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Fahrverbot nach Zwei-Jahres-Frist bei Verzögerungstaktik des Betroffenen

Oberlandesgericht Brandenburg – Az.: 1 OLG 53 Ss-OWi 245/21 – Beschluss vom 21.06.2021

Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Oranienburg vom 9. Februar 2021 wird gemäß §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 349 Abs. 2 StPO mit der Maßgabe als offensichtlich unbegründet verworfen, dass die Betroffene des vorsätzlichen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften (um 56 km/h) schuldig ist.

Die Betroffene trägt die Kosten ihres Rechtsmittels (§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 StPO).

Gründe

1. Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug auf die zutreffenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg in ihrer Stellungnahme vom 27. Mai 2021.

Zur Tenorkorrektur heißt es in der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft:

„Der Gesamtschau der Urteilsgründe kann insofern entnommen werden, dass die Betroffene am Tattage nachdem sie beidseitig aufgestellte geschwindigkeitsbegrenzende Verkehrsschilder passiert hatte, in einem Baustellenbereich, in dem [die] Geschwindigkeit auf 60 km/h reduziert war, mit 156 km/h [richtig: 116 km/h] gefahren ist.

Tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass die Betroffene die Verkehrsschilder nicht sehen konnte oder nicht gesehen hat, sind nicht ersichtlich.

Nach der Rechtsprechung kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass (ordnungsgemäß aufgestellte) Vorschriftszeichen, auch solche, durch die eine Herabsetzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit erfolgt, in der Regel wahrgenommen werden und ein fahrlässiges Übersehen die Ausnahme darstellt. Daher braucht die Möglichkeit, dass der Betroffene das Vorschriftszeichen übersehen hat, nur in Rechnung gestellt zu werden, wenn sich hierfür Anhaltspunkte ergeben (vgl. BGH NJW 1997, 3252; OLG Celle, NZV 2014, 232).

Entsprechende Anhaltspunkte hat weder [die] Betroffene vorgetragen noch ergeben sie sich aus den sonstigen in dem angefochtenen Urteil mitgeteilten Umständen. Bei einem beachteten Vorschriftszeichen kann zudem angenommen werden, dass eine Kraftfahrerin ihre gefahrene Geschwindigkeit anhand eines Blicks auf dem Tachometer wiederholt kontrolliert, zumal, wenn sie sich in einer Baustelle befindet. Zudem ist vorliegend zu berücksichtigen, dass die Betroffenen die zulässige Höchstgeschwindigkeit vorliegend um 92% überschritten hat. Bei der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit drängt sich eine vorsätzliche Begehungsweise umso mehr auf, je massiver das Ausmaß der Überschreitung ist. Dabei kommt es nach der Rechtsprechung nicht auf die absolute, sondern auf die relative Geschwindigkeitsüberschreitung an, das heißt, auf das Verhältnis zwischen der vorgeschriebenen und der gefahrenen Geschwindigkeit. Je höher die prozentuale Überschreitung ausfällt, desto eher wird sie von einem Kraftfahrer, der die zulässige Höchstgeschwindigkeit kennt, aufgrund der stärkeren Fahrgeräusche und der schneller vorbeiziehenden Umgebung bemerkt (schon OLG Karlsruhe NZV 2006, 437; KG NZV 2004, 598).

Zumindest ist bei dieser Sachlage davon auszugehen, dass die Betroffene eine Geschwindigkeitsüberschreitung vorliegend bewusst in Kauf genommen hat. Das Bewusstsein des konkreten Umfangs der zulässigen Höchstgeschwindigkeit setzt vorsätzliches Verhalten dabei nicht voraus (vgl. Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 29. Oktober 2007 – 1 Ss 130/07 – in juris). Jedenfalls ist bei der hier vorliegenden Geschwindigkeitsüberschreitung ist kein Raum mehr für die Annahme lediglich (grob) fahrlässigen Handelns.“

Der Senat tritt diesen Ausführungen bei, sie entsprechen der Sach- und Rechtslage (st. Rspr. des Senats, vgl. statt vieler: Beschluss vom 22. Oktober 2020, (1 B) 53 Ss-OWi 433/20 (264/20); Beschluss vom 22. September 2020, (1 B) 53 Ss-OWi 374/20 (220/20); Beschluss vom 24. Juli 2020, (1 B) 53 Ss-OWi 318/20 (193/20); Beschluss vom 6. Juli 2020, (1 B) 53 Ss-OWi 286/20 (178/20)).

