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Fahrerlaubnisneuerteilung –  Löschungsfrist für medizinisch-psychologisches Gutachten

VG Berlin – Az.: 4 K 125/20 – Urteil vom 04.03.2021

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweiligen Vollstreckungsbetrages leistet.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Neuerteilung der Fahrerlaubnis.

Er war Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klassen B, M und L, welche ihm im Mai 2005 entzogen wurde. Einen Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis im Juli 2009 lehnte die Fahrerlaubnisbehörde der Stadt Wiesbaden im November 2009 aufgrund eines ungünstigen medizinisch-psychologischen Gutachtens ab, welches künftige Verkehrszuwiderhandlungen und das künftige Führen eines Kraftfahrzeuges unter Alkoholeinfluss durch den Kläger für wahrscheinlich hielt. Einen weiteren Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis im September 2014 lehnte Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO) mit Bescheid im Mai 2015 ab, weil der Kläger das angeforderte Gutachten nicht innerhalb der Frist vorgelegt hatte. Nach durchlaufenem Widerspruchsverfahren verfolgte dieser sein Begehren erfolglos mit Klage vor dem Verwaltungsgericht – VG 4 K 282.15 – und Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg – OVG 1 N 103.15 – weiter.

Am 1. August 2019 stellte der Kläger erneut einen Antrag auf Neuerteilung der Klassen B, A, A1 und L. Mit Schreiben vom 30. September 2019 wies das LABO ihn auf die bestehenden Bedenken an seiner Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen hin. Es führte das noch aktenkundige vorsätzliche Fahren ohne Fahrerlaubnis sowie das negative medizinisch-psychologischen Gutachten aus 2009 auf. Es forderte ihn zur Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens binnen sechs Monaten zu den Fragen auf, ob zu erwarten sei, dass er auch zukünftig ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss führen werde, ob psycho-funktionale Beeinträchtigungen vorliegen würden und ob aufgrund der aktenkundigen Tatsachen zukünftig mit Verstößen gegen verkehrsrechtliche Vorschriften zu rechnen sei. Der Kläger verweigerte die Begutachtung und bat um einen rechtsmittelfähigen Bescheid, sodass das LABO mit Bescheid vom 14. November 2019 den Antrag des Klägers auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis ablehnte. Dieser habe das angeforderte Gutachten nicht innerhalb der Frist vorgelegt. Daneben sei ihm schriftlich erklärt worden, dass das Gutachten aus dem Jahr 2009 noch verwertbar und deshalb die Gutachtenanforderung rechtmäßig sei.

Hiergegen legte der Kläger am 22. November 2019 Widerspruch ein. Zur Begründung führte er aus, dass er seit zehn Jahren keine Verstöße gegen rechtliche Bestimmungen begangen habe, sodass die Behauptung, er würde seine individuellen Bedürfnisse über die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs stellen, widerlegt sei. Ein über zehn Jahre altes Gutachten könne insofern jedenfalls nicht als belastbare Tatsache herangezogen werden. Das Gutachten enthalte Hinweise zu bereits getätigten Eintragungen. Seine weitere Verwendung verstoße gegen die Tilgungsvorschriften. Zudem sei das Gutachten weder inhaltlich noch formal nachvollziehbar. Der Verfasser des Gutachtens aus dem Jahr 2009 sei nicht als qualifiziert in dem offiziellen Register der Fachpsychologen für Verkehrspsychologie geführt worden. Dieser habe die Inhalte des Gutachtens willkürlich manipuliert und gravierend abweichend von den Aussagen des Klägers wiedergegeben. Die jetzige Anordnung zur Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens leide überdies daran, dass die Behörde sich nicht mit dem Vorrang des Punktesystems, der Wahl eines milderen Mittels sowie des im Einzelfall bestehenden Gefahrenpotenzial auseinandergesetzt habe. Die Gutachtenanforderung müsse insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig sein. Verwertbare Anlasstatsachen für alkoholbedingte Eignungszweifel lägen aber nicht vor. Nach psycho-funktionalen Anforderungen dürfe nicht gefragt werden. Die Frage nach zukünftigen Verstößen gegen die Straßenverkehrsordnung sei nicht ausreichend konkret.

