OLG Zweibrücken – Az.: 1 OWi 2 SsBs 84/18 – Beschluss vom 13.02.2019
1. Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Kaiserslautern wird das Urteil des Amtsgerichts Kusel vom 16. August 2018 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an den Bußgeldrichter des Amtsgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Polizeipräsidium Rheinpfalz hat gegen den Betroffenen am 2. August 2017 einen Bußgeldbescheid erlassen und gegen ihn ein Bußgeld von 320,– EUR sowie ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Nach den Feststellungen des Bußgeldbescheides hat der Betroffene am 11. Mai 2017 außerhalb geschlossener Ortschaften auf der BAB 62 in Höhe des Fahrkilometers 188,3 in Fahrtrichtung Pirmasens fahrlässig die dort angeordnete Höchstgeschwindigkeit um 42 km/h überschritten. Seinen hiergegen rechtzeitig erhobenen Einspruch hat der Betroffene in der Hauptverhandlung durch seinen Verteidiger auf die Rechtsfolgen beschränkt. Mit Urteil vom 16. August 2018 hat das Amtsgericht den Betroffenen wegen des im Bußgeldbescheid beschriebenen Verstoßes zu einer (erhöhten) Geldbuße von 500,– EUR verurteilt; von der Verhängung eines Fahrverbots hat das Amtsgericht abgesehen. Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft führt mit der Sachrüge zu einem vorläufigen Erfolg.
I.
Das Amtsgericht hat nicht tragfähig begründet, dass es der Anordnung des nach § 4 Abs. 1 BKatV i.V.m. Nr. 11.3.7 BKat vorgesehenen Regelfahrverbots zur erzieherischen Einwirkung auf den Betroffenen nicht bedarf.
1.
Seine Annahme, dass die Verhängung eines (Regel-)Fahrverbots ausnahmsweise nicht erforderlich ist, hat das Amtsgericht im Wesentlichen damit begründet, dass der Betroffene als Vertriebsbeauftragter beschäftigt sei und seine Hauptaufgabe in die Betreuung der Kunden innerhalb seine Verkaufsgebietes bestehe. Aus einer von ihm vorgelegten Bescheinigung seines Arbeitgebers gehe hervor, dass ein Einsatz an anderer Stelle des Unternehmens nicht möglich sei, ein längerer zusammenhängender Urlaub nicht in Betracht komme, ein Ausfall des Betroffenen zu hohen Umsatzverlusten beim Arbeitgeber führen werde und im Falle der Vollziehung eines Fahrverbots daher eine Kündigung in Betracht komme. Das Amtsgericht hat ferner ausgeführt, dass trotz der Vorbelastungen vom Fahrverbot abzusehen sei, weil zu erwarten sei, dass der Betroffen nunmehr allein durch die Verhängung der erhöhten Geldbuße zu verkehrsgerechtem Verhalten veranlasst werden könne. Dies insbesondere deshalb, weil bei einer weiteren einschlägigen Verfehlung ein Absehen von einem Fahrverbot nicht mehr in Betracht kommen könne.
2.
Mit dieser Begründung hat das Amtsgericht die in § 4 Abs. 1 BKatV beschriebene Regelvermutung, dass der Verstoß nicht nur eine grobe Pflichtverletzung nach § 25 Abs. 1 StVG darstellt, sondern dass es deshalb auch einer erzieherischen Einwirkung auf den Betroffenen mittels der Verhängung eines Fahrverbots bedarf (Deutscher in: Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 5. Aufl., Rn. 1657) nicht hinreichend widerlegt.
a)
Die Erwägungen des Amtsgerichts sind schon deshalb lückenhaft, weil keine näheren Feststellungen zu Art und Umfang der verkehrsrechtlichen Vorbelastungen des Betroffenen sowie zu deren zeitlichem Abstand zu der verfahrensgegenständlichen Handlung mitgeteilt sind. Entsprechende Darlegungen wären jedoch erforderlich gewesen um dem Senat die Prüfung zu ermöglichen, ob der Tatrichter von einem zutreffenden Verständnis des von § 4 Abs. 1 BKatV vorgegebenen Regel-Ausnahme-Verhältnis ausgegangen ist.
