Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Der Fall vor Gericht
- Streit um Punkte und Fahrerlaubnisentzug vor Gericht
- Das Fahreignungs-Bewertungssystem als Hintergrund
- Der konkrete Fall: Punkte sammeln bis zum Entzug
- Der juristische Kernkonflikt: Verwertbarkeit eines gelöschten Verstoßes
- Die Entscheidung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts
- Bedeutung der Entscheidung für Betroffene
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Benötigen Sie Hilfe?
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Wie funktioniert das Punktebewertungssystem für Verkehrsverstöße in Deutschland?
- Welche Maßnahmen werden bei Erreichen bestimmter Punktestände im Fahreignungsregister ergriffen?
- Was bedeutet „Verwertungsverbot“ im Zusammenhang mit dem Fahrerlaubnisentzug und wie wirkt es sich aus?
- Was passiert, wenn ich Einspruch gegen einen Bescheid zum Fahrerlaubnisentzug einlegen möchte?
- Kann ein bereits getilgter Verkehrsverstoß trotzdem noch zum Fahrerlaubnisentzug führen?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Hinweise und Tipps
- Das vorliegende Urteil
Zum vorliegenden Urteil Az.: 6 B 5/22 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Sächsisches Oberverwaltungsgericht (OVG)
- Datum: 9. März 2022
- Aktenzeichen: 6 B 5/22
- Verfahrensart: Eilverfahren
- Rechtsbereiche: Verkehrsrecht
Beteiligte Parteien:
- Kläger: Ein Fahrer (Antragsteller im Eilverfahren), dem die Fahrerlaubnis entzogen wurde. Er argumentierte, dass eine frühere Ermahnung ungültig sei, da ein zugrunde liegender Verstoß inzwischen aus dem Register gelöscht wurde.
- Beklagte: Die zuständige Fahrerlaubnisbehörde, die die Ermahnung aussprach und später die Fahrerlaubnis entzog.
Worum ging es in dem Fall?
- Sachverhalt: Einem Fahrer wurde die Fahrerlaubnis entzogen, nachdem er neun Punkte im Fahreignungsregister angesammelt hatte. Zuvor war er bei Erreichen von vier Punkten im Januar 2019 behördlich ermahnt worden. Gegen den Entzug der Fahrerlaubnis legte der Fahrer Widerspruch ein und beantragte gerichtlichen Eilrechtsschutz.
- Kern des Rechtsstreits: Die Frage, ob eine behördliche Ermahnung wegen Punkten im Fahreignungsregister ihre Wirkung behält, auch wenn einer der Verkehrsverstöße, die zur Ermahnung führten, später wegen Fristablaufs aus dem Register gelöscht (getilgt) wird und ob das Verwertungsverbot nach § 29 Abs. 7 Satz 1 StVG dem entgegensteht.
Was wurde entschieden?
- Entscheidung: Die Entziehung der Fahrerlaubnis war rechtmäßig. Die frühere Ermahnung behielt ihre Gültigkeit.
Der Fall vor Gericht
Streit um Punkte und Fahrerlaubnisentzug vor Gericht

Das Sächsische Oberverwaltungsgericht (OVG) hat in einem Eilverfahren entschieden, dass die Entziehung einer Fahrerlaubnis wegen zu vieler Punkte rechtmäßig war. Dabei ging es insbesondere um die Frage, ob eine frühere behördliche Maßnahme, eine sogenannte Ermahnung, ihre Gültigkeit verliert, wenn eine der zugrunde liegenden Verkehrsverstöße später aus dem Register gelöscht wird. Die Entscheidung fiel am 9. März 2022 unter dem Aktenzeichen 6 B 5/22.
Das Fahreignungs-Bewertungssystem als Hintergrund
In Deutschland existiert ein Punktesystem, das die Fahreignung von Verkehrsteilnehmern bewertet. Verstöße gegen Verkehrsregeln führen zu Einträgen im Fahreignungsregister (FAER) in Flensburg. Je nach Schwere des Verstoßes werden Punkte vergeben. Das System sieht bei bestimmten Punkteständen gestufte Maßnahmen vor, die in § 4 Absatz 5 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) geregelt sind.
Die Stufen des Maßnahmen-Systems
Erreicht ein Fahrer 4 oder 5 Punkte, erfolgt eine Ermahnung durch die Fahrerlaubnisbehörde. Bei 6 oder 7 Punkten folgt eine Verwarnung. Wird der Stand von 8 oder mehr Punkten erreicht, gilt der Fahrer als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, und die Fahrerlaubnis wird in der Regel entzogen. Diese Maßnahmen müssen in der vorgesehenen Reihenfolge ergriffen werden.
Der konkrete Fall: Punkte sammeln bis zum Entzug
Der Antragsteller in diesem Fall hatte über die Jahre mehrere Verkehrsverstöße begangen und Punkte angesammelt. Die zuständige Behörde hatte ihn am 22. Januar 2019 bei einem Stand von vier Punkten gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG ermahnt. Später erreichte er weitere Punkte, was schließlich zu einem Punktestand von neun führte. Daraufhin entzog ihm die Behörde am 8. November 2021 die Fahrerlaubnis (Klassen A und B) und forderte die Abgabe des Führerscheins.
Der juristische Kernkonflikt: Verwertbarkeit eines gelöschten Verstoßes
Der Fahrer legte Widerspruch ein und beantragte beim Verwaltungsgericht Leipzig, die Sofortige Vollziehung des Bescheids auszusetzen. Er argumentierte, die ursprüngliche Ermahnung vom Januar 2019 sei fehlerhaft gewesen. Ein Verstoß vom 30. Dezember 2016, der damals mit einem Punkt bewertet wurde und zur Ermahnung beitrug, sei inzwischen aus dem Register gelöscht worden.
