10 Jahre ohne Fahrpraxis: Fahrerlaubnis ohne Prüfung möglich
Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 23. August 2023 befasst sich mit der Neuerteilung einer Fahrerlaubnis ohne vorherige Prüfung. Es stellt fest, dass der Kläger, der seine Fahrerlaubnis nach langer Praxis und aufgrund von Straftaten verloren hatte, Anspruch auf Prozesskostenhilfe hat, um seine Klage weiterzuführen. Die Entscheidung, ob eine Fahrerlaubnisprüfung notwendig ist, bleibt offen und bedarf weiterer Klärung im Hauptverfahren.
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✔ Das Wichtigste in Kürze
Die zentralen Punkte aus dem Urteil:
- Neuerteilung der Fahrerlaubnis: Der Kläger strebt die Neuerteilung seiner Fahrerlaubnis für die Klassen A1, AM, B, BE und L an.
- Entzug der Fahrerlaubnis: Die Fahrerlaubnis wurde dem Kläger 2012 entzogen, da er einem Gutachten aufgrund von Straftaten nicht nachkam.
- Ablehnung der Neuerteilung: Die Fahrerlaubnisbehörde lehnte die Neuerteilung ab, da der Kläger ein erforderliches medizinisch-psychologisches Gutachten nicht vorlegte.
- Fehlende Fahrpraxis: Die Behörde ordnete aufgrund von über zehn Jahren fehlender Fahrpraxis eine Fahrerlaubnisprüfung an.
- Prozesskostenhilfe bewilligt: Dem Kläger wurde Prozesskostenhilfe für das Verfahren gewährt, da hinreichende Erfolgsaussichten bestehen.
- Einzelfallbetrachtung: Die Entscheidung über die Notwendigkeit einer Fahrerlaubnisprüfung hängt von der individuellen Betrachtung des Falls ab.
- Bedeutung der Fahrpraxis: Es wird geprüft, ob die langjährige Fahrpraxis des Klägers vor der Entziehung der Fahrerlaubnis relevant ist.
- Unzulässigkeit für Klassen C1 und C1E: Die Klage bezüglich der Klassen C1 und C1E ist unzulässig, da hierfür kein Antrag gestellt wurde.
Übersicht
Neuerteilung der Fahrerlaubnis: Ein rechtlicher Diskurs
Die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach einem Entzug stellt ein komplexes rechtliches Szenario dar, das sowohl für Juristen als auch für Betroffene von großer Bedeutung ist. Im Kern geht es um die Frage, unter welchen Umständen und Voraussetzungen eine einmal entzogene Fahrerlaubnis wieder erteilt werden kann. Dies beinhaltet eine gründliche Auseinandersetzung mit verschiedenen Aspekten des Verkehrsrechts, insbesondere mit der Fahrerlaubnisprüfung und den damit verbundenen rechtlichen Anforderungen.
In solchen Fällen steht oft die Beurteilung der Fahrtüchtigkeit im Mittelpunkt, wobei die Fahrpraxis des Betroffenen und die Dauer seit dem Entzug der Fahrerlaubnis wesentliche Rollen spielen. Die rechtliche Tragweite dieser Entscheidungen reicht weit und berührt Themen wie Verkehrssicherheit und individuelleMobilitätsrechte. Zusätzlich spielt die Prozesskostenhilfe eine wichtige Rolle, insbesondere wenn es um die Frage der Chancengleichheit im Rechtssystem geht.
Tauchen Sie ein in die Details eines konkreten Falles, der vor dem Verwaltungsgericht verhandelt wurde, um die vielschichtigen Dimensionen dieser rechtlichen Herausforderungen zu verstehen. Der folgende Text bietet eine detaillierte Betrachtung eines spezifischen Falls zur Neuerteilung der Fahrerlaubnis, der die Komplexität des Verkehrsrechts und seine Auswirkungen auf das Leben Einzelner aufzeigt.
