OLG Bamberg, Az.: 3 Ss OWi 1450/15, Beschluss v. 28.12.2015
Sachverhalt:
Das AG hat den Betr. wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 40 km/h innerhalb geschlossener Ortschaft (§§ 3 III Nr. 1 StVO i. V. m. 49 I Nr. 3 StVO) zu einer Geldbuße von 320 Euro verurteilt; von der Verhängung des im Bußgeldbescheid neben einer Geldbuße in gleicher Höhe vorgesehenen Fahrverbots hat es demgegenüber abgesehen. Auf die gegen das Urteil eingelegte, mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründete und sogleich auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Rechtsbeschwerde der StA hat das OLG den Rechtsfolgenausspruch zum Nachteil des Betr. dahin abgeändert, dass es gegen ihn neben einer Geldbuße von 160 Euro ein einmonatiges Fahrverbot angeordnet hat.
Aus den Gründen:
I. Die gemäß § 79 I 1 Nr. 3 OWiG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde der StA, die bereits mit ihrer Einlegung wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt wurde, ist begründet.
1. Aufgrund der Feststellungen des AG kam gemäß § 4 I 1 Nr. 1 BKatV i. V. m. lfd.Nr. 11.3.6 der Anl. zu § 1 I BKatV die Anordnung eines Regelfahrverbots wegen grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers als Regelfall in Betracht. Dies hat das AG zwar nicht verkannt, jedoch von der Anordnung eines Fahrverbots bei gleichzeitiger Erhöhung des als Regelsatz vorgesehenen Bußgeldes von 160 Euro auf 320 Euro mit der Begründung abgesehen, der Betr., der als Kleinunternehmer – neben weiteren Kaufberatern – Kundenbesuche im gesamten Bundesland zu erledigen habe, habe mit erheblichen „Ertragseinbußen“ zu rechnen, falls ein Fahrverbot für die Dauer 1 Monats vollzogen würde. Er erwarte für diesen Fall einen „wirtschaftlichen Schaden von ca. 40.000 bis 60.000 €“. Seine Kundenbesuche könnten auch nicht von anderen Mitarbeitern wahrgenommen werden. Zum einen sei die personelle Situation ohnehin angespannt, zum anderen hätten diese keine Einsicht in die den Geschäften zugrunde liegenden Kalkulationsgrundlagen. Eine Anstellung eines Fahrers sei ebenfalls nicht möglich. Beim Betr. liege nämlich seit seiner Kindheit eine sog. Reisekrankheit vor, so dass er „als Beifahrer“ unter massiver Übelkeit, auch in Form von Erbrechen, leide.
2. Diese Begründung, mit der das AG von der Verhängung eines Fahrverbots gegen den Betr. abgesehen hat, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a) Zwar folgt aus § 4 I 1 BKatV nicht, dass ausnahmslos ein Fahrverbot zu verhängen wäre. Vielmehr steht dem Tatrichter ein Ermessensspielraum zu, um Verstößen im Straßenverkehr mit der im Einzelfall angemessenen Sanktion zu begegnen (BVerfG NJW 1996, 1809). Die Frage, ob die Würdigung der Tat und der Persönlichkeit des Täters besondere Umstände ergibt, nach denen es ausnahmsweise der Warn- und Denkzettelfunktion eines Fahrverbots im Einzelfall nicht bedarf, liegt grundsätzlich in seinem Verantwortungsbereich. Der Tatrichter hat innerhalb des ihm eingeräumten Beurteilungsspielraums die Wertungen nach eigenem pflichtgemäßen Ermessen zu treffen. Seine Entscheidung kann vom Rechtsbeschwerdegericht deshalb nur daraufhin überprüft werden, ob er sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat, weil er die anzuwendenden Rechtsbegriffe verkannt, die Grenzen des Ermessens durch unzulässige Erwägungen überschritten und sich nicht nach den Grundsätzen und Wertmaßstäben des Gesetzes gerichtet hat. In Zweifelsfällen hat das Rechtsbeschwerdegericht die Bewertung des Tatrichters zu respektieren, und zwar auch dann, wenn es selbst hinsichtlich der Frage des Fahrverbots zu einem abweichenden Ergebnis gelangte.
b) Diesen Maßstäben genügt das angefochtene Urteil nicht. Einen Ausnahmefall für ein Absehen vom Fahrverbot können zwar Härten ganz außergewöhnlicher Art, wie z. B. drohender Verlust des Arbeitsplatzes oder der Verlust der sonstigen wirtschaftlichen Existenzgrundlage, begründen (vgl. nur OLG Bamberg DAR 2011, 401). Im vorliegenden Fall ist eine derartige Härte jedoch nicht gegeben.
