VG Braunschweig – Az.: 6 A 161/17 – Urteil vom 26.06.2018
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Anordnung der Beklagten, für ein Fahrzeug ein Fahrtenbuch zu führen.
Er ist Halter eines Pkw mit dem (früheren) amtlichen Kennzeichen D.. Der Polizeibeamte EPHK E., Polizeistation Braunschweig-F., zeigte der zuständigen Bußgeldbehörde, dem Landkreis G., am 6. März 2018 an, mit dem Fahrzeug des Klägers sei am 4. März 2018 mehrfach gegen ein durch Verkehrszeichen angeordnetes Überholverbot verstoßen worden. In einem Vermerk vom 6. März 2017 legt der Beamte dazu im Einzelnen dar, dass er am 4. März 2017 mit seinem Pkw auf der L 295 aus H. kommend in Richtung I. unterwegs gewesen sei, als er gegen 14.30 Uhr von dem Pkw des Klägers im Überholverbot überholt worden sei. Bei einem Halt an einer Lichtzeichenanlage unmittelbar hinter dem Tatfahrzeug habe er erkennen können, dass es sich bei dem Fahrer um eine männliche Person gehandelt habe. Das Fahrzeug des Klägers habe nach Fortsetzung der Fahrt sodann auf der L 295 kurz vor dem Abzweig nach J. um 14.35 Uhr und danach gegen 14.37 Uhr zwei weitere Pkw überholt. Der Gegenverkehr sei bei allen Überholvorgängen nicht gefährdet worden.
In einem Telefongespräch vom 4. April 2017 teilte der Kläger der Bußgeldbehörde unter anderem mit, er müsse noch klären, ob er am Tattag gefahren sei; sein Fahrzeug werde auch von anderen Personen genutzt.
Unter dem 11. April 2017 versendete der Landkreis G. im Ordnungswidrigkeitenverfahren einen Anhörungsbogen an den Kläger mit dem Vorwurf, er habe mit seinem Fahrzeug am 4. März 2017 „tatmehrheitlich“ in drei Fällen das Überholverbot missachtet. Mit Schreiben vom 13. April 2017 teilte der Prozessbevollmächtigte des Klägers dem Landkreis mit, sein Mandant mache zunächst von seinem Schweigerecht Gebrauch. Nach gewährter Akteneinsicht, die mit dem Schreiben beantragt wurde, werde gegebenenfalls eine Erklärung abgegeben.
Die von der Ordnungsbehörde um Ermittlungen ersuchte Polizeistation K. teilte mit Bericht vom 11. Mai 2017 mit, der Kläger sei vorgeladen worden, jedoch nicht zum Termin erschienen. Stattdessen habe er telefonisch mitgeteilt, er lasse sich anwaltlich vertreten und werde bei der Polizei keine Aussagen machen. Weiter heißt es in dem Bericht, der Anzeigeerstatter, EPHK E., sei zum Sachverhalt befragt worden und habe erklärt, der Fahrer sei ca. 35 bis 40 Jahre alt gewesen und habe dunkle, bis über die Ohren reichende Haare gehabt; ein Wiedererkennen sei aber ausgeschlossen. Auch durch die Vernehmung von Zeugen, so der Bericht weiter, habe der Fahrer nicht ermittelt werden können. Wegen der weiteren Einzelheiten der Ermittlungen und der Ergebnisse wird auf den Bericht verwiesen (Bl. 24 f. Beiakte 001).
Unter dem 9. Juni 2017 teilte der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit, der Kläger bestreite, am 4. März 2017 zur Tatzeit mit seinem Pkw gefahren zu sein; sein Erscheinungsbild passe auch nicht zu den Angaben des Anzeigeerstatters. Daraufhin stellte der Landkreis das Ordnungswidrigkeitenverfahren mit der Begründung ein, dass der Fahrer nicht habe ermittelt werden können.
Nach Anhörung des Klägers gab die Beklagte diesem mit Bescheid vom 17. Juli 2017 auf, für das Tatfahrzeug oder ein Ersatzfahrzeug ein Fahrtenbuch für die Dauer von 30 Monaten zu führen. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, es habe nicht festgestellt werden können, wer die Verkehrsordnungswidrigkeiten begangen habe. Der Kläger habe keine Angaben gemacht, die die Ermittlung des Fahrzeugführers ermöglicht hätten. Alle zumutbaren Maßnahmen zur Ermittlung des Fahrers seien ergriffen worden. Bei der Entscheidung über die Dauer der Fahrtenbuchauflage habe sie berücksichtigt, dass ein Überholverbot dreifach missachtet worden sei und die in Tatmehrheit begangenen Verstöße zur Eintragung von drei Punkten in das Fahreignungsregister geführt hätten. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf den Bescheid verwiesen (Bl. 60a Beiakte 001).
Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 25. Juli 2017 Klage erhoben. Zur Begründung macht er im Wesentlichen Folgendes geltend: Die zuständige Bußgeldstelle habe nicht alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen, um den Fahrer festzustellen. Insbesondere sei nicht ersichtlich, dass das Bild des Klägers aus der Ermittlungsakte dem Anzeigeerstatter vorgelegt worden sei. Es wäre problemlos möglich gewesen, Familienangehörige oder Nachbarn zu befragen, ob er üblicherweise das Tatfahrzeug fahre. Er habe als Beschuldigter von seinem Recht auf Schweigen Gebrauch gemacht. Daraus dürften keine Nachteile für ihn entstehen. Wenn ihm das Führen eines Fahrtenbuchs auferlegt werde, werde die Verantwortlichkeit im Ergebnis vom Fahrer auf den Halter übertragen; für Ordnungswidrigkeiten gelte jedoch die Verantwortlichkeit des Halters. Das Fahrtenbuch diene der Gefahrenabwehr. Durch das Überholen im Überholverbot seien der Gegenverkehr bzw. andere Verkehrsteilnehmer aber nicht gefährdet worden. Es lägen „daher keine Gründe vor, die dazu führen, dass der Fahrer des … Fahrzeugs zukünftig die Gesundheit oder das Eigentum anderer Verkehrsteilnehmer gefährdet“. Jedenfalls sei die Anordnung für die Dauer von 30 Monaten unangemessen. Im konkreten Einzelfall seien die Taten in einer Zeitspanne von sieben Minuten auf einer Straße und im Rahmen einer Fahrt begangen worden. Der konkrete Fall sei damit nicht vergleichbar mit einem Fall, in dem eine Ordnungswidrigkeit oder Straftat begangen worden sei, die mit drei Punkten bewertet ist.
Der Kläger beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 17. Juli 2017 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie macht geltend, der Kläger habe nicht hinreichend an der Feststellung des Fahrzeugführers mitgewirkt. Auf sein Aussage- bzw. Zeugnisverweigerungsrecht könne er sich insoweit nach der Rechtsprechung nicht erfolgreich berufen. Im Übrigen vertritt die Beklagte die Auffassung, die Fahrtenbuchauflage für die Dauer von 30 Monaten sei angemessen. Ihre Sanktionsliste sei so zu verstehen, dass bei einem Verkehrsverstoß oder mehreren Verstößen, die insgesamt mit drei Punkten geahndet werden, ein Fahrtenbuch für die Dauer von 30 bis 33 Monaten verhängt werden könne, wobei der Einzelfall zu berücksichtigen sei. Hier sehe man nicht die Notwendigkeit, von diesen Werten abzuweichen, weil die Verkehrsverstöße schwerwiegend seien. Insgesamt lägen drei Tatentschlüsse vor, sodass es gerechtfertigt sei, die Fahrtenbuchanordnung für die Dauer von 30 Monaten, den unteren der in der Sanktionsliste genannten Werte, festzusetzen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte sowie den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der angegriffene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger damit nicht in seinen Rechten.
Rechtsgrundlage für die gegenüber dem Kläger als Halter des Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen D. verfügte Fahrtenbuchauflage ist die Regelung in § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO. Nach dieser Vorschrift kann die Verwaltungsbehörde einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere Fahrzeuge auferlegen, ein Fahrtenbuch zu führen, wenn die Feststellung des Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.
Mit dem Fahrzeug des Klägers ist am 4. März 2017 auf der L 295 unstreitig wiederholt gegen ein durch Verkehrszeichen angeordnetes Überholverbot verstoßen worden.
