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Geschwindigkeitsmessung – absehen vom Fahrverbot trotz erheblicher Geschwindigkeitsüberschreitung

AG Passau, Az.: 7 OWi 26 Js 6872/13, Urteil vom 26.01.2015

1. Der Betroffene ist schuldig, fahrlässig die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerorts um 42 km/h überschritten zu haben und wird deswegen zu einer Geldbuße von 320 EUR verurteilt.

2. Der Betroffene hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu tragen.

Angewandte Vorschriften:

§§ 3 Abs. 3, 41 Abs. 2, 49 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 Nr. 4 StVO, 24, 25 StVG, §§ 4 Abs. 1, Abs. 4 BKatV, § 46 Abs. 1 OWiG, §§ 464, 465, 473 StPO.

Gründe

I.

Geschwindigkeitsmessung - absehen vom Fahrverbot trotz erheblicher Geschwindigkeitsüberschreitung
Symbolfoto: pdsci/ Bigstock

Der 50-jährige Betroffene ist kaufmännischer Leiter bei einem großen, bekannten Autohaus in E. Die wirtschaftlichen Verhältnisse sind geordnet. Weiter hat er zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen keine Angaben gemacht.

Der Auszug aus dem Fahreignungsregister für den Betroffenen vom 02.09.2014 enthält keine Einträge.

II.

Der Betroffene führte am 24.03.2013 um 12.56 Uhr den Pkw Daimler, amtliches Kennzeichen …, auf der BAB A3 bei Passau in Fahrtrichtung Frankfurt außerhalb geschlossener Ortschaft und überschritt dabei auf Höhe Abschnitt 1380, km 1,990 die dort für das von ihm gesteuerte Fahrzeug zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 42 km/h (gefahrene Geschwindigkeit nach Toleranzabzug: 142 km/h).

Bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte der Betroffene die Geschwindigkeitsüberschreitung bei entsprechender Aufmerksamkeit erkennen können und müssen.

III.

Die Feststellungen zu 1. folgen aus der für den Betroffenen abgegeben anwaltlichen Erklärung in der Hauptverhandlung vom 26.01.2015 sowie aus den verlesenen schriftsätzlichen Erklärungen bzw. aus dem verlesenen Auszug aus dem Verkehrszentralregister. Der Sachverhalt unter II. steht zur Überzeugung des Gerichts aufgrund der Einlassungen des Betroffenen selbst sowie aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme.

Der Betroffene hat seine Fahrereigenschaft bereits am 30.04.2013 im Anhörungsbogen schriftlich und über seinen Verteidiger mit Schriftsatz vom 28.06.2013 (Bl. 17 ff.) – in der Hauptverhandlung verlesen gemäß § 74 I S. 2 OWiG – eingeräumt.

Der festgestellte Sachverhalt der Geschwindigkeitsüberschreitung außerhalb geschlossener Ortschaften um 42 km/h beruht auf den bei der Messung aufgenommenen und in Augenschein genommenen Lichtbildern mit eingeblendetem Datenfeld, die Uhrzeit und gemessene Geschwindigkeit angeben (Bl. 9). Das Fahrzeug wurde mit 147 km/h gemessen und ein Toleranzabzug von 5 km/h vorgenommen. Auf die in Augenschein genommenen Lichtbilder wird gem. § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO in Verbindung mit § 71 Abs. 1 OWiG Bezug genommen.

Ferner beruht der Sachverhalt auf dem gem. § 78 Abs. 1 Satz 2 OWiG eingeführten Messprotokoll. Nach den Angaben im Messprotokoll wurde die Geschwindigkeitsmessung im Rahmen eines standardisierten Messverfahrens mittels dem Gerät PoliScanSpeed mit der Gerätenummer 640275 und der Softwareversion 3.2.4 durchgeführt, wobei eine Eichgültigkeitsdauer bis Ende 2013 bestand. Weiterhin wurde das Messgerät von der Messbeamtin entsprechend der Gebrauchsanweisung des Zulassungsinhabers, den Vorgaben der physikalisch/technischen Bundesanstalt sowie nach der Richtlinie für die polizeiliche Verkehrsüberwachung betrieben.

