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Fahrlässige Cannabisfahrt – Vorwerfbarkeit bei länger zurückliegendem Konsum

OLG Karlsruhe, Beschluss vom 22.09.2010, Az: 3 (7) SsBs 541/10 – AK 189/10

1. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts M. vom 1. Juni 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu erneuter Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts M. zurückverwiesen.

Gründe

Fahrlässige Cannabisfahrt – Vorwerfbarkeit bei länger zurückliegendem Konsum
Symbolfoto: Gepard / Bigstock

Durch Urteil des Amtsgerichts M. vom 1.6.2010 nach Maßgabe des Berichtigungsbeschlusses vom 7.7.2010 wurde der Betroffene wegen fahrlässigen Führens eines Kraftfahrzeugs unter der Wirkung eines berauschenden Mittels zu einer Geldbuße von 50 € und einem Fahrverbot von einem Monat verurteilt. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen vom 8.6.2010.

Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.

Allerdings greift die vom Betroffenen zulässig erhobene Verfahrensrüge, die Ablehnung seines Hilfsbeweisantrags auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache, dass er im Tatzeitpunkt nicht unter der Wirkung des konsumierten Rauschmittels gestanden habe, sei zu Unrecht erfolgt, nicht durch.

Das Amtsgericht hat den Beweisantrag zu Recht abgelehnt.

Die Einholung eines Sachverständigengutachtens war zur Feststellung der im Tatzeitpunkt fortbestehenden Wirksamkeit des vom Betroffenen konsumierten Cannabis nicht erforderlich. Nach § 24 a Abs. 2 Satz 2 StVG liegt die in Satz 1 dieser Vorschrift vorausgesetzte Wirkung des berauschenden Mittels schon dann vor, wenn die Substanz im Blut nachgewiesen wird, ohne dass eine die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigende Auswirkung dessen konkret festgestellt werden müsste. Ein solcher Nachweis ergibt sich bereits aus der Verlesung des Ergebnisses der chemisch-toxikologischen Untersuchung der erhobenen Blutprobe.

Nach neuerer Rechtsprechung wird allerdings nicht jeder Nachweis von Tetrahydrocannabinol im Blut für ausreichend erachtet, da die zwischenzeitlich erheblich verbesserten Nachweismöglichkeiten den Nachweis derart geringer Mengen Tetrahydrocannabinol erlauben, die eine abstrakte Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit als ausgeschlossen erscheinen lassen. In Übereinstimmung mit den aktuellen Beschlüssen der Grenzwertkommission wird daher die Erreichung des Grenzwertes von 1 ng/ml Tetrahydrocannabinol im Blutserum vorausgesetzt, ohne dass damit allerdings eine konkret festzustellende Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit einhergehen müsste (Senat, StV 2007, 307 m.w.N.). Durch den sich aus der verlesenen Untersuchung ergebenden Nachweis von 1,7 ng/ml Tetrahydrocannabinol im Blutserum ist auch diese Voraussetzung im vorliegenden Fall erfüllt. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist das Vorliegen einer tatsächlichen Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit hingegen unerheblich.

Jedoch hält das Urteil des Amtsgerichts in seiner Beweiswürdigung sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand, da diese die Feststellungen nicht trägt.

Die Beweiswürdigung des Tatrichters unterliegt einer eingeschränkten Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts. Die Rechtsbeschwerdegerichte haben eine Prüfungsbefugnis dahingehend, ob die Beweiswürdigung des Tatrichters plausibel, das heißt für das Rechtsbeschwerdegericht nachvollziehbar, ist. Die Beweiswürdigung muss somit die Tatsachenfeststellungen für das Rechtsbeschwerdegericht insgesamt nachvollziehbar machen. Mangelnde Plausibilität der Tatsachenfeststellungen ist als revisibler Rechtsfehler anzusehen. Rechtsfehlerhaft ist die Beweiswürdigung insbesondere, wenn sie in sich widersprüchlich oder lückenhaft ist, namentlich wesentliche Feststellungen nicht berücksichtigt oder naheliegende Schlussfolgerungen nicht erörtert, wenn sie unklar ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt, wenn sie eine Gesamtwürdigung aller für und gegen die Täterschaft sprechenden Umstände vermissen lässt oder wenn der Tatrichter überspannte Anforderungen an die eine Verurteilung erforderliche Gewissheit stellt (Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., Rdn. 26 ff. zu § 337).

Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist die Beweiswürdigung des Amtsgerichts nicht plausibel. Der innere Tatbestand des § 24 a StVG erfordert, dass sich Vorsatz oder Fahrlässigkeit auch auf die fortbestehende Wirksamkeit des konsumierten Rauchmittels im Tatzeitpunkt bezieht. Liegt zwischen dem Konsum und dem Fahrtantritt ein nicht unerheblicher Zeitraum, kann es an der Erkennbarkeit dieser fortbestehenden Wirksamkeit fehlen, so dass es näherer Ausführungen des Tatrichters bedarf, aufgrund welcher Umstände sich der Fahrzeugführer dennoch hätte bewusst machen können, dass der Konsum trotz des Zeitablaufs noch Auswirkungen haben kann; dies gilt insbesondere, wenn der Grenzwert nicht erheblich überschritten wurde (Senat, a.a.O.; KG Berlin, NZV 2009, 572; OLG Saarbrücken; NJW 2007, 1373; OLG Frankfurt, NStZ-RR 2007, 249; OLG Celle, NZV 2009, 89; OLG Hamm; NZV 2005, 428; OLG Braunschweig, StraFo 2010, 215).

Solche Ausführungen enthält das Urteil des Amtsgerichts nicht. Es erschöpft sich vielmehr in der allgemeinen Erwägung, dass die Unberechenbarkeit der Wirkungs- und Abbaudauer von Rauschdrogen allgemein bekannt sei.

Die Überschreitung des Grenzwertes war nicht derart erheblich, dass auf konkrete Ausführungen zu dieser Frage hätte verzichtet werden können, zumal der – vom Amtsgericht als wahr unterstellte – zeitliche Abstand von 2 Tagen zwischen Konsum und Fahrt vergleichsweise groß ist.

Das amtsgerichtliche Urteil war deshalb mit den Feststellungen aufzuheben und an das Amtsgericht M. zurückzuverweisen, da weitere oder abweichende tatsächliche Feststellungen nicht auszuschließen sind, die eine Verurteilung noch rechtfertigen könnten.

In der neuen Hauptverhandlung wird das Amtsgericht auf der Grundlage möglicher Feststellungen zum Zeitpunkt und Umfang des Cannabiskonsums sowie zum Leistungsverhalten des Betroffenen im Kontrollzeitpunkt gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines Sachverständigen zu klären haben, ob sich hieraus tragfähige Rückschlüsse auf die Bewusstseinslage des Betroffenen im Tatzeitpunkt ergeben. An die einmal angenommene Wahrunterstellung des bisher behaupteten Zeitpunkts des Konsums ist das Amtsgericht hierbei nicht mehr gebunden.

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