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Fahrtenbuchauflage – Verkehrsordnungswidrigkeit beim Überholen

Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen – Az.: 8 B 433/22 – Beschluss vom 03.06.2022

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln vom 11. März 2022 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.400,- Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde des Antragstellers, die sich gegen die in der Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 5. Januar 2022 verfügte Fahrtenbuchauflage und Zwangsgeldandrohung richtet, hat keinen Erfolg. Das Beschwerdevorbringen, auf dessen Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, stellt den angegriffenen Beschluss nicht in Frage.

Das Verwaltungsgericht ist im Rahmen seiner Interessenabwägung nach § 80 Abs. 5 VwGO zu Recht davon ausgegangen, dass sich die dem Antragsteller auferlegte Führung eines Fahrtenbuchs für die Dauer von 12 Monaten bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung als rechtmäßig erweist.

Die angeordnete Fahrtenbuchauflage findet ihre Rechtsgrundlage in § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO. Danach kann die nach Landesrecht zuständige Behörde gegenüber einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihn zugelassene oder künftig zuzulassende Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuchs anordnen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war.

1. Die Beschwerde richtet sich in erster Linie gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass – wie vom Antragsgegner der Fahrtenbuchanordnung zugrunde gelegt – am Abend des 11. Juli 2021 gegen 22.36 Uhr in X.           auf der H.             Straße in Fahrtrichtung P.   mit dem auf den Antragsteller zugelassenen Fahrzeug eine Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften begangen worden ist, indem ein anderes Fahrzeug überholt wurde, obwohl der Fahrzeugführer entgegen § 5 Abs. 2 StVO nicht übersehen konnte, dass während des gesamten Überholvorgangs jede Behinderung des Gegenverkehrs ausgeschlossen war.

Der anwaltlich vertretene Antragsteller hat sich im Bußgeldverfahren auf sein Zeugnisverweigerungsrecht berufen. Substantiierte Angaben dazu, ob der angezeigte Überholvorgang überhaupt stattgefunden hat sowie ggf. dazu, wo und wie er sich zugetragen haben soll, hat er nicht gemacht. Auch nach Einstellung des Bußgeldverfahrens am 14. Oktober 2021 und im vorliegenden Verfahren hat er insbesondere keine Angaben dazu gemacht, wer sein Fahrzeug an dem betreffenden Abend geführt hat und ob der Fahrer überhaupt auf der H.              Straße gefahren ist. Er beschränkt sich vielmehr darauf, die Plausibilität der Schilderung des Anzeigeerstatters in Frage zu stellen. Das diesbezügliche Vorbringen ist indessen nicht geeignet, die Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses in Frage zu stellen.

Zwar muss die Behörde, die die Auferlegung eines Fahrtenbuchs prüft, ebenso wie das Verwaltungsgericht selbstständig prüfen, ob ein Verkehrsverstoß im Sinne von § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO in tatsächlicher Hinsicht feststeht. Dabei genügt aber – anders als im Strafprozess -, dass sich die Überzeugung mit hinreichender Sicherheit ergibt. Bestreitet der Halter eines Fahrzeuges, der ein Fahrtenbuch führen soll, den begangenen Verkehrsverstoß als solchen, so muss er nach Einstellung des Ordnungswidrigkeitenverfahrens im Verwaltungs- oder verwaltungsgerichtlichen Verfahren substantiierte Angaben machen, die seine Schilderung plausibel erscheinen lassen.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 31. Januar 2018 – 8 A 3024/17 -, juris Rn. 10 ff., mit zahlr. w. N.

Soweit sich der Antragsteller darauf beruft, dass das Zeugnisverweigerungsrecht mit den vorgenannten Anforderungen an die Mitwirkung des Fahrzeughalters an der Sachverhaltsaufklärung „aufgeweicht“ werde, genügt sein Vorbringen nicht dem Darlegungserfordernis gemäß § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO. Wie das Verwaltungsgericht unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts und zudem der Obergerichte, nicht zuletzt des beschließenden Senats, zutreffend ausgeführt hat, besteht kein „doppeltes Recht“, nach einem Verkehrsverstoß im Ordnungswidrigkeitenverfahren das Zeugnis bzw. die Aussage zu verweigern und zugleich trotz fehlender Mitwirkung bei der Ermittlung des Fahrzeugführers von einer Fahrtenbuchauflage verschont zu bleiben. Damit setzt sich die Beschwerdebegründung nicht auseinander.

