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Fahrverbot – Absehen aus beruflichen Gründen bei einem TÜV-Prüfer

AG Waldbröl – Az.: 40 Cs – 665 Js 679720 – 366/20 – Urteil vom 05.07.2021

Der Angeklagte ist der fahrlässigen Körperverletzung schuldig.

Er wird zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 80,00 Euro verurteilt.

Er trägt die Kosten des Verfahrens und seine Auslagen.

– §§ 229, 230 StGB –

Gründe

I.

Der 41-jährige Angeklagte hat keine Eintragungen in BZR und FAER. Er arbeitet als Kfz-Prüfingenieur beim TÜV Rheinland. Er verfügt über ein monatliches Nettoeinkommen von rund 2.500,- Euro. Der Angeklagte ist verheiratet und kinderlos, seine Ehefrau verfügt über eigenes hinreichendes Einkommen. Er ist ein erfahrener Motorradfahrer, vom Jahr 2014 bis zum Unfalltag fuhr er regelmäßig.

II.

Der Angeklagte befuhr am 27.03.2020 gegen 15:30 Uhr mit einem Motorrad der Marke I (Kennzeichen XX-A 1234) u.a. die C-Straße in D-Dorf in Fahrtrichtung E-Stadt.

Infolge zu hoher, nicht angepasster Geschwindigkeit (vgl. § 3 Abs. 1 S. 1 StVO: „Wer ein Fahrzeug führt, darf nur so schnell fahren, dass das Fahrzeug ständig beherrscht wird.“), nämlich ursprünglich knapp 100 km/h, dann (zu spät) stark abgebremst auf 70-80 km/h, kam er in einer Rechtskurve nach links von seiner Fahrspur ab, weil die Schräglage des Fahrzeugs zu stark wurde und sich sein Motorrad aufstellte. Sodann geriet er über die Mittelleitlinie auf die Gegenfahrbahn, welche zu diesem Zeitpunkt von dem Zeugen C in Gegenrichtung befahren wurde. Durch den starken Zusammenstoß wurden beide Krads ineinander verkeilt und verunfallten.

Der Zeuge C befand sich vom 27.03.2020 bis 22.04.2020 in stationärer Behandlung in der Klinik für Unfallchirurgie in M-Stadt. Dort wurden folgende Verletzungen diagnostiziert: Rotations- und vertikal instabile Beckenringfraktur bei Symphysensprengung, ISG Sprengung rechts und vertikaler, medianer Os-sacrum-Fraktur, nicht dislozierte Fraktur der 7.lateralen Rippe links, Prellung Hand und Unterarm, Taubheitsgefühl Fußrücken links, Surditas links, subj. unscharfes Sehen bei Weitsicht, Z.n. Harnverhalt.

Mit einer völligen Wiederherstellung der Gesundheit des Zeugen C ist nicht zu rechnen, vielmehr wird er auf einem Ohr dauerhaft taub bleiben. Er leidet immer noch unter nicht unerheblichen Schmerzen und ist weiterhin in seiner Beweglichkeit eingeschränkt.

Bei Beachtung der im Straßenverkehr notwendigen Sorgfalt hätten der Angeklagte den Unfall vermeiden können.

III.

Die Feststellungen zur Person beruhen auf den glaubhaften Angaben des Angeklagten und den verlesenen Registerauszügen.

Zur Sache war der Angeklagte hinsichtlich seiner Fahrereigenschaft und Beteiligung am Unfall geständig. Die Verletzungsfolgen ergeben sich aus den glaubhaften Angaben des Zeugen C und dem verlesenen Attest. Der Angeklagte gibt im Übrigen an, an den Unfall keine eigene Erinnerung zu haben.

Der eigentliche Unfallhergang (siehe II.) steht zur Überzeugung fest nach dem Gutachten des Sachverständigen für Straßenverkehrsunfälle E-Straße.-Ing. X, der dem Gericht seit vielen Jahren als erfahrener und sorgfältiger Gutachter bekannt ist, gerade auch für Motorradunfälle. Das Gericht schließt sich dem Gutachten vollumfänglich an. Der Sachverständige hat das Gutachten in der Hauptverhandlung ausführlich erörtert (auch mit einer Videopräsentation). Die kritischen Fragen des Gerichts und der Verteidigung wurden überzeugend beantwortet, insbesondere zur Spurenlage.

IV.

Der Angeklagte ist der fahrlässigen Körperverletzung schuldig, §§ 229, 230 StGB. Er hat zunächst gegen die Regel des § 3 Abs. 1 S. 1 StVO verstoßen, was eine Überfahrt der Mittellinie und Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot zu Folge hatte.

Zwar hätte auch der Geschädigte C weiter rechts fahren können und müssen. Insoweit steht aber der Zurechnungszusammenhang nicht in Frage. Wenn der Angeklagte nicht für die Örtlichkeit zu schnell gefahren und auf die andere Fahrbahn gefahren wäre, wäre es gar nicht zur Kollision gekommen.

Ein Mitverschulden des Zeugen C wäre nur geeignet, die Vorhersehbarkeit eines Unfalls für den Angeklagten auszuschließen, wenn es in einem gänzlich vernunftwidrigen oder außerhalb der Lebenserfahrung liegenden Verhalten bestanden hätte (vgl. OLG Hamm, NZV 2016, 242). Dies ist zur Überzeugung des Gerichts nicht der Fall. Der Zeuge C hat zwar nicht die richtige Fahrlinie gewählt, vgl. auch dazu das Gutachten des Sachverständigen X, dessen Fahrzeug befand sich aber noch auf der „richtigen“ Fahrspur. Mit Fehlern eines entgegenkommenden Zweiradfahrers bei der Wahl der richtigen Fahrlinie in einem außerordentlich kurvigen Straßenabschnitt ist aber aus Sicht des erkennenden Gerichts grundsätzlich immer zu rechnen, dies ist keineswegs ein außerhalb der Lebenserfahrung liegendes Verhalten.

