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Fahrerlaubnisentziehung zur Fahrgastbeförderung

VG Gelsenkirchen – Az.: 7 L 3677/17 – Beschluss vom 18.06.2018

1. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird auf Kosten des Antragstellers abgelehnt.

2. Der Streitwert wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

1. Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage 7 K 11044/17 gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 14. September 2017 wiederherzustellen bzw. anzuordnen, ist gemäß § 80 Abs. 5 VwGO zulässig, aber unbegründet.

Die im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Lasten des Antragstellers aus. Eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung kommt nur in Betracht, wenn eine Interessenabwägung ergibt, dass das private Interesse des Antragstellers an dem einstweiligen Nichtvollzug gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung vorrangig erscheint. Dabei wird ein überwiegendes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung regelmäßig dann angenommen, wenn der zu beurteilende Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig und ein besonderes Vollzugsinteresse gegeben ist, während ein überwiegendes Interesse des Betroffenen am vorläufigen Nichtvollzug in der Regel zu bejahen ist, wenn sich der Verwaltungsakt als offensichtlich rechtswidrig erweist. Ist die Verfügung weder offensichtlich rechtmäßig noch offensichtlich rechtswidrig, ist eine Abwägung der sonstigen betroffenen öffentlichen und privaten Interessen vorzunehmen.

Letzteres ist hier geboten, da die Kammer auf der Grundlage der vorliegenden, sich aus dem Verwaltungsvorgang und der Gerichtsakte ergebenden Erkenntnisse eine abschließende rechtliche Bewertung nicht vorzunehmen vermag. Jedenfalls stellt sich die angefochtene Verfügung nicht als offensichtlich rechtswidrig dar. Es spricht bei summarischer Prüfung durchaus einiges dafür, dass der Antragsgegner zumindest im Ergebnis die Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung als zusätzliche Erlaubnis nach § 48 Abs. 1 FeV zu Recht gemäß § 3 Abs. 1 StVG i.V.m. § 48 Abs. 10 Satz 1 FeV entzogen hat. Danach ist die Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung zu entziehen, wenn eine der aus § 48 Abs. 4 FeV ersichtlichen Voraussetzungen fehlt, wozu nach § 48 Abs. 4 Nr. 3 FeV auch die geistige und körperliche Eignung gehört.

Es kann offenbleiben, ob der Antragsteller zur Zeit der Entziehungsverfügung wegen einer Demenzerkrankung (vgl. Nr. 7.2 und 7.3 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung) ungeeignet zum Führen eines Kraftfahrzeugs zur Fahrgastbeförderung war. Nach der dies erläuternden Nr. 3.12.2 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung (Stand: 24. Mai 2018) können Betroffene mit einer Demenz in der Regel – von seltenen Ausnahmen abgesehen – den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 2 (wozu die Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung zählt) nicht gerecht werden. Nach Nr. 3.12.3 der Leitlinien gilt dies im Besonderen für die ausgeprägte senile oder präsenile Demenz (insbesondere Alzheimer-Demenz). Für eine solche Kraftfahrungeeignetheit des Antragstellers könnte sprechen, dass – wie sich aus der Darstellung der Aktenlage und der Vorgeschichte im Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie L. vom 22. Dezember 2017 ergibt – beim Kläger in der Vergangenheit durch den behandelnden Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. S. neben einer schweren depressiven Störung eine fortgeschrittene Demenzerkrankung, und zwar eine Alzheimer-Demenz, diagnostiziert wurde, wobei Feststellungen zum Schweregrad der Erkrankung nicht mitgeteilt wurden. Aus dem o.g. Gutachten des Herrn L. ergibt sich ferner, dass durch Dr. S. am 24. Mai 2017 eine Verschlimmerung (Progredienz) der demenziellen Störung diagnostiziert wurde. Hierzu fügt sich die Stellungnahme der Betriebsärztin im sozialpsychiatrischen Dienst und Diplom-Psychologin N. , die im Schreiben vom 15. August 2017 insbesondere wegen der fortgeschrittenen Demenz-Erkrankung in der Form der Alzheimer-Demenz dem Straßenverkehrsamt des Antragsgegners mitteilte, dass der Antragsteller ab sofort nicht mehr in der Lage sei, ein Taxi zu führen.