Der Weg zur Fahrerlaubnisneuerteilung: Ein juristischer Kampf
Im Fokus dieses Rechtsstreits steht ein Mann, geboren 1958, der einst Inhaber einer Fahrerlaubnis für mehrere Klassen, darunter A1, B, BE, C1, C1E, L, M und S, war. Diese wurde ihm jedoch im März 2012 entzogen, da er nicht einer Gutachtensanordnung, die auf mehreren Straftaten basierte, nachkam. Der Wendepunkt trat ein, als er am 24. Oktober 2019 bei der zuständigen Behörde in Augsburg einen Antrag auf Neuerteilung der Klassen A1 und BE stellte. Die Behörde interpretierte den Antrag als bezogen auf die Klassen A1, B, BE sowie die eingeschlossenen Klassen AM und L und lehnte diesen ab, weil der Kläger das geforderte medizinisch-psychologische Gutachten nicht vorlegte.
Verwaltungsgerichtliches Tauziehen um die Fahrerlaubnis
Das Verwaltungsgericht Augsburg hob im Juni 2022 den Ablehnungsbescheid auf, da die Behörde ihr Ermessen nach § 11 Abs. 3 FeV nicht ausgeübt hatte, und verpflichtete sie, den Antrag neu zu prüfen. Die Behörde verzichtete daraufhin auf ein medizinisch-psychologisches Gutachten, forderte aber aufgrund einer über zehnjährigen Fahrpause eine theoretische und praktische Fahrerlaubnisprüfung. Nachdem der Kläger erklärte, diese Prüfung nicht ablegen zu wollen, wurde sein Antrag im Dezember 2022 erneut abgelehnt. Daraufhin reichte er Klage beim Verwaltungsgericht ein, argumentierend, dass er trotz der Entziehung der Fahrerlaubnis weiterhin über Fahrpraxis verfügte, da er kontinuierlich einen fahrerlaubnisfreien Roller gefahren sei.
Prozesskostenhilfe als Schlüssel zum juristischen Erfolg
Ein zentraler Aspekt des Falles war die Gewährung von Prozesskostenhilfe für den Kläger. Das Verwaltungsgericht lehnte diese zunächst ab, da es die Erfolgsaussichten der Klage als gering einstufte. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof sah dies jedoch anders und bewilligte dem Kläger Prozesskostenhilfe, da die Klage zumindest offene Erfolgsaussichten hatte. Besonders bemerkenswert ist hierbei, dass das Gericht die individuellen Umstände des Klägers berücksichtigte, darunter seine langjährige Fahrpraxis und die Tatsache, dass er auch nach dem Entzug der Fahrerlaubnis aktiv am Straßenverkehr teilgenommen hatte.
Die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof entschied, dass die Klage in Bezug auf die Klassen A1, AM, B, BE und L hinreichende Erfolgsaussichten aufweist. Die umfangreiche Fahrpraxis des Klägers und die lange Zeitspanne seit dem letzten Besitz einer Fahrerlaubnis spielten eine entscheidende Rolle in dieser Entscheidung. Der Kläger wurde als bedürftig im Sinne der Prozesskostenhilfe anerkannt und ihm wurde Rechtsbeistand zugesprochen. Jedoch wurde die Klage in Bezug auf die Klassen C1 und C1E als unzulässig abgewiesen, da der Kläger hierfür keinen Antrag bei der Behörde gestellt hatte.
Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs stellt einen interessanten Fall in der Rechtsprechung zur Fahrerlaubnisneuerteilung dar und wirft Licht auf die Komplexität solcher Verfahren. Es zeigt, wie das Gericht die individuellen Umstände des Einzelnen berücksichtigt und eine ausgewogene Entscheidung trifft, die sowohl die öffentliche Sicherheit als auch die Rechte des Einzelnen berücksichtigt.
✔ Wichtige Begriffe kurz erklärt
Was bedeutet die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis?
Die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis bezieht sich auf den behördlichen Vorgang, die Fahrerlaubnis nach ihrer Entziehung wieder zu erteilen. Die Entziehung der Fahrerlaubnis kann aufgrund von schweren Verkehrsverstößen, wiederholten Zuwiderhandlungen oder mangelnder Fahreignung erfolgen. Nach Ablauf einer gerichtlich festgelegten Sperrfrist, die zwischen sechs Monaten und fünf Jahren liegen kann, kann ein Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis gestellt werden.
