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Geschwindigkeitsmessung – Beweisverwertungsverbot bei fehlender Speicherung der Rohmessdaten

OLG Schleswig – Az.: II OLG 65/19 – Beschluss vom 20.12.2019

1. Die Sache wird zur Fortbildung des Rechts auf den Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

3. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird auf dessen Kosten als unbegründet verworfen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht hat gegen den Betroffenen wegen fahrlässiger Geschwindigkeitsübertretung eine Geldbuße von 110,– € verhängt.

Nach den zugrundeliegenden Feststellungen befuhr der Betroffene am 22. August 2018 um 7.47 Uhr mit einem Taxi vom Typ Mercedes die B.-Straße in E. auf Höhe der Einfahrt zum Parkplatz Strand „X.- Beach“ in E. innerorts in Fahrtrichtung K.. Dort war durch Verkehrszeichen 274 – mit zusätzlichem Gefahrzeichen „Fußgänger“ (Zeichen 133) – die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h beschränkt.

Der zugrundeliegende Bußgeldbescheid hatte dem Betroffenen allerdings die Begehung einer Geschwindigkeitsübertretung „in E., B.- Straße“ vorgeworfen.

Ausweislich der weiteren Feststellungen des Amtsgerichts fuhr der Betroffene abzüglich des Toleranzabschlags mit einer Geschwindigkeit von mindestens 58 km/h. Die Messung wurde durch ein Geschwindigkeitsüberwachungsgerät vom Typ LEIVTEC XV3 der LEIVTEC Verkehrstechnik GmbH Wetzlar durchgeführt. Das Gerät ist von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (BTB) zur Eichung zugelassen. Seine Verwendung ist daher als standardisiertes Messverfahren anerkannt. Einen Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens dahin, dass bei dem verwendeten Messgerät die Möglichkeit einer Überprüfung der Messung durch ein Sachverständigengutachten mangels Speicherung der Rohmessdaten ausgeschlossen sei, hatte das Amtsgericht mit dem Verweis auf die Anerkennung der Verwendung des Geräts als standardisiertes Messverfahren abgelehnt.

Mit der Begründung seines Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde greift der Betroffene das Urteil des Amtsgerichts in zweierlei Hinsicht an:

Zum einen habe das Amtsgericht ein Verfahrenshindernis übersehen, weil der Bußgeldbescheid nicht hinreichend bestimmt sei und das Verfahren deshalb hätte eingestellt werden müssen. Zum anderen sei die Ablehnung seines Beweisantrags nicht mit der aktuellen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes des Saarlandes (Urteil vom 5. Juli 2019 – Lv 7/17 -, bei juris) vereinbar, der zufolge es bei einem Messverfahren, welche eine Rohmessdatenspeicherung nicht ermögliche und deshalb auch keine nachträgliche Überprüfung des Messergebnisses, an einem fairen rechtsstaatlichen Verfahren fehle und deshalb das Messergebnis nicht verwertet werden dürfe.

Die Staatsanwaltschaft verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt die Verwerfung des Antrags des Betroffenen.

II.

Die zugelassene Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Das Verfahren war auf den Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern zu übertragen, weil der Fall entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und abstraktionsfähige Rechtsfragen aufwirft, nämlich die Frage, ob das mögliche Fehlen der Speicherung von Rohmessdaten bei der zur Geschwindigkeitsmessung eingesetzten Messtechnik die Verwertung des auf diese Weise gewonnenen Messergebnisses verhindert, weil es hierdurch an einem rechtsstaatlichen Verfahren fehlen könnte (§ 80 a Abs. 3 OWiG).

2. Der Bußgeldsenat in voller Besetzung hat die Rechtsbeschwerde zugelassen.

Zwar hat der erkennende Senat sich mit der Problematik der Zurverfügungstellung von Rohmessdaten bereits in der Vergangenheit beschäftigt, nämlich mit Beschlüssen vom 22. Dezember 2016 – 2 SsOWi 179/16 (101/16), SchlHA 2017, 365 – und vom 22. September 2017 – 2 SsOWi 150/17 (88/17), SchlHA 2018, 407 -. Doch ging es in dem erstgenannten Verfahren allein um die – vom Senat verneinte – Verletzung des rechtlichen Gehörs durch die bloße Nichtüberlassung von Messrohdaten in dem Fall, in dem das Amtsgericht diese Daten selbst nicht erfordert hatte. Im zweiten Verfahren ging es zwar auch um den Einwand des Betroffenen, dass beim System Trafistar 350 eine nachträgliche Richtigkeitskontrolle der durch das Messgerät vorgenommenen Messwertbildung nicht mehr möglich sei. Der Senat hatte seinerzeit hierin keinen Umstand gesehen, der der Annahme eines standardisierten Messverfahrens und den hieraus zu ziehenden Schlussfolgerungen entgegenstand. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit der aktuellen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes konnte seinerzeit naturgemäß nicht erfolgen.