Dies vorausgeschickt konnte das Verwaltungsgericht in Ermangelung einer substantiierten abweichenden Schilderung des Antragstellers lediglich die Plausibilität der Sachverhaltsschilderung des Anzeigeerstatters prüfen. Diese hat es mit eingehender Begründung bejaht. Die hiergegen im Beschwerdeverfahren erhobenen Rügen bleiben ohne Erfolg.

a) Zunächst begründet die Beschwerde keine Zweifel daran, dass das Fahrzeug des Antragstellers am 11. Juli 2021 auf der H.              Straße in Fahrtrichtung P.    das Fahrzeug des Anzeigeerstatters überholt hat. Dieser hat nicht nur das Kfz-Kennzeichen, sondern auch die Farbe und das Fahrzeugmodell zutreffend bezeichnet, so dass eine Verwechselung fernliegt. Ohne Erfolg bleibt der Einwand des Antragstellers, es sei nicht nachvollziehbar, wie der Zeuge die Details trotz der schlechten Sichtverhältnisse – es sei gut eine Stunde nach Sonnenuntergang gewesen – und obwohl sich der Geschehensablauf äußerst schnell abgespielt haben müsse, habe erkennen können. In Ermangelung gegenteiliger Anhaltspunkte und vor allem in Ermangelung eines diesbezüglichen Vortrags des Antragstellers ist davon auszugehen, dass beide Fahrzeuge über eine ordnungsgemäße Beleuchtung verfügten. Daher muss das Scheinwerferlicht (vgl. § 50 StVZO) des überholten Fahrzeugs auf das überholende Fahrzeug gefallen sein, sobald dieses an dem langsameren Fahrzeug vorbeigefahren war. Zudem muss das Fahrzeug des Antragstellers mit der nach § 10 Abs. 6 Satz 2 FZV vorgeschriebenen Kennzeichenbeleuchtung ausgestattet gewesen sein. Nicht zielführend ist auch der Einwand, dass der Geschehensablauf sich „äußerst schnell“ zugetragen haben müsse. Ausgehend von den unwidersprochen gebliebenen Angaben des Anzeigeerstatters, er sei selbst „knapp 100 km/h, also fast Maximalgeschwindigkeit“ gefahren, kann sich der Überholvorgang kaum – selbst wenn er, insoweit „zugunsten“ des Antragstellers unterstellt, mit weit überhöhter Geschwindigkeit stattgefunden haben sollte, nicht so schnell abgespielt haben, dass ein Ablesen des Kennzeichens und Erkennen des Fahrzeugmodells (silberner Audi A 6 Kombi) nicht möglich gewesen wäre. Der weitere Einwand, es spreche gegen die Plausibilität der Schilderung des Anzeigeerstatters, dass dieser mit seiner Ehefrau und dem gemeinsamen Kind, einem Kleinkind, unterwegs gewesen sei, liegt neben der Sache. Daraus folgt nicht, dass sich der Fahrer nicht auf den Straßenverkehr und den Überholvorgang hätte konzentrieren können. Er hat diesen Umstand in der Anzeige lediglich deshalb erwähnt, weil die Sorge (auch) um die Sicherheit des eigenen Kindes eine Motivation dafür war, den unvorsichtigen Fahrer anzuzeigen.

b) Auch das weitere Vorbringen, die Anzeige sei mit den tatsächlichen Gegebenheiten nicht in Einklang zu bringen, weil die Straße an der angegebenen Stelle „weit und breit“ keine Kurve, erst recht keine unübersichtliche, und auch keinen Rechtsknick erkennen lasse, stellt den angefochtenen Beschluss nicht in Frage. Dieser Einwand trägt den Anforderungen des § 5 Abs. 2 StVO nicht hinreichend Rechnung.

