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Fahrerlaubnisentziehung wegen Punkten – maßgeblicher Zeitpunkt bei Punktelöschung

VG Düsseldorf – Az.: 6 L 247/22 – Beschluss vom 11.03.2022

Die aufschiebende Wirkung der unter dem Aktenzeichen 6 K 1231/22 geführten Klage des Antragstellers gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 24. Januar 2022 wird hinsichtlich der Entziehung der Fahrerlaubnis in Ziffer 1 und der Zwangsgeldandrohung in Ziffer 4 angeordnet und hinsichtlich der Aufforderung zur Abgabe des Führerscheins in Ziffer 2 wiederhergestellt.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Das Kraftfahrtbundesamt teilte der Fahrerlaubnisbehörde mit, dass gegen den Antragsteller die nachfolgend aufgeführten Verkehrsverstöße rechtskräftig geahndet worden sind. Auf dieser Grundlage hat das Gericht die folgenden Punktestände ermittelt.

I. Punktestand nach dem Kenntnisstand der Behörde bei Ermahnung am 3. August 2020:

Lfd. Nr. Datum Ereignis Rechts-/ Bestandskraft Mitteilung KBA Tilgung/Löschung Punkte

einzeln Punkte insg.

1. 09.09.2016 Abstand 30.11.2017 23.07.2020 30.11.2022 2 2

2. 17.05.2017 Geschwindigkeit 22.02.2018 23.07.2020 22.02.2023 2 4

3. 05.05.2018 Geschwindigkeit 24.07.2018 23.07.2020 24.01.2021 24.01.2022 1 5

4. 27.08.2019 Alkohol 20.06.2020 23.07.2020 20.06.2025 2 7

5. 03.08.2020 Verringerung nach § 4 Abs. 6 Satz 3 Nr. 1 StVG 2 5

II. Punktestand nach dem Kenntnisstand der Behörde bei Verwarnung am 11. Mai 2021:

Lfd. Nr. Datum Ereignis Rechts-/Bestandskraft Mitteilung KBA Tilgung/Löschung Punkte

einzeln Punkte insg.

1.-5. Lfd. Nrn. 1 bis 5 der vorstehenden tabellarischen Auflistung I. 5

6. 23.08.2019 Abstand 07.04.2021 10.05.2021 07.10.2023 1 6

III. Punktestand nach dem Kenntnisstand der Behörde bei Ausstellung der Ordnungsverfügung am 24. Januar 2022:

Lfd. Nr. Datum Ereignis Rechts-/Bestandskraft Mitteilung KBA Tilgung/Löschung Punkte einzeln Punkte insg.

1.-6. Lfd. Nrn. 1 bis 6 der vorstehenden tabellarischen Auflistung II. 6

7. 29.01.2020 Geschwindigkeit 23.04.2021 28.12.2021 23.10.2023 1 7

8. 29.07.2020 Mobiltelefon 09.04.2021 28.12.2021 09.10.2023 1 8

9. 24.01.2021 Tilgung lfd. Nr. 3 1 7

24.01.2022 Mit Ablauf Löschung lfd. Nr. 3 nach § 29 Abs. 6 Satz 2 StVG / 7

Die Ermahnung vom 3. August 2020 wurde dem Antragsteller laut Zustellungsurkunde am 6. August 2020 durch Einlegen in einen zur Wohnung gehörenden Briefkasten zugestellt, da eine Übergabe in der Wohnung nicht möglich war. Die Verwarnung vom 11. Mai 2021 wurde dem Antragsteller laut Zustellungsurkunde am 14. Mai 2021 durch Einlegen in einen zur Wohnung gehörenden Briefkasten zugestellt, da eine Übergabe in der Wohnung nicht möglich war.

Mit Schreiben vom 11. Januar 2022 gab der Antragsgegner dem Antragsteller Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb einer Woche nach Zustellung des Schreibens zu der von ihm beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis. Mit Schreiben vom 18. Januar 2022 nahm der Antragsteller Stellung und führte im Wesentlichen aus, dass er den Punktestand von acht Punkten angesichts der Punktereduzierung von zwei Punkten am 3. August 2020 und der Tilgung eines Punktes mit Wirkung zum 24. Januar 2021 nicht nachvollziehen könne. Zudem sei er weder ermahnt noch verwarnt worden. Ungeachtet dessen führe der Entzug zu einer existenziellen Gefährdung, weil er als selbständiger Berater zwingend auf die Mobilität mit dem PKW angewiesen sei.

Mit Schreiben vom 19. Januar 2022 antwortete der Antragsgegner, dass für die Punkteberechnung maßgeblich auf den Zeitpunkt der Begehung der letzten Tat am 29. Januar 2020 abzustellen sei. Die Ermahnung und die Verwarnung seien dem Antragsteller nach Aktenlage zugestellt worden. Er habe keinen Ermessensspielraum und sei an die rechtskräftigen Entscheidungen gebunden.