Der Abänderung des Schuldspruches steht das Verschlechterungsverbot nicht entgegen (vgl. Seitz in Göhler, OWiG, 16. Aufl., § 79 Rn. 37).

2. Auf die Ausführungen im Anwaltsschriftsatz vom 29. April 2021 ist ergänzend anzumerken, dass nach mittlerweile gefestigter obergerichtlichen Rechtsprechung der Sinn des Fahrverbots in der Tat in Frage zu stellen ist, wenn die zu ahnende Tat mehr als zwei Jahre zurückliegt (vgl. Senatsbeschluss vom 24. April 2020, (1 B) 53 Ss-OWi 174/20 (104/20), zit. n. juris, dort Rn. 30 ff.; OLG Bamberg DAR 2008, 651 jeweils m.w.N.). Hinsichtlich dieser Zweijahresfrist kommt es – entgegen der Ansicht des Betroffenen – auf den Zeitraum zwischen Tatbegehung und der letzten tatrichterlichen Verhandlung an, da der Tatrichter den sich anschließenden Zeitraum zwischen seiner Entscheidung und deren Rechtskraft nicht berücksichtigen kann und das Rechtsbeschwerdegericht lediglich zu prüfen hat, ob das Urteil des Tatrichters, auch was den Rechtsfolgenausspruch, insbesondere die Verhängung und Begründung eines Fahrverbotes betrifft, Rechtsfehler aufweist (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 24. März 2011, 3 RBs 70/10, OLG Oldenburg, Beschluss vom 3. August 2011, 2 BsSs 172/11, jew. zit. n. juris).

Dieser Zeitrahmen führt jedoch nicht automatisch zu einem Absehen von einem Fahrverbot, sondern ist lediglich ein Anhaltspunkt dafür, dass eine tatrichterliche Prüfung, ob das Fahrverbot seinen erzieherischen Zweck im Hinblick auf den Zeitablauf noch erfüllen kann, geboten ist.

Bei einem Zeitablauf von über zwei Jahren zwischen Tat und Urteil bedarf es auch nach Auffassung des Senats besonderer Umstände für die Annahme, dass ein Fahrverbot noch unbedingt notwendig ist (s.a. OLG Düsseldorf MDR 2000, 829 zum Ganzen: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl., StVG, § 25, Rn. 23a m.w.N.). Diese Zwei-Jahres-Frist war bei der Entscheidung des Amtsgerichts jedoch noch nicht abgelaufen. Dessen ungeachtet ist bei der Abwägung der Umstände des konkreten Einzelfalls zu berücksichtigen, worauf die lange Verfahrensdauer zurückzuführen ist, insbesondere ob hierfür maßgebliche Umstände im Einflussbereich des Betroffenen liegen oder Folge gerichtlicher oder behördlicher Abläufe sind (BayObLG NZV 2004, 210). Dabei kann die Ausschöpfung von Rechtsmitteln und der Gebrauch der in der StPO und dem OWiG eingeräumten Rechte dem Betroffenen nicht als eine von ihm zu vertretende Verfahrensverzögerung entgegen gehalten werden (vgl. OLG Hamm NStZ-RR 2006, 25). Anderes gilt dann, wenn die lange Dauer des Verfahrens (auch) auf Gründe beruht, die in der Spähe des Betroffenen liegen (vgl. dazu KG VRS 102, 127; OLG Köln NZV 2000, 430; OLG Rostock DAR 2001, 421; OLG Celle VRS 108, 118; OLG Karlsruhe DAR 2005, 168). Im vorliegenden Fall setzen sich die Urteilsgründe sorgfältig mit der „Verzögerungstaktik“ des Betroffenen, die zahlreichen Terminverlegungsanträgen des Betroffenen und seines Verteidigers, auseinander, die verdeutlichen, dass die lange Verfahrensdauer überwiegend der Betroffene zu vertreten hat (S. 7 UA).

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