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Führen eines Fahrzeugs unter Drogeneinfluss – Erkennbarkeit für Fahrzeugführer

Thüringer Oberlandesgericht, Az.: 1 Ss 296/09

Beschluss vom 21.01.2010

Das Urteil des Amtsgerichts Nordhausen vom 02.07.2009 wird im Rechtsfolgenausspruch mit den getroffenen Feststellungen aufgehoben. Insoweit wird die Sache zu neuer Prüfung und Entscheidung – auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde – an das Amtsgericht Nordhausen zurückverwiesen.

Gründe

I.

Führen eines Fahrzeugs unter Drogeneinfluss - Erkennbarkeit für Fahrzeugführer
Symbolfoto: : Gepard/Bigstock

Die Thüringer Polizei – Zentrale Bußgeldstelle – setzte gegen den Betroffenen mit Bußgeldbescheid vom 06.05.2008 wegen einer am 11.11.2007 fahrlässig begangenen Verkehrsordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 2 StVG eine Geldbuße von 750 EUR fest und ordnete zugleich ein Fahrverbot von 3 Monaten Dauer an.

Der Bußgeldbescheid wurde dem Betroffenen nach Aufenthaltsermittlung am 27.09.2008 zugestellt. Am 02.10.2008 legte der Verteidiger des Betroffenen für diesen Einspruch ein.

Mit Beschluss vom 02.07.2009 setzte das Amtsgericht Nordhausen gegen den Betroffenen wegen fahrlässigen Führens eines Kraftfahrzeuges unter Wirkung des berauschenden Mittels Cocain mit der Substanz Benzoylecgonin (305 ng/ml) bei Eintragung von bereits mehreren Entscheidungen nach § 24a StVG im VZR eine Geldbuße von 750 EUR fest und ordnete zugleich ein Fahrverbot von 3 Monaten Dauer an. Eine Ausfertigung des Beschlusses wurde dem Verteidiger des Betroffenen am 15.07.2009 zugestellt.

Am 22.07.2009 legte der Verteidiger des Betroffenen für diesen Rechtsbeschwerde ein und erklärte, der Beschluss werde hinsichtlich der Entscheidung über das Fahrverbot von 3 Monaten angefochten. Er begründete die Rechtsbeschwerde sogleich damit, dass das Fahrverbot wegen des Zeitabstandes zur Tat und des beanstandungsfreien Verkehrsverhaltens des Betroffenen in dieser Zeit entbehrlich sei.

Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft beantragt in ihrer Stellungnahme vom 18.12.2009, den Beschluss des Amtsgerichts Nordhausen vom 02.07.2009 aufzuheben und die Sache zu neuer Prüfung und Entscheidung an das Amtsgericht Nordhausen zurückzuverweisen.

II.

Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat (vorläufig) Erfolg.

1. Die bei Einlegung der Rechtsbeschwerde vorgenommene Beschränkung der Rechtsbeschwerde auf die Anordnung des Fahrverbots ist als solche wegen der Wechselwirkung zwischen Fahrverbot und Geldbuße nicht möglich. Von dem Beschränkungswillen umfasst ist jedoch auch eine Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch insgesamt. Insoweit ist sie wirksam.

Der Wirksamkeit dieser Beschränkung steht hier nicht entgegen, dass der angefochtene Beschluss keine hinreichenden Ausführungen zur inneren Tatseite enthalte. Zwar begründet der Beschluss das Vorliegen von Fahrlässigkeit allein mit der Verwirklichung des objektiven Tatbestandes des § 24a Abs. 2 StVG („handelte fahrlässig, weil er das Kraftfahrzeug führte, obwohl er noch unter Wirkung des Kokains stand“). Nähere Ausführungen zu den den Fahrlässigkeitsvorwurf begründenden Tatsachen sind hier aber ausnahmsweise entbehrlich. Denn angesichts der Höhe der beim Betroffenen kurz nach der Tat festgestellten Rauschmittelwirkstoffkonzentration und des Fehlens jeglicher Anhaltspunkte dafür, dass der Betroffene trotz dieser hohen Konzentration die Möglichkeit einer Beeinträchtigung seiner Fahrtüchtigkeit nicht erkennen konnte, liegt Fahrlässigkeit klar zu Tage und kann deshalb ohne weiteres angenommen werden.