V.

Für fahrlässige Körperverletzung sieht das Gesetz Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren vor.

Bei der Strafzumessung hat das Gericht strafmildernd vor allem bedacht, dass

  • der Angeklagte straf- und verkehrsrechtlich ohne Vorbelastungen ist;
  • er teilweise geständig war und im Übrigen keine Erinnerung hat;
  • er durch den Unfall auch eigene, nicht unerhebliche Verletzungen sowie eigenen Sachschaden (wirtschaftl. Totalschaden) erlitten hat;
  • er den Unfall und die Verletzung des Geschädigten bereut und eine Entschuldigung angeboten hat;
  • der Geschädigte den Zusammenstoß durch eigenes nicht-ideales Verhalten mitzuverantworten hat;
  • der Geschädigte bereits (Teil)Ersatzleistungen der Haftpflichtversicherung des Angeklagten erhalten hat;
  • der Geschädigte kein ausdrückliches Verfolgungsinteresse (mehr) hat;
  • der Unfall schon über 1 Jahr zurückliegt.

Der Verschuldensgrad des Angeklagten war im durchschnittlichen Bereich, weder mildernd noch schärfend.

Straferschwerend wurden demgegenüber die erheblichen Verletzungsfolgen berücksichtigt, die über die einer „durchschnittlichen“ fahrlässigen Körperverletzung weit hinausgehen, zumal sie mit Dauerschäden (Taubheit auf einem Ohr) und anhaltenden Schmerzen und Einschränkungen der Beweglichkeit verbunden sind.

Eigentlich wäre Verhängung eines Fahrverbotes geboten gewesen. Neben den Verletzungsfolgen sprechen hierfür auch generalpräventive Gründe. Die Unfallörtlichkeit steht wegen einer Vielzahl von schweren und tödlichen Verkehrsunfällen aufgrund Fehlverhaltens (überwiegend) von Kradfahrern im Blickpunkt der regionalen Medienberichterstattung und der lokalen Politik und Verwaltung (vgl. neben den Bekundungen des Polizeibeamten Wagner in der Hauptverhandlung auch zuletzt die, nach der Hauptverhandlung ergangene, verkehrsrechtliche Anordnung des Rhein-Sieg-Kreises und Oberbergischen Kreises, siehe https://……………….).

Auszug aus der dortigen Begründung: „Beide Kreise verfolgen mit der getroffenen Anordnung das Ziel, die Gefahrenlage, die aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse, des kurvigen Verlaufs, der unterschiedlichen gefahrenen Geschwindigkeiten verschiedener Verkehrsteilnehmender und der auffälligen Unfalllage besteht, zu reduzieren. Diese Gefahrenlage übersteige das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der Sicherheit oder Ordnung erheblich.“

Demzufolge ist auch die Ablehnung einer Einstellung nach § 153a StPO durch die Staatsanwaltschaft sehr nachvollziehbar.

Von der Verhängung der Nebenstrafe des – an sich gebotenen – Fahrverbots hat das Gericht trotzdem bewusst abgesehen, auch nach Prüfung einer Beschränkung eines Fahrverbots für Motorräder. Als Nebenstrafe darf ein Fahrverbot nur verhängt werden, wenn der mit ihm angestrebte spezialpräventive Zweck mit der Hauptstrafe allein nicht erreicht werden kann (vgl. hierzu und zum Folgenden Hentschel/Krumm, Fahrerlaubnis/Alkohol/Drogen, 7. Auflage 2018, Rn. 427ff. mit Nachweisen). Im Fall einer Geldstrafe als Hauptstrafe ist nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu prüfen, ob nicht im Einzelfall eine Erhöhung der Geldstrafe ausreichend ist, um den Täter zu warnen. Zwischen Hauptstrafe (Geldstrafe) und Nebenstrafe besteht nämlich eine Wechselwirkung: beide gemeinsam betrachtet dürfen die Tatschuld nicht überschreiten.

Hier ist aufgrund des beruflichen Hintergrunds des Angeklagten (Prüfer beim TÜV Rheinland) dieser zwingend auf eine Fahrerlaubnis für alle Klassen angewiesen, vgl. hierzu Anlage VIIIb zur StVZO, dort Nr. 3.3:

„Die Überwachungsorganisation darf ihr angehörende Personen mit der Durchführung der HU und SP betrauen, wenn diese (….) die Fahrerlaubnis für Kraftfahrzeuge sämtlicher Klassen, außer Klassen D und D1, besitzen und gegen sie kein Fahrverbot nach § 25 des Straßenverkehrsgesetzes oder § 44 des Strafgesetzbuchs besteht oder der Führerschein nach § 94 der Strafprozessordnung in Verwahrung genommen, sichergestellt oder beschlagnahmt ist (…).“

Der Unfall steht in keinerlei direktem Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit des Angeklagten, es handelte sich um eine reine Privatfahrt. Im Falle eines Fahrverbotes drohten ihm mithin erhebliche arbeitsrechtliche Konsequenzen (bis zur personenbedingten Kündigung), was, auch unter Berücksichtigung seiner eigenen Verletzungen, insgesamt eine unverhältnismäßig harte Strafe wäre. Daher wurde vom Fahrverbot abgesehen, die Anzahl der Tagessätze aber leicht erhöht.

Das Gericht hat sodann unter Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände auf eine insgesamt tat- und schuldangemessene Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 80,00 Euro erkannt.

VI.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 465 StPO.

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