Zugunsten des Antragstellers könnte das im Rahmen des Verfahrens zur Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 46 Abs. 1 FeV erstellte o.g. Gutachten des Herrn L. sprechen, welches zu dem Ergebnis gelangt, dass bei dem Antragsteller keine psychischen Erkrankungen, insbesondere keine demenzielle Störung und keine schwerwiegende depressive Störung, vorliege. Allerdings spricht einiges für eine nur eingeschränkte Aussagekraft dieses Gutachtens, weil es sich nicht mit der auffälligen Diskrepanz dieses Ergebnisses zur Diagnose des langjährig behandelnden Arztes Dr. S. sowie des Sozialpsychiatrischen Dienst des Antragsgegners auseinander setzt. Die bloße Behauptung, es habe sprachliche Verständigungsschwierigkeiten gegeben, weshalb die Vordiagnosen auf Missverständnissen beruht hätten, überzeugt nicht.

Jedenfalls stellt sich die Entziehungsverfügung – im Ergebnis – deshalb als nicht offensichtlich rechtswidrig dar, weil bei summarischer Prüfung einiges dafür spricht, dass der Antragsteller wegen einer neuropathischen Schädigung ungeeignet zum Führen eines Fahrzeugs zur Fahrgastbeförderung ist. Nach Nr. 6.2 Spalte 2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung entfällt bei einer Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung die Eignung im Falle der Erkrankung der neuromuskulären Peripherie. Nach Nr. 3.9.2 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung gehören zu den Erkrankungen der neuromuskulären Peripherie insbesondere neuropathische Schädigungen, die zu einer relevanten Beeinträchtigung der motorischen Funktion führen. Vorliegend leidet der Antragsteller an einer Polyneuropathie, wie er selbst im vorliegenden Verfahren mit Schriftsatz vom 1. Februar 2018 eingeräumt hat und wegen der er nach seinen Angaben seit geraumer Zeit in neurologischer Behandlung ist. Von dem behandelnden Arzt Dr. S. wurde laut Gutachten des Herrn L. vom 22. Dezember 2017 im Befundbericht vom 1. August 2017 eine Polyneuropathie (ICD-10: G 62.9) diagnostiziert. Inhaltlich bestätigt wird dies durch die in der Vergangenheit getätigten Angaben des Antragstellers, welche in der Anamnese und Vorgeschichte im Gutachten des Herrn L. vom 22. Dezember 2017 im Einzelnen dokumentiert sind. Danach lagen Gefühlsstörungen in den Beinen vor, welche zu zeitweilig auftretenden Kribbelparästhesien, Taubheitsgefühlen in beiden Beinen sowie zu einem zeitweisen Schwächegefühl in den Beinen führten. Gegenüber dem Gutachter L. berichtete der Antragsteller von – aus seiner Sicht eher abnehmenden – Beschwerden, nämlich von Missempfindungen in Beinen und Füßen (Brennen und Kribbeln). Dem steht auch nicht das Gutachten des Herrn L. entgegen, wonach – ohne nachvollziehbare Begründung – keine Einschränkung für die Personenbeförderung gesehen werde. Es fehlt insoweit eine würdigende Auseinandersetzung mit den beschriebenen Symptomen und der Vordiagnose einer Polyneuropathie.

Ob dies für die Annahme einer Ungeeignetheit letztlich ausreicht, bedarf möglicherweise – ggf. unter Hinzuziehung weiterer medizinischer Unterlagen – einer vertieften Prüfung, die dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleibt. Jedenfalls spricht nichts für eine offensichtliche Rechtswidrigkeit der Ordnungsverfügung vom 14. September 2017.