aa) Dem Tatrichter steht ein Beurteilungsspielraum zu, um Verstößen im Straßenverkehr mit der im Einzelfall angemessenen Sanktion zu begegnen (BVerfG, Beschluss vom 24.03.1996 – 2 BvR 616/91, NJW 1996, 1809). Die Frage, ob die Würdigung der Tat und der Persönlichkeit des Täters besondere Umstände ergibt, nach denen es ausnahmsweise der Warn- und Denkzettelfunktion eines Fahrverbots im Einzelfall nicht bedarf, liegt grundsätzlich in seinem Verantwortungsbereich. Der Tatrichter hat innerhalb des ihm eingeräumten Beurteilungsspielraums die Wertungen nach eigenem pflichtgemäßen Ermessen zu treffen. Seine Entscheidung kann vom Rechtsbeschwerdegericht deshalb nur daraufhin überprüft werden, ob der Tatrichter sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat, weil er die anzuwendenden Rechtsbegriffe verkannt, die Grenzen des Ermessens durch unzulässige Erwägungen überschritten und sich nicht nach den Grundsätzen und Wertmaßstäben des Gesetzes gerichtet hat. In Zweifelsfällen hat das Rechtsbeschwerdegericht die Bewertung des Tatrichters zu respektieren, und zwar auch dann, wenn es selbst hinsichtlich der Frage des Fahrverbots zu einem abweichenden Ergebnis gelangen würde (OLG Bamberg, Beschluss vom 17.01.2017 – 3 Ss OWi 1620/16, juris Rn. 6; Deutscher aaO., Rn. 1295 m.w.N.).
bb) Die Annahme, dass die Anordnung eines Fahrverbotes bei Verwirklichung eines der Regelbeispiele in § 4 Abs. 1 Nr. 1 BKatV ausnahmsweise nicht erforderlich ist, setzt allerdings regelmäßig voraus, dass der Betroffene Ersttäter ist, seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse nicht überdurchschnittlich sind, eine Fahrlässigkeitstat vorliegt und die Regelgeldbuße zumindest verdoppelt werden kann. Weiterhin muss das Bußgeldgericht, will es vom Regelfahrverbot absehen, darlegen, warum im konkreten Fall die in den genannten Fällen regelmäßig notwendige Einwirkung auf den Betroffenen durch das Fahrverbot nicht erforderlich ist (Senat, Beschluss vom 01.08.2017 – 1 OWi 2 Ss Bs 21/17, juris Rn. 8). Hierzu bedarf es, sofern keine ganz erheblichen Härten vorliegen, regelmäßig des Zusammentreffens einer Vielzahl für sich genommen gewöhnlicher und durchschnittlicher Umstände, die gegen die Erforderlichkeit des Fahrverbots sprechen (Hans. OLG Bremen, Beschluss vom 15.11.2012 – 2 SsBs 82/11, juris Rn. 14; s.a. Deutscher aaO. Rn. 1295; König in König/Dauer, StVR, 45. Aufl., § 24 StVG, Rn. 24, jew. m.w.N.). Zwar erscheint es nicht gänzlich ausgeschlossen, die Erforderlichkeit eines Fahrverbots auch bei einem Wiederholungstäter zu verneinen. Es bedarf dann aber einer vertieften und sich mit den Besonderheiten des Einzelfalls und der verkehrsrechtlichen Vorbelastungen auseinandersetzenden Begründung, weshalb der mit dem Fahrverbot verfolgte Zweck auch durch ein erhöhtes Bußgeld erreicht werden kann, obwohl der Betroffene die mit einer solchen Sanktion verbundene Warnfunktion – ggfs. sogar wiederholt – missachtet und erneut gefehlt hat. Sind erhebliche, insbesondere einschlägige Vorbelastungen vorhanden, können einem Betroffenen sogar gravierende berufliche Folgen bis hin zur erzwungenen Aufgabe der Tätigkeit zuzumuten sein, denn ansonsten würde einem solchen Verkehrsteilnehmer ein dauerhafter „Freifahrschein” erteilt und eine solche, wegen besonderer Umstände bevorzugte Behandlung wäre gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern nicht mehr zu rechtfertigen (Senat, Beschluss vom 10. Dezember 2015 – 1 OWi 1 Ss Bs 57/15, juris Rn. 5). Ob der Tatrichter diese Grundsätze beachtet und zutreffend angewendet hat, kann der Senat aufgrund der insoweit lückenhaften Ausführungen des Amtsgerichts rechtlich nicht nachprüfen.