Nach dieser Vorschrift muss die gesamte Überholstrecke bereits bei Beginn zu überblicken sein, damit der Überholende sicherstellen kann, dass der gesamte Überholweg hindernisfrei zur Verfügung steht. Eine Behinderung des Gegenverkehrs muss ausgeschlossen sein. Es genügt die abstrakte Gefahr. Überblicken kann der Fahrer des überholenden Fahrzeugs die gesamte Überholstrecke nur dann, wenn er den Abschnitt der Gegenfahrbahn einsehen kann, der zumindest so lang ist wie die für den Überholvorgang benötigte Strecke einschließlich der Strecke, die für das Wiedereingliedern mit ausreichendem Abstand benötigt wird, zuzüglich des Weges, den ein entgegenkommendes, mit zulässiger Höchstgeschwindigkeit fahrendes Fahrzeug während des Überholens zurücklegt.

Vgl. Helle, in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., Stand: 19. Januar 2022, § 5 StVO Rn. 30 f.; König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. 2021, § 5 StVO Rn. 25, jeweils m. w. N.

Aus dem Umstand, dass das Überholen eines Fahrzeugs, das bereits mit etwa 100 km/h unterwegs ist, nicht nur einen äußerst kurzen Moment dauert, folgt zugleich, dass der Tatbestand des § 5 Abs. 2 StVO nicht erst dann erfüllt ist, wenn der Straßenverlauf durch eine scharfe Kurve oder einen scharfen Knick gekennzeichnet ist. Der Fahrzeugführer kann bereits dann nicht übersehen, dass während des gesamten Überholvorgangs jede Behinderung des Gegenverkehrs, der ebenfalls mit Höchstgeschwindigkeit herannahen könnte, ausgeschlossen war, wenn die Straße nur leicht nach rechts verschwenkt. Das trifft auf die H.              Straße bereits nach Google Maps, worauf sich der Antragsteller im Verwaltungsverfahren selbst berufen hat, und im Übrigen auch nach TIM-Online, im weiteren Straßenverlauf recht bald (ca. 130 m) hinter der Haus Nr. 13 zu, was das Verwaltungsgericht ersichtlich mit dem in dem Beschluss erwähnten Rechtsknick gemeint hat. Es kann mithin keine Rede davon sein, dass der vom Anzeigeerstatter geschilderte Sachverhalt unplausibel ist. Diese Distanz reichte für ein gefahrloses Überholen ersichtlich nicht aus.

Zur Berechnung der Länge des Überholweges vgl. Geigel, Der Haftpflichtprozess, 28. Aufl. 2020, Kap. 27 § 5 Rn. 159 f.

c) Soweit die Beschwerdebegründung in diesem Zusammenhang im Übrigen pauschal auf das vorgerichtliche und erstinstanzliche Vorbringen Bezug nimmt, genügt dies nicht dem Darlegungserfordernis gemäß § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO.

Fahrtenbuchauflage - Verkehrsordnungswidrigkeit beim Überholen
(Symbolfoto: SadcoBush/Shutterstock.com)

2. Die Fahrtenbuchanordnung ist mit Blick auf die Schwere des Verkehrsverstoßes auch nicht unverhältnismäßig. Der Hinweis in der Beschwerdebegründung, dass es sich nur um eine Ordnungswidrigkeit, nicht um eine Straftat gehandelt habe und niemand zu Schaden gekommen sein, ist unbehelflich. § 31a StVZO setzt einen Verstoß gegen Verkehrsvorschriften voraus. Dazu zählen auch bußgeldbewehrte Vorschriften des Straßenverkehrsrechts; diese dienen in erster Linie der Verhinderung von Schäden. Das trifft insbesondere auf § 5 Abs. 2 StVO zu. Der Tatbestand dieser Vorschrift setzt lediglich eine abstrakte Gefahr voraus.

Vgl. Helle, in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., Stand: 19. Januar 2022, § 5 StVO Rn. 30.

3. Hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung sind Beschwerdegründe nicht den Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO entsprechend dargelegt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG. Dabei legt der Senat für jeden Monat der auf zwölf Monate befristeten Geltungsdauer der Fahrtenbuchauflage einen Betrag in Höhe von 400,- Euro zugrunde (Nr. 46.11 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013) und setzt im Hinblick auf die Vorläufigkeit dieses Verfahrens den Streitwert auf die Hälfte des sich daraus ergebenden Betrages fest (vgl. Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs). Die unselbständige Zwangsgeldandrohung bleibt außer Ansatz (vgl. Nr. 1.7.2. des Streitwertkatalogs).

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

 

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