Argumentation des Antragstellers
Der Antragsteller berief sich auf das absolute Verwertungsverbot nach § 29 Abs. 7 Satz 1 StVG. Dieses besagt, dass Taten nach Ablauf bestimmter Fristen (Tilgungsfristen) nicht mehr für Maßnahmen gegen den Betroffenen herangezogen werden dürfen. Er meinte, dieser Grundsatz müsse auch „rückwirkend“ gelten: Da der Verstoß von 2016 nun gelöscht sei, dürfe er auch nicht mehr zur Rechtfertigung der damaligen Ermahnung dienen. Fehle aber eine korrekte Ermahnung, sei das gesamte Stufensystem nicht ordnungsgemäß durchlaufen worden, und der Fahrerlaubnisentzug sei rechtswidrig. Er verwies zur Stützung seiner Ansicht auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts.
Sichtweise der Behörde und des Verwaltungsgerichts
Die Behörde und das erstinstanzliche Verwaltungsgericht Leipzig sahen dies anders. Sie argumentierten, für die Rechtmäßigkeit einer Maßnahme nach dem Punktesystem sei der Zeitpunkt entscheidend, zu dem die Maßnahme ergriffen wird. Zum Zeitpunkt der Ermahnung im Januar 2019 sei der Verstoß vom Dezember 2016 noch im Register eingetragen und verwertbar gewesen. Die Tilgungsfrist für diesen Verstoß sei erst im September 2019 abgelaufen. Daher sei die Ermahnung damals korrekt erfolgt.
Die Entscheidung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts
Das OVG wies die Beschwerde des Antragstellers zurück und bestätigte die Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Die Richter stellten klar, dass für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des aktuellen Fahrerlaubnisentzugs zwar die Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung maßgeblich ist. Das bedeutet, dass der inzwischen gelöschte Verstoß von 2016 nicht mehr in die Berechnung des Punktestandes für den Entzug selbst einfließen durfte.
Maßgeblichkeit des Zeitpunkts der jeweiligen Maßnahme
Der entscheidende Punkt der OVG-Argumentation war jedoch die Differenzierung: Das Verwertungsverbot des § 29 Abs. 7 Satz 1 StVG hindert zwar die Nutzung der gelöschten Tat für die aktuelle Maßnahme (den Entzug). Es führt aber nicht dazu, dass eine frühere Maßnahme (die Ermahnung), die zum Zeitpunkt ihres Erlasses rechtmäßig war, nachträglich rechtswidrig wird.
Keine rückwirkende Ungültigkeit früherer Stufen
Das Gericht betonte, dass die Ermahnung im Januar 2019 auf Basis der damals im Fahreignungsregister gespeicherten und verwertbaren Punkte erfolgte. Die spätere Löschung eines dieser Punkte ändert nichts an der damaligen Rechtmäßigkeit der Ermahnung. Das Stufensystem des § 4 StVG sei somit korrekt durchlaufen worden. Die vom Antragsteller zitierte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts sei für diesen spezifischen Aspekt nicht einschlägig.
Bestätigung des Fahrerlaubnisentzugs
Da die Ermahnung von 2019 gültig war und der Antragsteller anschließend die Punktestände für die Verwarnung und schließlich für den Entzug erreichte, war die Entziehung der Fahrerlaubnis bei Erreichen von neun Punkten gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG rechtmäßig. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung wurde ebenfalls als gerechtfertigt angesehen. Der Antragsteller muss die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen.
Bedeutung der Entscheidung für Betroffene
Diese Entscheidung hat wichtige Klarstellungen für Autofahrer im Punktesystem zur Folge:
- Keine „Heilung“ durch Zeitablauf: Eine einmal rechtmäßig erfolgte Maßnahme im Punktesystem (Ermahnung oder Verwarnung) bleibt gültig, auch wenn einer der zugrunde liegenden Verstöße später wegen Fristablaufs aus dem Register gelöscht wird. Man kann sich also nicht darauf berufen, dass eine frühere Stufe „hinfällig“ wird.
- Fokus auf den Zeitpunkt der Maßnahme: Für die Rechtmäßigkeit jeder einzelnen Stufe (Ermahnung, Verwarnung, Entzug) ist der Punktestand und die Verwertbarkeit der Einträge zum Zeitpunkt des Erlasses dieser spezifischen Maßnahme entscheidend.
- Verwertungsverbot wirkt nicht rückwirkend: Das Verwertungsverbot nach § 29 Abs. 7 StVG verhindert nur, dass eine gelöschte Tat für zukünftige oder aktuelle Maßnahmen herangezogen wird. Es macht aber keine rechtmäßig ergangenen früheren Bescheide ungültig.
- Konsequenz für Fahrer: Wer einmal eine Ermahnung oder Verwarnung erhalten hat, muss sich bewusst sein, dass diese Stufe „verbraucht“ ist. Auch wenn alte Punkte später getilgt werden, beginnt das System nicht von Neuem. Weitere Punkte führen konsequent zur nächsten Stufe bis hin zum möglichen Fahrerlaubnisentzug bei Erreichen von 8 Punkten.
Zusammenfassend unterstreicht das Urteil die strikte Anwendung des Stufensystems und die Bedeutung des jeweiligen Punktestandes zum Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung. Eine nachträgliche „Bereinigung“ der Akte durch Tilgung einzelner Punkte hebt die Konsequenzen bereits durchlaufener Maßnahmen nicht auf.
Die Schlüsselerkenntnisse
Das Urteil verdeutlicht, dass bei einer Fahrerlaubnisentziehung aufgrund des Punktesystems frühere Maßnahmen (wie Ermahnungen) rechtmäßig bleiben, auch wenn die zugrundeliegenden Verkehrsverstöße später aus dem Register gelöscht werden. Einmal rechtmäßig ergriffene Maßnahmen behalten ihre Gültigkeit und können als Vorstufen für spätere Entscheidungen herangezogen werden, solange bei der aktuellen Entziehungsentscheidung nur noch verwertbare (nicht gelöschte) Einträge berücksichtigt werden. Für Betroffene bedeutet dies, dass der schrittweise Aufbau des Punktesystems nicht rückwirkend außer Kraft gesetzt wird, wenn einzelne frühere Verstöße durch Zeitablauf getilgt werden.
Benötigen Sie Hilfe?