Um die Fahrerlaubnis nach einer Entziehung zurückzubekommen, verlangt die zuständige Behörde in der Regel das Bestehen einer medizinisch-psychologischen Untersuchung (MPU). Die Neuerteilung der Fahrerlaubnis erfolgt auf Antrag, und es müssen bestimmte Unterlagen und Nachweise erbracht werden, wie zum Beispiel ein gültiger Ausweis, ein aktuelles biometrisches Passfoto, ein Sehtest, ein Nachweis über einen Erste-Hilfe-Kurs und gegebenenfalls ein positives MPU-Gutachten. Die Gebühren für die Neuerteilung variieren je nach Aufwand und können bis zu 275 Euro betragen.
Die Neuerteilung der Fahrerlaubnis ist an bestimmte Voraussetzungen geknüpft, und die zuständige Behörde prüft, ob die Erteilungsvoraussetzungen gegeben sind. In einigen Fällen kann die Neuerteilung der Fahrerlaubnis auch ohne bestandene MPU möglich sein, jedoch erst nach Ablauf einer bestimmten Frist, die in der Regel 10 Jahre beträgt.
Wie wird die Notwendigkeit einer Fahrerlaubnisprüfung rechtlich bewertet?
Die rechtliche Bewertung der Notwendigkeit einer Fahrerlaubnisprüfung im Kontext der Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis in Deutschland hängt von verschiedenen Faktoren ab. Wenn eine Fahrerlaubnis entzogen wurde, muss eine Neuerteilung der Fahrerlaubnis beantragt werden, die oft als Wiedererteilung bezeichnet wird.
Die Fahrerlaubnisbehörde prüft, ob der Antragsteller zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet und befähigt ist. Wenn die Behörde annimmt, dass der Betroffene nicht mehr die erforderlichen Kenntnisse für eine Fahrerlaubnis besitzt, muss eine erneute Fahrerlaubnisprüfung abgelegt werden (§ 20 Abs 2. FeV).
Die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis kann erst nach Ablauf der Sperrfrist bzw. sechs Monate vor Ablauf dieser beantragt werden. Für die Wiedererteilung könnten der Nachweis über eine erfolgreich absolvierte medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) und ein Abstinenznachweis erforderlich sein.
Es gibt auch Fälle, in denen die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis ohne MPU möglich ist. Nach einer gewissen Dauer verfällt die Anordnung zur MPU.
Der Antrag auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis muss bei der zuständigen Fahrerlaubnisbehörde (Führerscheinstelle) eingereicht werden. In der Regel sind folgende Unterlagen vorzulegen: ein aktueller Sehtest, eventuell eine ärztliche Untersuchungsbescheinigung, ein biometrisches Passfoto, der Strafbefehl oder das Gerichtsurteil mit Rechtskraftvermerk und der Personalausweis oder Reisepass.
Die genauen Anforderungen und Verfahren können jedoch je nach Einzelfall und lokalen Behörden variieren. Daher ist es ratsam, sich individuell zu informieren und gegebenenfalls rechtlichen Rat einzuholen.
Das vorliegende Urteil
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof – Az.: 11 C 23.1065 – Beschluss vom 23.08.2023
I. Dem Kläger wird für das Verfahren Au 7 K 23.6 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Weiß bewilligt, soweit die Klage sich auf die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis der Klassen A1, AM, B, BE und L richtet. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 9. Mai 2023 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
II. Der Kläger hat für das Beschwerdeverfahren eine Gebühr von 33,- Euro zu tragen.
Gründe
I.
Mit seiner Beschwerde verfolgt der Kläger seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das beim Verwaltungsgericht Augsburg anhängige Klageverfahren (Au 7 K 23.6) weiter, welches eine Neuerteilung der Fahrerlaubnis ohne die von der beklagten Stadt Augsburg (Fahrerlaubnisbehörde) angeordnete Fahrerlaubnisprüfung zum Gegenstand hat.
Der 1958 geborene Kläger war ursprünglich Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klassen A1, B, BE, C1, C1E, L, M und S, die ihm im März 2012 entzogen wurde, da er einer auf mehrere Straftaten gestützten Gutachtensanordnung nicht nachgekommen war.