Das LABO wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 2. März 2020, zugestellt am 5. März 2020, zurück. Die Tilgungsvorschriften seien ordnungsgemäß angewandt worden. Das Gutachten aus dem Jahr 2009 sei deshalb verwertbar. Die darin enthaltene Aussage, dass der Kläger die körperlichen und geistigen Anforderungen an das sichere Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr nicht erfülle, sei nicht zu beanstanden und führe zu den Fragestellungen in der hier streitgegenständlichen Gutachtenanforderung. Da dieser nicht Folge geleistet worden sei, sei zutreffend auf die fehlende Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr geschlossen worden.

Der Kläger verfolgt sein Begehren mit der am 3. April 2020 eingegangenen Klage weiter. Die Begründung wiederholt im Wesentlichen den Vortrag aus dem Widerspruchsverfahren und führt weiter aus, dass bei Erteilung der beantragten Fahrerlaubnis eine Wiederholung des allein noch relevanten Verstoßes des Fahrens ohne Fahrerlaubnis weitgehend ausgeschlossen werden würde.

Der Kläger beantragt,

1. den Beklagten zu verpflichten, den Bescheid vom 14. November 2019 und den Widerspruchbescheid vom 2. März 2020 aufzuheben sowie ihm die Fahrerlaubnis der Klasse B wieder zu erteilen, hilfsweise den Beklagten zu verpflichten, über seinen Antrag vom 1. August 2019 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

2. festzustellen, dass die durch den Beklagten erneut geforderte Gebühr nach Anlage zu § 1 GeOst, Abschnitt 2, Satz 202.3, in Höhe von 213,68 Euro, bereits bei Antragstellung durch ihn beglichen wurde.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Er bezieht sich auf den Bescheid vom 14. November 2020 sowie den Widerspruchsbescheid vom 2. März 2020, die die Sach- und Rechtslage zutreffend darstellten. Bezogen auf den Klageantrag zu Ziff. 2 beruhe die dort genannte Forderung auf den gebührenrechtlichen Vorschriften über den Erlass eines Widerspruchsbescheids.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Streitakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Beklagten verwiesen, welche vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 8. Februar 2021 dem Berichterstatter zur Entscheidung als Einzelrichter übertragen.

Entscheidungsgründe

Die Klage, über die nach Übertragung auf ihn der Berichterstatter als Einzelrichter entscheidet (§ 6 Abs. 1 VwGO), hat keinen Erfolg.

1. Sie ist bezüglich des Antrags zu 1. als Verpflichtungsklage zulässig, aber unbegründet. Der angefochtene Verwaltungsakt ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten; er hat keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Erlaubnis, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.

Nach § 20 Abs. 1 der Fahrerlaubnisverordnung – FeV – gelten für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung – wie hier – die Vorschriften für die Ersterteilung. Nach §§ 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Straßenverkehrsgesetz – StVG –, 11 Abs. 1 FeV muss der Bewerber um eine Fahrerlaubnis zu erhalten zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet sein. Geeignet in diesem Sinne ist nach § 2 Abs. 4 StVG, wer die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllt und nicht erheblich oder nicht wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder gegen Strafgesetze verstoßen hat. Bestehen aufgrund von Tatsachen Bedenken gegen die Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeugs, kann die Fahrerlaubnisbehörde unter den in den §§ 11 bis 14 FeV genannten Voraussetzungen weitere Aufklärung, insbesondere durch Anordnung der Vorlage ärztlicher oder medizinisch-psychologischer Gutachten, betreiben (§ 2 Abs. 8 StVG). Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er das von der Fahrerlaubnisbehörde geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung schließen (§ 11 Abs. 8 Satz 1 FeV). Ein Schluss auf die Nichteignung ist jedoch nur zulässig, wenn die Anordnung des Gutachtens formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (BVerwG, Urteil vom 17. November 2016 – BVerwG 3 C 20.15 –, juris, Rn. 19). Die Anordnung des Gutachtens ist hier rechtmäßig erfolgt.