Dies verhielt sich anders im Beschluss des I. Senats für Bußgeldsachen des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 5. Juni 2019 – I OLG 123/19, SchlHA 2019, 279 -. Allerdings verhielt sich auch diese Entscheidung nur zur Frage der Beiziehung von nicht bei den Akten befindlichen Messunterlagen und thematisierte nicht den Fall, dass die möglichen Rohmessdaten überhaupt gar nicht existieren könnten.

Da sich hierzu bisher keiner der beiden Bußgeldsenate des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung verhalten hat, war die Rechtsbeschwerde zuzulassen.

3. Gleichwohl deckt die Nachprüfung des Urteils aufgrund der damit gemäß § 79 Abs. 1 Satz 2 OWiG statthaften und auch sonst zulässig angebrachten Rechtsbeschwerde keine Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen auf. Dies gilt zunächst für den gerügten Verfahrensfehler dahin, dass das Amtsgericht das Verfahren nicht wegen Unbestimmtheit des Bußgeldbescheids eingestellt hatte (a). Dies gilt aber in besonderem Maße auch für die Ablehnung des auf die Aufklärung der Speicherung von Rohmessdaten gerichteten Beweisantrags (b).

a) Was die Fassung des Bußgeldbescheids anbelangt, muss dieser den Tatort derartig hinreichend bezeichnen, dass der Tatvorwurf hinreichend umgrenzt ist und insbesondere eine Verwechslung mit anderen Vorfällen ausgeschlossen ist. Die Bezeichnung eines Tatorts allein durch einen Straßennamen, welcher offenkundig einen längeren Straßenzug kennzeichnet, ist insoweit nicht bedenkenfrei. Zudem reicht es auch nicht, dass später im Verfahren vor dem Amtsgericht – wie hier – ersichtlich durch zeugenschaftliche Vernehmung des Messbeamten der genaue Standort der Geschwindigkeitsmessung geklärt werden kann.

Andererseits ist es bei Geschwindigkeitsmessungen ohne weitere Anzeichen lebensfern anzunehmen, dass in einem Straßenzug hintereinander mehrere Geschwindigkeitsmesseinrichtungen postiert werden, die verschiedene Messungen mit Verwechslungsgefahr erlauben würden. Damit liegt die Sache anders als bei einem Rotlichtverstoß in einer Straße, die offenkundig mehrere mit Lichtzeichenanlagen versehene Kreuzungen aufweist.

Insoweit geht der Senat für den vorliegenden Fall noch von einer Vermeidung einer greifbaren Verwechslungsgefahr und damit noch von einer hinreichenden Bestimmtheit aus.

b) Aber auch von einer weiteren Beweiserhebung zur Frage, ob das eingesetzte Messsystem LEIVTEC XV3 die Rohmessdaten speichert oder nicht, hat das Amtsgericht zu Recht abgesehen, weil die Klärung dieser Frage für die Erforschung der Wahrheit und insbesondere die Entscheidung der Schuldfrage nicht erforderlich war. So hätte es nämlich nur liegen können, wenn mit dem Verfassungsgerichtshof des Saarlandes im Ergebnis von der Unverwertbarkeit eines Messergebnisses auszugehen wäre, bei dem mangels hinreichender Speicherung der Rohmessdaten nicht mehr eine nachträgliche Überprüfung des Messvorgangs möglich ist. Diese Auffassung teilt der Senat aber nicht.

