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Geschwindigkeitsmessung – Täteridentifizierung anhand Messfotos – Urteilsanforderungen

OLG Düsseldorf – Az.: IV – 2 RBs 171/19 – Beschluss vom 06.12.2019

In der Bußgeldsache wegen Verkehrsordnungswidrigkeit hat der 2. Senat für Bußgeldsachen am 06.12.2019 auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Oberhausen vom 6. August 2018 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

1. Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben. Jedoch bleiben die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen mit Ausnahme derjenigen zur Fahrereigenschaft des Betroffenen aufrechterhalten.

2. Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Oberhauen zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 51 km/h zu einer Geldbuße von 660 Euro verurteilt und ein zweimonatiges Fahrverbot verhängt. Hiergegen richtet sich dessen Rechtsbeschwerde.

II.

Die Rechtsbeschwerde hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang (vorläufig) Erfolg.

1. Das angefochtene Urteil genügt nicht den Anforderungen, die von der Rechtsprechung bei der Fahreridentifizierung anhand eines Beweisfotos gestellt werden (vgl. grundlegend: BGHSt 41, 376 = NJW 1996, 1420; statt vieler: Senat NZV 1994, 445; OLG Hamm VRS 92, 27; VRS 93, 349; NStZ-RR 2009, 250; OLG Koblenz NZV 2010, 212, 213). Danach gilt für die Darstellung in den Urteilsgründen folgendes:

Wird in dem Urteil gemäß § 71 Abs. 1 OWiG, § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO auf ein zur Identifizierung generell geeignetes Foto verwiesen, bedarf es im Regelfall keiner näheren Ausführungen. Bestehen allerdings nach Inhalt und Qualität des Fotos Zweifel an seiner Eignung als Grundlage für eine Identifizierung des Fahrers oder fehlt (wie hier) eine eindeutige Bezugnahme, so muss der Tatrichter angeben, aufgrund welcher auf dem Foto erkennbaren Identifizierungsmerkmale er die Überzeugung von der Identität des Betroffenen mit dem abgebildeten Fahrzeugführer gewonnen hat.

Bei der Beschreibung von Identifizierungsmerkmalen genügt der Hinweis auf „Übereinstimmungen“ nicht, vielmehr ist mit beschreibenden Adjektiven zu veranschaulichen, worin die Übereinstimmungen bestehen. Daran fehlt es hier.

Dieses Versäumnis wird auch nicht dadurch geheilt, dass das Amtsgericht die Ausführungen der anthropologischen Sachverständigen, wonach der Betroffene mit der Person auf dem Messfoto „sehr wahrscheinlich“ identisch ist, für überzeugend und nachvollziehbar erachtet hat. Denn das Tatgericht hat in Fällen, in denen es dem Gutachten eines Sachverständigen folgt, die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und die daraus gezogenen Schlussfolgerungen des Gutachters so darzulegen, dass das Rechtsmittelgericht prüfen kann, ob die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht (vgl. BGH NJW 2000, 1350; OLG Oldenburg NZV 2009, 52; OLG Jena BeckRS 2011, 17914; OLG Celle NZV 2013, 47). Dazu gehört die Beschreibung der charakteristischen Identifizierungsmerkmale. Vorliegend hat das Amtsgericht lediglich verschiedene Regionen des Gesichtes und Kopfes aufgelistet, ohne die deskriptiven Merkmale darzulegen, anhand derer die anthropologische Sachverständige zu ihrer Beurteilung der Identitätswahrscheinlichkeit („sehr wahrscheinlich“) gelangt ist.

Um dem Rechtsbeschwerdegericht die Nachprüfung anhand eines eigenen optischen Eindrucks zu ermöglichen, ist es zudem ratsam, in dem Urteil nach § 71 Abs. 1 OWiG, § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO auf das (vergrößerte) Messfoto und das Vergleichsfoto zu verweisen.

2. Die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen sind mit Ausnahme derjenigen zur Fahrereigenschaft des Betroffenen von dem Rechtsfehler nicht betroffen und bleiben daher aufrechterhalten.

Es bedarf keiner erneuten Beweisaufnahme zu der rechtsfehlerfrei festgestellten Geschwindigkeitsüberschreitung nebst Messverfahren, Tatzeit, Tatort und erfasstem Pkw. Zu klären bleibt zum objektiven Tatgeschehen lediglich, ob der Betroffene der Fahrer war. Der Antrag der Generalstaatsanwaltschaft, das angefochtene Urteil mit den (d.h. mit sämtlichen) Feststellungen aufzuheben, korrespondiert nicht mit dem Umstand, dass in der Antragsschrift allein auf die unzureichende Beweiswürdigung zur Fahrereigenschaft abgestellt worden ist.