a) Ein Vorrang des Fahreignungs-Bewertungssystem, welcher die Anwendung der infrage stehenden Normen sperren würde, besteht nicht. Dies folgt für den hiesigen Fall bereits daraus, dass der Kläger bereits seit 2005 kein Fahrerlaubnisinhaber mehr ist und unklar ist, inwiefern hier das Verhältnis von Fahreignungs-Bewertungssystem zu Vorschriften zur Gutachtenanordnung eine Rolle spielen kann.

b) Die Gutachtenanordnung ist formell rechtmäßig. Da sie nicht selbständig anfechtbar ist, sondern nur im Rahmen eines Rechtsbehelfsverfahrens inzident auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden kann, ist es ein Gebot effektiven Rechtsschutzes, strenge Anforderungen an sie zu stellen. Sie muss deshalb im Wesentlichen aus sich heraus verständlich sein. Für den Betroffenen muss klar erkennbar sein, was der Anlass für die angeordnete Untersuchung ist und ob die in ihr verlautbarten Gründe die behördlichen Bedenken an der Kraftfahreignung zu rechtfertigen vermögen. Denn nur auf der Grundlage dieser Information kann er sachgerecht einschätzen, ob er sich trotz der mit einer Untersuchung verbundenen Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts und der Kostenbelastung der Begutachtung stellen oder die mit der Verweigerung der Begutachtung verbundenen Risiken eingehen möchte. Vor diesem Hintergrund muss die Gutachtenanordnung hinreichend bestimmt erkennen lassen, aufgrund welcher Umstände die Behörde Eignungszweifel hegt. Ferner muss eine von der Behörde für die Gutachtenanordnung angegebene Rechtsgrundlage zutreffen; ein nachträgliches Austauschen der Rechtsgrundlage ist grundsätzlich unzulässig (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 26. Februar 2016 – OVG 1 M 39.14 –, S. 5 des amtlichen Entscheidungsabdrucks). Diesen Maßgaben wird die Gutachtenanordnung vom 30. September 2019 gerecht.

Der Beklagte stellt hinreichend genau dar, weshalb er Zweifel an der Fahreignung des Klägers hegt und auf welche Weise diese geklärt werden sollen. Er weist auf das vorsätzliche Fahren ohne Fahrerlaubnis sowie das negative medizinisch-psychologische Gutachten aus dem Jahr 2009 hin und die daraus folgenden Annahmen. Anlass und Grund für die Eignungszweifel werden hierdurch deutlich benannt. Die Formulierung der im ärztlichen Gutachten zu beantwortenden Fragen begegnet ebenfalls keinen Bedenken. Es lässt sich zweifelsfrei entnehmen, welche Problematik auf welche Weise geklärt werden soll. Gefragt wird zutreffend und nachvollziehbar danach, ob der Kläger zukünftig ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss führen werde, ob psycho-funktionale Beeinträchtigungen vorlägen und ob bei ihm zukünftig mit Verstößen gegen verkehrsrechtliche Vorschriften zu rechnen sei.

Auch die Vorgaben des § 11 Abs. 6 Satz 2 Hs. 2 FeV sind erfüllt. Danach hat die Fahrerlaubnisbehörde dem Betroffenen mitzuteilen, dass er die an den Gutachter zu übersendenden Unterlagen einsehen kann. Ein solcher Hinweis findet sich in ausreichender Form auf Seite 3 der Gutachtenanordnung. Dort heißt es, dass der Kläger vor der Begutachtung die Möglichkeit habe, Einsicht in den Verwaltungsvorgang zu nehmen. Bei verständiger Würdigung ist damit hinreichend klargestellt, dass die zu übersendenden Unterlagen aus dem kompletten Verwaltungsvorgang bestehen. In der Gutachtenanordnung wird der Kläger weiterhin gemäß § 11 Abs. 8 Satz 2 FeV darauf hingewiesen, dass der Beklagte – sofern das Gutachten nicht fristgerecht beigebracht werde – davon ausgehe, dass er zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht geeignet sei. Schließlich ist die angegebene Rechtsgrundlage für die Aufforderung, ein ärztliches Gutachten beizubringen, korrekt angegeben. Zutreffend wird § 2 Abs. 8 StVG in Verbindung mit § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. e), § 11 Abs. 3 Nr. 5, Abs. 6 und § 20 Abs. 1 FeV zitiert.

