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Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren – zu kurze Messstrecke

Az.: 4 RBs 94/17, Beschluss vom 10.03.2017

Leitsätze:

1. Bei einer bei Dunkelheit oder schlechten Sichtverhältnissen durchgeführten Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren sind zusätzlich Angaben über die Beobachtungsmöglichkeiten der Polizeibeamten, insbesondere zum Abstand der Fahrzeuge und zur Sicht- und Beleuchtungssituation vor Ort erforderlich.

2. Je kürzer die Messstrecke ist, um so genauer sind die Umstände der Messung darzustellen.

Das angefochtene Urteil wird mit den zu Grunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Rechtsmittels – an das Amtsgericht Münster zurückverwiesen.

Gründe

I.

Geschwindigkeitsmessung durch nachfahren
Symbolfoto: p.lange / Bigstock

Das Amtsgericht hat Betroffenen wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 320 Euro verurteilt, ihm insoweit Ratenzahlung bewilligt und gegen ihn ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts befuhr der Betroffene am 19.01.2016 um 20 Uhr in N die X-Straße mit einer Geschwindigkeit von 82,5 km/h, obwohl er wusste, dass er sich innerorts befand und eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 50 km/h galt. Die Geschwindigkeit wurde von zwei Polizeibeamten durch Nachfahren mit einem PKW und ablesen der Geschwindigkeit von dessen ungeeichten Tacho ermittelt. Von der insoweit abgelesenen Geschwindigkeit von 110 km/h hat das Amtsgericht wegen der Kürze der Messstrecke einen Toleranzabzug von 25% vorgenommen.

Gegen das Urteil wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt und Verfahrensrügen erhebt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die zulässige Rechtsbeschwerde hat auf die Sachrüge hin Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht Münster (§§ 354 StPO, 79 Abs. Abs. 3 und 6 OWiG).

Die Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils weist einen durchgreifenden Rechtsfehler zu Lasten des Betroffenen auf. Grundsätzlich ist die Beweiswürdigung Sache des Tatrichters, dessen Überzeugungsbildung das Rechtsbeschwerdegericht nur darauf prüft, ob sie auf rechtsfehlerhaften Erwägungen beruht. Dies ist namentlich der Fall, wenn sie mit gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen oder unbezweifelbarem Erfahrungswissen unvereinbar ist, Widersprüche oder sonstige Verstöße gegen die Gesetze der Logik enthält oder Lücken aufweist, sich insbesondere nicht mit nahe liegenden alternativen Geschehensabläufen befasst, obwohl sich dies nach dem Beweisergebnis aufdrängt (vgl. nur BGH NJW 2007, 384).

Für die Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren ist anerkannt, dass sie als Beweis für eine Geschwindigkeitsüberschreitung auch dann ausreichen kann, wenn der Tachometer des nachfahrenden Fahrzeugs ungeeicht und nicht justiert war. Der Tatrichter muss sich in einem solchen Fall mit der Zuverlässigkeit der Messung und der Einhaltung der Voraussetzungen für die Verwertbarkeit auseinandersetzen und einen entsprechenden Sicherheitsabschlag vornehmen. Insoweit hat die Rechtsprechung Richtlinien für die beweissichere Feststellung einer durch Nachfahren ermittelten Geschwindigkeitsüberschreitung entwickelt. Danach müssen die Messstrecke ausreichend lang sein (weswegen es Angaben zu deren Länge bedarf) und der Abstand des nachfolgenden Fahrzeugs gleich bleibend (bzw. sich vergrößernd) und möglichst kurz sein (KG Berlin, Beschl. v. 27.10.2014 – 3 Ws (B) 467/14 – juris – m.w.N.; OLG Celle, Beschl. v. 11.03.2013 – 322 SsBs 69/13 – juris – m.w.N.); zugleich muss die Geschwindigkeitsüberschreitung wesentlich sein (KG Berlin a.a.O.). Bei in Dunkelheit oder schlechten Sichtverhältnissen durchgeführter Messung sind zusätzlich Angaben über die Beobachtungsmöglichkeiten der Polizeibeamten, insbesondere zum Abstand der Fahrzeuge und zur Sicht- und Beleuchtungssituation vor Ort erforderlich (KG Berlin a.a.O.; OLG Celle a.a.O.; vgl. auch OLG Hamm, Beschl. v. 19.03.2009 – 3 Ss OWi 94/09 – juris; König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., § 3 StVO Rdn. 56b).