Die Feststellung der Person, die bei den Verkehrsverstößen das Fahrzeug gefahren hat, ist dem Landkreis G. als zuständiger Ordnungsbehörde nicht möglich gewesen. Nicht möglich im Sinne des § 31a StVZO ist die Fahrerfeststellung dann gewesen, wenn die Behörde nach den Umständen des Einzelfalles nicht in der Lage gewesen ist, den Täter zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat. Angemessen sind die Maßnahmen, die die Behörde in sachgerechtem und rationellem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen hat, die der Bedeutung des aufzuklärenden Verkehrsverstoßes gerecht werden und erfahrungsgemäß Erfolg haben können. Dabei können sich Art und Umfang der Ermittlungstätigkeit an der Erklärung des Fahrzeughalters ausrichten. Lehnt dieser erkennbar die Mitwirkung an einer Aufklärung des Verkehrsverstoßes ab, so ist es der Behörde regelmäßig nicht zuzumuten, wahllos zeitraubende und kaum Aussicht auf Erfolg bietende Ermittlungen zu betreiben (BVerwG, U. v. 17.12.1982 – 7 C 3/80 -, juris Rn. 7 = Buchholz 442.16 § 31a StVZO Nr. 12; B. v. 23.12.1996 – 11 B 84/96 -, juris Rn. 3; Nds. OVG, B. v. 04.12.2003 – 12 LA 442/03 -, juris Rn. 4 = DAR 2004, 607; B. v. 01.02.2013 – 12 LA 122/12 -, juris Rn. 7 = NZV 2013, 257). Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Landkreis G. als Bußgeldbehörde hier die angemessenen und zumutbaren Maßnahmen zur Ermittlung des Fahrzeugführers getroffen.
Der Kläger hat an der Feststellung, wer die Verkehrsverstoß mit seinem Fahrzeug als Fahrzeugführer begangen hat, nicht hinreichend mitgewirkt. An einer hinreichenden Mitwirkung des Fahrzeughalters fehlt es bereits dann, wenn er den Anhörungsbogen der Ordnungswidrigkeitenbehörde nicht zurücksendet oder keine weiteren Angaben zu dem Personenkreis macht, der das Tatfahrzeug benutzt (Nds. OVG, B. v. 04.12.2003, a.a.O.; B. v. 01.02.2013, a. a. O.; VG Braunschweig, B. v. 12.03.2012 – 6 B 40/12 -, juris Rn. 22; ständige Rechtsprechung). Der Halter kommt in einem solchen Fall seiner Pflicht, den Kreis der Fahrzeugnutzer zu bezeichnen, nicht nach. Die Bußgeldbehörde darf dann in aller Regel davon ausgehen, dass weitere Ermittlungen zeitaufwendig wären und kaum Aussicht auf Erfolg bieten würden, den Fahrer in der für Ordnungswidrigkeiten geltenden kurzen Verjährungsfrist zu ermitteln (vgl. auch Nds. OVG, B. v. 31.10.2006 – 12 LA 463/05 -, juris Rn. 4). Nach diesen Maßstäben ist der Kläger seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen, weil er im Bußgeldverfahren keine Angaben zu dem Personenkreis gemacht hat, der das Tatfahrzeug benutzt.
Dass der Kläger im Ordnungswidrigkeitenverfahren von seinem Recht zur Zeugnis- bzw. Aussageverweigerung Gebrauch gemacht hat, steht der Annahme einer unzureichenden Mitwirkung und der Anordnung zum Führen eines Fahrtenbuches nicht entgegen. Das Zeugnis- oder Aussageverweigerungsrecht berechtigt dazu, Angaben im Ordnungswidrigkeitenverfahren zu verweigern, die bestimmte andere Personen oder den Halter selbst belasten würden. Das Recht bezieht sich allein auf das Bußgeldverfahren; es schützt den Halter nach ständiger Rechtsprechung dagegen nicht vor einer Fahrtenbuchauflage: Ein doppeltes „Recht“ des Fahrzeughalters, nach einem Verkehrsverstoß einerseits im Ordnungswidrigkeitenverfahren Angaben zu verweigern und zugleich trotz fehlender Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrzeugführers auch von einer Fahrtenbuchauflage verschont zu bleiben, besteht nicht (vgl. BVerwG, B. v. 22.06.1995 – 11 B 7/95 -, DAR 1995, 459; B. v. 11.08.1999 – 3 B 96/99 -, NZV 2000, 385; VGH Baden-Württemberg, B. v. 10.08.2015 – 10 S 278/15 -, juris Rn. 12 f.; Dauer in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., § 31a StVZO Rn. 7 m.w.N.). Ein solches Recht widerspräche dem Zweck des § 31a StVZO, der der Abwehr von Gefahren für Leben, Gesundheit und Eigentum anderer Verkehrsteilnehmer dient. Dies ist auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, zumal dem Halter unbenommen bleibt, die ihm in einem Ordnungswidrigkeiten- oder Strafverfahren zustehenden Aussage- bzw. Zeugnisverweigerungsrechte in diesen Verfahren geltend zu machen (vgl. BVerfG, B. v. 07.12.1981 – 2 BvR 1172/81 -, NJW 1982, 568). Aus dem für sich genommen rechtmäßigen Handeln des Fahrzeughalters, der von seinem Schweigerecht im Bußgeldverfahren Gebrauch gemacht hat, darf im Verfahren der Fahrtenbuchanordnung daher in zulässiger Weise die Prognose abgeleitet werden, dass er sich auch bei künftigen Verstößen in dieser Weise verhalten wird und solche Verstöße daher ebenfalls ungeahndet bleiben werden. Auch die Verfassung verlangt von den Behörden nicht, die damit verbundenen Risiken hinzunehmen und von einer Fahrtenbuchauflage abzusehen.