aa) Die Beweiswürdigung ist bereits lückenhaft, was die Frage anbelangt, ob es dem Betr. nicht durch die Inanspruchnahme eines Fahrers oder die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel nicht möglich sein soll, seinen Geschäften auch während der Vollstreckung des Fahrverbots nachzugehen. Zum einen beruft sich das AG auf eine „ärztliche Bescheinigung vom 13.07.2015“, ohne auch nur ansatzweise den Inhalt des Attests wiederzugeben. Der Senat kann daher nicht beurteilen, welche Diagnose der Arzt aufgrund welcher Erhebungen gestellt hat. Insbesondere bleibt offen, ob die bescheinigte „Erkrankung“ lediglich aufgrund der eigenen Angaben des Betr. festgestellt oder durch objektive, wissenschaftlichen Standards gerecht werdende Befunderhebungen auch belegt wurde. Ferner ist das konkrete Erscheinungsbild der Erkrankung unklar. Insbesondere wird nicht dargetan, weshalb es dem Betr. möglich sein soll, selbst als Fahrer zu reisen, nicht aber als Beifahrer. Des Weiteren ergibt sich nicht, ob dies auch für öffentliche Verkehrsmittel gelten würde. Wenn das AG der behaupteten Erkrankung für ein Absehen vom Regelfahrverbot schon maßgebliche Bedeutung beimessen wollte, so hätte dies näherer Darlegung bedurft, um dem Senat die Nachprüfung zu ermöglichen.
bb) Allerdings kommt es hierauf im Ergebnis nicht entscheidend an. Denn selbst bei Zugrundelegung der geltend gemachten „Reisekrankheit“ kann von einer außergewöhnlichen Härte, die ein Absehen vom Regelfahrverbot rechtfertigen würde, nicht die Rede sein. Das AG stellt nämlich gerade keine konkrete Existenzgefährdung als Folge der Verhängung eines Fahrverbots für die Dauer von 1 Monat fest, sondern beruft sich lediglich darauf, dass der Betr. für diesen Fall einen „wirtschaftlichen Schaden in Höhe von ca. 40.000 bis 60.000 € erwarte“. Unter Zugrundelegung dieser Feststellungen kann von einer Existenzgefährdung gerade nicht die Rede sein; sie ist vielmehr sogar ausgeschlossen. Denn ein wirtschaftlicher „Schaden“, der bei einem Einnahmeausfall eintritt, ist betriebswirtschaftlich mit dem entgangenen Gewinn gleichzusetzen. Dies bedeutet aber andererseits, dass beim Betr. eine außerordentlich überdurchschnittliche Einkommenssituation gegeben sein muss. Der zu erwartende „Schaden“ relativiert sich somit in einem Maße, dass ein Absehen vom Regelfahrverbot wegen besonderer wirtschaftlicher Härten gänzlich unberechtigt wäre. Es handelt sich vielmehr um normale Belastungen, die der Betr. wegen seines Fehlverhaltens selbst zu vertreten und damit hinzunehmen hat. Dabei darf im Übrigen nicht außer Betracht gelassen werden, dass es andernfalls wegen der hohen Einkünfte, die der Betr. erzielt, letztlich zu einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern käme, die sich in einer vergleichbaren Situation befinden, aber über ein geringeres Einkommen verfügen.
II. Der Senat kann aufgrund der getroffenen Feststellungen des AG zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Betr. in der Sache selbst entscheiden (§ 79 VI OWiG), so dass es einer Zurückverweisung an das AG nicht bedarf. Es ist insbesondere ausgeschlossen, dass weitere erhebliche Feststellungen getroffen werden können, zumal – wie bereits dargelegt – eine Existenzgefährdung ausgeschlossen ist. Neben der Regelgeldbuße in Höhe von 160 Euro war deshalb gegen den Betr. wegen grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers gemäß §§ 25 I 1 1. Alt., 26a I Nr. 3, II StVG i. V. m. § 4 I 1 Nr. 1 BKatV i. V. m. lfd. Nr. 11.3.6 der Anl. zu § 1 I BKatV ein Fahrverbot für die Dauer 1 Monats anzuordnen. Sonstige Umstände, die es gebieten könnten, von dieser Regelfolge der begangenen Ordnungswidrigkeit ausnahmsweise abzuweichen, oder die die Annahme begründen könnten, der Zweck des Fahrverbots könnte allein mit einer Geldbuße erreicht werden, liegen nicht vor. Die Anordnung eines beschränkten Vollstreckungsaufschubs (sog. Vier-Monats-Regel) beruht auf § 25 IIa 1 StVG. […]