Aus den glaubhaften Angaben der als Zeugin vernommenen Messbeamtin Petra H., VPI P., ergibt sich, dass sie im Umgang mit dem verwendeten Messgerät geschult ist. Die Teilnahmebescheinigungen für die erforderlichen Schulungen wurden verlesen (Bl. 28/29). Damit liegt eine Bedienung durch qualifiziertes Fachpersonal vor. Von der Unversehrtheit der Eichsiegel hat sich die Zeugin vor Messbeginn überzeugt. Die erforderlichen Gerätetests hat sie durchgeführt und das Gerät ordnungsgemäß kalibriert. Eine Messung ist nach Angaben der Zeugin ohne Durchführung der Tests nicht möglich. Sie ist sich sicher, noch nie nach nicht ordnungsgemäßen Tests gemessen zu haben. Die Voraussetzungen für die Messung – Justierung, Displaytest, Selbsttest – wurden damit bestätigt. Die ordnungsgemäße Eichung folgt aus dem verlesenen Eichschein (Bl. 28) und aus dem verlesenen Inhalt der Gerätestammkarte (Bl. 34).

An der Messstelle ist ausweislich des Messprotokolls sowie gerichtsbekannt aufgrund eines Geschwindigkeitstrichters lediglich eine Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h zulässig. Hinsichtlich der Einzelheiten wird insoweit auf das in der Akte (Bl. 6/7) befindliche Protokoll Bezug genommen. Die Beschilderung war nach Angaben der Zeugin H. in Ordnung und wurde von ihr vor und nach der Messung kontrolliert. Ihren Angaben zufolge musste der Betroffene vor der Messung 4x eine Beschränkung auf 120 km/h und 2x eine Beschränkung auf 100 km/h (beidseitig) passieren.

Darüber hinaus hat das Gericht zu der Frage einer möglichen Fehlmessung ein Gutachten des Verkehrssachverständigen Dipl.-Ing. (FH) R. eingeholt, der dem Gericht aus zahlreichen Verfahren als erfahrener Gutachter bekannt ist. Der Sachverständige hat in nachvollziehbarer Art und Weise das im Vorfeld angefertigte schriftliche Gutachten mündlich im Hauptverhandlungstermin wiedergegeben und dargelegt, die verfahrensgegenständliche Messung überprüft zu haben und keine Anhaltspunkte für eine Fehlmessung festgestellt zu haben, sodass ausgehend von dem in Augenschein genommenen Messfoto das Gericht davon ausgeht, dass der Betroffene mit einer Geschwindigkeit von 142 km/h gemessen wurde.

Die einzelnen Einwendungen des Betroffenen gegen die Richtigkeit bzw. Verwertbarkeit der Messung sind aufgrund der nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen widerlegt. Im Einzelnen:

– Die Einwände von Sc. gegen die Zuverlässigkeit des Systems PoliScanSpeed sind unzutreffend oder methodisch fragwürdig ermittelt. Die von Sc. geschilderte Konstellation, bei der es unter besonderen Bedingungen (scharfes nach rechts-Ausweichen) möglich ist, dass ein Fahrzeug auf dem Tatfoto abgebildet ist, das den vorgeworfenen Geschwindigkeitswert nicht ausgelöst hat, kann auf Autobahnen, insbesondere an der hiesigen Messstelle, ausgeschlossen werden. Die Fehlzuordnung kommt nach den Ausführungen des Sachverständigen zudem nur bei niedrigen Geschwindigkeiten in Betracht. Der von Sc. verwendete Versuchsaufbau befinde sich außerdem auf einem Flughafen, sodass dort mangels Verkehrsfluss keine Einrichtung des Messgeräts möglich gewesen sein kann. Einwänden des Autors gegen die Zuverlässigkeit bzw. Verwendbarkeit von Smear-Linien sei zu entgegnen, dass in dem Artikel von unterschiedlichen Brennweiten ausgegangen werde, was methodisch falsch sei. Dabei würden sich zwangsläufig Unterschiede bei gleicher Geschwindigkeit ergeben. Die Smear-Linien ermöglichten ohnehin nur eine Plausibilitätsprüfung des Messwerts. Im Gutachten wurde hingegen eine einfache Weg-Zeit-Berechnung im Erfassungsbereich/ Messbereich vorgenommen (s.u.).