Fahrerlaubnisentzug wegen Punkten: Ihre rechtlichen Möglichkeiten
Das Punktesystem in Deutschland kann bei Erreichen bestimmter Punktestände zu Maßnahmen wie Ermahnung, Verwarnung oder sogar Fahrerlaubnisentzug führen. Wenn Sie bereits eine Ermahnung oder Verwarnung erhalten haben und weitere Punkte sammeln, kann dies schwerwiegende Konsequenzen haben.
Unser Team unterstützt Sie dabei, Ihre rechtlichen Möglichkeiten zu prüfen und Ihre Interessen zu vertreten. Wir beraten Sie individuell und kompetent in Fragen rund um das Fahreignungs-Bewertungssystem und den Fahrerlaubnisentzug, basierend auf den Regelungen des § 4 Absatz 5 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG).
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Wie funktioniert das Punktebewertungssystem für Verkehrsverstöße in Deutschland?
Das deutsche Punktesystem, offiziell Fahreignungs-Bewertungssystem genannt, dient dazu, die Sicherheit im Straßenverkehr zu erhöhen. Verstöße, die die Verkehrssicherheit gefährden, werden mit Punkten bewertet und im Fahreignungsregister (FAER) beim Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) in Flensburg gespeichert. Ziel ist es, Fahrerinnen und Fahrer bei wiederholten Auffälligkeiten schrittweise zu verwarnen und bei Erreichen einer bestimmten Grenze die Fahrerlaubnis zu entziehen.
Wie werden Punkte vergeben?
Punkte gibt es nicht für jeden kleinen Verstoß (wie z.B. Falschparken), sondern nur für solche, die die Verkehrssicherheit erheblich beeinträchtigen. Je nach Schwere des Verstoßes werden unterschiedlich viele Punkte vergeben:
- 1 Punkt: Für schwerwiegende Ordnungswidrigkeiten. Beispiele hierfür sind das Benutzen des Handys am Steuer oder eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 21 km/h oder mehr.
- 2 Punkte: Für besonders schwerwiegende Ordnungswidrigkeiten, die oft auch ein Fahrverbot nach sich ziehen (z.B. ein Rotlichtverstoß mit Gefährdung anderer), oder für Straftaten im Straßenverkehr, bei denen die Fahrerlaubnis nicht sofort entzogen wird (z.B. bestimmte Fälle von Nötigung oder Gefährdung des Straßenverkehrs).
- 3 Punkte: Für Straftaten im Straßenverkehr, bei denen die Fahrerlaubnis direkt entzogen wird. Dies ist beispielsweise bei einer Trunkenheitsfahrt mit einem Blutalkoholwert von 1,1 Promille oder mehr der Fall.
Diese Punkte werden im Fahreignungsregister für Sie persönlich gesammelt.
Was passiert bei welchem Punktestand? (Maßnahmenstufen)
Das System sieht mehrere Stufen vor, je nachdem, wie viele Punkte Sie angesammelt haben. Diese Stufen sollen Ihnen helfen, Ihr Fahrverhalten zu überdenken und zu ändern, bevor es zum Äußersten kommt:
- 1 bis 3 Punkte: Sie werden im Register vorgemerkt. Direkte Maßnahmen erfolgen noch nicht, aber die Punkte sind gespeichert.
- 4 bis 5 Punkte: Sie erhalten eine schriftliche Ermahnung von Ihrer zuständigen Fahrerlaubnisbehörde. Sie werden auf die Möglichkeit hingewiesen, freiwillig an einem Fahreignungsseminar teilzunehmen. Durch die Teilnahme können Sie bei diesem Punktestand einen Punkt abbauen (dies ist nur einmal alle fünf Jahre möglich).
- 6 bis 7 Punkte: Sie erhalten eine schriftliche Verwarnung. Auch hier wird auf die Möglichkeit eines Fahreignungsseminars hingewiesen, allerdings können Sie durch die Teilnahme keinen Punkt mehr abbauen. Die Verwarnung macht deutlich, dass bei weiteren Punkten der Entzug der Fahrerlaubnis droht.
- 8 Punkte oder mehr: Bei Erreichen von 8 Punkten gilt Ihre Fahreignung als nicht mehr gegeben. Die Fahrerlaubnisbehörde entzieht Ihnen die Fahrerlaubnis. Diese Maßnahme ist zwingend. Sie dürfen dann keine fahrerlaubnispflichtigen Fahrzeuge mehr führen. Eine neue Fahrerlaubnis kann frühestens nach einer Sperrfrist von mindestens sechs Monaten beantragt werden und ist oft an Bedingungen geknüpft, wie beispielsweise die erfolgreiche Teilnahme an einer Medizinisch-Psychologischen Untersuchung (MPU).
Wie lange bleiben Punkte gespeichert? (Tilgungsfristen)
Punkte bleiben nicht für immer in Ihrem Register stehen. Sie werden nach Ablauf bestimmter Fristen automatisch gelöscht (getilgt). Wichtig ist: Die Frist beginnt für jeden Verstoß einzeln mit dem Datum der Rechtskraft der Entscheidung (z.B. des Bußgeldbescheids oder Urteils). Neue Punkte beeinflussen die Tilgung älterer Punkte nicht. Die Fristen sind:
- 2,5 Jahre: für Ordnungswidrigkeiten mit 1 Punkt.
- 5 Jahre: für Ordnungswidrigkeiten und Straftaten mit 2 Punkten.
- 10 Jahre: für Straftaten mit 3 Punkten (also Taten, die zur Entziehung der Fahrerlaubnis führten).
Nach Ablauf der jeweiligen Tilgungsfrist bleiben die Punkte noch für ein weiteres Jahr gespeichert (die sogenannte Überliegefrist). In dieser Zeit werden sie zwar nicht mehr für die Berechnung Ihres aktuellen Punktestands herangezogen, können aber noch relevant sein, um den Punktestand zum Zeitpunkt eines neuen Verstoßes nachzuvollziehen. Danach werden sie endgültig gelöscht.
Welche Maßnahmen werden bei Erreichen bestimmter Punktestände im Fahreignungsregister ergriffen?