Lassen sich nach alledem die Erfolgsaussichten der Klage gegen die angefochtene Ordnungsverfügung nicht abschließend beurteilen, kann über den Fortbestand der Anordnung der sofortigen Vollziehung der Verfügung nur anhand einer allgemeinen, d.h. vom Ausgang des Hauptsacheverfahrens unabhängigen Interessenabwägung entschieden werden. Dabei sind unter besonderer Berücksichtigung der betroffenen Grundrechte die Folgen, die eintreten, wenn die aufschiebende Wirkung der Klage wiederhergestellt wird, sich die angefochtene Verfügung aber als rechtmäßig erweist, gegen die Folgen abzuwägen, die sich ergeben, wenn es bei einer sofortigen Vollziehung der Entziehungsverfügung verbleibt und sich später herausstellt, dass diese Verfügung rechtswidrig ist.

OVG NRW, Beschlüsse vom 9. Januar 2017 – 16 B 1321/16 -, und vom 2. Februar 2016 – 16 B 1267/15 -, juris, unter Bezugnahme auf BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05 -, juris, Rn. 23 ff.

Diese Abwägung fällt zu Lasten des Antragstellers aus. Zwar ist zu seinen Gunsten zu berücksichtigen, dass mit der sofortigen Durchsetzung der Entziehung der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung seine berufliche Tätigkeit als Taxifahrer ganz erheblich beeinträchtigt und damit eine durch das Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) geschützte Rechtsposition tangiert wird. Zu berücksichtigen ist jedoch auch, dass seine Mobilität im Übrigen – außerhalb seiner beruflichen Betätigung – zur Zeit (noch) nicht eingeschränkt ist, weil eine Entziehung der Fahrerlaubnis im Übrigen bislang nicht erfolgt ist. Zudem stehen dem die Rechtsgüter gegenüber, zu deren Schutz die Entziehung der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung erfolgt. Hierbei handelt es sich insbesondere um Leib und Leben der übrigen Verkehrsteilnehmer und nicht zuletzt auch der Fahrgäste, die darauf vertrauen, von einem den Eignungsanforderungen entsprechenden Kraftfahrer befördert zu werden, sowie um bedeutende Sachwerte der Allgemeinheit und die Verkehrssicherheit an sich. Für diese Rechtsgüter würde ein erhebliches Gefährdungspotenzial geschaffen, wenn der Antragsteller trotz einer im Raum stehenden Ungeeignetheit vorläufig weiter mit einem Kraftfahrzeug beruflich am Straßenverkehr teilnehmen könnte, um Fahrgäste zu befördern.

Bei der Abwägung dieser widerstreitenden Interessen wiegt der möglicherweise eintretende, gegebenenfalls nicht mehr wiedergutzumachende Schaden für die zuvor genannten hohen Rechtsgüter einer potenziellen Vielzahl anderer Verkehrsteilnehmer zu schwer, als dass es verantwortet werden könnte, dem Antragsteller bis zu einer endgültigen Klärung seiner Fahreignung vorerst die weitere Verkehrsteilnahme zur Fahrgastbeförderung zu erlauben.

Vor diesem Hintergrund begegnet auch die in der Ordnungsverfügung enthaltene deklaratorische Aufforderung zur Abgabe des Führerscheins zur Fahrgastbeförderung (vgl. § 3 Abs. 2 Sätze 3 und 4 StVG, §§ 48 Abs. 10 Satz 3 i.V.m. 47 Abs. 1 Satz 1 FeV) keinen Bedenken.

Schließlich kommt auch eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Zwangsgeldandrohung nicht in Betracht. Sie entspricht den Anforderungen der §§ 55 Abs. 1, 57 Abs. 1 Nr. 2, 60, 63 VwVG NRW und soll sicherstellen, dass der Ordnungsverfügung hinsichtlich der Pflicht zur Abgabe des Führerscheins zur Fahrgastbeförderung Folge geleistet wird.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

2. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. § 52 Abs. 1 und Abs. 2 GKG. Sie entspricht der Rechtsprechung des OVG NRW, wonach bei Streitigkeiten, in denen es allein um die Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung geht, der Wert des Streitgegenstandes mit dem Auffangwert zu bemessen ist.

OVG NRW, Beschlüsse vom 23. April 2013 – 16 B 1408/12 – und vom 20. November 2012 – 16 A 2172/12 -, juris.

Wegen der Vorläufigkeit des vorliegenden Verfahrens wird hiervon die Hälfte in Ansatz gebracht.

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