Bezugspunkt des Schuldvorwurfs im Rahmen des § 24a Abs. 2 und 3 StVG ist das Führen eines Kraftfahrzeuges im Straßenverkehr „unter der Wirkung eines … berauschenden Mittels“. Deshalb genügt es, wenn von dem (im Falle von Fahrlässigkeit lediglich: potenziellen) Vorstellungsbild des Täters der Umstand umfasst ist, dass der Drogenwirkstoff u.U. noch nicht bis zur Wirkungslosigkeit abgebaut ist, wobei er die Unberechenbarkeit von Rauschdrogen in Rechnung zu stellen hat (siehe etwa König, Zur fahrlässigen Drogenfahrt nach „länger“ zurückliegendem Drogenkonsum, NStZ 2009, 425, 426 m.w.N.). Mangelnde Erkennbarkeit der fortdauernden Wirkung des konsumierten Rauschmittels kommt wegen dieser allgemein bekannten Unberechenbarkeit deshalb nur in Ausnahmefällen in Betracht. Das Vorliegen eines solchen Ausnahmefalles braucht das Gericht nur bei konkreten Anhaltspunkten zu prüfen und im Urteil zu erörtern. Praktische Bedeutung wird insoweit wohl nur einem in der Nähe des sogenannten analytischen Grenzwertes liegenden Wirkstoffgehalt zukommen. Im vorliegenden Fall überschritt die nach der Tat festgestellte Konzentration der Substanz Benzoylecgonin von 305 ng/ml den analytischen Grenzwert von 75 ng/ml um mehr 300 %. Die Zeit zwischen Drogenaufnahme und Teilnahme am Straßenverkehr an sich hat in aller Regel keine indizielle Bedeutung für die Erkennbarkeit der Wirksamkeit des Rauschmittels und damit für die Sorgfaltswidrigkeit. Sie braucht deshalb vom Tatgericht ohne das Hinzutreten anderer konkret gegen die Erkennbarkeit sprechender Umstände nicht aufgeklärt zu werden. Gerade weil die Wirkungen und die Wirkungsdauer bei Drogen bekanntermaßen wesentlich unberechenbarer sind als diejenigen von Alkohol, besteht kein Anlass, im Rahmen des § 24a Abs. 2, 3 StVG geringere Anforderungen an die Sorgfalt von Kraftfahrzeugführern zu stellen als bei § 24 Abs. 1, 3 StVG (so auch König a.a.O. S. 428). Damit korrespondierend können die Anforderungen an die gerichtliche Sachverhaltsaufklärung und die Darstellung im Urteil bei Drogenkonsum nicht höher sein als bei Alkoholkonsum.

2. Der Rechtsfolgenausspruch hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

Das Amtsgericht hat im Rahmen der Bemessung der Geldbuße keine Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Beschwerdeführers getroffen. Entsprechend allgemeiner Zumessungsgrundsätze und nach der ausdrücklichen Regelung im § 17 Abs. 3 Satz 2 OWiG sind die wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters ein Zumessungsgesichtspunkt. Nur bei geringfügigen Ordnungswidrigkeiten bleiben die wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters gem. § 17 Abs. 3 Satz 2 2. Halbs. OWiG in der Regel unberücksichtigt. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist Geringfügigkeit bis zu einer Höhe der Geldbuße von 250 € anzunehmen. Ausnahmsweise können die wirtschaftlichen Verhältnisse auch bei einer höheren Geldbuße außer Betracht gelassen werden, dann nämlich, wenn die Geldbuße 500 € nicht übersteigt, die wirtschaftlichen Verhältnisse nicht erkennbar vom Durchschnitt abweichen, weil Anhaltspunkte für außergewöhnlich schlechte oder außergewöhnlich gute Wirtschaftsverhältnisse fehlen, und es sich bei der festgesetzten Geldbuße um den im Bußgeldkatalog bestimmten Regelsatz handelt (siehe etwa Senatsbeschluss vom 22.12.2004, 1 Ss 282/04, VRS 108 (2005), 269 f m.w.N.). Vorliegend ist aber eine 500 € übersteigende Geldbuße festgesetzt worden.

Aufgrund der Wechselwirkung zwischen Geldbuße und Fahrverbot (Senatsbeschluss vom 21.09.2007, 1 Ss 157/07, NStZ- RR 2008, 123 und öfter) konnte auch die Anordnung des Fahrverbots keinen Bestand haben.

3. Für die neue Prüfung und Entscheidung weist der Senat auf Folgendes hin.

Unter Zugrundelegung der ständigen Rechtsprechung des Senats, die mit der Rechtsprechung der anderen Oberlandesgerichte übereinstimmt, führt der Zeitablauf von 2 Jahren und mehr seit der Tat nicht ohne weiteres dazu, dass von einem Fahrverbot abzusehen ist. Maßgeblich sind auch dann die Umstände des Einzelfalles; insbesondere spielen die Gründe, aus denen sich die Aburteilung derart hinausgezögert hat (hier Aufenthaltsermittlung des Betroffenen), die Schwere des Verkehrsverstoßes sowie das Verhalten des Betroffenen nach der Tat eine Rolle. Angesichts der mehrfachen einschlägigen Vorbelastungen des Betroffenen mit Betäubungsmitteldelikten im Straßenverkehr spricht wenig dafür, dass die mit einem Fahrverbot verbundene Warnung und die mit ihm bezweckte Besinnung bei dem Betroffenen inzwischen nicht mehr erforderlich sind.

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