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Geschwindigkeitsüberschreitung – Annahme vorsätzlichen Handelns

KG Berlin – Az.: 3 Ws (B) 555/11 – 2 Ss 297/11 – Beschluss vom 08.12.2011

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 21. Juli 2011 unter Aufrechterhaltung der Feststellungen zum objektiven Tatbestand aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde – an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Gründe

Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen einer vorsätzlichen Zuwiderhandlung gegen §§ 41 Abs. 1 i. V. m. Anl. 2 (lfd. Nr. 49, Z. 247), 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO in Tateinheit mit fahrlässiger Zuwiderhandlung gegen §§ 4 Abs. 2 Satz 2, 75 Nr. 4 FeV nach § 24 StVG zu einer Geldbuße von 250,00 Euro verurteilt, nach § 25 Abs. 1 StVG ein Fahrverbot von einem Monat gegen ihn verhängt und gemäß § 25 Abs. 2 a Satz 1 StPO eine Bestimmung über dessen Wirksamwerden getroffen. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der die Verletzung formellen und sachlichen Rechts gerügt wird, hat mit der Sachrüge Erfolg.

Zwar ist der Einwand der Rechtsbeschwerde, einer Verurteilung wegen Nichtmitführens des Führerscheins stehe das Verfahrenshindernis der Verfolgungsverjährung entgegen, nicht zutreffend. Denn der Unterbrechung der Verjährung bezüglich der am 19. Februar 2011 begangenen Tat unter anderem durch den Erlass des Bußgeldbescheides am 8. März 2011 und die Anberaumung der Hauptverhandlung am 11. Mai 2011 steht insoweit nicht entgegen, dass dem Betroffenen im Bußgeldbescheid lediglich das

Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit vorgeworfen worden ist. Denn unterbrochen wird die Verjährung hinsichtlich der Tat, auf die sich die Unterbrechungshandlungen beziehen, und zwar insgesamt im Sinne des geschichtlichen Ereignisses unter allen rechtlichen Gesichtspunkten. Eine Handlung, die auf die Verfolgung des Täters wegen dieser Tat abzielt, unterbricht die Verjährung insgesamt, und zwar unabhängig davon, unter welchem rechtlichen Gesichtspunkt sie die Tat würdigt und ob ein rechtlicher Aspekt und das zugrunde liegende tatsächliche Geschehen unerwähnt bleiben (vgl. BayObLG VRS 109, 32 (35); Gürtler in Göhler, OWiG 15. Aufl., § 33 Rn. 2). Zutreffend ist das Amtsgericht jedoch davon ausgegangen, dass das Nichtmitführen des Führerscheins in Tateinheit mit dem Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit stehen würde, da das Dauerdelikt des Nichtmitführens des Führerscheins voraussetzt, dass das Fahrzeug geführt wird, und sich daher die Ausführungshandlung des Unterlassensdeliktes mit dem Tätigkeitsdelikt teilweise deckt und in einem inneren Bedingungszusammenhang zueinander steht (vgl. Gürtler, a.a.O., vor § 19 Rn. 22).

Der Schuldspruch wegen vorsätzlichen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit hält jedoch rechtlicher Nachprüfung nicht stand, da die ihm zugrunde liegende Beweiswürdigung aufgrund ihrer Lückenhaftigkeit dem Senat als Rechtsbeschwerdegericht die gebotene Überprüfung nicht ermöglicht.

Zwar ist die Würdigung der Beweise Sache des Tatrichters, das Rechtsbeschwerdegericht hat aber auf die Sachrüge zu prüfen, ob ihm dabei Rechtsfehler unterlaufen sind. Rechtsfehlerhaft ist die Beweiswürdigung unter anderem dann, wenn sie unklar oder lückenhaft ist. Dabei brauchen die Schlussfolgerungen des Tatrichters zwar nicht zwingend zu sein; es genügt grundsätzlich, dass sie möglich sind und er von ihrer Richtigkeit überzeugt ist. Das Gericht muss jedoch die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die Erfahrungssätze des täglichen Lebens und die Gesetze der Logik beachten. Um dem Rechtsbeschwerdegericht diese Nachprüfung zu ermöglichen, müssen die Urteilsgründe daher erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsichtigen Tatsachengrundlage beruht und die vom Gericht gezogene Schlussfolgerung nicht etwa nur eine Annahme ist oder sich als bloße Vermutung erweist, die letztlich nicht mehr als einen – wenn auch möglicherweise schwerwiegenden – Verdacht zu begründen vermag (vgl. Senat DAR 2005, 634; Beschluss vom 23. Februar 2011 – 3 Ws (B) 84/11 -; KG, Beschluss vom 18. Dezember 1996 – (4) 1 Ss 199/96 (129/96) – m.w.N.).