Der Ordnungsbehörde werden im Fall einer unzureichenden Mitwirkung des Fahrzeughalters weitere Ermittlungsversuche, die über die Anhörung des Halters hinausgehen, grundsätzlich nicht zugemutet. An dieser Rechtslage ändert sich nichts, wenn die Behörde gleichwohl – wie hier – zusätzliche Ermittlungen zur Feststellung des Fahrzeugführers vorgenommen hat (vgl. Nds. OVG, B. v. 31.10.2006 – 12 LA 463/05 -, juris Rn. 4). Im Falle einer Mitwirkungsverweigerung sind weitere Ermittlungen der Ordnungsbehörden nur ausnahmsweise erforderlich, nämlich dann, wenn sich im Einzelfall besondere Anzeichen ergeben haben, die auf die Person des Fahrers hindeuten (vgl. Nds. OVG, B. v. 31.10.2006 – 12 LA 463/05 -, juris Rn. 4; VG Braunschweig, U. v. 15.02.2017 – 6 A 10/16 -, juris Rn. 23, ständige Rechtsprechung; zu Beispielen s. VG Oldenburg, B. v. 01.10.2008 – 7 B 2577/08 -, juris Rn. 23 f. u. VGH Baden-Württemberg, B. v. 29.01.2008 – 10 S 129/08 -, juris Rn. 4 = DAR 2008, 278). Solche besonderen Anzeichen haben sich hier jedoch nicht ergeben. Insbesondere hat der Anzeigeerstatter, der nach seinen plausiblen Angaben während eines Ampelhalts nur aus rückwärtiger Perspektive Sicht auf den Fahrer des vor ihm haltenden Tatfahrzeugs hatte, nachvollziehbar ausgeschlossen, den Fahrer zu erkennen. Der außerdem befragte Zeuge, der der Halter eines der nach den Angaben des Anzeigeerstatters vom Tatfahrzeug überholten Fahrzeuge ist, hat – plausibel – dargelegt, sich an den Vorfall nicht erinnern zu können.
Da es für die Ordnungsbehörde im konkreten Fall keine Anzeichen gegeben hat, die auf die Person des Fahrers hindeuteten, hätte sie auch nicht Familienangehörige oder andere Personen aus dem Umfeld des Klägers befragen müssen. Sofern es an Hinweisen auf die Person des Fahrers fehlt, braucht die Ermittlungsbehörde bei fehlender Mitwirkung des Halters nicht damit zu rechnen, dass Ermittlungen im Kreis der (engeren) Familie des Halters − der ohnehin das Recht zur Zeugnisverweigerung zusteht − zur namentlichen Feststellung des Fahrers führen. Sie darf in diesen Fällen davon ausgehen, dass weitere Ermittlungen zeitaufwendig wären und kaum Aussicht auf Erfolg böten, den Fahrer in der für Ordnungswidrigkeiten geltenden kurzen Verjährungsfrist zu ermitteln (vgl. BVerwG, B. v. 17.07.1986 – 7 B 234/85 -, Buchholz 442.16 § 31a StVZO Nr. 15 = NJW 1987, 143; Nds. OVG, B. v. 03.11.2008 – 12 LA 323/07 -). Durch die Berufung des Halters auf das Zeugnisverweigerungsrecht ergeben sich im Übrigen auch keine hinreichenden Anzeichen, die auf den Fahrer hindeuten (vgl. Nds. OVG, B. v. 16.10.2008 – 12 LA 323/07 -). Nach § 55 Abs. 1 StPO i.V.m. § 52 Abs. 1 StPO ist unter anderem zur Zeugnisverweigerung berechtigt, wer mit dem Beschuldigten in gerader Linie verwandt oder verschwägert, in der Seitenlinie bis zum dritten Grad verwandt oder bis zum zweiten Grad verschwägert ist oder war (§ 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO). Ohne nähere Eingrenzung weist diese Umschreibung auf ein für die Ermittlungsbehörde nicht überschaubares Familienumfeld des Halters hin.