Der Antragsgegner entzog dem Antragsteller mit Ordnungsverfügung vom 24. Januar 2022 die Fahrerlaubnis (Ziffer 1), forderte ihn auf, den Führerschein unverzüglich, spätestens drei Tage nach Zustellung der Verfügung abzugeben (Ziffer 2) und ordnete die sofortige Vollziehung der Herausgabe des Führerscheins (Ziffer 3) an. Für den Fall, dass der Antragsteller der Verpflichtung zur Abgabe seines Führerscheins nicht nachkomme, drohte der Antragsgegner ihm ein Zwangsgeld in Höhe von 500,00 Euro an (Ziffer 4). Die Anordnung der sofortigen Vollziehung begründete der Antragsgegner damit, dass auf jeden Fall verhindert werden müsse, dass der Antragsteller weiterhin im Besitz des Führerscheins bleibe, weil er diesen bei Kontrollen vorzeigen und den Eindruck erwecken könne, er sei noch im Besitz der Fahrerlaubnis. Die Ordnungsverfügung wurde dem Antragsteller laut (korrigierter) Zustellungsurkunde am 26. Januar 2022 durch Einlegen in einen zur Wohnung gehörenden Briefkasten zugestellt, da eine Übergabe in der Wohnung nicht möglich war.

Der Antragsteller hat gegen die Ordnungsverfügung am 4. Februar 2022 Klage erhoben (6 K 1231/22), über die das Gericht noch nicht entschieden hat. Er hat zugleich den vorliegenden Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt. Zur Begründung des Antrags trägt er vor, Ermahnung und Verwarnung seien erst nach Erreichen der Acht-Punkte-Grenze erfolgt. Die hierfür maßgebliche letzte Tat sei am 27. August 2019, nicht am 29. Januar 2020 begangen worden. Unter Beachtung der Regelung des § 4 Abs. 6 StVG ergebe sich, dass mit Wirkung vom Tag des Ausstellens der Ermahnung ein Punktestand von fünf Punkten anzusetzen sei. Daher seien die Voraussetzungen für einen Entzug der Fahrerlaubnis nicht gegeben. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Herausgabe des Führerscheins basiere zudem auf dem Rechtsirrtum, das Erreichen der Acht-Punkte-Grenze sei ein unwiderlegbares Indiz dafür, dass er eine akute Gefahr für Unfälle und damit für Leben, Gesundheit und fremdes Eigentum darstelle. Dies entbehre schon deshalb jeder Grundlage, weil er sich seit eineinhalb Jahren nichts mehr habe zu Schulden kommen lassen. Auch hätte im Rahmen der Ermessensausübung die Tilgung vom 24. Januar 2021 berücksichtigt werden müssen. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass er als selbständiger Berater auf dem Gebiet der G. hauptsächlich im europäischen Ausland ansässige Kunden berate und hierfür die Fahrerlaubnis benötige.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß, die aufschiebende Wirkung seiner Klage (6 K 1231/22) gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 24. Januar 2022 hinsichtlich der Entziehung der Fahrerlaubnis und der Zwangsgeldandrohung anzuordnen und hinsichtlich der Aufforderung zur Ablieferung des Führerscheins wiederherzustellen.

Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzulehnen.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners ergänzend Bezug genommen.

II.

Der auf § 80 Abs. 5 VwGO gestützte – sinngemäß – gestellte und dem Tenor entsprechende Antrag des Antragstellers hat Erfolg. Der Antrag ist zulässig und begründet.

1. Die aufschiebende Wirkung der fristgemäß erhobenen Klage des Antragstellers (6 K 1231/22) gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 24. Januar 2022 war hinsichtlich der Fahrerlaubnisentziehung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 VwGO anzuordnen.

Die Begründetheit eines auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gerichteten Antrags nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 VwGO beurteilt sich danach, ob das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der angegriffenen Ordnungsverfügung das private Interesse des Antragstellers an einer Aussetzung überwiegt. Bei der vom Gericht vorzunehmenden Abwägung der widerstreitenden Interessen an der Aussetzung der Maßnahme einerseits und an ihrer Vollziehung andererseits sind insbesondere die Erfolgsaussichten der Klage im Hauptsacheverfahren zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes allein mögliche und gebotene summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, dass der Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist, überwiegt das private Interesse an der Aussetzung der Vollziehung. Denn an der Vollziehung rechtswidriger hoheitlicher Maßnahmen kann kein öffentliches Interesse bestehen. Hiernach fällt die Interessenabwägung zu Gunsten des Antragstellers aus, weil die Entziehung der Fahrerlaubnis nach summarischer Prüfung offensichtlich rechtswidrig ist.