Das Fahreignungsregister, oft einfach als „Punktekonto in Flensburg“ bezeichnet, erfasst bestimmte Verkehrsverstöße. Je nach Schwere des Verstoßes werden Punkte vergeben. Das Erreichen bestimmter Punktestände führt zu gestuften Maßnahmen durch die Fahrerlaubnisbehörde, die darauf abzielen, Ihre Fahreignung zu verbessern und die Verkehrssicherheit zu gewährleisten.
Maßnahmen bei 4 oder 5 Punkten: Die Ermahnung
Erreichen Sie einen Stand von vier oder fünf Punkten, erhalten Sie von der Fahrerlaubnisbehörde eine schriftliche Ermahnung.
- Was passiert: Sie werden über Ihren aktuellen Punktestand informiert. Gleichzeitig erhalten Sie den Hinweis, dass Sie freiwillig an einem Fahreignungsseminar teilnehmen können.
- Ziel: Die Ermahnung soll Sie auf Ihr Fahrverhalten aufmerksam machen und Ihnen die Möglichkeit geben, durch die Teilnahme am Seminar einen Punkt abzubauen und Ihr Verhalten zu überdenken.
Maßnahmen bei 6 oder 7 Punkten: Die Verwarnung
Bei einem Punktestand von sechs oder sieben Punkten erfolgt eine schriftliche Verwarnung durch die Fahrerlaubnisbehörde.
- Was passiert: Sie werden erneut über Ihren Punktestand informiert. In der Verwarnung wird ausdrücklich auf die drohende Entziehung der Fahrerlaubnis hingewiesen, falls Sie acht Punkte erreichen. Sie werden auch auf die Möglichkeit hingewiesen, freiwillig an einem Fahreignungsseminar teilzunehmen.
- Wichtiger Hinweis zur Punktereduzierung: Wenn Sie bei diesem Punktestand (6 oder 7 Punkte) an einem Fahreignungsseminar teilnehmen, können Sie dadurch keinen Punkt mehr abbauen. Die Möglichkeit zum Punktabbau durch ein Seminar besteht nur bei einem Stand von 1 bis 5 Punkten.
- Ziel: Die Verwarnung ist eine ernste Warnstufe. Sie soll Ihnen die Konsequenzen weiteren Fehlverhaltens verdeutlichen.
Maßnahmen bei 8 oder mehr Punkten: Die Entziehung der Fahrerlaubnis
Wenn Ihr Punktekonto acht oder mehr Punkte erreicht, gilt Ihre Fahreignung als nicht mehr gegeben.
- Was passiert: Die Fahrerlaubnisbehörde entzieht Ihnen die Fahrerlaubnis. Das bedeutet, Sie dürfen keine fahrerlaubnispflichtigen Fahrzeuge mehr führen.
- Konsequenz: Neben dem Verlust der Fahrerlaubnis wird in der Regel eine Sperrfrist für die Neuerteilung festgelegt. Erst nach Ablauf dieser Frist und oft nach Erfüllung weiterer Auflagen (z.B. eine Medizinisch-Psychologische Untersuchung – MPU) können Sie eine neue Fahrerlaubnis beantragen.
- Grundlage: Diese Maßnahme basiert auf § 4 Absatz 5 Satz 1 Nummer 3 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG), wonach bei Erreichen von 8 Punkten die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen angenommen wird.
Punktereduzierung durch ein Fahreignungsseminar
Sie haben unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit, durch die freiwillige Teilnahme an einem Fahreignungsseminar Ihren Punktestand zu reduzieren.
- Voraussetzung: Ihr Punktestand darf zum Zeitpunkt der Ausstellung der Teilnahmebescheinigung nicht mehr als fünf Punkte betragen.
- Wirkung: Durch die erfolgreiche Teilnahme können Sie einen Punkt abbauen.
- Häufigkeit: Diese Möglichkeit des Punktabbaus besteht nur einmal innerhalb von fünf Jahren.
Es ist wichtig, den eigenen Punktestand im Blick zu behalten, da die Maßnahmen automatisch bei Erreichen der jeweiligen Stufen eingeleitet werden. Den aktuellen Stand können Sie beim Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) in Flensburg abfragen.
Was bedeutet „Verwertungsverbot“ im Zusammenhang mit dem Fahrerlaubnisentzug und wie wirkt es sich aus?
Das Verwertungsverbot ist eine wichtige Regelung im Straßenverkehrsgesetz (§ 29 Absatz 7 Satz 1 StVG). Es bedeutet vereinfacht gesagt: Ältere Verkehrsverstöße dürfen nach Ablauf bestimmter Fristen nicht mehr gegen Sie verwendet werden. Sie werden sozusagen aus Ihrer „Punkteakte“ gelöscht und dürfen dann weder zu einem höheren Punktestand führen noch Grundlage für Maßnahmen wie eine Ermahnung, eine Verwarnung oder den Entzug der Fahrerlaubnis sein.
Stellen Sie es sich wie ein Verfallsdatum für Ihre Punkte und Verkehrsverstöße vor.
Welche Fristen gelten für das Verwertungsverbot?
Die Fristen, nach denen ein Verstoß nicht mehr verwertet werden darf (sogenannte Tilgungsfristen), sind je nach Schwere des Verstoßes unterschiedlich lang:
- 2,5 Jahre: Für weniger schwerwiegende Ordnungswidrigkeiten mit 1 Punkt (z.B. Handy am Steuer, einfache Geschwindigkeitsüberschreitung).
- 5 Jahre: Für grobe Ordnungswidrigkeiten mit 2 Punkten (z.B. Rotlichtverstoß mit Gefährdung) und für Straftaten mit 1 oder 2 Punkten (ohne Entziehung der Fahrerlaubnis oder Sperrfrist).
- 10 Jahre: Für Straftaten, bei denen die Fahrerlaubnis entzogen oder eine Sperrfrist angeordnet wurde (3 Punkte).
Wichtig: Diese Fristen beginnen mit dem Datum, an dem die Entscheidung über den Verstoß rechtskräftig wurde (also z.B. das Datum des Bußgeldbescheids, wenn kein Einspruch erfolgte, oder das Datum des Gerichtsurteils).