c) Die Gutachtenanordnung ist auch materiell rechtmäßig.

aa) Anlass der Anordnung des Gutachtens sind wesentlich die Ausführungen im medizinisch-psychologischen Gutachten aus dem Jahr 2009. Das Gutachten ist hier (noch) verwertbar. Nach § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Buchst. b) i.V.m. § 28 Abs. 3 Nr. 5 StVG beträgt die Frist zur Tilgung bei einer Versagung der Erteilung einer Fahrerlaubnis zehn Jahre. Nach § 29 Abs. 5 Satz 1 StVG beginnt diese Frist erst mit der Erteilung/Neuerteilung der Fahrerlaubnis, spätestens jedoch fünf Jahre nach der Rechtskraft des Versagungsbescheid zur Neuerteilung der Fahrerlaubnis. Die Tilgungsfrist für den Versagungsbescheid vom 5. November 2009 begann mithin erst im November 2014 zu laufen. Die Zehn-Jahres-Frist ist damit zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung – dem 4. März 2021 – unzweifelhaft noch nicht abgelaufen. Nach § 2 Abs. 9 Satz 2 StVG sind Gutachten, die nur zur Feststellung oder Überprüfung der Eignung oder Befähigung verwendet werden dürfen, spätestens nach zehn Jahren zu vernichten, es sei denn, mit ihnen im Zusammenhang stehende Eintragungen im Fahreignungsregister oder im Zentralen Fahrerlaubnisregister sind nach den Bestimmungen für diese Register zu einem früheren oder späteren Zeitpunkt zu tilgen oder zu löschen. Nach Satz 3 der Vorschrift ist in diesem Fall für die Vernichtung oder Löschung der frühere oder spätere Zeitpunkt maßgeblich. Das Gutachten aus dem Jahr 2009 steht im Zusammenhang mit der Eintragung der Versagung der Erteilung der Fahrerlaubnis mit Bescheid vom 5. November 2009 im Fahreignungsregister. Die Löschungsfrist bestimmt sich mithin nach der Tilgungsfrist des Versagungsbescheids aus dem Jahr 2009.

Der damit erzielte Gleichlauf zwischen Tilgungsfrist für die Ablehnung der Erteilung der Fahrerlaubnis und Verwertbarkeitsdauer des Gutachtens ist sachgerecht. Der Einwand des Klägers, dass mit der Verwertbarkeit des Gutachtens auch Verkehrsverstöße sowie Tatsachen mittelbar verwertbar bleiben, die als solche bereits getilgt worden sind, schlägt nicht durch. Nach § 29 Abs. 7 Abs. 1 StVG dürfen die Tat und die Entscheidung der betroffenen Person für die Zwecke des § 28 Abs. 2 StVG zwar nicht mehr vorgehalten und nicht zu ihrem Nachteil verwertet werden, wenn die Eintragung im Fahreignungsregister gelöscht ist. Das Bundesverwaltungsgericht führt insofern aber aus, dass das Ergebnis eines Gutachtens eine neue Tatsache schafft, die selbständige Bedeutung hat (BVerwG, Urteil vom 28. April 2010 – 3 C 2.10 –, juris Rn. 19). Das Gutachten mag insofern zwar auf den mittlerweile getilgten Taten beruhen und diese berücksichtigen, bleibt aber zumindest hinsichtlich des Ergebnisses eine neue Tatsache, die selbständige Bedeutung hat. Dies gilt bereits deswegen, weil das Gutachten eigenständige Bewertungen und Beurteilungen trifft, die zwar auf die vergangenen Taten und Entscheidungen Bezug nehmen, aber auch – etwa hinsichtlich des Umgangs des Betroffenen mit den fraglichen Taten – über diese hinausgehen. Bei der Frage nach der Geeignetheit zur Teilnahme am Straßenverkehr, bei der es ein hohes Schutzbedürfnis der Gesellschaft gibt, stellen diese mithin eigenständige Erkenntnisse dar. Die Erwähnung einzelner – inzwischen – unverwertbar gewordener Taten erfassen mithin ein vorliegendes Gutachten nicht insgesamt, wenn es nicht ausschließlich auf ihnen beruht. Die Richtigkeit dieser Auslegung zeigt sich u.a. auch an folgender Überlegung: Wäre der Kläger der Gutachtenanforderung 2019 gefolgt und hätte diese rein hypothetisch eine negative Prognose ergeben, hätte das LABO die Fahrerlaubniserteilung versagt. Bei einer – wiederum rein hypothetischen – Neubeantragung ein Jahr nach dem Gutachten und anschließender Verweigerung der Befolgung der Gutachtenanordnung durch den Kläger muss aus Gründen der Verkehrssicherheit außer Frage stehen, dass das Gutachten aus dem Jahr 2019 für diese Frage verwertbar hätte bleiben müssen – damit wären aber selbst in dieses Gutachten mittelbar die nach § 29 Abs. 7 Satz 1 StVG getilgten Taten und Entscheidungen eingeflossen. Ist dies der Fall, liegt es nahe, die Verwertbarkeit des Gutachtens an die direkt auf die Gutachtenerstellung folgende Entscheidung zu knüpfen – so wie es § 2 Abs. 9 Satz 2, 3 StVG tut.

