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Fehlende Fahreignung wegen Arzneimittelabhängigkeit

VG Bayreuth, Az.: B 1 S 04.17, Beschluss vom 26.01.2004

1. Der Antrag wird abgelehnt.

2. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

3. Der Streitwert wird auf 2.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I. Aus der Fahrerlaubnisakte geht u.a. hervor, dass die Antragstellerin am 04.06.1999 dadurch auffiel, dass ein Verkehrsteilnehmer die Polizei über einen mutmaßlich betrunkenen Verkehrsteilnehmer informierte. Die Polizei stellte beim Nachfahren fest, dass der Fahrer des gemeldeten Pkw sehr unsicher fuhr. Nach Anhalten und Kontrolle wurde festgestellt, dass es sich um die Antragstellerin handelte. Nachdem eine Überprüfung hinsichtlich Alkohol negativ verlief und die Antragstellerin angab, bei einem schweren Unfall am 22.03.1999 schwere Gesichtsverletzungen erlitten zu haben und auf einem Auge blind zu sein sowie auch sonst einen sehr nervösen Eindruck machte, bat die Polizei das Landratsamt mit Schreiben vom 07.06.1999, die körperliche Eignung der Antragstellerin zu überprüfen (Bl. 30 d. Fahrerlaubnisakte). Das Landratsamt forderte daraufhin mit Schreiben vom 30.07.1999 von der Antragstellerin die Beibringung des Gutachtens eines Facharztes für Augenheilkunde.

Am 28.08.1999 stellte die Polizei wiederum auffälliges Verkehrsverhalten der Antragstellerin fest (Bl. 47/48 d. Fahrerlaubnisakte). Sie fuhr mit häufig wechselnden Geschwindigkeiten (teilweise 30 km/h, dann wieder 80 km/h), wobei das Fahrzeug immer wieder auf die linke Fahrbahnseite geriet und teilweise erst nach etwa 30 bis 50 m auf die rechte Fahrbahnseite zurückgefahren wurde. Gegenverkehr blendete wiederholt auf bzw. signalisierte mit Lichthupe, um den Führer des Fahrzeugs auf sein Fehlverhalten und die Gefährdung des Gegenverkehrs aufmerksam zu machen. Nach längerer Nachfahrstrecke konnte die Polizei eine Kontrolle durchführen und stellte fest, dass es sich um die Antragstellerin handelte. Ein freiwilliger Alko-Test verlief negativ. Bei der Befragung wies die Antragstellerin wieder auf ihren Unfall und verminderte Sehfähigkeit hin.

Nachdem die Antragstellerin das geforderte augenärztliche Gutachten nicht beibrachte und Schriftverkehr mit ihren beauftragten Rechtsanwälten ergebnislos blieb, entzog das Landratsamt … der Antragstellerin mit Bescheid vom 08.10.1999 die Fahrerlaubnis. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.

Mit Urteil des Amtsgerichts Lichtenfels vom 21.09.1999 (Bl. 83 ff. d. Fahrerlaubnisakte) wurde die Antragstellerin wegen fahrlässiger Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt. Diese Verurteilung erfolgte wegen des von der Antragstellerin angegebenen Unfalls am 22.03.1999. Sie steuerte damals ihr Fahrzeug unvermittelt auf die Gegenfahrbahn und stieß frontal mit einem entgegenkommenden Kraftfahrzeug zusammen, dessen Fahrer insbesondere einen Hüftpfannenbruch erlitt.

Für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis wurde vom Landratsamt … neben der Teilnahme an einem Aufbauseminar und der Beibringung eines augenärztlichen Gutachtens noch ein psychologisch-medizinisches Gutachten gefordert. Das Fahreignungsgutachten der Begutachtungsstelle für Fahreignung Bayreuth vom 18.05.2000 fiel für die Antragstellerin positiv aus, jedoch wurde darin eine weitere Überprüfung angeregt, sofern innerhalb eines Jahres nach Wiedererteilung der Fahrerlaubnis erneute Auffälligkeiten im Straßenverkehr aktenkundig werden. Der Antragstellerin wurde darauf hin am 23.05.2000 vom Landratsamt … die Fahrerlaubnis der Klasse B neu erteilt.