An diesen Vorgaben gemessen ist die Beweiswürdigung im vorliegenden Fall lückenhaft. Angesichts der Uhrzeit der Messung und der Jahreszeit herrschte bei ihrer Vornahme kein Tageslicht mehr. Deshalb sind hier die höheren Anforderungen an Messungen bei Dunkelheit zu erfüllen.

Schon die Länge der Messstrecke wird nicht eindeutig festgestellt. Lediglich in der Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils heißt es, dass die Zeugin S deren Länge mit 250-300 Meter angegeben habe. Aus dem (zulässigen) Verweis auf die Skizze Bl. 42 d.A. könnte man demgegenüber möglicherweise schließen, dass die Messstrecke 330 Meter lang war. Hingegen heißt es dann an späterer Stelle, dass das Gericht nicht verkenne, dass in der Ordnungswidrigkeitenanzeige die Messstrecke auf 200 Meter geschätzt worden sei. Welche Länge der Messstrecke das Amtsgericht tatsächlich festgestellt hat, ergeben die Urteilsgründe letztlich nicht. Letztendlich wurden lediglich verschiedene erhobene Beweise dokumentiert, aber keine Beweiswürdigung vorgenommen und es bleibt unklar, von welcher Feststellung das Amtsgericht letztlich ausgeht. Das genügt den rechtlichen Anforderungen an eine Beweiswürdigung nicht (vgl. BGH, Beschl. v. 25.08.2016 – 1 StR 290/16 – juris).

Weiter enthalten die Gründe der angefochtenen Entscheidung auch keine Angaben zum Abstand zwischen dem Polizeifahrzeug und dem Fahrzeug des Betroffenen. Solcher Angaben hätte es insbesondere angesichts der zum Tatzeitpunkt herrschenden Dunkelheit bedurft. Zudem liegt es zwar nahe, dass angesichts der Tatörtlichkeiten innerorts eine übliche Straßenbeleuchtung bestand. Festgestellt worden ist dies aber ebenfalls nicht.

Für die erneute Verhandlung und Entscheidung weist der Senat darauf hin, dass auch bei einer Messstrecke von – wie hier möglicherweise – wenigstens 200 Metern Länge, eine Feststellung eines Geschwindigkeitsverstoßes (wie des hier in Rede stehenden) durch Nachfahren durchaus in Betracht kommt. Soweit die Festlegung von Mindestmessstrecken auf behördlichen Richtlinien (wie von der Verteidigung vorgetragen) beruht, sind diese jedenfalls für das Gericht nicht bindend (Art. 20 Abs. 3; 97 Abs. 1 GG), sondern dieses hat sich nach den Grundsätzen der §§ 71 Abs. 1 OWiG, 261 StPO eine Überzeugung zu bilden, wobei ein Verstoß gegen interne Richtlinien kein Beweisverwertungsverbot begründet (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 19.03.2009 – 3 Ss OWi 94/09; NZV 1997, 529). Je kürzer die Messstrecke ist, um so genauer sind jedoch die Umstände der Messung, die bereits o.g. benannt wurden, darzustellen sowie solche Umstände, wie etwa die nachfahrenden Polizeibeamten in einem vergleichsweise kurzen Zeitraum gleichzeitig Aufgaben der fahrerischen Tätigkeit der Verfolgung, die Feststellung eines gleichbleibenden oder sich vergrößernden Abstands – unter welchen Beleuchtungsverhältnissen und in welchem (ungefähren) Abstand zum verfolgten Fahrzeug – und das Ablesen der Geschwindigkeit bewältigen konnten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass etwa bei einem sehr großen Abstand zum verfolgten Fahrzeug ein gleichbleibender oder sich vergrößernder Abstand erst nach längerer Nachfahrt ermittelt werden kann.

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