bb) Das Gutachten selbst aus dem Jahr 2009 lässt für das Gericht keine formelle oder materielle Mängel erkennen. Soweit der Kläger die Befähigung der Gutachterin rügt, sind die Anforderungen an die Qualifikation der Gutachter in der Anlage 14 zur Fahrerlaubnisverordnung abschließend geregelt. Es ist weder hinreichend substantiiert vorgetragen noch erkennbar, dass diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall nicht eingehalten worden sind. Dem pauschalen Vorwurf des Klägers, die Gutachterin habe die „Inhalte des verkehrspsychologischen Gesprächs willkürlich manipuliert und gravierend abweichend zu den Aussagen des Klägers wiedergegeben“ ist damit nicht weiter nachzugehen.

cc) Die jetzige Gutachtenanforderung basierend auf dem Ergebnis des Gutachtens 2009 ist auch materiell zulässig. Sie beruht auf § 2 Abs. 8 StVG i.V.m. §§ 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b) sowie 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 FeV.

§ 13 S. 1 Nr. 2 Buchst. e) FeV greift hinsichtlich eines aufzuklärenden Alkoholmissbrauchs ein und rechtfertigt damit die Frage nach dem zukünftigen Führen eines Kraftfahrzeugs unter Alkoholeinfluss. Alkoholmissbrauch liegt nach Punkt 8.1 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung vor, wenn das Führen von Fahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden kann. Die Auffangvorschrift des Buchstabens e) greift ein, wenn ein Alkoholmissbrauch in der Vergangenheit feststand und aufgeklärt werden soll, ob dieser fortbesteht. Der Aufklärungsbedarf folgt aus dem Ergebnis des Gutachtens aus dem Jahr 2009, welches ausführt, dass es zu erwarten sei, dass beim Kläger das Führen eines Kraftfahrzeugs zukünftig in unkontrollierter Weise mit Alkoholtrinkanlässen zusammentrifft (S. 14 des Gutachtens vom 28. September 2009). Es habe keine signifikante Veränderung im Umgang mit Alkohol stattgefunden. Der nach dem Gutachten bestehende Alkoholmissbrauch werde vom Kläger nicht einmal ansatzweise reflektiert (vgl. Seite 13 f. des Gutachtens). Diese Feststellungen im verwertbaren Gutachten, die nicht auf vorher begangene Taten als solche Bezug nehmen, rechtfertigen die Fragestellung nach der Erwartung über das zukünftige Führen eines Kraftfahrzeugs unter Alkoholeinfluss. Daneben spricht für die Zulässigkeit der Frage auch, dass der Kläger hier 2014/2015 einer auf § 13 Nr. 2 FeV gestützten Gutachtenanforderung nicht nachgekommen ist und der Beklagte die Regelung des § 11 Abs. 8 FeV angewandt hat. Wenn die Ablehnung einer Neuerteilung der Fahrerlaubnis nach Nichtvorlage eines nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a) bis e) FeV vorzulegenden Gutachtens erfolgt, wirkt die § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV innewohnende Vermutung der Nichteignung – die die Ablehnung trägt – letztlich dahin, dass die in der Gutachtenanforderung zum Ausdruck kommenden Eignungszweifel als berechtigt zugrunde gelegt werden (vgl. in diese Richtung BVerwG, Urteil vom 21. März 2013 – BVerwG 3 C 6.12 –, juris, Rn. 22; s. auch VG Augsburg, Urteil vom 18. Juli 2016 – Au 7 K 15.1883 –, juris Rn. 32). Dieser Annahme folgend war noch 2014/2015 ein Alkoholmissbrauch beim Kläger infolge der Nichtvorlage eines Gutachtens anzunehmen.