Mit Urteil des Amtsgerichts Coburg vom 05.04.2000 wurde die Antragstellerin wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 10,00 DM verurteilt. Dieses Urteil wurde der Stadt …, in der die Antragstellerin nun wohnte, erst nach der Neuerteilung der Fahrerlaubnis bekannt. Maßnahmen wurden deswegen nicht eingeleitet, da Eigenkonsum der Antragstellerin nicht bekannt geworden war.

Fehlende Fahreignung wegen Arzneimittelabhängigkeit
Symbolfoto: Rawf8/Bigstock

Die Polizeistation … unterrichtete die Antragsgegnerin mit Telefax am 11.02.2003 (Bl. 153 ff. d. Fahrerlaubnisakte) darüber, dass die Antragstellerin am 27.01.2003 einem Drogentest unterzogen wurde, der auf Amphetamine positiv reagierte. Ein Strafverfahren wegen Fahrens unter Einfluss von Drogen wurde eingeleitet. Bei ihrer Befragung gab die Antragstellerin u.a. an, verschreibungspflichtige Tabletten AN 1 zweimal täglich zu nehmen. Weiterhin nehme sie ab und zu „Isodon“ (richtig Insidon) ein. AN 1 würde sie benötigen, um sich aufzuputschen, mit „Isodon“ würde sie sich beruhigen. Die Untersuchung der entnommenen Blutprobe durch das Institut für Rechtsmedizin der Universität Würzburg ergab laut Gutachten vom 18.03.2003 einen Gehalt von ca. 49,6 ng/ml Amphetamin, 146,5 ng/ml Diazepam und 127,3 ng/ml Nordiazepam. Der Befund wurde kapillargaschromatographisch-massenspektrometrisch bestätigt. Der Gutachter kam zu dem Ergebnis, dass sich der positive Untersuchungsbefund auf Amphetamin mit der vorgetragenen Einnahme von AN 1 vereinbaren lässt. Einzige vom Hersteller dieses Medikaments genannte Indikation für eine Einnahme sei die Narkolepsie (anfallsartiger Schlafzwang). Die von der Antragstellerin vorgebrachte Anwendung zum Aufputschen lege jedoch eine missbräuchliche Einnahme nahe. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund, dass zusätzlich ein gegensätzlich wirkendes Medikament, das Beruhigungsmittel Diazepam, im Blut nachgewiesen wurde und im Zusammenhang mit der Aussage, zum Beruhigen bei Bedarf ein weiteres Medikament (Insidon) einzunehmen. Sowohl AN 1 als auch Diazepam seien mit dem Standardhinweis versehen, dass sie auch bei bestimmungsgemäßem Gebrauch die Reaktion so weit verändern können, dass die Fähigkeit zur aktiven Verkehrsteilnahme beeinträchtigt wird.

Bei einer Vernehmung am 17.04.2003 (Bl. 160/161 d. Fahrerlaubnisakte) gab die Antragstellerin u.a. an, neben AN 1 regelmäßig die Tabletten Insidon (Beruhigungsmittel), Novalgin (Schmerzmittel) und andere Medikamente eingenommen zu haben. Diazepam nehme sie nicht regelmäßig. Mit AN 1 habe sie etwa zum Jahreswechsel 2001/2002 angefangen. Von Juli 1999 bis etwa Anfang Oktober 1999 habe sie unregelmäßig Speed durch die Nase gezogen. Sie habe aber mit Hilfe einer Frau zu Hause selbst einen Drogenentzug durchgeführt. Seither habe sie mit Drogen nichts mehr zu tun. Seit sie von der Polizei … angezeigt worden sei und ihr mitgeteilt wurde, dass sie unter Einfluss dieser Mittel kein Auto fahren dürfe, habe sie die AN 1, Diazepam und Insidon abgesetzt.