– Die genaue Kenntnis der – vom Hersteller nicht veröffentlichen – Algorithmen, die der Messwertbildung zugrunde liegen, ist für eine Überprüfung der Plausibilität der Messung nicht erforderlich. Diese kann über den Auswerterahmen und die sog. „Smear“-Linien erfolgen. In jedem Fall sei die von Herstellerseite zum Erfüllen der Messwertgüte vorgegebene zulässige Messwertabweichung um ein Vielfaches geringer als der Verkehrsfehlerwert von 3%. Dass Toleranzen von 3% zugrunde gelegt wurden, ergibt sich bereits aus dem Bußgeldbescheid und den auf Bl. 9 befindlichen und verlesenen Messdaten.

– Vorliegend kam der Sachverständige zu dem Ergebnis, dass eine Auswertung des Tatfotos anhand der Smear-Linien und des Auswerterahmens möglich war. Vorgaben für Rahmenhöhe oder -breite des Auswerterahmens bestehen herstellerseitig nicht mehr, da diese Größen weder mess- noch zuordnungsrelevant sind. Der Auswerterahmen kann demnach eindeutig dem Fahrzeug des Betroffenen zugeordnet werden. Die näherungsweise Bestimmung aus dem Smear-Effekt ergibt 146,4 km/h bis 152,27 km/h. Die gemessene Geschwindigkeit ist demnach plausibel.

– Der Sachverständige hat weiter aus den Rohdaten der Messung (Tuff-Datei) mittels der zugehörigen Software die Zeitpunkte und Koordinaten des Messbeginns und des Messendes extrahiert und anhand dieser Werte eine Weg/Zeit-Berechnung angestellt. Daraus errechnet sich eine mittlere Geschwindigkeit von 145,33 km/h. Die erforderlichen Daten können mit der aktuellem Softwareversion des sog. „Tuff-Viewers“, welche dem Sachverständigen zur Verfügung steht, ausgelesen werden.

– Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen ergaben sich aufgrund dieser Umstände aus technischer Sicht keinerlei Hinweise für eine fehlerhafte Messung oder eine fehlerhaft ausgeführte Auswertung der Messung. Die erhobenen Zweifel an der Messgenauigkeit konnten ausgeräumt werden. Die in dem vom Verteidiger zitierten Aufsatz geschilderten besonderen Messbedingungen liegen im hiesigen Fall nicht vor.

Anhaltspunkte für einen Messfehler konnte das Gericht daher nicht feststellen.

Zu Gunsten des Betroffenen war davon auszugehen, dass er fahrlässig handelte und die vorhandene Beschilderung aus Unachtsamkeit nicht bemerkte.

Der Betroffene hat sich somit schuldig gemacht einer fahrlässig begangenen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaft um 42 km/h gemäß §§ 3 Abs. 3, 41 Abs. 2, 49 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 Nr. 4 StVO.

IV.

Das Gericht hat gegen den Betroffenen eine Geldbuße von 320,- EUR verhängt (verdoppelter Regelsatz).

