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Fahrtenbuchauflage – wenn man den Fahrzeugführer nicht benennen kann

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof – Az.: 11 CS 17.2235 – Beschluss vom 23.08.2018

I. Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt. Insoweit ist der Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 10. Oktober 2017 wirkungslos.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen, soweit der Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt worden ist, sowie die Kosten des noch anhängigen Beschwerdeverfahrens.

III. Für die Zeit bis zum Eintritt der teilweisen Hauptsacheerledigung wird der Streitwert für beide Rechtszüge auf 2.400,- EUR und für die Zeit danach auf 662,50 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin wendet sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine für sofort vollziehbar erklärte Anordnung, ein Fahrtenbuch zu führen, und die hierzu ergangenen Nebenverfügungen.

Am 19. Oktober 2016 wurde mit einem auf die Antragstellerin zugelassenen Kraftfahrzeug die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften von 50 km/h um 31 km/h überschritten. Der verantwortliche Fahrzeugführer konnte nicht festgestellt werden, da das eine männliche Person zeigende Foto für eine Identifizierung qualitativ nicht ausreichte und die Antragstellerin und ihre beiden Söhne von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch bzw. keine Angaben zur Sache machten. Am 18. April 2017 wurde das Bußgeldverfahren wegen zwischenzeitlich eingetretener Verfolgungsverjährung eingestellt.

Nach Anhörung verpflichtete das Landratsamt Schwandorf die Antragstellerin unter Androhung eines Zwangsgelds von je 250,- EUR und der Anordnung der sofortigen Vollziehung mit Bescheid vom 11. Mai 2017, für die Dauer von zwölf Monaten ein Fahrtenbuch für das auf sie zugelassene Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen … und etwaige Ersatzfahrzeuge zu führen, und gab ihr auf, das Fahrtenbuch nach Ablauf dieser Zeit noch weitere sechs Monate aufzubewahren und den zuständigen Personen auf Verlangen zur Prüfung vorzulegen. Rechtsgrundlage sei § 31a StVZO. Es liege ein erheblicher Verkehrsverstoß vor, der mit einer Geldbuße (hier in Höhe von 160,- EUR) zu ahnden sei und eine Eintragung in das Fahreignungsregister nach sich ziehe. Nach der Rechtsprechung könne auch ein erstmaliger derartiger Verkehrsverstoß als wesentlich angesehen werden und zur Anordnung einer Fahrtenbuchauflage führen. Diese Verpflichtung beruhe darauf, dass den Fahrzeughalter keine Mitwirkungspflicht bei der Ermittlung des Fahrers treffe, die Verwaltungsbehörde aber die erforderlichen Maßnahmen ergreifen müsse, um die zweifelsfreie Feststellung des Fahrzeugführers künftig zu ermöglichen.

Gegen den Bescheid hat die Antragstellerin Klage erhoben, über die das Verwaltungsgericht Regensburg (RO 5 K 17.909) noch nicht entschieden hat, und gleichzeitig Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gestellt. Diesen hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 10. Oktober 2017 mit der Begründung abgelehnt, die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 31a StVZO seien erfüllt. Nach gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung sei die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage bereits dann angemessen, wenn der Verstoß mit wenigstens einem Punkt bewertet sei. Dies gelte auch im Falle eines einmaligen Verkehrsverstoßes. Der streitgegenständliche Verstoß führe zur Eintragung von zwei Punkten in das Fahreignungsregister. Die Feststellung des Fahrzeugführers sei innerhalb der Verjährungsfrist trotz ausreichender, sachgemäßer Ermittlungen nicht möglich gewesen. Die Anordnung sei im Hinblick auf das Gewicht der Verkehrszuwiderhandlung verhältnismäßig und ermessensgerecht. Eine Wiederholung eines vergleichbaren Vorfalls sei nicht ausgeschlossen.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde, der der Antragsgegner entgegentritt. Die Antragstellerin beantragt, den Gerichtsbeschluss aufzuheben und ihrem Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO stattzugeben. Unter Berücksichtigung des pflichtgemäßen Ermessens und unter Beachtung der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit habe keine Notwendigkeit bestanden, die Führung eines Fahrtenbuchs anzuordnen. Die Antragstellerin sei bisher in keinster Weise negativ in Erscheinung getreten. Sie habe lediglich von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Es seien weitere Erhebungen der das Bußgeldverfahren durchführenden Behörde möglich gewesen. Es sei nicht wahrscheinlich, dass die Antragstellerin ihr Fahrzeug einem nicht erfassbaren Personenkreis zur Verfügung stelle und eine erfolgreiche Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten verhindere. Die schlechte Qualität des Lichtbilds könne nicht der Antragstellerin angelastet werden.