Die Voraussetzungen der allein als Rechtsgrundlage der Fahrerlaubnisentziehung in Betracht kommenden § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3, Abs. 6 Satz 1 StVG i.V.m. § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG und § 46 Abs. 1 FeV lagen nach Aktenlage zum Zeitpunkt der Entziehungsentscheidung, auf den abzustellen ist, vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Januar 2017 – 3 C 21/15 -, juris Rn. 11; OVG NRW, Beschlüsse vom 7. Oktober 2015 – 16 B 554/15 -, juris Rn. 7, und vom 2. März 2015 – 16 B 104/15 -, juris Rn. 3; Bay. VGH, Beschluss vom 8. Juni 2015 – 11 CS 15.718 -, juris Rn. 12; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 6. August 2015 – 10 S 1176/15 -, juris Rn. 8; Nds. OVG, Beschluss vom 1. September 2015 – 12 ME 91/15 -, juris Rn. 6, nicht vor.

Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG gilt der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen und die Fahrerlaubnis ist zu entziehen, sobald sich für ihn in der Summe acht oder mehr Punkte im Fahreignungsregister ergeben. Punkte ergeben sich gemäß § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG mit der Begehung der Straftat oder Ordnungswidrigkeit, sofern sie rechtskräftig geahndet wird. Die Fahrerlaubnisbehörde hat für das Ergreifen von Maßnahmen nach § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG, also auch für die Entziehung der Fahrerlaubnis, dabei auf den Punktestand abzustellen, der sich zum Zeitpunkt der Begehung der letzten zur Ergreifung der Maßnahme führenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit ergeben hat (§ 4 Abs. 5 Satz 5 StVG, sog. Tattagprinzip). Spätere Verringerungen des Punktestandes auf Grund von Tilgungen bleiben gemäß § 4 Abs. 5 Satz 7 StVG unberücksichtigt.

Überlagert und begrenzt wird das Tattagprinzip allerdings durch das absolute Verwertungsverbot des § 29 Abs. 7 Satz 1 StVG. Danach dürfen die Tat und die Entscheidung dem Betroffenen für die Zwecke des § 28 Abs. 2 StVG nicht mehr vorgehalten und nicht zu seinem Nachteil verwendet werden, wenn eine Eintragung im Fahreignungsregister nach § 29 Abs. 6 StVG gelöscht ist. Zu den Zwecken des § 28 Abs. 2 StVG gehört nach dessen Nr. 1 die Beurteilung der Eignung und Befähigung von Personen zum Führen von Kraftfahrzeugen.

BVerwG, Urteil vom 18. Juni 2020 – 3 C 14/19 -, juris Rn. 20; vgl. Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. 2021, § 29 Rn. 39a.

Vor diesem Hintergrund ist abweichend von dem in § 4 Abs. 5 Sätze 5 bis 7 StVG normierten Tattagprinzip wegen des absoluten Verwertungsverbots, das § 29 Abs. 7 Satz 1 StVG vorgibt, der um die Löschung reduzierte Punktestand maßgeblich, wenn eine solche bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entziehungsentscheidung erfolgt.

Vgl. Kammerbeschluss vom 9. Februar 2021 – 6 L 118/21 -, juris Rn. 29; Stieber, in: Freymann/Wellner/Trésoret, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl. 2022, § 4 StVG Rn. 67.

Dem steht § 4 Abs. 5 Satz 7 StVG nicht entgegen, nach dessen ausdrücklichem Wortlaut nur spätere – also nach dem Tattag eingetretene – Verringerungen des Punktestandes auf Grund von Tilgungen unberücksichtigt bleiben, ohne dass auch auf Löschungen verwiesen wird. Vor diesem Hintergrund verdrängt die Vorschrift das Verwertungsverbot aus § 29 Abs. 7 Satz 1 StVG nicht kraft Spezialität.

BVerwG, Urteil vom 18. Juni 2020 – 3 C 14/19 -, juris Rn. 21.

Eine entsprechende Anwendung von § 4 Abs. 5 Satz 7 StVG auf Löschungen nach dem Tattag scheidet aus.

Hierzu im Einzelnen Bay. VGH, Urteil vom 18. Juni 2019 – 11 BV 18.778 -, juris Rn. 24.

Ausgehend hiervon lag zum maßgeblichen Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Entziehungsentscheidung der nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG erforderliche Stand von acht Punkten voraussichtlich nicht (mehr) vor.