Nach Ablauf der jeweiligen Tilgungsfrist kommt noch eine einjährige „Überliegefrist“ hinzu. In diesem Jahr ist der Verstoß zwar schon getilgt, bleibt aber noch in der Akte sichtbar. Das ist wichtig, damit die Behörde prüfen kann, ob ein neuer Verstoß vielleicht noch in die Tilgungsfrist eines alten Verstoßes fiel. Erst nach Ablauf dieser Überliegefrist wird der Eintrag endgültig und vollständig aus dem Fahreignungsregister entfernt und darf für keinerlei Maßnahmen mehr herangezogen werden.
Wie wirkt sich das Verwertungsverbot auf das Punktesystem aus?
Das Verwertungsverbot sorgt dafür, dass Ihr Punktestand aktuell bleibt und alte „Sünden“ nicht ewig nachwirken:
- Punkte werden gelöscht: Punkte für einen Verstoß werden nach Ablauf der Tilgungs- und Überliegefrist automatisch gelöscht. Sie zählen dann nicht mehr zu Ihrem aktuellen Punktestand.
- Grundlage für Maßnahmen entfällt: Wurden Sie zum Beispiel bei Erreichen von 4 oder 5 Punkten ermahnt oder bei 6 oder 7 Punkten verwarnt, basierte dies auf den zu diesem Zeitpunkt vorhandenen Punkten. Wenn die Punkte, die zu dieser Maßnahme geführt haben, später wegen des Verwertungsverbots getilgt werden, können diese alten Punkte nicht mehr für die nächste Stufe (also Verwarnung oder Entzug) herangezogen werden. Die Ermahnung oder Verwarnung selbst bleibt zwar in Ihrer Akte (bis zu ihrer eigenen Tilgung), aber die Punkte dahinter sind „weg“.
Was bedeutet das konkret für den Fahrerlaubnisentzug?
Der Entzug der Fahrerlaubnis droht, wenn 8 Punkte erreicht werden. Das Verwertungsverbot ist hier entscheidend:
- Getilgte Punkte zählen nicht mit: Punkte aus Verstößen, deren Tilgungsfrist (plus Überliegefrist) abgelaufen ist, dürfen bei der Berechnung der 8 Punkte nicht mehr berücksichtigt werden.
- Prüfung durch die Behörde: Die Fahrerlaubnisbehörde muss immer prüfen, ob die Punkte, die sie für eine Maßnahme (wie den Entzug) heranziehen will, überhaupt noch verwertbar sind oder ob bereits ein Verwertungsverbot eingetreten ist.
Für Sie bedeutet das: Auch wenn Sie in der Vergangenheit mehrere Punkte gesammelt haben, kann es sein, dass ältere Punkte aufgrund des Verwertungsverbots bereits getilgt sind und daher nicht mehr für einen drohenden Fahrerlaubnisentzug relevant sind. Die Behörde ist gesetzlich verpflichtet, diese Verwertungsverbote zu beachten.
Was passiert, wenn ich Einspruch gegen einen Bescheid zum Fahrerlaubnisentzug einlegen möchte?
Wenn Sie einen Bescheid über den Entzug Ihrer Fahrerlaubnis erhalten haben und damit nicht einverstanden sind, gibt es rechtliche Möglichkeiten, dagegen vorzugehen. Man spricht hierbei in der Regel vom Widerspruchsverfahren und, falls dieses nicht erfolgreich ist, von einem Gerichtsverfahren.
Das Widerspruchsverfahren – Der erste Schritt
Gegen den Bescheid der Fahrerlaubnisbehörde können Sie Widerspruch einlegen. Das ist ein offizieller Antrag an die Behörde, ihre Entscheidung noch einmal zu überprüfen.
- Frist: Für den Widerspruch haben Sie grundsätzlich einen Monat Zeit. Diese Frist beginnt in der Regel ab dem Zeitpunkt, an dem Sie den Bescheid erhalten (Bekanntgabe). Es ist sehr wichtig, diese Frist genau einzuhalten. Ein verspäteter Widerspruch wird meist als unzulässig abgewiesen. Die genaue Frist und wohin Sie den Widerspruch richten müssen, steht in der Rechtsbehelfsbelehrung am Ende Ihres Bescheids.
- Form: Der Widerspruch muss schriftlich (also per Brief mit Ihrer Unterschrift) oder zur Niederschrift bei der Behörde eingereicht werden, die den Bescheid erlassen hat. Das bedeutet, Sie können dort persönlich hingehen und Ihren Widerspruch aufschreiben lassen. Eine einfache E-Mail reicht in der Regel nicht aus. Achten Sie auf die Hinweise in der Rechtsbehelfsbelehrung.
- Ablauf: Nachdem Sie Widerspruch eingelegt haben, prüft die Behörde den Fall erneut. Sie prüft dabei auch, ob die Gründe für den Entzug (zum Beispiel die Anzahl der Punkte im Fahreignungsregister oder andere Eignungszweifel) korrekt berücksichtigt wurden und ob alle Verfahrensschritte eingehalten wurden.
- Wenn die Behörde feststellt, dass Ihr Widerspruch berechtigt ist, hebt sie den ursprünglichen Bescheid auf. Man sagt: Sie „hilft dem Widerspruch ab“. In diesem Fall bekommen Sie Ihren Führerschein zurück bzw. müssen ihn nicht abgeben.
- Wenn die Behörde bei ihrer ursprünglichen Entscheidung bleibt, weist sie den Widerspruch durch einen Widerspruchsbescheid zurück. In diesem Bescheid wird erklärt, warum Ihrem Widerspruch nicht stattgegeben wird.
Das Gerichtsverfahren – Wenn der Widerspruch nicht erfolgreich war
Sind Sie mit dem Widerspruchsbescheid nicht einverstanden, weil Ihr Widerspruch zurückgewiesen wurde, können Sie den nächsten Schritt gehen und Klage beim zuständigen Verwaltungsgericht einreichen.