Am 24. Oktober 2019 beantragte der Kläger bei der Beklagten, ihm die Fahrerlaubnis der Klassen „A1 und BE“ neu zu erteilen. Diesen Antrag legte die Beklagte dahin aus, dass er sich auf die Klassen A1, B, BE sowie die eingeschlossenen Klassen AM und L richte, und lehnte ihn zunächst mit Bescheid vom 19. Mai 2020 ab, nachdem der Kläger das angeordnete medizinisch-psychologische Gutachten nicht beibrachte. Mit Urteil vom 27. Juni 2022 hob das Verwaltungsgericht Augsburg diesen Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von Schwaben auf und verpflichtete die Beklagte, über den Antrag des Klägers erneut zu entscheiden. Der Schluss aus der Nichtvorlage des Gutachtens auf mangelnde Eignung sei unberechtigt, da die Beklagte das von § 11 Abs. 3 FeV eingeräumte Ermessen nicht ausgeübt habe.
Daraufhin entschied die Beklagte, derzeit kein medizinisch-psychologisches Gutachten anzufordern, ordnete jedoch mit Blick auf den Zeitraum von gut zehn Jahren fehlender Fahrpraxis eine theoretische und praktische Fahrerlaubnisprüfung an.
Nachdem der Kläger erklärte, er werde die Prüfung nicht ablegen, lehnte die Beklagte den Antrag vom 24. Oktober 2019 mit Bescheid vom 5. Dezember 2022 erneut ab.
Am 2. Januar 2023 ließ der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Augsburg erheben mit dem Antrag, ihm die am 24. Oktober 2019 beantragte Fahrerlaubnis der Klassen A1, AM, B, BE und L sowie zusätzlich der Klassen C1 und C1E zu erteilen. Die Zweifel daran, ob er noch über die erforderliche Fahrerlaubnis verfüge, seien unberechtigt. Er habe bis zur Entziehung der Fahrerlaubnis 36 Jahre – seit 1976 – eine Fahrerlaubnis innegehabt und als angestellter sowie selbständiger Kurierfahrer große Fahrpraxis gesammelt. Nach der Entziehung der Fahrerlaubnis habe er ununterbrochen mit seinem fahrerlaubnisfreien Roller mit einem Hubraum von 25 m³ am Straßenverkehr teilgenommen. Zugleich beantragte der Kläger, ihm Prozesskostenhilfe zu bewilligen und seinen Prozessbevollmächtigten beizuordnen.
Mit Beschluss vom 9. Mai 2023 lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ab. Soweit die Klage sich auf die Erteilung der Klassen C1 und C1E richte, sei sie bereits unzulässig, da diese nicht Gegenstand des Antrags bei der Fahrerlaubnisbehörde gewesen seien. Doch auch im Übrigen habe die Klage auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis ohne theoretische und praktische Prüfung keine hinreichenden, d.h. zumindest offenen Erfolgsaussichten. Die Beklagte sei wohl in rechtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass beim Kläger Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass er die nach § 16 Abs. 1 FeV und § 17 Abs. 1 FeV erforderliche Kenntnisse und Fähigkeiten nicht mehr besitzt i.S.d. § 20 Abs. 2 FeV. Bei einer fahrerlaubnislosen Zeit von zehn Jahren und mehr genüge allein diese Tatsache, um die Fahrerlaubnisbehörde zur Anordnung der Prüfung zu veranlassen, wenn keine besonderen Verhältnisse vorlägen. Auch nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs könnten Zweifel an der Befähigung bereits bei fehlender Fahrpraxis über einen Zeitraum von acht Jahren gerechtfertigt sein. So liege es im Fall des Klägers. Im Ergebnis könne dabei auch die geltend gemachte Fahrpraxis von 36 Jahren bis zur Entziehung der Fahrerlaubnis die seither fehlende Praxis über einen Zeitraum von zehn Jahren nicht aufwiegen. Die ins Feld geführte Teilnahme am Straßenverkehr mit dem Roller sei aufgrund andersartiger Anforderungen ungeeignet, die für das Führen eines fahrerlaubnispflichtigen Kraftfahrzeugs erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten zu erhalten.