Keinen Zweifel hat das Gericht an der Anlassbezogenheit der Frage nach sich aus dem – aufzuklärenden – Alkoholmissbrauch ergebenden psycho-funktionalen Beeinträchtigungen. Die Fragestellung ergibt sich unmittelbar aus den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung – BAST – (Stand 31. Dezember 2019, S. 74) und erscheint auch angesichts der vom Kläger geltend gemachten hierdurch erhöhten Kosten der Begutachtung nicht unverhältnismäßig.

Die Straftat des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis vom 28. Oktober 2005 begründet auch einen Begutachtungsbedarf nach § 11 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 FeV und rechtfertigt mithin Frage 3 nach der Wahrscheinlichkeit von zukünftigen Verstößen gegen verkehrsrechtliche Vorschriften. Danach kann die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zur Klärung von Eignungszweifeln angeordnet werden bei einer erheblichen Straftat, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr steht. Auch die Umstände der Straftrat sind dabei zu berücksichtigen (vgl. MüKoStVR/Hahn/Kalus, 1. Aufl. 2016, FeV § 11 Rn. 63, 55). Soweit der Beklagte auf aktenkundige Tatsachen verweist, ist dies zusätzlich das Gutachten aus dem Jahr 2009. Ob das einmalige nach § 21 Abs. 1 StVG strafbare vorsätzliche Fahren ohne Fahrerlaubnis für sich genommen eine erhebliche Straftat im Sinne des § 11 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 FeV darstellt (offen gelassen durch OVG Lüneburg, Urteil vom 8. Juli 2014 – OVG 12 LC 224/13 -, juris, Rn. 50), kann hier offenbleiben, weil jedenfalls der Verstoß gepaart mit den Ausführungen im Gutachten zur Zulässigkeit der Frage führt. Nach dem Gutachten gebe es keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger sich mit den Ursachen seiner Verhaltensauffälligkeiten selbstkritisch auseinandergesetzt habe. Bei dieser ausgesprochen unkritischen Grundeinstellung dem eigenen Fehlverhalten gegenüber bestehe nur eine geringe Wahrscheinlichkeit für eine künftige Verhaltensänderung. Es fehle an einer Impulskontrolle sowie Selbstkontrollbereitschaft (Seite 15 des Gutachtens). Eine derart negative Prognose hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit, sich zukünftig an Verkehrsregeln zu halten, gepaart mit einer verwertbaren Straftat aus dem inmitten stehenden Bereich führt bei Berücksichtigung des Maßstabs der Sicherheit des Straßenverkehrs zur Zulässigkeit der Frage 3. Der Umstand, dass der Kläger seit über zehn Jahren nicht gegen Bestimmungen verstoßen hat, kann diese Erwägungen nicht entkräften.