Da sich keine besonderen Anzeichen ergeben haben, die auf die Person des Fahrers hindeuteten, brauchten die ermittelnden Behörden insbesondere auch nicht Befragungen in der Nachbarschaft des Klägers durchzuführen. Unabhängig davon ist zu berücksichtigen, dass derartige Ermittlungen insbesondere durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung beschränkt sind, das bei möglichen Rückschlüssen Dritter auf eine Verkehrsordnungswidrigkeit oder -straftat des Halters berührt sein kann (s. dazu Nds. OVG, B. v. 31.10.2006 – 12 LA 463/05 -, juris Rn. 4).
Schließlich brauchten die ermittelnden Behörden den als Zeugen der Verkehrsverstöße in Betracht kommenden Personen, insbesondere dem Anzeigeerstatter, auch kein Foto des Klägers vorzulegen. Auch dies wäre eine weitere Ermittlungsmaßnahme gewesen, die mangels besonderer, auf den Fahrer hinweisender Anzeichen für eine Fahrtenbuchanordnung nicht erforderlich war. Unabhängig davon durften die Behörden nach den Umständen des konkreten Falles davon ausgehen, dass die Vorlage eines Fotos keine hinreichend konkreten Hinweise zur Person des Fahrzeugführers liefern würde. Der Anzeigeerstatter hatte wegen seiner eingeschränkten Sicht auf den Fahrer nachvollziehbar ausgeschlossen, diesen zu erkennen. Der darüber hinaus angehörte Zeuge hatte plausibel dargelegt, sich an den Vorfall nicht erinnern zu können. Dabei mussten die Ermittlungsbehörden auch berücksichtigen, dass im Bußgeldverfahren der Grundsatz „in dubio pro reo“ (im Zweifel für den Angeklagten) entsprechend gilt (vgl. VG Braunschweig, U. v. 04.06.2008 – 6 A 281/07 -, juris Rn. 19 m. w. N.).
Der Kläger kann auch nicht erfolgreich einwenden, wenn ihm ein Fahrtenbuch auferlegt werde, werde die Verantwortlichkeit vom Fahrer auf den Halter übertragen. Richtig ist, dass durch die Fahrtenbuchauflage der Halter des Tatfahrzeugs in Verantwortung genommen wird. Mit der Anordnung soll sichergestellt werden, dass bei künftigen Verkehrsverstößen mit dem Fahrzeug die Feststellung des Fahrers ohne Schwierigkeiten möglich ist. Sie richtet sich an den Fahrzeughalter, weil dieser die Verfügungsbefugnis und die Möglichkeit der Kontrolle über sein Fahrzeug besitzt. Damit entspricht es aber uneingeschränkt dem Zweck des Gesetzes, durch eine Fahrtenbuchauflage Fahrzeughalter in die Verantwortung zu nehmen, die – wie der Kläger – bei Verkehrsverstößen mit dem auf sie zugelassenen Fahrzeug nicht hinreichend zur Fahrerfeststellung und damit zur Aufklärung der Taten beitragen.
Die Fahrtenbuchanordnung lässt auch keine Ermessensfehler erkennen (vgl. § 114 Satz 1 VwGO). Die Beklagte hat ihr Ermessen insbesondere in einer dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung entsprechenden Weise ausgeübt.
Die Missachtung des Überholverbots (Katalog der Verkehrszeichen Teil 3 Zeichen 276) rechtfertigt die Anordnung zur Führung eines Fahrverbots, ohne dass es darauf ankommt, ob eine unklare Verkehrslage bestanden hat oder andere Verkehrsteilnehmer konkret gefährdet worden sind (vgl. BVerwG, U. v. 17.05.1995 – 11 C 12/94 -, juris Rn. 10 = NJW 1995, 2866; Dauer, a.a.O., § 31a StVZO Rn. 20). Da es sich nach den im Sanktionensystem des Ordnungswidrigkeitenrechts und im Fahreignungs-Bewertungssystem zum Ausdruck gekommenen Wertungen um einen schwerwiegenden Verkehrsverstoß handelt, ist es mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar, bereits bei einmaliger oder erstmaliger Missachtung des Verbots eine Fahrtenbuchauflage zu verfügen (vgl. BVerwG, a.a.O.; Dauer, a.a.O., Rn. 18 f.).