Mit Schreiben vom 14. August 2018 erklärte die Antragstellerin das Verfahren hinsichtlich der Nummern 1 und 2 des angefochtenen Bescheids für erledigt. Der Antragsgegner stimmte der Erledigungserklärung am 22. August 2018 zu.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

II.

Soweit die Beteiligten das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist dieses beendet und in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen. Über die Kosten des Verfahrens entscheidet der Senat (vgl. Ortloff/Riese in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juni 2017, § 87a Rn. 32 zur Teileinstellung) gemäß § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands, d.h. der Sach- und Rechtslage unmittelbar vor Eintritt des erledigenden Ereignisses (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 161 Rn. 16 f.; Neumann in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 161 Rn. 75 ff., 83 m.w.N.). In der Regel entspricht es billigem Ermessen, gemäß dem Grundsatz des § 154 Abs. 1 VwGO dem Beteiligten die Verfahrenskosten aufzuerlegen, der ohne die Erledigung in dem Rechtsstreit voraussichtlich unterlegen wäre (BVerwG, B.v. 24.6.2008 – 3 C 5.07 – juris Rn. 2). Dabei befreit der in § 161 Abs. 2 VwGO zum Ausdruck kommende Grundsatz der Prozesswirtschaftlichkeit das Gericht jedoch davon, anhand eingehender Erwägungen abschließend über den Streitstoff zu entscheiden (BVerwG, a.a.O.), Beweise zu erheben oder schwierige Rechtsfragen zu klären (Kopp/Schenke, a.a.O. Rn. 15; Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 161 Rn. 15 m.w.N.; vgl. BayVGH, B.v. 16.11.2010 – 20 BV 10.2130 – juris Rn. u. B.v. 11.11.2016 – 15 B 16.1239 – juris Rn. 2).