Ist vielmehr mit dem Amtsgericht von der Verwendung eines standardisierten Messverfahrens auszugehen und fehlen jegliche Anhaltspunkte für eine falsche Vorbereitung des Messvorganges oder Bedienungsfehler und ist auch das Messergebnis nach Messsituation und Messergebnis plausibel, ist das Tatgericht grundsätzlich von weiteren Prüfungen enthoben (zu den Konsequenzen der Annahme eines standardisierten Messverfahrens bereits eingehend Senat, Beschluss vom 11. Nov. 2016 – 2 Ss OWi 161/16 (89/16), SchlHA 2017, 104f.).

aa) Auch der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes akzeptiert in seinem vom Betroffenen angeführten Urteil vom 5. Juli 2019 (Lv 7/17, NJW 2019, 2156 ff., bei juris) die – nicht zuletzt durch Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (insbesondere BGH, Beschluss vom 19.August 1993 – 4 StR 627/92 -, BGHSt 39, 41 ff, bei juris – und BGH, Beschluss vom 30. Oktober 1997 – 4 StR 24/97 -, BGHSt 43, 277 ff., bei juris) geprägte richterrechtliche Rechtsfigur des „standardisierten Messverfahrens“. Er meint allerdings, dass unter rechtsstaatlichen Aspekten gleichwohl die Verteidigung nach etwaigen Anlässen, eine derartige Beweiserhebung in Zweifel zu ziehen, recherchieren und sich dafür der Berechtigung der Beweiskraft der dem Gericht vorliegenden Umstände vergewissern können müsse (Urteil a. a. O., Rn. 85 und öfter). Stehe diese Möglichkeit faktisch deshalb nicht zur Verfügung, weil das fragliche Gerät Rohmessdaten überhaupt nicht hinreichend speichere, seien rechtsstaatliche Bedingungen nicht mehr erfüllt, so dass das Messergebnis unverwertbar sein müsse.

Dem könne die Zulassung durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) nicht entgegengehalten werden, weil auch eine noch so sorgfältig und neutral durchgeführte Zulassungsprüfung die Möglichkeit späterer Fehler nicht ausschließe, wie Angaben von zugezogenen Sachverständigen ergeben hätten. Auch eine trotz Fehlens von Rohmessdaten ggf. mögliche nachträgliche Befundprüfung gleiche das Defizit nicht aus, weil mit dieser lediglich festgestellt werden könne, ob das Messgerät zum Zeitpunkt der Befundprüfung – also längere Zeit nach der den Vorwurf begründenden Messung überhaupt funktionsfähig gewesen sei. Kurzfristige Störungen des Betriebes des Messgeräts in der Vergangenheit, namentlich zum Zeitpunkt der Messung, könnten so nicht aufgedeckt werden.

Generell gehöre es aber zu den grundlegenden rechtsstaatlichen Anforderungen an die Verurteilung einer Bürgerin oder eines Bürgers, dass er die tatsächlichen Grundlagen einer Verurteilung zur Kenntnis nehmen, sie in Zweifel ziehen und nachprüfen können müsse. Dies sei anerkannt in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für den Einsatz elektronischer Wahlgeräte (vgl. BVerfGE 123, 39 ff.). Aber auch für die Ergebnisse einer Blutentnahme oder einer DNA-Probe könne – so der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes – nicht bezweifelt werden, dass derartige Ergebnisse nur dann Grundlage einer gerichtlichen Entscheidung sein dürften, wenn die Blutprobe oder die DNA-Daten noch zu einer die Messung unabhängig nachvollziehenden Überprüfung stehen würden.

bb) Dieser Auffassung vermag der Senat bereits aus verfahrensrechtlicher Sicht nicht zu folgen.

Denn es trifft zunächst nicht zu, dass Beweisobjekte grundsätzlich für eine Nachprüfung der Gewinnung des Beweisergebnisses noch zur Verfügung stehen müssten. Im Falle der Einholung eines Sachverständigengutachtens – und dies betrifft etwa die vom Verfassungsgerichtshof des Saarlandes angesprochene Auswertung von DNA-Proben oder die Auswertung von Blutproben – ist Beweismittel das Sachverständigengutachten, nicht hingegen die DNA-Probe oder Blutprobe, welche – wie § 81a Abs. 3 StPO zeigt – zwar grundsätzlich bis zum Abschluss des Verfahrens aufzubewahren und danach zu vernichten sind, aber durchaus häufig auch im Rahmen der Sachverständigenuntersuchung verbraucht worden sind. Dies schließt die Verwertung des gutachterlichen Ergebnisses jedoch keinesfalls aus, weil eben dieses selbst das Beweismittel ist. Genau diese Wertung liegt auch der Möglichkeit der Verlesung von Gutachten oder Berichten über die Entnahme von Blutproben gemäß § 256 Abs. 1 Nr. 1 und 3 StPO zugrunde.