Neu zu treffen sind ferner die Feststellungen zur subjektiven Tatseite und zur Person (bei den Voreintragungen unter Beachtung der jeweiligen Tilgungsfrist, § 29 Abs. 1 StVG).

III.

Der Verkehrsverstoß, der dem Betroffenen zur Last gelegt wird (Tatzeit: 10. September 2017), liegt bereits jetzt mehr als zwei Jahre zurück.

Die Denkzettel- und Besinnungsfunktion eines Fahrverbots kann ihren Sinn verloren haben, wenn die zu ahndende Tat mehr als zwei Jahre zurückliegt, die für die lange Verfahrensdauer maßgeblichen Umstände außerhalb des Einflussbereichs des Betroffenen liegen und in der Zwischenzeit kein weiteres Fehlverhalten im Straßenverkehr festgestellt worden ist (vgl. OLG Köln NZV 2000, 430; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2007, 323; OLG Stuttgart NZV 2017, 341; OLG Dresden NStZ 2019, 623).

Dies wird das Amtsgericht zu berücksichtigen haben. Da die lange Verfahrensdauer auf Versäumnisse im Verantwortungsbereich der Justiz zurückzuführen ist (dazu IV.), wird es hierbei im Falle einer erneuten Verurteilung wesentlich darauf ankommen, ob der Betroffene verkehrsrechtlich nicht mehr auffällig geworden ist.

IV.

In der vorliegenden Bußgeldsache ist eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung eingetreten, die im Falle einer erneuten Verurteilung ebenfalls zu berücksichtigen sein wird.

Die Verfahrensverzögerung begann damit, dass das Amtsgericht am 28. August 2018 die Zustellung des Urteils an den Verteidiger angeordnet hat, obwohl sich dessen Vollmacht nicht bei den Akten befindet (§ 46 Abs. 1 OWiG, § 145a Abs. 1 StPO). Die an den Verteidiger bewirkte Zustellung vom 30. August 2018 war daher unwirksam. Dieser Mangel wurde erst am 16. November 2()18 durch die an den Betroffenen persönlich bewirkte Zustellung behoben.

Obwohl nunmehr eine wirksame Zustellung des Urteils an den Betroffenen persönlich erfolgt war, sandte die Generalstaatsanwaltschaft die Akte unter Hinweis darauf, dass sich keine Vollmacht des Verteidigers bei den Akten befindet, mit Schreiben vom 28. Januar 2019 zwecks „Behebung des Zustellungsmangels“ an die Staatsanwaltschaft Duisburg zurück. Hierbei war offenbar die aktenkundige Zustellung des Urteils an den Betroffenen persönlich übersehen worden.

Mit Verfügung vom 12. Februar 2019 übersandte die Staatsanwaltschaft Duisburg die Akte unter Hinweis auf die Zustellung vom 16. November 2018 erneut an die Generalstaatsanwaltschaft. Die Akte ist dem Senat erst mit der Antragsschrift vom 26. November 2019 vorgelegt worden. Gründe für die bei der Generalstaatsanwaltschaft entstandene Verzögerung – dort befand sich die Akte für ca. neuneinhalb Monate ohne ersichtliche Bearbeitung – sind dem Senat hierbei nicht mitgeteilt worden.

Bei einem ordnungsgemäßen Verfahrensgang hätte Ende August 2018 eine wirksame Zustellung erfolgen können, so dass die Begründungsfrist Ende September 2018 abgelaufen wäre. Alsdann wäre die Akte dem Senat mangels besonderer Schwierigkeiten jedenfalls im November 2018 zur Entscheidung über die Rechtsbeschwerde vorzulegen gewesen. Die eingetretene Verzögerung von ca. einem Jahr ist rechtsstaatswidrig.

Die im Strafverfahren entwickelten Grundsätze für erhebliche rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerungen (sog. Vollstreckungslösung) finden auch im Bußgeldverfahren Anwendung, wobei etwa ein Fahrverbot – ganz oder teilweise – als vollstreckt gelten kann (vgl. OLG Rostock StV 2009, 363; OLG Bamberg NJW 2009, 2468; OLG Hamm DAR 2011, 409; OLG Hamburg NStZ 2019, 529).

Von der Frage, ob ein Fahrverbot im Hinblick auf den Sanktionszweck wegen Zeitablaufs wegfällt oder verkürzt werden darf, also ob oder wie die Rechtsfolge anzuordnen ist, zu trennen ist die Auswirkung der langen Verfahrensdauer auf die bereits konkret feststehende Rechtsfolge (BeckOK StVR/Krenberger, 5. Edition, § 25 StVG, Rdn 81). Zuerst ist über die Rechtsfolge und in einem zweiten Schritt über die Frage der Kompensation wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung zu entscheiden.

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