Gericht: Herausgabe von Token und Passwort bei Poliscan FM1 nicht zwingend
Das Amtsgericht Eilenburg lehnte den Antrag auf Herausgabe des Tokens und Passworts für das Geschwindigkeitsmessgerät Poliscan FM1 ab, da die Anforderungen an Waffengleichheit und der Schutz der Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege diese Herausgabe nicht rechtfertigten.
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✔ Das Wichtigste in Kürze
Zentrale Punkte aus dem Urteil:
- Ablehnung des Antrags: Der Antrag des Verteidigers auf gerichtliche Entscheidung wurde als unbegründet zurückgewiesen.
- Kostenübernahme durch den Betroffenen: Der Betroffene muss die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen tragen.
- Bußgeldbescheid wegen Geschwindigkeitsüberschreitung: Grundlage des Falles war ein Bußgeldbescheid, der auf einer Geschwindigkeitsüberschreitung basierte, festgestellt durch Poliscan FM1.
- Teilweise Erfüllung des Akteneinsichtsantrags: Die Verwaltungsbehörde kam dem Akteneinsichtsantrag des Verteidigers nur teilweise nach.
- Anspruch auf Waffengleichheit: Das Gericht berücksichtigte den Grundsatz der Waffengleichheit, welcher eine faire Prozessführung ermöglichen soll.
- Begrenzung des Informationszugangs: Der Anspruch auf Herausgabe der Informationen wurde begrenzt, um die Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege und den Datenschutz zu wahren.
- Alternative Beschaffung von Informationen: Dem Verteidiger wurde nahegelegt, sich notwendige Informationen über andere Wege, wie z.B. beim zuständigen Eichamt, zu beschaffen.
- Endgültigkeit der Entscheidung: Die Entscheidung des Gerichts ist gemäß § 62 Abs. 2 Satz 3 OWiG unanfechtbar.
Übersicht
Rechtliche Herausforderungen bei Geschwindigkeitsmessungen
Geschwindigkeitsmessungen und die damit verbundenen rechtlichen Auseinandersetzungen bilden ein zunehmend relevantes Feld im deutschen Verkehrsrecht. Ein spezieller Fokus liegt dabei auf der Verwendung moderner Messgeräte, wie dem Poliscan FM1, und den daraus resultierenden juristischen Fragestellungen. Insbesondere die Herausgabe von Token und Passwort für die Auswertung solcher Messungen stellt sowohl Beschuldigte als auch Verwaltungsbehörden vor neue Herausforderungen. Diese Situation wirft Fragen hinsichtlich des Datenschutzes, der Verfahrensgerechtigkeit und der Transparenz auf.
Im Kern geht es um die Balance zwischen der Sicherstellung einer korrekten und fairen Verkehrsüberwachung einerseits und dem Schutz der Rechte der Betroffenen andererseits. Dies beinhaltet auch die Auseinandersetzung mit dem Bußgeldbescheid und den damit verbundenen rechtlichen Folgen. Die Rolle der Verwaltungsbehörde im Kontext der Beweismittelbeschaffung und -bereitstellung ist ein weiterer wesentlicher Aspekt dieses Themenkomplexes. Der nachfolgende Text beleuchtet ein konkretes Urteil in diesem Bereich und bietet tiefergehende Einblicke in die juristischen Feinheiten dieses aktuellen und bedeutenden Themas. Tauchen Sie ein in die Welt der rechtlichen Feinheiten und entdecken Sie, wie Gerichte mit diesen modernen Herausforderungen umgehen.
AG Eilenburg – Az.: 8 OWi 252/23 – Beschluss vom 11.08.2023
1. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird als unbegründet zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen aufgrund des gerichtlichen Verfahrens hat der Betroffene zu tragen.
Gründe
I.
Gegen den Betroffenen wurde am 08.02.2023 ein Bußgeldbescheid der Großen Kreisstadt D. (im Folgenden: Verwaltungsbehörde) erlassen, dem der Tatvorwurf einer Geschwindigkeitsüberschreitung vom 18.11.2022 zugrunde liegt, der mit dem Geschwindigkeitsmessgerät Poliscan FM1 festgestellt worden sein soll.
Bereits mit Schriftsatz vom 04.01.2023 hatte der Verteidiger des Betroffenen einen umfassenden Akteneinsichtsantrag gestellt, dem die Verwaltungsbehörde nur teilweise nachkam. Nachdem die Verwaltungsbehörde den Verteidiger im Hinblick auf den begehrten Gutachtertoken an das zuständige Eichamt und hinsichtlich der beanspruchten Bedienungsanleitung an den Hersteller verwiesen hatte, stellte der Verteidiger des Betroffenen mit Schreiben vom 11.05.2023 einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 62 OWiG, mit dem er die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde begehrt, dem Verteidiger den Token und das Passwort sowie den Tuff-Viewer zur Auswertung der Messung nebst der Bedienungsanleitung zur Verfügung zu stellen.