- Frist: Auch hierfür gibt es eine Frist von einem Monat. Diese beginnt, sobald Ihnen der Widerspruchsbescheid zugestellt wurde. Die Einhaltung dieser Frist ist ebenfalls sehr wichtig, da eine verspätete Klage in der Regel abgewiesen wird.
- Ablauf: Das Verwaltungsgericht prüft als unabhängige Instanz, ob der Entzug Ihrer Fahrerlaubnis durch die Behörde rechtmäßig war. Es überprüft die gesamte Angelegenheit, einschließlich des ursprünglichen Bescheids und des Widerspruchsbescheids, auf Rechtsfehler. Das Verfahren findet oft zunächst schriftlich statt, es kann aber auch zu einer mündlichen Verhandlung kommen, in der Sie oder Ihr Vertreter die Argumente nochmals vortragen können. Am Ende entscheidet das Gericht durch ein Urteil oder einen Beschluss.
Wichtiger Hinweis: Sofortige Wirkung des Entzugs
Bitte beachten Sie: Ein Widerspruch oder eine spätere Klage gegen den Fahrerlaubnisentzug haben in der Regel keine aufschiebende Wirkung. Das bedeutet, die Anordnung der Behörde, den Führerschein abzugeben, ist meist sofort vollziehbar. Für Sie heißt das: Sie müssen Ihren Führerschein in der Regel trotz des eingelegten Widerspruchs oder der Klage zum von der Behörde genannten Zeitpunkt abgeben und dürfen bis zu einer anderslautenden Entscheidung nicht mehr fahren. Ob die sofortige Vollziehung angeordnet wurde, steht ebenfalls in Ihrem Bescheid. Die Rechtmäßigkeit des Entzugs selbst, zum Beispiel aufgrund der Punktebewertung, wird dann im Widerspruchs- oder Gerichtsverfahren geprüft.
Kann ein bereits getilgter Verkehrsverstoß trotzdem noch zum Fahrerlaubnisentzug führen?
Grundsätzlich gilt: Ein Verkehrsverstoß, der im Fahreignungsregister (FAER) – oft auch als „Punkteregister“ bezeichnet – getilgt wurde, darf für zukünftige Maßnahmen wie einen Fahrerlaubnisentzug nicht mehr verwendet werden. Dies ist durch das sogenannte Verwertungsverbot gesetzlich geregelt.
Was bedeutet Tilgung und Verwertungsverbot?
Wenn ein Eintrag über einen Verkehrsverstoß im Fahreignungsregister „getilgt“ wird, bedeutet das, dass er nach Ablauf einer bestimmten Frist nicht mehr berücksichtigt werden darf. Die Tilgungsfristen richten sich nach der Schwere des Verstoßes.
Das Verwertungsverbot (§ 29 Absatz 7 Straßenverkehrsgesetz – StVG) ist eine wichtige Schutzregelung. Es stellt sicher, dass Ihnen alte Verstöße, deren Tilgungsfrist abgelaufen ist, nicht unbegrenzt nachgetragen werden können. Für Sie bedeutet das:
- Die Punkte für den getilgten Verstoß zählen nicht mehr für die Berechnung Ihres aktuellen Punktestandes.
- Die Fahrerlaubnisbehörde darf diesen getilgten Verstoß grundsätzlich nicht mehr als Grundlage für neue Maßnahmen (wie z.B. die Anordnung eines Aufbauseminars, einer MPU oder den Entzug der Fahrerlaubnis) heranziehen.
Die Bedeutung des Tilgungsdatums und der Überliegefrist
Entscheidend ist das offizielle Tilgungsdatum des Eintrags. Nach Ablauf der jeweiligen Tilgungsfrist (z.B. 2,5 Jahre, 5 Jahre oder 10 Jahre) beginnt noch eine sogenannte Überliegefrist von einem Jahr. In dieser Zeit ist der Eintrag technisch noch im Register gespeichert, darf aber in der Regel bereits nicht mehr verwertet werden. Diese Überliegefrist dient vor allem dazu, den Punktestand zum Zeitpunkt einer neuen Tat korrekt ermitteln zu können. Nach Ablauf der Überliegefrist wird der Eintrag endgültig physisch aus dem Register gelöscht. Ab dem Tilgungsdatum (Beginn der Überliegefrist) greift grundsätzlich das Verwertungsverbot.
Gibt es Ausnahmen vom Verwertungsverbot?
Ja, es gibt eine wichtige Ausnahme: Wenn eine Maßnahme bezüglich Ihrer Fahreignung bereits eingeleitet oder sogar schon entschieden wurde, bevor der zugrundeliegende Verstoß getilgt wurde, dann darf dieser Verstoß für genau diese laufende Maßnahme noch berücksichtigt werden.
- Beispiel: Angenommen, Sie erreichen durch mehrere Verstöße 8 Punkte und die Behörde beschließt daraufhin den Entzug Ihrer Fahrerlaubnis. Wenn einer der Verstöße, die zu dieser Entscheidung geführt haben, erst nach dem Beschluss der Behörde, aber bevor der Entzug wirksam wird, seine Tilgungsreife erreicht, ändert dies nichts mehr an der Rechtmäßigkeit des bereits beschlossenen Entzugs. Die Behörde durfte den Verstoß zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung noch verwerten.
Für die Bewertung neuer, zukünftiger Verkehrsverstöße oder Maßnahmen darf ein einmal getilgter Verstoß jedoch nicht mehr herangezogen werden. Er ist sozusagen aus Ihrer „Verkehrssünderdatei“ verschwunden.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung ersetzen kann. Haben Sie konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren – wir beraten Sie gerne.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Ermahnung (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG)
Die Ermahnung ist die erste von drei behördlichen Maßnahmen im deutschen Fahreignungs-Bewertungssystem (Punktesystem). Sie wird ausgesprochen, wenn ein Fahrer einen Punktestand von 4 oder 5 erreicht hat (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG). Mit der Ermahnung weist die Fahrerlaubnisbehörde den Betroffenen auf seinen Punktestand hin und fordert ihn auf, sein Fahrverhalten zu ändern, um den Entzug der Fahrerlaubnis zu vermeiden. Sie ist eine notwendige Voraussetzung, bevor bei weiteren Verstößen die nächste Stufe, die Verwarnung, erfolgen darf. Im vorliegenden Fall war die Rechtmäßigkeit dieser Ermahnung strittig, da ein zugrundeliegender Verstoß später gelöscht wurde.