Nach diesen Maßgaben entspricht es billigem Ermessen, die Kosten der Antragstellerin aufzuerlegen, da sie aus den im erstinstanzlichen Beschluss ausführlich dargelegten Gründen im Beschwerdeverfahren voraussichtlich unterlegen wäre. Das Verwaltungsgericht ist auf die mit der Beschwerde erneut vorgebrachten Einwände bereits ausführlich eingegangen. Die Anordnung gemäß § 31a StVZO ist auf eine innerhalb der Verjährungsfrist nicht mögliche Fahrerermittlung nach der Verkehrszuwiderhandlung vom 19. Oktober 2016 hin erfolgt und war gemessen an der aktuellen obergerichtlichen Rechtsprechung insbesondere verhältnismäßig und ermessensgerecht (vgl. insbesondere BVerwG, U.v. 28.5.2015 – 3 C 13.14 – BVerwGE 152, 180 = juris Rn. 20 ff.; OVG NW, B.v. 26.3.2018 – 8 B 233/18 – juris Rn. 8 ff.; Dauer in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl. 2017, § 31a StVZO Rn. 41 zum Zeugnisverweigerungsrecht m.w.N. aus der Rspr). Mit den Gründen des gerichtlichen Beschlusses setzt sich die Beschwerde nicht auseinander. Es wird insbesondere nicht dargelegt, welche weiteren Ermittlungsmaßnahmen erfolgversprechend und der Bußgeldbehörde vom Aufwand her zumutbar gewesen wären. Soweit nunmehr noch ins Feld geführt wird, dass die schlechte Qualität des Fotos nicht der Antragstellerin anzulasten und diese bisher nicht negativ in Erscheinung getreten sei, gehen auch diese Einwände fehl (vgl. OVG NW, B.v. 26.3.2018 a.a.O. Rn. 8; SächsOVG, B.v. 22.5.2017 – 3 A 468/16 – juris Rn. 8). Die Ermittlungen nach dem verantwortlichen Fahrzeugführer sind vorliegend daran gescheitert, dass die Antragstellerin sich auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen hat und nicht daran, dass sie selbst nicht in der Lage gewesen wäre, anhand des Fotos den aus einem überschaubaren Personenkreis stammenden Fahrzeugführer zu identifizieren und zu benennen (vgl. OVG Saarlouis, B.v. 17.11.2009 – 1 B 466/09 – juris Rn. 21); zumal sie als Fahrzeughalterin die Obliegenheit trifft, Namen und Anschrift des Fahrers, dem sie ihr Fahrzeug überlässt, vor Überlassung zu erfragen und ggf. zu notieren (vgl. Siegmund in Freymann/Wellner, jurisPK Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 31a StVZO Rn. 37 m.w.N.). Ein Fahrzeughalter, der die Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs dadurch gefährdet, dass er unter Vernachlässigung seiner Aufsichtsmöglichkeiten nicht dartun kann oder will, wer im Zusammenhang mit einer Verkehrszuwiderhandlung zu einem bestimmten Zeitpunkt sein Fahrzeug gefahren hat, darf durch das Führen eines Fahrtenbuches zu einer nachprüfbaren Überwachung der Fahrzeugbenutzung angehalten werden (BVerwG, B.v. 23.6.1989 – 7 B 90.89 – NJW 1989, 2704 = juris Rn. 8; BayVGH, U.v. 18.2.2016 – 11 BV 15.1164 – juris Rn. 17). Die Anordnung gemäß § 31a StVZO bezweckt nicht, die Verfolgung einer von einem (unbescholtenen) Fahrzeughalter begangenen Verkehrsordnungswidrigkeit zu ermöglichen, sondern sicherzustellen, dass mit dem auf ihn zugelassenen Fahrzeug begangene Verkehrsverstöße aller in Betracht kommenden Fahrzeugführer zukünftig geahndet werden können, wenn der Fahrzeughalter bei der Feststellung von deren Identität nicht mitwirkt. Die Anordnung richtet sich an ihn, weil er die Verfügungsbefugnis und die Möglichkeit der Kontrolle über sein Fahrzeug besitzt (BVerwG, a.a.O.).

Soweit die Beteiligten das Verfahren nicht für erledigt erklärt haben, hat die Beschwerde keinen Erfolg. Die Zwangsgeldandrohung betreffend ist sie wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, da eine Vollstreckung der durch Zeitablauf erledigten Verpflichtungen nicht mehr in Betracht kommt. Die zeitlich noch nicht erledigte Aufbewahrungs- und Vorweisungspflicht (vgl. dazu BayVGH, B.v. 9.12.2013 – 11 ZB 13.1478 – juris Rn. 14) betreffend ist sie unbegründet, da sich diese Nebenverpflichtungen unmittelbar aus § 31a Abs. 3 StVZO ergeben und im Übrigen das rechtliche Schicksal der – wie dargelegt – rechtmäßigen Fahrtenbuchauflage teilen.

Die Beschwerde war daher, soweit sie nicht für erledigt erklärt worden ist, mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1, 2 GKG und den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1, Nr. 1.7.2, 46.11 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der am 31. Mai/1. Juni 2012 und am 18. Juli 2013 beschlossenen Änderungen. Bis zum Eintritt der Hauptsacheerledigung am 22. August 2018 haben sich die Nebenverfügungen und die Zwangsgeldandrohung nach Nr. 1.7.2 und Nr. 46.11 des Streitwertkatalogs nicht streitwerterhöhend ausgewirkt. Für die danach noch anhängige Aufbewahrungs- und Vorweisungspflicht erscheint ein Streitwert von einem Viertel des sich nach Nr. 46.11, 1.5 Satz 1 anzusetzenden Werts angemessen (600,- EUR). Die seither isolierte Zwangsgeldandrohung ist nach Nr. 1.7.1 Satz 1 und 3 des Streitwertkatalogs mit der Hälfte des festgesetzten Zwangsgelds anzusetzen, nach nochmaliger Halbierung gemäß Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs also mit 62,50 EUR.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 93 Abs. 3 Satz 2 VwGO analog, § 152 Abs. 1, § 158 Abs. 2 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

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