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Fahrtenbuchanordnung nachträglicher Verlust der Haltereigenschaft für das Tatfahrzeug

Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg – Az.: OVG 1 B 8/20 – Beschluss vom 22.03.2021

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 17. Dezember 2019 teilweise geändert:

Die Klage wird auch im Übrigen und damit insgesamt abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird für beide Rechtsstufen auf 4.800 Euro festgesetzt.

Gründe

I. Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Anordnung zum Führen eines Fahrtenbuchs (Fahrtenbuchauflage).

Mit Bescheid vom 5. Oktober 2018 ordnete das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten gegenüber dem Kläger gemäß § 31a Abs. 1 Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) an, für das Fahrzeug mit dem Kennzeichen B-BC 8600 oder ein zu bestimmendes Ersatzfahrzeug für die Dauer eines Jahres ab Unanfechtbarkeit des Bescheids ein Fahrtenbuch zu führen. Den Widerspruch des Klägers wies die Behörde mit Widerspruchsbescheid vom 19. Dezember 2019 zurück.

Auf die hiergegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht die angefochtenen Bescheide mit Urteil vom 17. Dezember 2019 „unter Abweisung der Klage im Übrigen … insoweit aufgehoben, als darin gegenüber dem Kläger das Führen eines Fahrtenbuchs für den Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen B-BC 8600 angeordnet wird“. Zur Begründung dieser Teilaufhebung hat das Gericht ausgeführt, dass die ursprünglich in jeder Hinsicht rechtmäßige Fahrtenbuchanordnung nachträglich teilweise rechtswidrig geworden sei, weil der Kläger nicht mehr der Halter des Tatfahrzeugs sei. Eine Fahrtenbuchauflage richte sich regelmäßig an den Halter des Tatfahrzeugs, weil dieser die Verfügungsbefugnis und die Möglichkeit der Kontrolle über das Fahrzeug besitze. Verlöre er diese Möglichkeit, sei in der Regel davon auszugehen, dass er in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nicht mehr in der Lage sei, der Fahrtenbuchanordnung in Bezug auf das Tatfahrzeug nachzukommen. Etwas subjektiv oder objektiv Unmögliches dürfe von dem Adressaten einer Anordnung nicht verlangt werden. Dies gelte unbeschadet des Umstands, dass im Anfechtungsfall regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung abzustellen sei, denn dieser Grundsatz finde auf Verwaltungsakte mit Dauerwirkung, die während ihrer Geltungsdauer bei einer nachträglichen Änderung der Sach- oder Rechtslage rechtswidrig werden könnten und daher von der Behörde entsprechend unter Kontrolle gehalten werden müssten, keine Anwendung. Zu diesen Verwaltungsakten gehöre auch die Fahrtenbuchanordnung. Dies gelte insbesondere deshalb, weil das Fahrtenbuch regelmäßig erst ab einem nicht von vornherein feststehenden Zeitpunkt, nämlich erst ab Unanfechtbarkeit des Bescheids, geführt werden müsse. Da das Befolgen der Anordnung etwa durch das Einlegen von Rechtsmitteln erheblich verzögert werden könne, sei das zwischenzeitliche Eintreten relevanter Änderungen der Sach- oder Rechtslage keineswegs fernliegend und müsse von der Behörde berücksichtigt werden.