Beispiel: Sie überfahren eine rote Ampel (1 Punkt) und telefonieren später am Steuer (1 Punkt). Monate danach werden Sie mit überhöhter Geschwindigkeit geblitzt (2 Punkte). Bei Erreichen von 4 Punkten erhalten Sie von der Behörde eine schriftliche Ermahnung.
Absolute Verwertungsverbot (§ 29 Abs. 7 Satz 1 StVG)
Das absolute Verwertungsverbot ist eine Schutzvorschrift im Straßenverkehrsgesetz (§ 29 Abs. 7 Satz 1 StVG). Sie legt fest, dass Eintragungen über Verkehrsverstöße im Fahreignungsregister nach Ablauf bestimmter Fristen (Tilgungsfristen) nicht mehr zum Nachteil des Betroffenen verwendet werden dürfen. Diese „Verwertung“ ist absolut verboten, das heißt, die Tat darf für keinerlei behördliche oder gerichtliche Maßnahmen gegen den Fahrer mehr herangezogen werden, als wäre sie nie geschehen. Der Antragsteller meinte, dieses Verbot müsse auch eine frühere, auf der (inzwischen getilgten) Tat basierende Ermahnung nachträglich ungültig machen.
Beispiel: Ein Geschwindigkeitsverstoß von 2018 wird 2021 aus dem Register getilgt (gelöscht). Wenn Sie 2022 einen neuen Verstoß begehen, darf die Behörde den alten Verstoß von 2018 bei der Entscheidung über die neue Strafe oder Maßnahme nicht mehr berücksichtigen oder auch nur erwähnen.
Sofortige Vollziehung
Die sofortige Vollziehung bedeutet, dass eine behördliche Anordnung (z. B. die Entziehung der Fahrerlaubnis) sofort wirksam wird und befolgt werden muss, auch wenn der Betroffene dagegen Widerspruch oder Klage eingereicht hat. Normalerweise hätte ein Rechtsmittel aufschiebende Wirkung, d.h., die Entscheidung würde erst nach Abschluss des Verfahrens umgesetzt. Die Behörde kann die sofortige Vollziehung aber anordnen, wenn ein besonderes öffentliches Interesse dies rechtfertigt (geregelt in § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO), z.B. bei Gefahren für die Verkehrssicherheit. Gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung kann der Betroffene gerichtlichen Eilrechtsschutz beantragen, wie es der Antragsteller im Text getan hat.
Beispiel: Die Behörde entzieht Ihnen die Fahrerlaubnis und ordnet die sofortige Vollziehung an. Sie müssen Ihren Führerschein sofort abgeben, selbst wenn Sie Widerspruch einlegen. Nur wenn ein Gericht die aufschiebende Wirkung Ihres Widerspruchs wiederherstellt (den Sofortvollzug aussetzt), dürfen Sie vorerst weiterfahren.
Maßgeblichkeit des Zeitpunkts der Maßnahme
Dieser Rechtsgrundsatz bedeutet, dass für die Frage, ob eine behördliche Entscheidung (hier: die Ermahnung von 2019) rechtmäßig war, allein die Umstände und die Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses dieser Entscheidung zählen. Spätere Ereignisse, wie die Löschung eines Punktes aus dem Register, können eine ursprünglich rechtmäßige Entscheidung nicht im Nachhinein rechtswidrig machen. Das Gericht stellte also fest: War die Ermahnung im Januar 2019 aufgrund der damals vorhandenen und verwertbaren Punkte korrekt? Ja. Deshalb blieb sie als notwendige Stufe für den späteren Entzug gültig, auch wenn ein Punkt später wegfiel.
Beispiel: Sie erhalten 2020 eine Baugenehmigung, die nach damaligem Recht korrekt war. 2022 ändert sich das Baurecht. Ihre 2020 erteilte Genehmigung bleibt trotzdem gültig, da sie zum Zeitpunkt ihrer Erteilung rechtmäßig war.
Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG)
Die Entziehung der Fahrerlaubnis ist die endgültige Stufe und schärfste Maßnahme im deutschen Punktesystem (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG). Sie wird von der Fahrerlaubnisbehörde angeordnet, wenn ein Fahrer 8 oder mehr Punkte im Fahreignungsregister erreicht hat, da er dann gesetzlich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen gilt. Zwingende Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit des Entzugs ist, dass die vorherigen Stufen – die Ermahnung (bei 4/5 Punkten) und die Verwarnung (bei 6/7 Punkten) – korrekt erfolgt sind. Anders als ein zeitlich begrenztes Fahrverbot führt die Entziehung zum Erlöschen der Fahrerlaubnis; eine Neuerteilung muss beantragt werden und ist oft an Bedingungen geknüpft (z.B. eine Medizinisch-Psychologische Untersuchung, MPU).
Beispiel: Ein Fahrer hat bereits eine Ermahnung und eine Verwarnung erhalten. Er begeht einen weiteren Verstoß, der ihn auf insgesamt 8 Punkte bringt. Daraufhin entzieht ihm die Behörde die Fahrerlaubnis.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG: Diese Norm regelt die Entziehung der Fahrerlaubnis, wenn das Punktekonto des Betroffenen im Fahreignungsregister 8 oder mehr Punkte erreicht. Dies dient der Verkehrssicherheit, indem ungeeignete Kraftfahrer von der Teilnahme am Straßenverkehr ausgeschlossen werden. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Gericht bestätigt, dass die Fahrerlaubnisentziehung des Antragstell auf dieser Rechtsgrundlage beruht, da er neun Punkte im Fahreignisregister hatte.