Dass andere Verkehrsteilnehmer bei den festgestellten Verstößen gegen das Überholverbot nach den Ermittlungen im Ordnungswidrigkeitenverfahren nicht gefährdet worden sind, steht der Fahrtenbuchanordnung aus den dargelegten Gründen nicht entgegen. Die Fahrtenbuchanordnung entspricht – entgegen der Auffassung des Klägers – auch dem Gefahrenabwehrzweck der gesetzlichen Regelung (vgl. VG Braunschweig, B. v. 12.03.2012, a. a. O., Rn. 33). Der Gefahrenabwehr dient die Fahrtenbuchanordnung insoweit, als sie helfen soll zu gewährleisten, dass die Behörden den Fahrzeugführer in Zukunft (für die Dauer der Anordnung) anders als im Anlassfall im Hinblick auf die im Ordnungswidrigkeitenverfahren geltende kurze Verjährungsfrist rechtzeitig ermitteln können, wenn erneut mit einem Fahrzeug des Halters gegen Verkehrsvorschriften verstoßen wird. Eine Fahrtenbuchauflage ist daher schon dann erforderlich, wenn nach den Erfahrungen in dem Anlassfall nicht hinreichend sicher ausgeschlossen werden kann, dass der Fahrzeughalter in einer vergleichbaren Konstellation erneut nicht angeben wird oder nicht angeben kann, wer das Fahrzeug gefahren hat. So ist es hier. Im Übrigen ist auch nicht ersichtlich, weshalb künftig die Begehung von Verkehrsverstößen mit dem Fahrzeug des Klägers ausgeschlossen sein sollte. An das Vorliegen einer derartigen Gefahr sind keine übersteigerten Anforderungen zu stellen. Vielmehr genügt regelmäßig die bei jeder Kraftfahrzeugnutzung nicht auszuschließende Möglichkeit, dass der jeweilige Fahrer Verkehrsvorschriften zuwiderhandelt (vgl. BVerwG, B. v. 30.06.1989 – 7 B 90/89 -, juris Rn. 8 = NJW 1989, 2704). Letztlich ist es aber auch nicht von entscheidender Bedeutung, ob die Gefahr besteht, dass der Kläger als Fahrzeugführer gegen straßenverkehrsrechtliche Bestimmungen verstoßen wird. Die Anordnung, ein Fahrtenbuch zu führen, setzt als Maßnahme der vorbeugenden Gefahrenabwehr nicht die Besorgnis voraus, dass künftig gerade der Fahrzeughalter als Fahrer seines Kraftfahrzeugs Verkehrszuwiderhandlungen begehen könnte (BVerwG, B. v. 30.06.1989, a. a. O.). Die Fahrtenbuchanordnung soll nicht nur Verkehrszuwiderhandlungen durch den Fahrzeughalter vorbeugen, sondern hat eine umfassendere Aufgabe: Mit ihr soll sichergestellt werden, dass bei künftigen Verkehrsverstößen mit dem Fahrzeug die Feststellung des Fahrers ohne Schwierigkeiten möglich ist. Auch wenn von dem Fahrzeughalter selbst keine Verkehrszuwiderhandlungen zu befürchten wären, stünde dies der Fahrtenbuchanordnung nicht entgegen.
Auch im Hinblick auf die angeordnete Dauer der Fahrtenbuchauflage sind keine Ermessensfehler ersichtlich. Um die Fahrzeugbenutzung wirksam überwachen und den Fahrzeughalter künftig im Falle eines Verkehrsverstoßes zur Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrzeugführers anhalten zu können, ist es erforderlich, das Führen des Fahrtenbuchs für eine gewisse, nicht zu geringe Dauer anzuordnen. Bei der Bemessung der Frist ist insbesondere das Gewicht des festgestellten Verkehrsverstoßes zu berücksichtigen; daneben können weitere Gesichtspunkte – wie das Verhalten des Fahrzeughalters im Zusammenhang mit den Bemühungen der Bußgeldstelle zur Tataufklärung – in die zu treffende Ermessensentscheidung einfließen (vgl. Nds. OVG, U. v. 10.02.2011 – 12 LB 318/08 -, juris Rn. 21; VGH Baden-Württemberg, B. v. 28.05.2002 – 10 S 1408/01 -, DAR 2003, 90; VG Braunschweig, U. v. 16.08.2004 – 6 A 477/03 -, juris Rn. 27). Stellt die Behörde – wie die Beklagte – auf das Gewicht des Verkehrsverstoßes ab, so darf sie die Dauer der Fahrtenbuchauflage anhand dieses Kriteriums staffeln (BVerwG, U. v. 28.05.2015 – 3 C 13/14 -, juris Rn. 20 = BVerwGE 152, 180; Nds. OVG, a.a.O.). Vor diesem Hintergrund ist nicht zu beanstanden, wenn sich die Beklagte in ständiger Verwaltungspraxis bei der Beurteilung der Schwere des Verkehrsverstoßes an den in der Anlage 13 zur Fahrerlaubnis-Verordnung geregelten Punktzahlen und den damit zum Ausdruck gekommenen Wertungen orientiert. Darüber hinaus darf sie bei den mit gleicher Punktzahl belegten Geschwindigkeitsüberschreitungen nach der Höhe der drohenden Geldbuße sowie des gegebenenfalls drohenden Fahrverbots differenzieren, da nach der zum 1. Mai 2014 in Kraft getretenen Neuordnung des Punktsystems ein Punkt aktuell einem bis drei Punkten nach dem früheren System entspricht (so zur Verwaltungspraxis der Beklagten bereits VG Braunschweig, U. v. 16.02.2016 – 6 A 490/15 -, bestätigt durch Nds. OVG, B. v. 19.01.2017 – 12 LA 69/16 -; vgl. auch Dauer, a.a.O., Rn. 53, 55 m.w.N.). Auf dieser Grundlage hat die Beklagte hier ermessensfehlerfrei eine Fahrtenbuchauflage von 30 Monaten verfügt.
Soweit die Beklagte dabei davon ausgegangen ist, dass die mit dem Tatfahrzeug am Vorfallstag begangenen Verstöße gegen das Überholverbot mit drei Punkten nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem zu bewerten sind, weil sie tatmehrheitlich begangen wurden, beruht ihre Entscheidung nicht auf sachfremden Erwägungen. Ihre Auffassung ist rechtlich nicht zu beanstanden. Verstößt der Fahrzeugführer während einer Fahrt nacheinander wiederholt gegen Verkehrsvorschriften, so handelt es sich in der Regel um jeweils selbstständige Handlungen. Dies gilt auch dann, wenn die Verkehrsordnungswidrigkeiten gleichartig sind (vgl. OLG Saarbrücken, B. v. 06.05.2014 – Ss(B) 82/2012 u.a. -, juris Rn. 25 m.w.N.). Ausnahmsweise liegt in diesen Fällen nur dann eine einzige Tat vor, wenn die Verstöße in einem derart unmittelbaren zeitlich-räumlichen und inneren Zusammenhang stehen, dass sich der gesamte Vorgang bei natürlicher Betrachtungsweise auch für einen unbeteiligten Dritten als ein einheitliches Tun darstellt. Ein solcher Ausnahmefall ist allerdings nicht anzunehmen, wenn die Verkehrsverstöße zwar in einem engen zeitlichen Rahmen erfolgen, jedoch jeweils in unterschiedlichen Verkehrssituationen begangen wurden und unschwer voneinander abzugrenzen sind (zu allem: OLG Saarbrücken, a.a.O., m.w.N.). Danach ist die Beklagte hier zu Recht davon ausgegangen, dass die Verstöße gegen das Überholverbot nicht als eine einzige Tat zu werten sind, sondern drei Ordnungswidrigkeiten vorliegen. Zwar wurden die Verstöße in einem engen zeitlichen Rahmen von etwa sieben Minuten begangen. Jedoch lagen unterschiedliche Verkehrssituationen mit unterschiedlichen Beteiligten vor. Vor den beiden letzten Verstößen musste der Fahrer die Fahrt an einer Lichtzeichenanlage unterbrechen; die anschließend begangenen Verstöße fanden kurz vor dem Abzweig nach J. und danach statt. Insgesamt lassen sich die einzelnen Verkehrsverstöße damit unschwer voneinander abgrenzen. Sie begründen die Annahme einer tatmehrheitlichen Begehung selbst dann, wenn man zugunsten des Fahrers davon ausgehen würde, dass er die einzelnen Verstöße mit einem einheitlichen Motiv begangen hat (vgl. OLG Saarbrücken, a.a.O., Rn. 26 m.w.N.).
