OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17.10.2016, Az: IV-2 RBs 140/16
1. Die Beschlüsse des Amtsgerichts Mülheim an der Ruhr vom 3. März 2016 und 24. März 2016 werden aufgehoben.
2. Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde wird auf Kosten des Betroffenen als unbegründet verworfen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 32 km/h zu einer Geldbuße von 130 Euro verurteilt. Hiergegen richtet sich dessen Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde.
Das Amtsgericht hat diesen Antrag mit Beschluss vom 3. März 2016 und nochmals mit Beschluss vom 24. März 2016 als unzulässig verworfen. Hiergegen hat der Betroffene jeweils einen Antrag auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts angebracht.
II.
Die Verwerfungsbeschlüsse des Amtsgericht vom 3. März 2016 und 24. März 2016 unterliegen der Aufhebung (§ 80 Abs. 4 Satz 2 OWiG, § 346 Abs. 2 StPO).
Das angefochtene Urteil ist dem Verteidiger am 3. Februar 2016 zugestellt worden. Die Begründung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist am 16. Februar 2016 und damit rechtzeitig bei dem Amtsgericht eingegangen (§ 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG, § 345 Abs. 1 StPO). Weshalb die Begründungsschrift erst nach den Verwerfungsbeschlüssen vom 3. März 2016 und 24. März 2016 zu den Akten gelangt ist, kann anhand dieser nicht nachvollzogen werden.
Im Übrigen ist unverständlich, dass das Amtsgericht den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde mit Beschluss vom 24. März 2016 ein zweites Mal als unzulässig verworfen hat. Eine doppelte Verwerfung sieht § 346 Abs. 1 StPO nicht vor. Die Akten wären dem Senat bereits aufgrund der Anfechtung des Beschlusses vom 3. März 2016 vorzulegen gewesen.
Die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ergeht ohne Kostenentscheidung (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 346 Rdn. 12).
Der vorsorglich gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist gegenstandslos, da der Betroffene die einmonatige Begründungsfrist nicht versäumt hat.
III.
Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
Bei Verhängung einer Geldbuße von nicht mehr als 250 Euro ohne Nebenfolge ist die Rechtsbeschwerde nur zuzulassen, wenn es geboten ist, die Nachprüfung des Urteils zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen oder das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben (§ 80 Abs. 1 OWiG). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
1. Eine Verfahrensrüge wegen Versagung des rechtlichen Gehörs hat der Betroffene nicht erhoben.
2. Die Sachrüge bietet keinen Anlass, die Nachprüfung des Urteils zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen. Denn bei zutreffender Erfassung des Sachverhaltes kommt es vorliegend nicht auf die Rechtswirkungen einer Beschilderung an, bei der das Verbotszeichen 274 (zulässige Höchstgeschwindigkeit) in Kombination mit dem Gefahrzeichen 103 (Kurve) angebracht ist.
a) Nach den getroffenen Feststellungen befuhr der Betroffene am 29. August 2015 um 12.30 Uhr mit seinem Pkw die BAB 40 (bei km 53,252) in Fahrtrichtung Dortmund. Die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit betrug 80 km/h. Mit dem Messverfahren „PoliScan Speed“ wurde abzüglich Toleranz eine Geschwindigkeit von 112 km/h festgestellt.
Zur Beschilderung wird in dem Urteil ein Schaltprotokoll angeführt, wonach zur Tatzeit mit dem Verbotszeichen 274 eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 80 km/h angeordnet gewesen sei, verbunden mit dem Gefahrzeichen 103, das auf eine Rechtskurve hingewiesen habe. Das angeführte Schaltprotokoll lässt darauf schließen, dass die durch eine Verkehrsbeeinflussungsanlage (VBA) angezeigten Verkehrszeichen gemeint sind. Da durch eine Verkehrsbeeinflussungsanlage verkehrsabhängig und flexibel auf das Verkehrsgeschehen eingewirkt werden soll, erscheint indes eher ungewöhnlich, wenn dort mit dem Gefahrzeichen 103 auf eine – ständig vorhandene – Rechtskurve hingewiesen wird.
Der Betroffene trägt in der Antragsbegründung vor, dass ca. 100 m vor der Rechtskurve an einem Befestigungspfahl das Verbotszeichen 274 mit einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf 80 km/h angebracht gewesen sei, zusätzlich an demselben Befestigungspfahl das Gefahrzeichen 103 mit dem Hinweis auf die folgende Rechtskurve. Er macht geltend, dass diese Geschwindigkeitsbeschränkung nach dem Ende der Rechtskurve ohne besondere Kennzeichnung aufgehoben gewesen sei und an der Messstelle im Bereich der geraden Strecke nicht mehr gegolten habe.
Die Beschilderung an dem Befestigungspfahl wird in dem Urteil nicht erwähnt. Umgekehrt befasst sich die Antragsbegründung nicht mit der Beschilderung an der Verkehrsbeeinflussungsanlage.
Geht man davon aus, dass die Geschwindigkeitsbeschränkung auf 80 km/h bei beiden Beschilderungen mit dem Gefahrzeichen 103 (hier: Rechtskurve) kombiniert war, handelte es sich um eine streckenbezogene Geschwindigkeitsbeschränkung, deren Ende sich nach Nr. 55 der Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO richtet. Die inhaltsgleiche Regelung des § 41 Abs. 2 Nr. 7 StVO a.F., welche der Verteidiger angeführt hat, ist bereits am 31. August 2009 außer Kraft getreten.