Kann sich der Strafrichter aufgrund der verlesenen Gutachten bzw. Berichte keine abschließende Überzeugung bilden und hat insbesondere Zweifel an der Aussagekraft der Erklärungen, wird er den Sachverständigen ergänzend vernehmen und zur Gewinnung seines Beweisergebnisses befragen müssen. Sind die Beweisobjekte nicht mehr vorhanden, kann es zur Erforderlichkeit einer besonders kritischen Bewertung des Beweisergebnisses kommen, gegebenenfalls auch zur Beauftragung eines weiteren Sachverständigen (BGH, Beschluss vom 8. November 1988 – 1 StrR 544/88 -, StV 1989, 141, bei juris; BGH, Beschluss vom 14. Juli 1995 – 3 StR 355/94 -, StV 1995, 565, bei juris). Eine Neubestimmung der Blutprobe oder der DNA-Probe wird aber nicht regelmäßig erfolgen müssen und auch nicht stets erfolgen können. Auch kennen andere Messmethoden, wie etwa der Gebrauch von Waagen, Längenmessern, Thermometern oder die Bestimmung der Atemalkohol-Konzentration, eher selten bis überhaupt nicht eine Aufzeichnung von Rohmessdaten, ohne dass dies bisher Gerichte oder auch den Gesetzgeber (vgl. etwa § 24 a StVG für die Atemalkoholkonzentration) zur Annahme eines rechtsstaatlichen Defizits gebrachte hätte.

Zudem kennt die forensische Praxis diverse Verfahren, die sich zum Inhalt verlorengegangener oder vernichteter Urkunden (etwa Testamente) verhalten und deren Inhalt rekonstruieren müssen. Auch dies ist prozessual anerkannt möglich, ohne dass dem der Einwand der Unmöglichkeit einer Kontrolluntersuchung entgegenstände. Die Rechte des Betroffenen werden in solchen Situationen durch die verfahrensrechtlichen Anforderungen an die Sachaufklärung des Gerichts gewahrt. Kann sich das Gericht eine hinreichende Überzeugung bilden, kann es von einem Beweisergebnis ausgehen. Gelingt dies nicht und kann die „Lücke“ nicht auf andere Weise geschlossen werden, ist der Beweis nicht als geführt anzusehen; im Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitenverfahren ist der Angeklagte oder Betroffene im Zweifel freizusprechen.

Die Rechtsfigur des „standardisierten Messverfahrens“ erleichtert die Aufklärungslast des Gerichts in den für sie geeigneten Situationen lediglich dahin, dass im Sinne eines antizipierten Gutachtens ein Beweis als geführt angesehen werden darf, solange nicht konkrete Einwendungen gegen die Richtigkeit des Messergebnisses erhoben werden. Diese Einwände müssen jedoch das Messergebnis selbst betreffen, nicht in erster Linie die Funktionalität des eingesetzten Messgerätes. Denn für die Verlässlichkeit des Messverfahrens ist nicht erforderlich, dass und in welcher Weise die Funktionalität des Messvorganges konkret nachvollzogen werden kann oder auch noch nachträglich aufgrund vorhandener Rohmessdaten zu Kontrollzwecken simuliert werden kann. Die Annahme eines Messverfahrens als eines standardisierten Verfahrens setzt voraus, dass das Messgerät im Rahmen seiner Konformitätsprüfung durch die PTB diverse Messreihen durchlaufen hat und von daher in einem anzunehmenden „Normalfall“ unter Berücksichtigung einer Toleranz seine Messgenauigkeit unter Beweis gestellt hat. Die Qualität denkbarer Einwände richtet sich daher allein danach, ob und inwieweit es Umstände gibt, die eine Anormalität der Messsituation oder des Messvorgangs nahelegen.