Vorliegend hat sich der Betroffene hinsichtlich des Vorwurfs, auf einem Streckenabschnitt der BAB 113 die durch Verkehrszeichen angeordnete Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h überschritten und mit einer Geschwindigkeit von 117,19 km/h gefahren zu sein, dahin eingelassen, er sei seines Erachtens nicht mehr als 100 km/h gefahren, habe angenommen, sich in freier Landschaft außerhalb einer jeden geschlossenen Ortschaft zu befinden, und nicht geahnt, dass er schon Berliner Stadtgebiet befahren habe. Dennoch ist das Amtsgericht von vorsätzlichem Handeln des Betroffenen ausgegangen und hat festgestellt, dieser habe gewusst, dass die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 80 km/h begrenzt war (UA S. 3).

Soweit das Amtsgericht die Annahme vorsätzlichen Handelns des Betroffenen darauf stützt, dass dieser die zulässige Höchstgeschwindigkeit um „46,48 %“ überschritten habe und es sich nach der ständigen Rechtsprechung des Kammergerichts dabei um einen Wert handele, der es rechtfertige, von vorsätzlicher Handlungsweise auszugehen, verkennt es, dass diese Rechtsprechung voraussetzt, dass dem Betroffenen die zulässige Höchstgeschwindigkeit bekannt ist, weil es sich um eine Überschreitung der allgemein innerstädtisch geltenden Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h handelt oder der Fahrer das eine Geschwindigkeitsbegrenzung anordnende Verkehrszeichen bemerkt hat. Gerade dies ergibt sich aus der Einlassung des Betroffenen in der Hauptverhandlung jedoch nicht. Zwar hat das Amtsgericht auch darauf abgestellt, der Betroffene habe sich unter dem 1. April 2011 über seinen Verteidiger dahin eingelassen, er habe die ihm vorgeworfene Geschwindigkeit jedenfalls „nicht dauerhaft überschritten“ und „seine Reisegeschwindigkeit kurzfristig erhöht, um einen Überholvorgang auf der linken Spur zügig abzuschließen und sich danach wieder auf den mittleren Fahrstreifen einordnen zu können“ (UA S. 4). Unabhängig davon, ob – was die Rechtsbeschwerde verneint – diese schriftsätzliche Einlassung überhaupt in die Hauptverhandlung eingeführt worden ist und damit gemäß § 261 StPO verwertet werden konnte, ergibt sich auch aus ihr entgegen der Annahme des Amtsgerichts kein Hinweis auf vorsätzliches Handeln des Betroffenen, da sie nicht belegt, dass dieser Kenntnis von der Geschwindigkeitsbegrenzung auf 80 km/h gehabt hätte. Auch aus der in der Beweiswürdigung wiedergegebenen Bekundung des Zeugen PK G…, der Betroffene habe, mit dem Geschwindigkeitsverstoß konfrontiert, geantwortet: „Dann bin ich ja wenigstens nicht im strafbaren Bereich!“, der Betroffene sei am Vorfallstage geständig und einsichtig gewesen und dies sei von dem Zeugen J… dadurch dokumentiert worden, dass dieser Zeuge auf der Rückseite der Ordnungswidrigkeitenanzeige schriftlich vermerkt habe, dass der Betroffene den „Verkehrsverstoß zugegeben“ habe (UA S. 4), ergibt sich lediglich, dass der Betroffene unmittelbar nach der Tat auf Vorhalt die ihm zur Last gelegte Geschwindigkeitsüberschreitung nicht bestritten hat, nicht jedoch, dass er vorsätzliches Handeln eingeräumt hat.

Da nicht auszuschließen ist, dass in einer erneuten Hauptverhandlung noch weitere Feststellungen hinsichtlich eines Vorsatzes des Betroffenen zu treffen sind, war das angefochtene Urteil nach § 79 Abs. 6 OWiG aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht zurückzuverweisen, wobei, da der objektive Tatbestand rechtsfehlerfrei festgestellt worden ist, die diesbezüglichen Feststellungen aufrechterhalten bleiben konnten.

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