Die Verwaltungsbehörde hat diesem Begehren nicht abgeholfen und die Sache mit Verfügung vom 17.05.2023 dem Amtsgericht Eilenburg zur Entscheidung vorgelegt.
Nachdem ein entsprechender gerichtlicher Hinweis erfolgt war, hat der Verteidiger mit Schreiben vom 01.08.2023 erklärt, an seinem Antrag auf Übersendung der Bedienungsanleitung nicht länger festzuhalten.
II.
1. Soweit das Verfahren nach der erklärten Teilrücknahme noch bei Gericht anhängig ist, ist der gemäß § 62 OWiG zulässige Antrag unbegründet. Dem Betroffenen steht kein Anspruch dahingehend zu, dem Verteidiger den Token und das Passwort sowie den Tuff-Viewer zur Auswertung der Messung zur Verfügung zu stellen.
a) Dieser Anspruch ergibt sich auch nicht unter Zugrundelegung der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Danach fordert ein rechtsstaatliches und faires Verfahren „Waffengleichheit“ zwischen den Verfolgungsbehörden einerseits und dem Beschuldigten/Betroffenen andererseits. Der Betroffene hat deshalb ein Recht auf möglichst frühzeitigen und umfassenden Zugang zu Beweismitteln und Ermittlungsvorgängen und auf die Vermittlung der erforderlichen materiell- und prozessrechtlichen Informationen, ohne die er seine Rechte nicht wirkungsvoll wahrnehmen könnte (vgl. grundlegend BVerfG, Beschl. v. 12.11.2020 – 2 BvR 1616/18 -; speziell zur Rohmessdatenproblematik jüngst BVerfG, Beschl. v. 20.06.2023 – 2 BvR 1167/20 -, beide juris).
Dieses Begehren auf Informationszugang zu den außerhalb der Bußgeldakte befindlichen und bei der Verwaltungsbehörde vorhandenen Informationen soll einen Betroffenen in die Lage versetzen, sich selbst Gewissheit darüber zu verschaffen, dass sich aus den dem Gericht nicht vorgelegten Inhalten keine seiner Entlastung dienenden Tatsachen ergeben, und um beurteilen zu können, ob Beweisanträge gestellt oder Beweismittel vorgelegt werden sollen. Das aus den aufgezeigten Verteidigungsinteressen eines Betroffenen hervorgehende umfassende Informations- und Einsichtsrecht kann dabei deutlich weitergehen als die Aufklärungspflicht des Gerichts in der Hauptverhandlung (vgl. bereits OLG Dresden, Beschl. v. 11.12.2019 – OLG 23 Ss 709/19 (B) -, BeckRS 2019, 37019).
Dabei gilt jedoch das Recht auf Zugang zu den außerhalb der Akte befindlichen Informationen gerade im Bereich massenhaft vorkommender Ordnungswidrigkeiten nicht unbegrenzt, weil andernfalls die Gefahr der uferlosen Ausforschung, erheblicher Verfahrensverzögerungen und des Rechtsmissbrauchs bestünde. Die begehrten, hinreichend konkret benannten Informationen müssen deshalb zum einen in einem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem jeweiligen Ordnungswidrigkeitenvorwurf stehen und zum anderen erkennbar eine Relevanz für die Verteidigung aufweisen. Der Gewährung eines solchen Informationszugangs können zudem gewichtige verfassungsrechtlich verbürgte Interessen wie beispielsweise die Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege oder auch schützenswerte Interessen Dritter widerstreiten. Auch müssen unter dem Gesichtspunkt der „Waffengleichheit“ in der Rollenverteilung begründete verfahrensspezifische Unterschiede in den Handlungsmöglichkeiten von Verfolgungsbehörde und Verteidigung nicht in jeder Beziehung ausgeglichen werden (vgl. BVerfG, a. a. O.).
b) Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs steht einem Betroffenen zwar ein Einsichtsanspruch in den verschlüsselten Datensatz der kompletten Messserie zu, dem die Verwaltungsbehörde auch im vorliegenden Fall entsprochen hat. Nicht hingegen kann er den Token und das Passwort zur Auswertung der Messung von der Verwaltungsbehörde verlangen, da im Falle der Gewährung die Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege in einer nicht vor dem Hintergrund der Waffengleichheit gebotenen Art und Weise beeinträchtigt wäre (ebenso ablehnend: OLG Zweibrücken, Beschl. v. 01.03.2023 – 1 OWi 2 SsBs 49/22 -, juris; AG St. Ingbert, Urt. v. 15.09.2022 – 23 OWi 65 Js 667/22 (1278/22) -, juris; AG Torgau – Zweigstelle Oschatz, Beschl. v. 30.05.2023 – 2 OWi 954 Js 36701/23).