Mit Urteil des Amtsgerichts Coburg vom 27.06.2003 wurde die Antragstellerin wegen des Vorwurfs der Trunkenheit im Verkehr freigesprochen. Den Gründen ist im wesentlichen zu entnehmen, dass die von den Polizeibeamten bei der Antragstellerin festgestellten Beeinträchtigungen nicht ausreichten, eine Fahruntüchtigkeit zu beschreiben. Mindestens müsste jedoch zugunsten der Antragstellerin davon ausgegangen werden, dass diese eine eventuell vorhandene Fahruntüchtigkeit nicht erkennen konnte und musste, weil der die Fahruntüchtigkeit anzeigende Zustand bei ihr schon zum Allgemeinzustand geworden war.

Die Antragsgegnerin forderte von der Antragstellerin darauf hin mit Schreiben vom 21.08.2003 die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens der Begutachtungsstelle für Fahreignung wegen Verdachts der missbräuchlichen Einnahme von psychoaktiv wirkenden Arzneimitteln oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen. Das ärztliche Gutachten des Verkehrsmedizinischen Zentrums Bayreuth des TÜV Med.-Psych. Institut vom 04.12.2003 kommt bei der Bewertung der Befunde zu dem Ergebnis, dass bei der Antragstellerin die Diagnose einer Abhängigkeit gestellt werden muss, da diese u.a. folgende Suchtkriterien erfüllt:

  • Toleranzentwicklung
  • anhaltender Substanzkonsum trotz Nachweises eindeutig schädlicher Folgen
  • verminderte Kontrollfähigkeit.

Die Fragestellung wird daher dahin gehend beantwortet, dass die Antragstellerin ein Fahrzeug der Gruppe 1/2 nicht sicher führen kann, da dem Drogen- bzw. Medikamentenmissbrauch eine Abhängigkeit zugrund liegt. In dem Gutachten wird noch angemerkt, dass die Antragstellerin den ersten Untersuchungstermin am 25.09.2003 nicht wahrnahm und auch zum Termin zur zweiten Urinabgabe am 25.11.2003 nicht erschien. Somit sei davon auszugehen, dass sie die Termine nicht wahrnahm, um zu verhindern, dass eingenommene Stoffe/Medikamente im Urin nachweisbar wären. Barbiturate mit einer kurzen Halbwertzeit seien nur einen Tag nachweisbar.

Nach Anhörung mit Schreiben vom 08.12.2003 und Stellungnahme des Bevollmächtigten der Antragstellerin vom 11.12.2003 entzog die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit Bescheid vom 19.12.2003 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Fahrerlaubnis. Zur Begründung wurde im wesentlichen auf die Vorgeschichte, das toxikologische Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Würzburg vom 18.03.2003 und das Gutachten des Verkehrsmedizinischen Zentrums Bayreuth vom 04.12.2003 abgestellt. Die Antragsgegnerin schließt sich den dort getroffenen Ausführungen und Feststellungen an.