Das Gericht hat hierbei von der Regelung nach § 4 Abs. 4 BKatV Gebrauch gemacht, da das im Bußgeldbescheid verhängte einmonatige Fahrverbot in Wegfall gebracht wurde (s.u.). Wie im Fall eines einmonatigen Fahrverbotes bei diesem Gericht üblich, wurde die Regelgeldbuße nach Ziffer 11.3.7 Bußgeldkatalogverordnung in Höhe von 160 EUR einmal verdoppelt. Da bereits beim Wegfall des Fahrverbots von einer Ausnahmeregelung Gebrauch gemacht wurde, bestand kein Anlass, den Betroffenen auch noch durch Nichtanwendung von § 4 Abs. 4 BKatV und damit doppelt zu privilegieren. Die vorgetragenen Umstände, insbesondere die als geordnet beschriebenen wirtschaftlichen Verhältnisse und die gewöhnlichen Tatumstände, reichen dazu nicht aus. Vorliegend ist von fahrlässiger Begehung und gewöhnlichen Tatumständen auszugehen. Bei der Bemessung der Geldbuße hat das Gericht zugunsten des Betroffenen dessen zum Teil geständige Einlassung und das Fehlen von Voreintragungen, negativ aber das Ausmaß der Geschwindigkeitsüberschreitung berücksichtigt, sodass das ausgesprochene Bußgeld erforderlich, aber auch ausreichend erscheint.

Von dem Fahrverbot von 1 Monat gem. § 25 Abs. 2a StVG konnte ausnahmsweise abgesehen werden. Zwar hat der Betroffene die Geschwindigkeitsüberschreitung unter grober Verletzung seiner ihm als Kraftfahrzeugführer obliegenden Pflichten begangen. Wie ausgeführt, liegt die Messstelle nach einem Geschwindigkeitstrichter, sodass nicht von einem Augenblicksversagen ausgegangen werden kann. Demzufolge indiziert das Ausmaß der Geschwindigkeitsüberschreitung eine grobe Pflichtverletzung im Sinne des § 25 Abs. 1 ‚ Abs. 2a StVG i. V. m. Ziffer 11.3.7 Bußgeldkatalogverordnung mit der Folge, dass regelmäßig ein 1-monatiges Fahrverbot zu verhängen wäre.

Allerdings waren im Zeitpunkt der Entscheidung mehrere Umstände zu berücksichtigen, die die Regelwirkung des Bußgeldkatalogs entkräfteten. Zum einen ist der erhebliche Zeitablauf seit Tatbegehung am 24.03.2013 zu Gunsten des Betroffenen zu berücksichtigen. Die Denkzettel- und Besinnungsfunktion des Fahrverbots kann damit nicht mehr voll zum Tragen kommen, zumal der Auszug aus dem Fahreignungsregister für den Betroffenen sonst keine Einträge enthält. Ein Festhalten am Fahrverbot aus erzieherischen Gründen erscheint daher nicht geboten. Der Zeitablauf ist vom Betroffenen nicht alleine zu verantworten, sondern auch in der Sphäre des Gerichts begründet.

Zum anderen hätte der Betroffene bei einer Verbüßung des Fahrverbots im privaten Bereich erhebliche Konsequenzen zu tragen. So hat er durch Vorlage von Behandlungsunterlagen glaubhaft gemacht, sich durchgehend um die Arztbesuche, Krankenhausaufenthalte und täglichen Verrichtungen seiner pflegebedürftigen Eltern kümmern zu müssen. Auch hat er über seinen Verteidiger – nicht widerlegbar – vorgetragen, dass keine weiteren Pflegepersonen in der Familie zur Verfügung stehen, um den Zeitraum eines Fahrverbots zu überbrücken. Deswegen erschien es angemessen, ausnahmsweise von der Verhängung eines Fahrverbots abzusehen.

V.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 OWiG, §§ 464, 465, 473 StPO. Da der Betroffene letztlich verurteilt wurde, waren ihm auch die Kosten des Beschwerderechtszugs aufzuerlegen.

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