Ratenzahlung nach § 18 OWiG zu bewilligen, da nicht davon auszugehen ist, dass er die Geldbuße von 500 Euro in voller Höhe aus seinem laufenden Einkommen oder aus liquiden Rücklagen zahlen kann.

Die insoweit fehlerhafte Rechtsfolgenentscheidung zwingt jedoch nicht dazu, die Sache an das Amtsgericht zurückzuverweisen, denn es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass weitere für die Anordnung der Zahlungserleichterung bedeutsame Feststellungen getroffen werden können. Der Senat macht daher von der Befugnis zur eigenen Sachentscheidung nach § 79 Abs. 6 OWiG Gebrauch.

Nach den vom Amtsgericht festgestellten wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen ist es ihm zumutbar, die Geldbuße in fünf monatlichen Raten zu je 100 Euro zu tilgen. Die mit der Ratenzahlungsgewährung gleichzeitig festgesetzte Verfallklausel beruht auf § 18 Satz 2 OWiG.

3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 473 Abs. 1 Satz 1 StPO, 46 Abs. 1 OWiG. Für eine Anwendung der Billigkeitsregelung nach §§ 473 Abs. 4 StPO, 46 Abs. 1 OWiG ist kein Raum, weil der Betroffene die Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils erstrebt hat und das Rechtsmittel zur Überzeugung des Senats auch eingelegt hätte, wenn das amtsgerichtliche Urteil der jetzt getroffenen Entscheidung bereits entsprochen hätte. Im Übrigen hatte das Rechtsmittel auch nur in einem geringen Umfang Erfolg.

 

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