Die Gutachtenanordnung ist nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. e) FeV im Falle von Eignungszweifeln beizubringen. Hinsichtlich der Gutachtenanordnung nach § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 FeV ist sie ermessensfehlerfrei erfolgt. Nach dieser Vorschrift kann die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens fordern. Der Umfang der erforderlichen Ermessenserwägungen ist dabei abhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalls und den Anforderungen, die sich aus der jeweiligen Ermächtigungsgrundlage des § 11 Abs. 2 bis 4 FeV ergeben. Sie fließen regelmäßig bereits in die Prüfung ein, ob konkrete und hinreichend gewichtige Eignungszweifel vorliegen. Ergibt die Würdigung der Behörde, dass die festgestellten Tatsachen nach Art und Gewicht aussagekräftige Anzeichen für aufklärungsbedürftige Eignungszweifel sind, wird ohne das Vorliegen besonderer Umstände kaum Anlass dafür bestehen, dass die Behörde ihre diesbezüglichen Überlegungen nochmals im Rahmen einer ausdrücklich als solche bezeichneten Ermessensausübung wiederholt. Denn wenn durch konkrete Tatsachen begründete Zweifel an der körperlichen, geistigen oder charakterlichen Eignung eines Fahrerlaubnisinhabers bestehen, hat die Behörde im Interesse der Verkehrssicherheit im Regelfall weitere Ermittlungen anzustellen. Je gewichtiger die Eignungsbedenken sind, desto geringer wird das Entschließungsermessen der Behörde; bei Vorliegen von erheblichen Eignungszweifeln dürfte es regelmäßig auf Null reduziert sein (VG Aachen, Beschluss vom 2. Mai 2018 – 3 L 334/18 –, juris, Rn. 36). Unter Berücksichtigung dieser Kriterien hat der Beklagte ermessensfehlerfrei die Vorlage eines ärztlichen Gutachtens angeordnet. Der Zeitablauf bezüglich der Straftat vom 28. Oktober 2005 sowie des Gutachtens vom 28. September 2009 stellt als solches keinen Grund dar, der im Rahmen der Ermessensausübung eine andere Entscheidung angezeigt hätte. Grundsätzlich sinkt zwar die Aussagekraft einzelner Umstände, je mehr Zeit vergeht. Es liegt auf der Hand, dass es für die Frage von Eignungszweifeln und – in den Fällen des § 11 FeV, der die Anforderung eines Fahreignungsgutachtens in das Ermessen der Behörde stellt – ebenso für die anschließende Ermessensausübung einen Unterschied macht, ob eine fahreignungsrelevante Zuwiderhandlung erst kurze Zeit oder aber bereits mehrere Jahre zurückliegt, selbst wenn sie nach den maßgeblichen Tilgungsvorschriften noch verwertbar ist (BVerwG, Urteil vom 17. November 2016 – 3 C 20/15 –, juris Rn. 36). Hier ist indes die dezidiert negative Prognose des Gutachtens zu berücksichtigen, die den Umstand des Zeitablaufs überwiegt. Gibt es nach der fachlichen Bewertung keine Anhaltspunkte dafür, dass eine selbstkritische Auseinandersetzung mit den relevanten Ursachen für Verhaltensauffälligkeiten stattgefunden hat und liegt eine ausgesprochen unkritische Grundeinstellung dem eigenen Fehlverhalten gegenüber vor, indizieren diese Punkte ohne sonstige Gesichtspunkte, die für eine gewandelte Einstellung sprechen würden, die Ermessensausübung.

Schließlich hat der Kläger auf eine rechtsmittelfähige Bescheidung vor Fristablauf bestanden, sodass das fehlende Abwarten der Frist vor Bescheiderlass unschädlich ist.

2. Die Erhebung der Gebühren für den Widerspruchsbescheid ist nach § 6a Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) StVG in Verbindung mit der Gebühren-Nummer 400 der Anlage (Gebührentarif) zu § 1 Abs. 1 der Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr (GebOSt) bzw. § 2 Abs. 1 Nr. 1 GebOSt (Erstattung der Auslagen) zulässig. Die Gebühr für den Widerspruchsbescheid richtet sich dabei nach der Gebühr für die beantragte Amtshandlung. Dies ist hier nach Nr. 206 der genannten Anlage zum GebOSt ein Betrag zwischen 33,20 Euro und 256,00 Euro. Die geforderten 211,60 Euro bewegen sich mithin im Rahmen der Gebührenordnung.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Regelung der vorläufigen Vollstreckbarkeit liegen § 167 VwGO und §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO zugrunde.

 

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