Mit Telefax vom 05.01.2004 erhob der Bevollmächtigte der Antragstellerin Widerspruch gegen den Entziehungsbescheid. Zur Begründung wird im wesentlichen auf die vorangegangene Stellungnahme sowie den gleichzeitig gestellten Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO Bezug genommen und ergänzend ausgeführt, die Beteiligung an einem Verkehrsunfall begründe kein Indiz für die fehlende Eignung zum Führen von Pkw im öffentlichen Straßenverkehr. Trotz der zurückliegenden Einnahme verschiedener Medikamente habe die Antragstellerin in der Zwischenzeit beanstandungsfrei einen Pkw geführt. Die Antragstellerin sei auch jetzt nach dem Absetzen der Medikamente vor allem zur Betreuung ihrer Kinder auf eine Fahrerlaubnis zwingend angewiesen. Nachdem sie auf die Medikamenteneinnahme verzichtet habe, sei eine Toleranzentwicklung nicht anzunehmen. Eine verminderte Kontrollfähigkeit sei nicht gegeben. Dementsprechend sei auch im eingeholten Sachverständigengutachten des Verkehrsmedizinischen Zentrums bei der Befundbewertung vermerkt: „Bei Frau … fanden sich bei der körperlichen Untersuchung keine gravierend von der Norm abweichenden Befunde.“ Die Antragstellerin habe nach dem schweren Autounfall im öffentlichen Straßenverkehr ihren Pkw sachgerecht geführt. Über Monate hinweg habe sie gänzlich auf die Einnahme von Medikamenten verzichtet. Normabweichende Befunde seien bei der verkehrsmedizinischen Begutachtung nicht festgestellt worden. Eine Suchtgefahr sei nicht begründet.

Mit Schriftsatz ebenfalls vom 05.01.2004, am Verwaltungsgericht Bayreuth per Telefax eingegangen am gleichen Tag, beantragte der Bevollmächtigte der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 19.12.2003 wieder herzustellen.

Zur Begründung wird auf den Widerspruch und die im Verwaltungsverfahren abgegebene Stellungnahme Bezug genommen und ansonsten noch im wesentlichen vorgetragen, die Anordnung der sofortigen Vollziehung wäre nur dann zulässig gewesen, wenn überwiegende oder dringende Gründe für eine konkrete unmittelbar drohende Gefahr für den öffentlichen Straßenverkehr bei weiterer Teilnahme der Antragstellerin am Straßenverkehr vorliegen würden und die sofortig Vollziehung nicht ohne schwerwiegende Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses aufgeschoben werden könne, was hier nicht der Fall sei. Die erforderliche Güterabwägung dürfe nicht – wie hier – lediglich formelhaft und mit der einfachen Begründung, die Verfügung sei offensichtlich rechtmäßig, erfolgen. Die Antragstellerin habe ihr besonderes und überwiegendes Interesse an der aufschiebenden Wirkung bereits im Rahmen der Anhörung dargelegt und glaubhaft gemacht. Sie sei zur sachgerechten Betreuung ihrer minderjährigen Kinder auf eine Fahrerlaubnis für Pkw zwingend angewiesen. Sie habe sich in den zurückliegenden Monaten hinreichend im öffentlichen Straßenverkehr bewährt und seit den in der Widerspruchsschrift zitierten Unfällen keinen weiteren Schadensfall verursacht. Dazu habe sie seit Monaten auf die Einnahme jeglicher Medikamente verzichtet. Der Antragsgegner führe lediglich eine potentielle Gefährdung der Verkehrssicherheit an. Den Untersuchungstermin beim TÜV habe die Antragstellerin allein aus Geldmangel nicht wahrnehmen können und nicht um eine Medikamenteneinnahme zu verschleiern. Nämliches gelte für den zweiten Termin am 25.11.2003. Die diagnostizierte potentielle Abhängigkeit von Medikamenten und die Annahme der Erfüllung von Suchtkriterien basiere auf einer bloßen Spekulation.

Die Stadt … übersandte mit Schreiben vom 16.01.2004, am Verwaltungsgericht Bayreuth eingegangen am 20.01.2004, die Fahrerlaubnisakte und beantragte, den Antrag kostenpflichtig abzuweisen.

Zur Begründung wird im wesentlichen auf die Feststellungen im Gutachten des Verkehrsmedizinischen Zentrums Bayreuth verwiesen und dem Vorbringen zur Anordnung der sofortigen Vollziehung entgegnet.

Hinsichtlich der Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vortrags der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.

II. Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs ganz oder teilweise wiederherstellen. Bei dieser Entscheidung hat es entsprechend § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung abzuwägen. Dabei sind auch die überschaubaren Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen.

Der Antrag hat keinen Erfolg, da nach summarischer Prüfung die Entziehung der Fahrerlaubnis der Antragstellerin rechtmäßig ist und das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung des Fahrerlaubnisentzugs schwerer wiegt als das persönliche Interesse der Antragstellerin, vorerst von ihrer Fahrerlaubnis weiterhin Gebrauch machen zu können.

Erweist sich jemand als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, so muss ihm die Verwaltungsbehörde gemäß §§ 3 Abs. 1 StVG, 46 Abs. 1 FeV die Fahrerlaubnis entziehen. Die Feststellung der Ungeeignetheit setzt neben einer Wertung der gegenwärtigen Lage im Entscheidungszeitpunkt eine Prognose über das künftige Verhalten des Fahrerlaubnisinhabers voraus. Im Hinblick auf den sicherheitsrechtlichen Charakter des Straßenverkehrsrechts ist dabei die Vermeidung künftiger Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung durch Teilnahme der zu beurteilenden Person am Straßenverkehr von wesentlicher Bedeutung. Zur Entscheidungsfindung kann die Behörde bei Anlass zur Annahme, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeuges ungeeignet oder nur noch bedingt geeignet ist, die Beibringung eines Gutachtens verlangen (§§ 46 Abs. 3, 14 Abs. 1 Nrn. 1,2 FeV). Ein hinreichender Anlass für die Anforderung eines derartigen Gutachtens besteht nicht nur dann, wenn der Betreffende bereits einmal in fahruntüchtigem Zustand ein Kraftfahrzeug geführt hat, sondern schon dann, wenn dafür eine hinreichend konkrete Gefahr besteht. Die Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung enthält eine Aufstellung häufig vorkommender Erkrankungen und Mängel, die die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen längere Zeit beeinträchtigen oder aufheben können. In dieser Aufstellung wird bewertet, ob bei den aufgeführten Erkrankungen und Mängeln in der Regel von einer Fahreignung auszugehen ist oder nicht. Unter Ziffer 9.4 ist dort geregelt, dass zum Führen von Kraftfahrzeugen aller Gruppen im Regelfall nicht geeignet ist, wer missbräuchlich psychoaktiv wirkende Arzneimittel oder andere psychoaktiv wirkende Stoffe einnimmt. Ungeeignet sind nach den Ziffern 9.6 und 9.6.2 auch Personen, bei denen durch eine Dauerbehandlung mit Arzneimitteln die Leistungsfähigkeit zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht mehr im erforderlichen Maß gegeben ist. Ebenso ungeeignet sind nach Ziffer 9.3 Personen, die von Betäubungsmitteln oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen abhängig sind; nach Ziffer 9.5 der Anlage 4 zur FeV setzt dann die Wiedergewinnung der Fahreignung in der Regel eine Entgiftung und Entwöhnung sowie eine durch regelmäßige Kontrollen nachgewiesene einjährige Abstinenz voraus.

Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe bestand für die Fahrerlaubnisbehörde aufgrund der Vorgeschichte, den Feststellungen der Polizei anlässlich der Kontrolle der Antragstellerin am 27.01.2003, dem toxikologischen Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Würzburg vom 18.03.2003 und den Angaben der Antragstellerin bei der polizeilichen Vernehmung am 17.04.2003 der dringende Verdacht der Ungeeignetheit der Antragstellerin zum Führen von Kraftfahrzeugen im öffentlichen Straßenverkehr aus den drei oben angeführten möglichen Gründen, insbesondere aber wegen Verdachts auf missbräuchliche Einnahme psychoaktiv wirkender Arzneimittel nach Ziffer 9.4 der Anlage 4 zur FeV. Die Antragstellerin selbst hatte eingeräumt, dass sie AN 1 entgegen der vom Hersteller vorgesehenen Verwendungsart zum Aufputschen nimmt und daneben – nach dem Sachverhalt offenbar ohne auf Wechselwirkungen zu achten – eine ganze Reihe weiterer Medikamente, insbesondere gegensätzlich wirkende Beruhigungsmittel, einnimmt. Durch das toxikologische Gutachten vom 18.03.2003 ist auch objektiv belegt, dass die Antragstellerin gleichzeitig Amphetamin und Diazepam, die gegensätzlich wirken, eingenommen hatte. Die Einnahme erfolgte nach ihren Angaben auch nicht nach ärztlich festgelegten Regeln, sondern nach eigenem Gutdünken der Antragstellerin. Nach ihren Angaben hat die Antragstellerin zudem die Beipackzettel nicht gelesen und somit die dort gegebenen Warnhinweise nicht beachtet. Die Art der Einnahme der Arzneimittel sowie das Ausmaß der Verwendung einer Vielzahl verschiedener Medikamente begründen somit eindeutig den Verdacht des Arzneimittelmissbrauchs.

Darüber hinaus war nach dem Sachverhalt auch der Verdacht der Abhängigkeit von psychoaktiv wirkenden Arzneimitteln begründet. Die Antragstellerin selbst hatte angegeben, dass sie vor Jahren drogenabhängig gewesen sei und von Juli bis Anfang Oktober 1999 unregelmäßig Speed konsumiert habe. In Verbindung mit der späteren häufigen und missbräuchlichen Arzneimitteleinnahme erscheint der Verdacht begründet, dass die Arzneimitteleinnahme nur als Ersatz für Drogenkonsum oder auch neben einem solchen (eine Entwöhnung und Abstinenz sind nicht nachgewiesen) erfolgte und insoweit noch immer eine Abhängigkeit bestand bzw. besteht. Dies gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass der Sachverständige Seidel im Strafverfahren gemäß dem Urteil des Amtsgerichts Coburg vom 27.06.2003 festgestellt hat, dass der zur Fahruntüchtigkeit führende Zustand bei der Antragstellerin zum Allgemeinzustand geworden war (Bl. 184 d. Fahrerlaubnisakte). Dieser vom Sachverständigen festgestellte Zustand lässt auch den Schluss auf fehlende Fahreignung nach den Ziffern 9.6 und 9.6.2 der Anlage 4 zur FeV zu.

Die Anforderung eines fachärztlichen Eignungsgutachtens durch die Antragsgegnerin war daher eindeutig rechtens.

Ob das von der Antragstellerin auf diese rechtmäßige Anforderung hin vorgelegte Gutachten des Verkehrsmedizinischen Zentrums Bayreuth des TÜV Med.-Psych. Institut vom 04.12.2003 fachlich richtig ist, kann im vorliegenden Verfahren eigentlich dahingestellt bleiben, da die Antragstellerin in der ihr gesetzten ausreichend bemessenen Frist jedenfalls kein die Eignungszweifel beseitigendes für sie günstiges Gutachten vorgelegt hat und die Antragsgegnerin aufgrund dessen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (seit dem Urteil vom 02.12.1960, BVerwGE 11, 274) ohnehin auf ihre Nichteignung schließen kann, wie inzwischen auch in der Regelung des § 11 Abs. 8 FeV, die gemäß § 46 Abs. 3 FeV Anwendung findet, ausdrücklich festgelegt ist.