Dagegen richtet sich die Beschwerde des Klägers.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
1. Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V. mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Dabei dürfen, wovon auch das Verwaltungsgericht ausgegangen ist, die Anforderungen an die Erfolgsaussichten nicht überspannt werden. Deren Prüfung dient nicht dazu, die Rechtsverfolgung oder -verteidigung in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen (vgl. BVerfG, B.v. 5.12.2018 – 2 BvR 2257/17 – juris Rn. 12 ff.). Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem in Art. 20 Abs. 3 GG allgemein niedergelegten Rechtsstaatsprinzip gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (vgl. BVerfG, a.a.O.; B.v. 22.3.2021 – 2 BvR 353/21 – Asylmagazin 2021, 439 = juris Rn. 3 ff.). Daher ist Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn sich eine ausreichend bemittelte Person, die ihre Aussichten vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt, in einer vergleichbaren Situation für eine Rechtsverfolgung entscheiden würde (vgl. BVerfG, B.v. 14.10.2008 – 1 BvR 2310/06 – BVerfGE 122, 39 = juris Rn. 31; Wysk in Wysk, VwGO, 3. Aufl. 2020, § 166 Rn. 35). Davon ist insbesondere dann auszugehen, wenn die Entscheidung von einer bislang ungeklärten Rechtsfrage abhängt, welche sich nicht angesichts der gesetzlichen Regelung oder im Hinblick auf Auslegungshilfen, die von bereits vorliegender Rechtsprechung bereitgestellt werden, ohne Schwierigkeiten beantworten lässt (vgl. Wysk, a.a.O. Rn. 36; BVerfG, B.v. 28.7.2016 – 1 BvR 1695/15 – juris Rn. 17).
2. Daran gemessen hat die Klage hinreichende Erfolgsaussichten, soweit sie sich auf die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis der Klassen A1, AM, B, BE und L richtet.
a) Für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung oder nach vorangegangenem Verzicht gelten die Vorschriften für die Ersterteilung (§ 20 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr [Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV] vom 13.12.2010 [BGBl I S. 1980], zuletzt geändert durch Gesetz vom 2.3.2023 [BGBl I Nr. 56]). Grundsätzlich entfällt der bei der Ersterteilung gemäß § 15 FeV erforderliche Nachweis der Befähigung in einer theoretischen und einer praktischen Prüfung (§ 20 Abs. 1 Satz 2 FeV). Die Fahrerlaubnisbehörde ordnet eine Fahrerlaubnisprüfung allerdings dann an, wenn Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass der Bewerber die nach § 16 Abs. 1 FeV und § 17 Abs. 1 FeV erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht mehr besitzt (§ 20 Abs. 2 FeV). Insoweit genügt es, wenn aufgrund der vorliegenden Tatsachen gewichtige Anhaltspunkte für die Annahme bestehen, dass dem Bewerber die erforderliche Befähigung fehlen könnte (vgl. BayVGH, U.v. 19.7.2010 – 11 BV 10.712 – DAR 2010, 716 – juris Rn. 33; B.v. 22.3.2021 – 11 ZB 20.3146 – juris Rn. 13, jeweils zur gleichgelagerten Regelung in § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV).