aa) Diesbezüglich ist zu beachten, dass der behördliche Universal-Token zzgl. Passwort ausschließlich für den Eigentümer/Verwender des Messgerätes vorgesehen ist, dieser einen Zugriff auf alle Messreihen der bei der Behörde verwendeten Messgeräte eröffnet und damit auch einen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte einer solchen Vielzahl von Fahrzeugführern ermöglicht, dass das Herausgabeinteresse der Verteidigung die damit zusammenhängenden Beeinträchtigungen nicht rechtfertigt. In diese Bewertung fließt nämlich zudem mit ein, dass es dem Betroffenen frei steht, sich einen Gutachter-Token nebst Passwort beim im vorliegenden Fall zuständigen Eichamt (Landesamt für Mess- und Eichwesen Berlin-Brandenburg) zu verschaffen, um so ohne Berührung schützenswerter Interessen der Verwaltungsbehörde bzw. Dritter auch an die begehrten Informationen zu gelangen. Darauf durfte die Verwaltungsbehörde den Betroffenen in rechtlich unbedenklicher Weise verweisen, was sie auch mehrfach getan hat. Ergänzend sei ausgeführt, dass soweit der Gutachter-Token beim Landesamt für Mess- und Eichwesen Berlin-Brandenburg beschafft wird, „lediglich“ mitzuteilen ist, wer der Nutzer des Messgeräts ist und für welches Messgerät der Gutachter-Token benötigt wird. Mit dem Gutachter-Token ist es dann möglich, die Messdateien der Messreihe des entsprechenden Messgerätes zu öffnen.
bb) Dem Verteidiger des Betroffenen bleibt es also unbenommen, sich den Gutachter-Token nebst Passwort gebührenpflichtig beim zuständigen Eichamt selbst zu beschaffen. Ihm steht unter keinem Gesichtspunkt ein Anspruch darauf zu, dass sich die Verwaltungsbehörde um die Beschaffung von Informationen, Gegenständen oder Dateien bemüht, die sie weder für ihre Ermittlungstätigkeit benötigt noch aus anderen Gründen in Besitz hat (vgl. auch AG Eilenburg, Beschl. v. 01.08.2023 – 8 OWi 253/23 -, juris zum verneinten Herausgabeanspruch der unverschlüsselten Falldatensätze). Denn der aus dem Recht auf ein faires Verfahren folgende Gedanke der Waffengleichheit bezieht sich auf vorhandene Informationen, wobei die begehrten Inhalte zum Zweck der Ermittlung entstanden und weiterhin vorhanden sein müssen, damit sie dem Betroffenen zur Herstellung einer „Parität des Wissens“ überlassen werden können (vgl. Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 22.07.2022 – VGH B 30/21 -, juris). Insofern ist klarzustellen, dass die Verwaltungsbehörde nicht als Beschaffungsstelle der Verteidigung anzusehen ist, soweit diese ohne weiteres in der Lage ist, sich die begehrten Informationsobjekte zu besorgen. Gründe, warum die Verteidigung diese Möglichkeit nicht nutzt, sondern stattdessen die Verwaltungsbehörde in der Pflicht sieht, einen Gutachter-Token, den sie weder für ihre Ermittlungstätigkeit benötigt noch aus anderen Gründen in Besitz hat, zu beantragen, nur um diesen an den Verteidiger weiterzugeben, sind weder in hinreichender Form vorgetragen noch sonst ersichtlich.
c) Ebenso wenig besteht aus den gleichen Erwägungen ein Anspruch auf die Überlassung des Tuff-Viewers (vgl. sinngemäß OLG Celle, Beschl. v. 21.03.2016 – 2 Ss (OWi) 77/16 -, juris; AG Goslar, Beschl. v. 16.02.2021 – 26 OWi 39/21 -, juris). Sollte die Verteidigung einen Gutachter hinzuziehen (wollen), erscheint es fernliegend, dass dieser einen Tuff-Viewer oder ein anderes zur Auswertung des Messdatensatzes geeignetes Programm nicht besitzen soll. Doch auch ohne hinzugezogenem Gutachter bleibt es einem Betroffenen bzw. dessen Verteidiger unbenommen, den Tuff-Viewer beim Hersteller käuflich zu erwerben. Selbst wenn also die Verteidigung die Dateien nicht öffnen kann, beschneidet das nicht in entscheidungserheblicher Weise das Recht auf Akteneinsicht und ein faires Verfahren.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 62 Abs. 2 Satz 2 OWiG i. V. m. § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.
3. Die Entscheidung ist gemäß § 62 Abs. 2 Satz 3 OWiG unanfechtbar.