Unabhängig davon hat das Gericht aber auch bei der im vorliegenden Verfahren angezeigten summarischen Prüfung keine Zweifel an der Richtigkeit des Gutachtens vom 04.12.2003. Aus der Sicht des Gerichts tragen die dort festgestellten Befunde das Ergebnis insbesondere auch unter Heranziehung der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahrereignung des Gemeinsamen Beirats für Verkehrsmedizin beim Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen und beim Bundesministerium für Gesundheit (Ziffer 3.12.1 i.V.m. 3.11.2 des speziellen Teils, 6. Aufl. Stand Februar 2000). Entgegen dem Antrags- und Widerspruchsvorbringen sieht das Gericht insbesondere auch den Schluss auf das Vorliegen von Abhängigkeit wegen des Vorliegens von drei Suchtkriterien als nachvollziehbar und überzeugend an. Für das Gericht erscheint vor allem auch die Annahme begründet, dass es sich bei der Arzneimitteleinnahme um Drogenersatzkonsum handelt, nachdem die Antragstellerin bis Oktober 1999 nach eigenen Angaben (vgl. Bl. 216 d. Fahrerlaubnisakte) in erheblichem Umfang Amphetamine geschnupft hatte. Der angeblich durchgeführte Selbstentzug ist nicht nachgewiesen und erscheint unglaubhaft (jedenfalls hinsichtlich des Erfolgs), das Gericht hält insoweit vielmehr die Beurteilung des Gutachtens, dass die Antragstellerin psychoaktiv wirkende Medikamente als Ersatzdrogen eingenommen hat, für voll überzeugend.

Soweit seitens der Antragstellerin geltend gemacht wird, die Antragstellerin habe seit Monaten auf die Einnahme jeglicher Medikamente verzichtet, trifft dies schon sachlich objektiv nicht zu. Bei der Untersuchung am 16.10.2003 hat die Antragstellerin selbst angegeben, dass sie noch Insidon gegen Angstzustände und täglich mindestens zwei Neuralgin (Schmerzmittel) einnimmt. Der Verzicht auf die Einnahme jeglicher Medikamente wäre auch nach der gesamten Vorgeschichte unglaubhaft. Zudem ist auch der Verzicht auf die Einnahme von AN 1 (bzw. von Amphetamin überhaupt) und Diazepam nicht belegt worden. Im Hinblick auf die diagnostizierte Abhängigkeit von psychoaktiv wirkenden Arzneimitteln bzw. anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen kann eine Wiedergewinnung der Fahreignung nur aufgrund unbestätigter Behauptungen der Antragstellerin keinesfalls angenommen werden. Vielmehr wäre hierfür nach Ziffer 9.5 der Anlage 4 zur FeV die Durchführung einer Entziehungs- und Entwöhnungsbehandlung sowie eine nachgewiesene Abstinenzzeit von in der Regel einem Jahr Voraussetzung. Dafür ist aber nichts vorgetragen oder sonst ersichtlich. Darüber hinaus erscheint die Annahme im Gutachten, dass die Antragstellerin versucht hat, den Nachweis eingenommener Stoffe zu vermeiden, durchaus schlüssig. Das Vorbringen, dass die Nichtwahrnahme zweier Termine auf finanziellen Gründen beruhte, könnte zwar auch zutreffen, wegen der erniedrigten Kreatininkonzentration bei der zweiten Urinabgabe am 26.11.2003 (Bl. 217/218 d. Fahrerlaubnisakte) und der Tatsache, dass die Antragstellerin letztlich die finanziellen Mittel ja hatte und lediglich die Termine verschoben wurden, erscheint aber auch dem Gericht wahrscheinlicher, dass die Antragstellerin versucht hat, den Nachweis eingenommener Mittel zu verhindern.

Die Antragsgegnerin konnte somit nach den vorliegenden Erkenntnissen zu Recht davon ausgehen, dass die Antragstellerin die erforderliche Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen aller Klassen nicht besitzt. Damit aber war sie gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG verpflichtet, ihr die Fahrerlaubnis zu entziehen. Ein Ermessensspielraum stand und steht der Antragsgegnerin insoweit nicht zu und auch die seitens der Antragstellerin angeführten sozialen Belange, insbesondere die Betreuung der Kinder, können nach der klaren gesetzlichen Regelung keine Berücksichtigung finden.