Gemäß Nr. 55 der Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO wird das Ende einer streckenbezogenen Geschwindigkeitsbeschränkung nicht gekennzeichnet, wenn das Verbotszeichen zusammen mit einem Gefahrzeichen angebracht ist und sich aus der Örtlichkeit zweifelsfrei ergibt, von wo an die angezeigte Gefahr nicht mehr besteht.
Da das Gefahrzeichen eine Kurve betraf, bestand die angezeigte Gefahr mit dem Ende der Kurve eindeutig nicht mehr. Auf andere Gefahren, die nicht angezeigt wurden, darf für die Aufhebung des Streckenverbots nicht abgestellt werden (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 26. März 1998, 3 Ss OWi 292/98, bei burhoff.de). Es ist daher bei der zugrunde gelegten Beschilderung rechtsfehlerhaft, wenn das Amtsgericht die Weitergeltung des Streckenverbots daraus hergeleitet hat, dass es im weiteren Verlauf häufig zu Staubildung kommt, weil sich die drei Fahrstreifen ca. 400-600 m hinter der Kurve auf zwei Fahrstreifen verengen. Denn Staugefahr (Zeichen 124) oder eine Fahrstreifenreduzierung ist zusammen mit der Geschwindigkeitsbeschränkung auf 80 km/h gerade nicht angezeigt worden.
Unter diesem Gesichtspunkt käme eine Zulassung der Rechtsbeschwerde jedenfalls zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung in Betracht.
b) Allerdings sind die Urteilsgründe, die lediglich das die Verkehrsbeeinflussungslage betreffende Schaltprotokoll erwähnen, zur Frage der Beschilderung ersichtlich lückenhaft. Da zudem die Anzeige des Gefahrzeichens 103 (Kurve), das sich auf eine ständige örtliche Gegebenheit bezieht, bei einer Verkehrsbeeinflussungslage eher ungewöhnlich ist, besteht vorliegend Veranlassung, auch anhand des Akteninhalts zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde tatsächlich vorliegen.
Es ist anerkannt, dass das Rechtsbeschwerdegericht bei der Prüfung, ob die Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen ist, auf den Akteninhalt zurückgreifen kann. Dies gilt beim gänzlichen Fehlen der Urteilsgründe (vgl. BGH NStZ 1997, 39; OLG Zweibrücken VRS 85, 217) wie auch – argumentum a maiore ad minus – bei unklaren oder lückenhaften Urteilsgründen (vgl. OLG Hamm NZV 2001, 355).
Dem steht nicht entgegen, dass auf die Sachrüge allein die in der Urteilsurkunde zum Ausdruck gekommene Anwendung sachlichen Rechts Gegenstand der Prüfung ist. Die Feststellung der Zulassungsvoraussetzungen, die der Antragsteller nach § 80 Abs. 3 Satz 4 OWiG darlegen soll (nicht darlegen muss), ist nicht in gleichem Maße auf die Urteilsgründe angewiesen. Vielmehr ist zu fragen, ob die Zulassung der Rechtsbeschwerde, die einer sachgerechten und einheitlichen Rechtsprechung und nicht in erster Linie der Entscheidung des Einzelfalls dient, bei ordnungsgemäßer Begründung des Urteils gerechtfertigt wäre.
In dem bei den Akten befindlichen Messprotokoll ist die Beschilderung exakt dokumentiert worden. Vor der Messstelle (km 53,252 in Fahrtrichtung Dortmund) waren bei km 52,258 rechts und links herkömmliche Verkehrsschilder aufgestellt, und zwar jeweils das Verbotszeichen 274 (Geschwindigkeitsbeschränkung auf 80 km/h) in Kombination mit dem Gefahrzeichen 103 (hier: Rechtskurve). Im weiteren Verlauf der Strecke folgt – ebenfalls vor der Messstelle – die Verkehrsbeeinflussungsanlage bei km 52,367. Ausweislich des Schaltprotokolls war dort zur Tatzeit für sämtliche Fahrstreifen das Verbotszeichen 274 (Geschwindigkeitsbeschränkung auf 80 km/h) geschaltet, ferner das Verbotszeichen 277 (Überholverbot für Kraftfahrzeuge über 3,5 t).
Entgegen den Ausführungen in dem angefochtenen Urteil wurde an der Verkehrsbeeinflussungsanlage nicht das Gefahrzeichen 103 (hier: Rechtskurve) angezeigt. Das Schaltprotokoll enthält eine solche Angabe nicht. Offenbar ist das Amtsgericht bei der lückenhaften Darstellung der Beschilderung – die bei km 52,258 kombiniert aufgestellten Verkehrszeichen wurden nicht erwähnt – einer Verwechslung unterlegen.
Maßgeblich für die zulässige Höchstgeschwindigkeit an der Messstelle (80 km/h) war die im Streckenverlauf davor letzte Beschilderung, hier also die Beschilderung an der Verkehrsbeeinflussungsanlage, bei der das Verbotszeichen 274 nicht mit dem Gefahrzeichen 103 kombiniert war. Bei zutreffender Erfassung des Sachverhaltes kommt es vorliegend auf das Ende einer streckenbezogenen Geschwindigkeitsbeschränkung und die Anwendung von Nr. 55 der Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO nicht an.
Daher ist die Rechtsbeschwerde weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen.
Im Übrigen bemerkt der Senat, dass das angefochtene Urteil zwar in der Begründung fehlerhaft, jedoch im Ergebnis zutreffend ist.
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 1 OWiG, § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.