Dass die Beklagte auf der Grundlage einer von ihr zutreffend angenommenen tatmehrheitlichen Begehung eine Fahrtenbuchauflage von insgesamt 30 Monaten verfügt hat, ist auch nicht unangemessen und daher mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar. Maßgeblich dafür ist das Gewicht der festgestellten Verkehrsverstöße. Die Beklagte stellt dementsprechend in rechtlich nicht zu beanstandender Weise – wie dargelegt – bei der Bemessung der Fahrtenbuchauflage auf die Schwere des Verkehrsverstoßes ab und orientiert sich dazu an den in der Anlage 13 zur Fahrerlaubnis-Verordnung geregelten Punktzahlen und den nach dem Ordnungswidrigkeitenrecht drohenden Sanktionen. Bei jeder Missachtung des Überholverbotes liegt aber bereits eine schwerwiegende Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften vor (s. oben). Werden nacheinander – in engem zeitlichen Zusammenhang – mehrere Verkehrsordnungswidrigkeiten tatmehrheitlich begangen, so reduziert sich damit das Gewicht der einzelnen Zuwiderhandlungen nicht. Jeder Zuwiderhandlung gegen das Überholverbot liegt ein neuer Tatentschluss zugrunde, der es in einem solchen Fall rechtfertigt, für die Bemessung der Fahrtenbuchauflage die für die einzelnen Verstöße vorgesehenen Punktzahlen zu addieren (s. auch VG Mainz, B. v. 14.05.2012 – 3 L 298/12.MZ -, juris Rn. 14). Die wiederholte Begehung schwerwiegender Ordnungswidrigkeiten in einem engen zeitlichen Zusammenhang rechtfertigt es auch, die Fahrtenbuchauflage in Addition der anfallenden Punktzahlen so zu bemessen wie im Fall einer einzigen Verkehrszuwiderhandlung, die allein mit der durch die Zusammenrechnung entstehenden Gesamtpunktzahl – also hier mit drei Punkten – bewertet ist. Das besondere Gewicht von Verkehrsverstößen kann sich auch daraus ergeben, dass diese – wie hier – wiederholt in zeitlichem Zusammenhang begangen werden. Für die Verhältnismäßigkeit des hier angeordneten Geltungszeitraums der Fahrtenbuchauflage spricht neben dem dargelegten, bei dem Gewicht der vorliegenden Verkehrsverstöße erheblichen öffentlichen Interesse an der Feststellung des Täters bei weiteren Verkehrszuwiderhandlungen auch die Tatsache, dass der Kläger als Halter des Tatfahrzeugs keinen hinreichenden Beitrag zur Aufklärung des Verkehrsverstoßes geleistet hat. Die von der Fahrtenbuchauflage ausgehende Belastung für den Fahrzeughalter wiegt demgegenüber nicht schwer (vgl. VGH Baden-Württemberg, B. v. 10.08.2015 – 10 S 278/15 -, juris Rn. 14 sowie VG Braunschweig, U. v. 16.02.2016 – 6 A 490/15 -).
Die Beklagte hat sich auch an ihre Verwaltungspraxis bei der Bemessung von Fahrtenbuchauflagen gehalten und daher nicht gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz verstoßen. Sie hat in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar dargelegt, dass ihre schriftlichen Vorgaben zur Verwaltungspraxis bei Fahrtenbuchauflagen („Sanktionsliste“) so zu verstehen sind, dass das Fahrtenbuch nicht nur bei einem Verkehrsverstoß, der für sich allein mit drei Punkten nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem bewertet ist, sondern auch bei mehreren Verstößen, die insgesamt mit drei Punkten belegt sind, für die Dauer von 30 oder 33 Monaten angeordnet wird. Dabei werde der jeweilige Einzelfall berücksichtigt. Dass die Beklagte innerhalb dieses Entscheidungsrahmens hier für die Fahrtenbuchanordnung den kürzeren der nach ständiger Verwaltungspraxis in Betracht kommenden Zeiträume festgesetzt hat, verletzt den Kläger jedenfalls nicht in seinen Rechten.
Frei von Ermessensfehlern ist die Fahrtenbuchanordnung auch, soweit sie sich auf ein Ersatzfahrzeug für das Tatfahrzeug erstreckt. Die Anordnung eines Fahrtenbuchs für ein Ersatzfahrzeug, die ihre Rechtsgrundlage in § 31a Abs. 1 Satz 2 StVZO findet, ist mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in aller Regel vereinbar. Nur so kann angesichts der mitunter beträchtlichen Verfahrensdauer bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens sichergestellt werden, dass die Regelungen in § 31a StVZO nicht leerlaufen und der Halter sich nicht durch den Verkauf des von der Fahrtenbuchanordnung unmittelbar erfassten Fahrzeugs der bestehenden Verpflichtung entzieht. Anhaltspunkte, die für den vorliegenden Fall eine Ausnahme rechtfertigen würden, sind nicht ersichtlich.