Bei der vom Gericht vorzunehmenden Interessenabwägung ist dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Fahrerlaubnisentzugs höheres Gewicht beizumessen als dem Interesse der Antragstellerin, vorerst von der Wirkung der Fahrerlaubnisentziehung verschont zu bleiben. Im Fahrerlaubnisrecht als Teil des Sicherheitsrechts gilt es, das weitere Führen von Kraftfahrzeugen durch einen Fahrerlaubnisinhaber unverzüglich zu verhindern, wenn ernsthafte Zweifel an dessen Fahreignung bestehen. Auch im angefochtenen Bescheid wurde die Anordnung der sofortigen Vollziehung hinreichend und beanstandungsfrei begründet, wobei die erforderliche Darlegung und Abwägung des öffentlichen Interesses mit dem privaten Interesse der Antragstellerin vorgenommen wurde; die Anführung zusätzlicher Gründe für die Erforderlichkeit der sofortigen Vollziehung eines Fahrerlaubnisentzugs ist entgegen dem Antragsvorbringen nicht geboten (vgl. z.B. BayVGH, Beschluss vom 20.06.1996 Az. 11 CS 96.1479). Soweit seitens der Antragstellerin vorgebracht wurde, dass sie seit ca. einem Jahr sich im öffentlichen Straßenverkehr bewährt habe, kann dies zu keiner anderen Beurteilung führen. Nach den Feststellungen des Sachverständigen im Strafverfahren des Amtsgerichts Coburg Az. 2 Ds 7 Js 4294/03 hat die Antragstellerin lange Zeit hindurch im Zustand der Fahruntüchtigkeit ein Kraftfahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr geführt. Es ist reine Glückssache, dass sie in dieser Zeit keine Unfälle verursacht hat, vor allem wenn man das von der Polizei festgestellte gefährliche Verhalten der Antragstellerin im Jahr 1999 berücksichtigt, das nach den Gesamtumständen auch auf die Einnahme von Medikamenten und/oder Drogen zurückgeführt werden muss (an mangelndem Sehvermögen kann es nach dem später erstellten augenärztlichen Gutachten nicht gelegen haben). Aus der Sicht des Gerichts spricht bei der Abwägung auch gegen die Antragstellerin, dass sie nach ihren Einlassungen bei der Untersuchung am 16.10.2003 offenbar ihr Fehlverhalten im Straßenverkehr nicht einsieht, da sie dort (Bl. 215 d. Fahrerlaubnisakte) trotz der rechtskräftigen Verurteilung durch das Amtsgericht Lichtenfels vom 21.09.1999 ihre Verantwortung für den schweren Unfall vom 22.03.1999 geleugnet und behauptet hat, ihr sei die Vorfahrt genommen worden. Die Antragsgegnerin hat insgesamt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Fahrerlaubnisentziehung völlig zu Recht höher gewichtet als das private Interesse der Antragstellerin, auch unter Berücksichtigung der erforderlichen Betreuung ihrer minderjährigen Kinder.

Nach summarischer Beurteilung hat daher der Widerspruch gegen die streitgegenständliche Fahrerlaubnisentziehung keine Aussicht auf Erfolg, so dass der vorliegende Antrag mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen ist. Die Streitwertfestsetzung richtet sich nach den §§ 25 Abs. 2, 20 Abs. 3 und 13 Abs. 1 GKG i.V.m. Teil I Ziffer 7 und Teil II Ziffer 45.2 des Streitwertkataloges der Verwaltungsgerichtsbarkeit (DVBl. 1996, 606 ff.) unter Berücksichtigung der Währungsumstellung auf Euro und der deswegen erfolgten Änderung des § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG durch das Gesetz zur Umgestaltung des Kostenrechts und der Steuerberatergebührenordnung auf Euro vom 27. April 2001 (GVBl. I S. 751)..

II. Gegen die Streitwertfestsetzung steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 50,00 EUR übersteigt.

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