Hiergegen hat der Beklagte einen Antrag auf Zulassung der Berufung – OVG 1 N 27/20 – gestellt, die der Senat mit Beschluss vom 2. September 2020 zugelassen hat. Zur Begründung seiner Berufung macht der Beklagte im Wesentlichen geltend: Das Urteil sei teilweise aufzuheben. Das Verwaltungsgericht hätte die Klage vollumfänglich abweisen müssen. Die Anordnung zum Führen eines Fahrtenbuchs sei nicht unmöglich geworden und habe sich mit der Veräußerung des Fahrzeugs (B-BC 8600) nicht erledigt. Durch die gesetzliche Möglichkeit in § 31a Abs. 1 Satz 2 StVZO, ein oder mehrere Ersatzfahrzeuge zu bestimmen, solle verhindert werden, dass der Fahrzeughalter versuche, sich seiner Verpflichtung zur Führung eines Fahrtenbuchs durch Veräußerung des Fahrzeugs zu entziehen. Die Fahrtenbuchanordnung diene der Abwehr von Gefahren im Straßenverkehr. Dabei werde nicht der Umgang mit einem bestimmten Fahrzeug überwacht, sondern die Aufsichtspflicht des Halters über die von ihm im Straßenverkehr bewegten Fahrzeuge. Daher stehe die Veräußerung des in der Fahrtenbuchanordnung bezeichneten Tatfahrzeugs der Rechtmäßigkeit der Anordnung nicht entgegen.

Der Beklagte beantragt schriftsätzlich, das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 17. Dezember 2019 teilweise aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger hat keinen Antrag gestellt und sich zur Sache nicht geäußert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte (1 Band) und des Verwaltungsvorgangs (1 Hefter) verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Beratung und Entscheidung gewesen sind.

II. Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet. Der Senat kann gemäß § 130a VwGO durch Beschluss entscheiden, weil er das zulässige Rechtsmittel einstimmig für begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind dazu gehört worden.

Das Verwaltungsgericht hat die angefochtenen Bescheide zu Unrecht teilweise aufgehoben, „als sich die dortige Anordnung konkret auf das Tatfahrzeug bezieht“. Vielmehr hätte das Gericht die Klage vollumfänglich abweisen müssen; denn die Anordnung ist auch insoweit rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Die Fahrtenbuchanordnung nach § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO ist eine Maßnahme zur Abwehr von Gefahren für die Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs. Mit ihr soll in Ergänzung der Kennzeichnungspflicht für ein im öffentlichen Verkehr geführtes Fahrzeug dafür Sorge getragen werden, dass anders als in dem Fall, der auch hier Anlass zur Auferlegung eines Fahrtenbuches gegeben hatte, die Feststellung des für einen Verkehrsverstoß verantwortlichen Fahrzeugführers künftig ohne Schwierigkeiten möglich wird. Regelmäßig wird sich die Fahrtenbuchanordnung auf das Tatfahrzeug beziehen, mit welchem der Verstoß gegen Verkehrsvorschriften begangen wurde. Die in § 31a Abs. 1 Satz 2 StVZO vorgesehene Bestimmung weiterer Fahrzeuge des Halters, die sich der Beklagte auch ausdrücklich vorbehalten hatte, dient demselben Zweck, so dass die Fahrtenbuchanordnung sich sodann auf ein Nachfolge- bzw. Ersatzfahrzeug bezieht. Durch die Regelung des § 31a Abs. 1 StVZO soll nicht der Umgang mit einem bestimmten Fahrzeug, sondern die Beachtung der einem Kraftfahrzeughalter obliegenden Aufsichtspflicht über die von ihm in Verkehr gebrachten Fahrzeuge sichergestellt werden. Die Gefährdung der Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs, welcher mit der Fahrtenbuchanordnung begegnet werden soll, hängt nicht von dem nachträglichen Verlust der Haltereigenschaft für das Tatfahrzeug ab (vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. Februar 1989 – 7 B 18.89 – juris Rn. 4 ff. m.w.N.; OVG Berlin, Beschluss vom 13. März 2003 – 8 S 330.02 – juris Rn. 3 f., NJW 2003, 2402 f.; zum Begriff des Ersatzfahrzeugs siehe auch OVG Bautzen, Beschluss vom 5. September 2017 – 3 A 749/16 – juris). Deshalb verliert die Fahrtenbuchanordnung ihren Regelungsgehalt nicht dadurch und wird auch nicht (teilweise) rechtswidrig, dass der Adressat der Anordnung nicht mehr Halter des Tatfahrzeugs ist.