Mit Tatsachen in diesem Sinne ist das Gesamtbild aller relevanten Tatsachen gemeint. Die Beurteilung ist folglich aufgrund einer umfassenden Würdigung des jeweiligen Einzelfalls vorzunehmen, bei der sowohl die für als auch die gegen die Erfüllung der betreffenden Erteilungsvoraussetzung sprechenden tatsächlichen Umstände zu berücksichtigen und abzuwägen sind. Dazu gehört auch und in erster Linie die Zeitdauer einer fehlenden Fahrpraxis (BVerwG, U.v. 27.10.2011 – 3 C 31.10 – NJW 2012, 696 Rn. 11; BayVGH, B.v. 22.3.2021 – 11 ZB 20.3146 – juris Rn. 14, jeweils zu § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV; U.v. 17.4.2012 – 11 B 11.1873 – juris Rn. 28 ff). Daran hat auch die Ersetzung der früher geltenden Zwei-Jahresfrist nach Ablauf der Fahrerlaubnis in § 20 Abs. 2 FeV, bei deren Überschreiten nach altem Recht zwingend eine nochmalige Fahrprüfung abzulegen war, durch eine Einzelfallprüfung nichts geändert. Der Verordnungsgeber geht zwar grundsätzlich davon aus, dass die Befähigung auch nach zwei Jahren fehlender Fahrpraxis zunächst fortbesteht (vgl. Begr. zur ÄndVO v. 18.7.2008, VkBl. 08, 568, abgedruckt in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl. 2023, § 20 FeV). Es liegt jedoch auf der Hand, dass eine über einen längeren Zeitraum fehlende Fahrpraxis im Sinne von § 20 Abs. 2 FeV Zweifel an der fortbestehenden Befähigung zum sicheren Führen der entsprechenden Fahrzeuge entstehen lassen kann. Hinzu kommt, dass die Dauer fehlender Fahrpraxis regelmäßig der einzige Anhaltspunkt für Zweifel an der Fahrbefähigung sein wird, nachdem der Betroffene im Straßenverkehr wegen Fehlens der einschlägigen Fahrerlaubnis weder negativ beim Führen entsprechender Fahrzeuge auffallen noch umgekehrt das Fortbestehen seiner Befähigung unter Beweis stellen konnte. Aus Gründen der Sicherheit des Verkehrs ist es sachlich geradezu geboten, danach zu differenzieren, wie lange der erstmalige Nachweis der klassenspezifischen Befähigung schon zurückliegt, wie lange – und ob regelmäßig oder nur sporadisch – der Betroffene von dieser Fahrerlaubnis Gebrauch gemacht hat und wie lange eine danach möglicherweise liegende Phase mangelnder Fahrpraxis angedauert hat (vgl. BVerwG, U.v. 27.10.2011 a.a.O. Rn. 13; BayVGH, B.v. 22.3.2021 a.a.O. Rn. 14; U.v. 17.4.2012 a.a.O. Rn. 28 ff.). Der Verlust der Befähigung wird dabei umso eher anzunehmen sein, je weiter die früher maßgebliche Zweijahresgrenze überschritten ist (vgl. BayVGH, B.v. 22.3.2021 a.a.O. Rn. 14; Haus in Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 3. Aufl. 2021, § 20 FeV Rn. 29).
b) Nach diesen Grundsätzen, die auch das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung zu Grunde gelegt hat, ist zunächst unerheblich, dass der Kläger durchgehend berechtigt war, einen fahrerlaubnisfreien Roller mit einem Hubraum von 25 m³ im Straßenverkehr zu führen (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1b FeV, § 5, § 76 Nr. 3 FeV; s. dazu Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, § 4 FeV Rn. 21). Die Anforderungen an das Führen solcher Fahrzeuge, die von der Fahrerlaubnispflicht ausgenommen sind, weil ihre Geschwindigkeit auf 25 km/h begrenzt ist, unterscheiden sich, wie das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen hat, so wesentlich von denen an das Führen von Fahrzeugen, für die die Fahrerlaubnisklasse B erforderlich ist, dass die Fahrpraxis die hier erforderliche Befähigung nicht belegen kann (vgl. BayVGH, B.v. 19.9.2013 – 11 ZB 13.1396 – VRS 125, 187 = juris Rn. 6, 8; OVG NW, B.v. 22.3.2012 – 16 A 55/12 – juris Rn. 12; VG Gelsenkirchen, B.v. 13.12.2011 – 9 K 5357/10 – juris Rn. 8; Dauer, a.a.O, § 20 FeV Rn. 2a; Haus, a.a.O. § 20 FeV Rn. 35).