- § 29 Abs. 7 Satz 1 StVG: Diese Vorschrift bestimmt, dass ältere Verstöße, die getilgt sind oder einem Verwertungsverbot unterliegen, nicht mehr zur Begründung einer Fahrerlaubnisentziehung herangezogen werden dürfen. Dies schützt Betroffene vor einer unbegrenzten „Vorratshaltung“ von alten Verkehrsverstößen. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Der Antragsteller beruft sich auf diese Norm, da er argumentiert, dass die Zuwiderhandlung von 2016 nicht mehr verwertbar sei und somit die Ermahnung von 2019 und die Fahrerlaubnisentziehung rechtswidrig seien.
- § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG: Diese Regelung sieht vor, dass bei Erreichen von 4 Punkten im Fahreignungsregister eine Ermahnung durch die Fahrerlaubnisbehörde erfolgt. Die Ermahnung soll den Fahrer auf sein Fehlverhalten hinweisen und ihn zu einer Verhaltensänderung bewegen, um weitere Maßnahmen zu vermeiden. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Gericht prüft, ob die Ermahnung aus dem Jahr 2019 rechtmäßig war, da diese eine notwendige Vorstufe zur späteren Fahrerlaubnisentziehung darstellt und auf der Zuwiderhandlung von 2016 basierte.
- § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO: Diese Vorschrift ermöglicht die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsaktes, wenn dies im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten geboten ist. Im Bereich der Fahrerlaubnisentziehung wird das öffentliche Interesse an der Verkehrssicherheit regelmäßig als Grund für die sofortige Vollziehung angesehen. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Gericht musste über die sofortige Vollziehbarkeit der Fahrerlaubnisentziehung entscheiden, was bedeutet, dass der Führerschein trotz des eingelegten Widerspruchs vorläufig abgegeben werden musste.
Hinweise und Tipps
Praxistipps für Autofahrer zum Thema Gültigkeit von Ermahnungen im Punktesystem
Haben Sie Punkte in Flensburg gesammelt und vielleicht schon eine Ermahnung erhalten? Fragen Sie sich, was passiert, wenn diese Punkte später wieder gelöscht werden? Achtung: Eine einmal ausgesprochene Ermahnung kann auch dann noch Folgen haben, wenn der ursprüngliche Verstoß längst getilgt ist.
Hinweis: Diese Praxistipps stellen keine Rechtsberatung dar. Sie ersetzen keine individuelle Prüfung durch eine qualifizierte Kanzlei. Jeder Einzelfall kann Besonderheiten aufweisen, die eine abweichende Einschätzung erfordern.
Tipp 1: Nehmen Sie behördliche Ermahnungen immer ernst
Eine Ermahnung, die Sie bei Erreichen von 4 oder 5 Punkten erhalten, verliert ihre Wirkung nicht automatisch, nur weil die zugrunde liegenden Punkte später wegen Zeitablaufs aus dem Register gelöscht werden. Sie bleibt eine notwendige Voraussetzung für die nächste Stufe (Verwarnung bei 6-7 Punkten).
⚠️ ACHTUNG: Verlassen Sie sich nicht darauf, dass eine Ermahnung „mit den Punkten verfällt“. Das Gericht hat klargestellt (OVG Sachsen, Az. 6 B 5/22), dass die Ermahnung gültig bleibt, wenn sie zum Zeitpunkt ihres Erlasses rechtmäßig war – also bei 4 oder 5 Punkten erging.
Tipp 2: Verstehen Sie das Stufensystem des Gesetzes
Das Punktesystem folgt klaren Stufen (§ 4 Abs. 5 StVG):
- Ermahnung: bei 4 oder 5 Punkten.
- Verwarnung: bei 6 oder 7 Punkten (setzt voraus, dass zuvor eine Ermahnung erfolgt ist).
- Führerscheinentzug: bei 8 oder mehr Punkten (setzt voraus, dass zuvor Ermahnung und Verwarnung erfolgt sind).
Die Behörde muss diese Reihenfolge zwingend einhalten. Eine spätere Löschung von Punkten ändert nichts an der Tatsache, dass eine Stufe (z. B. die Ermahnung) korrekt durchlaufen wurde.
Tipp 3: Seien Sie nach einer Verwarnung extrem vorsichtig
Haben Sie bereits 6 oder 7 Punkte und die entsprechende Verwarnung erhalten, ist das Risiko für Ihren Führerschein sehr hoch. Jeder weitere Punkt führt zum Erreichen der 8-Punkte-Grenze und in der Regel zum Entzug der Fahrerlaubnis. Die Behörde prüft dann nur noch, ob die vorherigen Maßnahmen (Ermahnung, Verwarnung) korrekt erfolgt sind.
Tipp 4: Informieren Sie sich über Ihren Punktestand
Um böse Überraschungen zu vermeiden, sollten Sie Ihren aktuellen Punktestand im Fahreignungsregister (FAER) kennen. Sie können kostenlos einen Auszug beim Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) in Flensburg beantragen. So wissen Sie genau, bei welcher Stufe Sie sich befinden und wie viele Punkte Sie sich noch „leisten“ können.
Weitere Fallstricke oder Besonderheiten?
Der Hauptfehler ist die Annahme, die Löschung (Tilgung) von Punkten mache eine frühere Ermahnung oder Verwarnung unwirksam. Das ist falsch. Entscheidend ist der Punktestand zum Zeitpunkt, als die jeweilige Maßnahme (Ermahnung/Verwarnung) von der Behörde ergriffen wurde. Die Maßnahme dient als Warnung und bleibt als solche im System relevant, auch wenn die auslösenden Punkte später getilgt werden.
✅ Checkliste: Punkte und Maßnahmen
- Kenne ich meinen aktuellen Punktestand in Flensburg?
- Habe ich bereits eine Ermahnung (bei 4-5 Punkten) erhalten?
- Habe ich bereits eine Verwarnung (bei 6-7 Punkten) erhalten?
- Ist mir bewusst, dass eine Ermahnung/Verwarnung auch nach Punktelöschung gültig bleibt?
- Ist mir klar, dass ab 8 Punkten der Führerscheinentzug droht, wenn die vorherigen Stufen durchlaufen wurden?
Das vorliegende Urteil
Sächsisches Oberverwaltungsgericht – Az.: 6 B 5/22 – Beschluss vom 09.03.2022
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