cc) Mit dieser – verfahrensrechtlichen – Sicht ist es nicht vereinbar, eine Verwertbarkeit des derart gewonnenen Ergebnisses bereits deshalb zu verneinen, weil dem Betroffenen nicht die Möglichkeit eröffnet ist, durch Recherche denkbare Fehlfunktionen zu ermitteln. Denn letztlich stellt eine derartige Sicht – wie es das OLG Oldenburg (Beschluss vom 23. Juli 2018 – 2 Ss (OWi) 187/18 -, bei juris), der I. Senat für Bußgeldsachen des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts (Beschluss vom 5. Juni 2019 – I OLG 123/19, SchlHA 2019, 279 f., bei juris) und jetzt das Bayerische Oberste Landesgericht (Beschluss vom 9. Dezember 2019 – 202 ObOWi 1955/19, BeckRS 2019, 31165) zutreffend formuliert haben – die Figur des standardisierten Messverfahrens grundlegend in Frage.

Dies zeigt gerade auch der konkrete Fall: denn auch hier ist der Betroffene ersichtlich nicht in der Lage, auf Anormalitäten der Messsituation oder des Messvorganges zu verweisen. Insbesondere liegt die festgestellte Geschwindigkeitsüberschreitung von etwa 28 km/h bezogen auf die zulässige Höchstgeschwindigkeit keinesfalls in einem Bereich, der eine derartige Überschreitung als nach dem eingesetzten Fahrzeug oder den Örtlichkeiten unplausibel erscheinen lassen müsste. Lag es derart, war das Amtsgericht auch nicht gehalten, von sich aus weitere Sachaufklärung vorzunehmen.

dd) Der Senat vermag auch nicht zu erkennen, dass die skizzierte Handhabung des Verfahrensrechts den Betroffenen in seinen Grundrechten oder seinem Recht auf Durchführung eines rechtsstaatlichen Verfahrens verletzt.

Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass das derzeitige System der Tatsachenfeststellung in Ordnungswidrigkeitenverfahren einschließlich der Überprüfung durch die Rechtsbeschwerdegerichte in ihrer Gesamtschau rechtsstaatlichen Standards nicht genügen würde (so mit Recht auch BayObLG a.a.O.). Die vom Verfassungsgerichtshof des Saarlandes angeführte Situation bei elektronischen Wahlgeräten (hierzu BVerfG, Beschluss vom 3. März 2009 – 2 BVC 3/07, 2 BVC 4/07, BVerfGE 123, 39 ff., bei juris) betrifft eine demokratierelevante Sondersituation und ist nicht mit der Situation eines gerichtlichen Verfahrens vergleichbar.

Ungeachtet dessen teilt der Senat auch nicht die Auffassung des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes, dass die Konsequenz selbst eines angenommenen rechtsstaatlichen Defizits stets in einem Verbot der Verwertung des gewonnenen Beweisergebnisses liegen muss.

Zum einen handelt es sich bei Zweifeln an der Beweiskraft eines Sachverständigengutachtens oder einer technischen Aufzeichnung in erster Linie um ein Problem richterlicher Sachverhaltsaufklärung, ohne dass die vorzunehmende – notfalls kritische – Würdigung in der bisherigen gerichtlichen Praxis durch die Annahme von Verwertungsverboten „überholt“ worden wäre. Zum anderen ist die Beantwortung der Frage, ob die Annahme eines Verwertungsverbots gerechtfertigt ist, im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht stets das Ergebnis einer Abwägung der betroffenen Belange im Einzelfall (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 11. Juni 2010 – 2 BvR 1046/08 -, bei juris Rn. 36 zur Verwertung einer entgegen § 81 a StPO damaliger Fassung gewonnenen Blutprobe). Insoweit ist aber zu bedenken, dass es vorliegend nicht um den Vorwurf eines schweren Delikts mit für den Betroffenen einschneidenden Folgen geht, sondern – nur – um den Vorwurf einer Geschwindigkeitsüberschreitung und einer sich hieraus ergebenden Ordnungswidrigkeit. Das Bundesverfassungsgericht hat auch bei Dauervideoaufzeichnungen im Straßenverkehr ausgesprochen, dass deren Verwertung im Bußgeldverfahren nicht schon an einem generellen Verwertungsverbot scheitert, weil derartige Aufnahmen nicht den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung des Betroffenen und seine Privatsphäre berühren (vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 20. Mai 2011 – 2 BVR 2072/10 -, bei juris).

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 StPO.

 

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