b)
Hinzutritt, dass die in den Urteilsgründen dargelegten Auswirkungen des Fahrverbots auf die berufliche Tätigkeit des Betroffenen für sich genommen den Entfall der Regelwirkung nicht rechtfertigen können. Denn die Beschwerdeführerin und die Generalstaatsanwaltschaft beanstanden zu Recht, dass sich das Amtsgericht nicht näher mit der Frage auseinandergesetzt hat, ob und in welchem Umfang der Betroffene – ggfs. in Verbindung mit der Gewährung einer Vollstreckungsfrist nach § 25 Abs. 2a StVG – diese nachteiligen Folgen abmildern oder gar ausräumen kann.
Einer näheren Auseinandersetzung mit den einem Betroffenen offenstehenden und zuzumutenden Möglichkeiten, die Auswirkungen eines Fahrverbots abzumildern, bedarf es regelmäßig zwar nur, wenn der Tatrichter die Zumutbarkeit und damit die Verhältnismäßigkeit einer solchen Maßnahme verneinen will (vgl. hierzu Deutscher aaO. Rn. 1315 ff.). Sieht der Tatrichter – wie hier – hingegen von der Verhängung eines Fahrverbots ab, weil es ausnahmsweise des mit der Maßnahme bezweckten Erziehungseffekts nicht bedarf, sind solche Gesichtspunkte im Regelfall nicht von entscheidender Bedeutung (Senat, Beschluss vom 05.02.2019 – 1 OWi 2 Ss Bs 69/18). Dies setzt jedoch voraus, dass der Tatrichter weitere, gegen die Erforderlichkeit sprechende Umstände von jedenfalls durchschnittlichem Gewicht festgestellt und abgewogen hat. Eine besondere, über das gewöhnliche Maß hinausreichende Härte, die auch ohne Hinzutreten weiterer Umstände die Anwendung von § 4 Abs. 4 BKatV isoliert tragen kann, stellt das Fahrverbot für den Betroffenen nur dar, wenn er dessen nachteilige Folgen für die berufliche Tätigkeit nicht unschwer abmildern oder gar gänzlich ausräumen kann. Hält der Tatrichter daher allein wegen der damit für den Betroffenen verbundenen wirtschaftlichen Folgen die Verhängung eines Fahrverbots zur erzieherischen Einwirkung auf den Betroffenen für nicht erforderlich, so hat er, um das Ausmaß der prognostizierten Folgen und damit das Gewicht dieses Umstandes zu bestimmen, auch die Möglichkeiten in den Blick zu nehmen, die dem Betroffenen zur Abmilderung dieser Folgen verbleiben. Ist es dem Betroffenen unschwer möglich, die tatsächlichen oder von ihm zumindest befürchteten Auswirkungen des Fahrverbots auf seine berufliche Tätigkeit ohne besonderen Aufwand zu vermeiden, so wird die mit einem erhöhten Bußgeld verbundene Abschreckfunktion begrenzt und die davon ausgehende erzieherische Wirkung nur gering sein.
III.
Der Senat hatte keinen Anlass, die Sache an eine andere Abteilung oder ein anderes Amtsgericht zu verweisen (§ 79 Abs. 6 OWiG).