Ferner hat das Verwaltungsgericht grundsätzlich zutreffend ausgeführt, dass nach der Rechtsprechung des Senats bereits Zeiten fehlender Fahrpraxis von sieben bzw. acht Jahren Zweifel am Fortbestehen der Fahreignung begründen können. Dies betraf jedoch Fallgestaltungen, in denen entweder Fahrerlaubnisse der Klassen C und D inmitten standen, die erhöhte Anforderungen an die Befähigung stellen (vgl. BayVGH, U.v. 19.7.2010 – 11 BV 10.712 – DAR 2010, 716 = juris Rn. 4, 39; nachgehend BVerwG; U.v. 27.10.2011 – 3 C 31.10 – NJW 2012, 696; BayVGH, B.v. 18.8.2015 – 11 CE 15.1217 – juris Rn. 11), oder in denen der Betroffene zuvor nur kurze Zeit Fahrpraxis sammeln konnte (BayVGH, B.v. 17.10.2019 – 11 CE 19.1480 – NJW 2020, 256 = juris Rn. 1, 10, 22). Weiterhin hat der Senat zwar angenommen, dass auch bei einer begehrten Fahrerlaubnis der Klasse B trotz sehr langer Fahrpraxis zweifelhaft sein kann, inwieweit der Betroffene daran nach einer längeren fahrerlaubnislosen Zeit noch anknüpfen kann. Entschieden hat er dies bislang allerdings nur für eine Zeitspanne von mehr als 15 Jahren ohne Fahrerlaubnis (BayVGH, B.v. 19.9.2013 – 11 ZB 13.1396 – VRS 125, 187 = juris Rn. 6). In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sowie anderer Oberverwaltungsgerichte findet sich, soweit ersichtlich, ebenfalls keine Entscheidung zu einer Konstellation, wie sie hier inmitten steht, oder eine weitere Konkretisierung der vorgenannten abstrakten Maßstäbe.
Mit Blick auf diesen Stand der Rechtsprechung und die Maßgeblichkeit der Umstände des Einzelfalls ist nach Auffassung des Senats anzunehmen, dass sich eine ausreichend bemittelte Person, die ihre Aussichten vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt, hier zugunsten der Rechtsverfolgung entscheiden würde.
Somit ist die Entscheidung darüber, ob die Beklagte zu Recht Tatsachen angenommen hat, die die Annahme rechtfertigen, dass der Kläger die nach § 16 Abs. 1 FeV und § 17 Abs. 1 FeV erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht mehr besitzt i.S.d. § 20 Abs. 2 FeV, dem Klageverfahren vorzubehalten. Dabei dürfte es sich nach Auffassung des Senats anbieten, zunächst aufzuklären, in welchen Zeiten der Kläger tatsächlich in Besitz einer Fahrerlaubnis war und ob er seine geltend gemachte langjährige sowie umfangreiche Fahrpraxis belegen kann, etwa durch Nachweise über eine Tätigkeit als Kurierfahrer.
c) Der Kläger ist, wie sich aus der vorgelegten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ergibt, bedürftig im Sinne von § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Da die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint, war dem Kläger sein Bevollmächtigter, der im Gerichtsbezirk niedergelassen ist, beizuordnen (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 121 Abs. 2 ZPO).
3. Soweit die Klage auf eine Neuerteilung der Fahrerlaubnis der Klassen C1 und C1E gerichtet ist, verfügt sie hingegen über keine hinreichenden Erfolgsaussichten. Wie das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen hat, ist die Klage insoweit unzulässig, weil es an einem vorgängigen gleichgerichteten Antrag bei der Beklagten fehlt (vgl. dazu Wysk, in Wysk, VwGO, § 42 Rn. 55 f.; Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 42 Rn. 37 f.). Der Antrag vom 24. Oktober 2019 hat diese beiden Klassen nicht umfasst und ist auch im weiteren Verfahren nicht erweitert worden.
4. Die Kostenentscheidung berücksichtigt den Rechtsgedanken des § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Kostenentscheidung bedarf es im Beschwerdeverfahren nur, wenn bzw. soweit der Antrag zurückgewiesen wird (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, § 166 Rn. 56). Wird die Beschwerde zurückgewiesen, fallen – anders als im Prozesskostenhilfeverfahren erster Instanz – Gerichtskosten an, wobei eine Kostenerstattung nicht stattfindet (§ 3 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum GKG, § 166 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO). Wird die Beschwerde nur teilweise zurückgewiesen, kann das Gericht die Gebühr nach billigem Ermessen auf die Hälfte ermäßigen oder bestimmen, dass eine Gebühr nicht zu erheben ist (§ 3 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum GKG). Hier erachtet der Senat eine Ermäßigung der nach § 3 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum GKG anfallenden Festgebühr von 66,- Euro auf die Hälfte (33,- Euro) mit Blick auf die Streitwerte, die für die in Rede stehenden Klassen A1, B, BE einerseits (7.500,- Euro, vgl. Nr. 46.2, 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013) und die Klassen C1, C1E andererseits (5.000,- Euro, vgl. Nr. 46.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013) anzusetzen sind, als angemessen.
5. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).