Mit der Bestimmung eines oder mehrerer Ersatzfahrzeuge wird der gegenständliche Bezug zu dem in der Fahrtenbuchanordnung konkret bezeichneten Fahrzeug durch die Bestimmung eines Ersatzfahrzeugs ersetzt; hierfür ist weder eine Aufhebung der hier „in jeder Hinsicht rechtmäßige(n) Anordnung zum Führen eines Fahrtenbuchs“ erforderlich noch entspricht eine solche Teilaufhebung der Rechtslage.

Dies gilt zum einen unter dem Gesichtspunkt der subjektiven oder objektiven Unmöglichkeit. Entweder ist der durch eine Fahrtenbuchanordnung Verpflichtete nicht mehr Halter eines Fahrzeugs; dann muss er in tatsächlicher Hinsicht kein Fahrtenbuch führen, d.h. keine entsprechende Eintragungen darin vornehmen. Oder aber er ist Halter eines oder mehrerer (anderer) Fahrzeuge, dann erstrecken sich die Rechtswirkungen der Anordnung mit der Bestimmung eines Ersatzfahrzeugs auf dieses (ebenso OVG Lüneburg, Beschluss vom 30. April 2015 – 12 LA 156/14 – juris Rn. 9 m.w.N.). Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts wird von dem Kläger daher nichts Unmögliches verlangt. Der Gesetzgeber hat den Umstand, dass es sich bei der Fahrtenbuchanordnung um einen Dauerverwaltungsakt handelt, in § 31a Abs. 1 Satz 2 StVZO berücksichtigt. Daher muss die Behörde die Haltereigenschaft für das in der Fahrtenbuchanordnung genannte Fahrzeug nicht „unter Kontrolle (…)halten“, abgesehen davon, dass die Behörde oftmals nicht in der Lage ist, festzustellen, welches Fahrzeug an die Stelle eines früher gehaltenen getreten ist oder tritt (OVG Lüneburg, Beschluss vom 30. April 2015, a.a.O., juris Rn. 9; Dauer, in: Hentschel/König/ders., Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. 2021, StVO § 31a StVZO Rn. 59, jew. m.w.N.).

Die Fahrtenbuchanordnung hat sich hier auch nicht im Rechtssinne erledigt, weil der Kläger nicht mehr Halter des Fahrzeugs ist, mit dem der nicht aufklärbare Verkehrsverstoß begangen wurde. Vielmehr ist regelmäßig davon auszugehen, dass der Verpflichtete dann Halter eines anderen Fahrzeugs ist oder innerhalb der hier ab Unanfechtbarkeit der angefochtenen Bescheide zu laufen beginnenden Jahresfrist wieder Halter eines Fahrzeugs werden wird, das der Beklagte als Ersatzfahrzeug bestimmen kann (vgl. OVG Berlin, Beschluss vom 24. März 2003 – 8 N 117.01 – juris Rn. 1; ebenso wohl – wenn auch im konkreten Fall offen gelassen – VGH München, Beschluss vom 12. März 2019 – 11 CS 18.2476 – juris Rn. 12). Auf den Anschaffungszeitpunkt des Ersatzfahrzeuges kommt es nicht an (vgl. OVG Berlin, Beschluss vom 13. März 2003, a.a.O., juris Rn. 4). Soweit das Oberverwaltungsgericht Münster im Beschluss vom 30. September 1996 – 25 A 6279/95 – (juris Rn. 52) aufgrund eines vom Regelfall abweichenden Sachverhalts in Abkehr von seiner früheren Rechtsprechung (vgl. Beschluss vom 8. Januar 1992 – 13 A 1060/91 – juris Rn. 6) eine Erledigung angenommen hat, so ist ein solcher Sachverhalt hier nicht erkennbar.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 der Zivilprozessordnung.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 3 GKG.

Die Streitwertfestsetzung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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