Zwar hatte der Antragsteller entgegen seiner Auffassung nach Aktenlage auch unter Berücksichtigung der mit der Ermahnung vom 3. August 2020 erfolgten Verringerung seines Punktestandes nach § 4 Abs. 6 Satz 3 Nr. 1 StVG um zwei Punkte am grundsätzlich maßgeblichen Tattag der letzten zur Entziehung führenden Ordnungswidrigkeit – hier abweichend von der Annahme der Beteiligten der 29. Juli 2020 – einen Punktestand von acht Punkten erreicht. Dem dürfte angesichts der Regelung des § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG und der in den tabellarischen Auflistungen genannten Zeitpunkten der Kenntnisnahme von den der Entziehung zugrundeliegenden Zuwiderhandlungen nicht entgegenstehen, dass sämtliche zur Entziehung führenden Ordnungswidrigkeiten schon vor dem Tag der Ermahnung am 3. August 2020 begangen wurden. Auch führt die erst nach dem 29. Juli 2020 erfolgte Tilgung der Eintragung über die Ordnungswidrigkeit vom 5. Mai 2018 (lfd. Nr. I. 3. der obigen tabellarischen Auflistung) am 24. Januar 2021 (lfd. Nr. III. 9 der obigen tabellarischen Auflistung) angesichts des § 4 Abs. 5 Satz 7 StVG voraussichtlich zu keinem anderen Ergebnis.

Indes musste sich der Antragsteller die Tat vom 5. Mai 2018 wegen einer mit einem Punkt geahndeten Ordnungswidrigkeit aufgrund des Verwertungsverbotes in § 29 Abs. 7 Satz 1 StVG voraussichtlich nicht mehr entgegenhalten lassen. Während des Postlaufs, also zwischen der Aufgabe der Entziehungsverfügung zur Post und der Zustellung beim Antragsteller trat die Löschung ein, sodass der Antragsteller nur noch einen Punktestand von sieben Punkten aufwies, als die Entziehungsverfügung wirksam wurde.

Als Zeitpunkt der Entziehungsentscheidung dürfte der 26. Januar 2022 zugrunde zu legen sein, an dem die Ordnungsverfügung vom 24. Januar 2022 dem Antragsteller zugestellt und damit nach § 41 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 VwVfG NRW i.V.m. § 2 Abs. 1, § 3 VwZG NRW, § 178 Abs. 1 Nr. 1, § 180 ZPO bekanntgegeben wurde. Denn die Fahrerlaubnisentziehung ist als Verwaltungsakt im Sinne des § 35 Satz 1 VwVfG NRW gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW erst mit der Bekanntgabe an den Antragsteller als einzigen Adressaten rechtlich existent,

vgl. hierzu OVG NRW, Urteil vom 20. Juni 1991 – 7 A 23/90 -, juris Rn. 6; Schemmer, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, § 43 Rn. 6 (Jan. 2022),

und wirksam geworden. Es ist nicht ersichtlich, dass abweichend von § 43 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW hinsichtlich des Zeitpunktes der Entziehungsentscheidung ausnahmsweise schon auf den Tag der Ausstellung der Ordnungsverfügung abzustellen wäre. Dies folgt insbesondere nicht aus § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG. Dort ist geregelt, dass sich der Punktestand mit Wirkung vom Tag des Ausstellens der ergriffenen Ermahnung (Nr. 1) bzw. der Verwarnung (Nr. 2), bei denen es sich mangels Regelungswirkung im Gegensatz zur Fahrerlaubnisentziehung nicht um Verwaltungsakte nach § 35 Satz 1 VwVfG NRW handelt,

vgl. Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. 2021, § 4 Rn. 106 f.,

verringert, wenn der Punktestand zu diesem Zeitpunkt nicht bereits durch Tilgungen oder Punktabzüge niedriger ist. Die Vorschrift spricht den genannten Maßnahmen damit ausdrücklich bereits Rechtswirkungen ab dem Tag des Ausstellens zu. Für die Entziehung nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG fehlt eine vergleichbare Regelung. Eine entsprechende Anwendung dieser Norm auf die Fahrerlaubnisentziehung nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG scheidet mangels vergleichbarer Interessenlage aus. Denn Ermahnung und Verwarnung dienen ausschließlich der Information des Fahrerlaubnisinhabers, mögen sie auch in bestimmten Fällen mit der Nebenfolge der Punkteverringerung einhergehen.

Siehe hierzu insgesamt VG Hannover, Beschluss vom 5. März 2018 – 15 B 970/18 -, juris Rn. 28.

An dem damit maßgeblichen 26. Januar 2022 war die Eintragung wegen der Ordnungswidrigkeit vom 5. Mai 2018 bereits gelöscht. Die Überliegefrist von einem Jahr nach Eintritt der Tilgungsreife, die sich aus § 29 Abs. 6 Satz 2 StVG ergibt, war voraussichtlich abgelaufen. Die Tat war damit nach § 29 Abs. 7 Satz 1 StVG nicht mehr verwertbar. Die Tilgung erfolgte mit Ablauf des 24. Januar 2021, sodass die einjährige Überliegefrist, die auch im Verwaltungsverfahren nach § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB berechnet wird (vgl. § 31 Abs. 1 VwVfG NRW),

vgl. auch VG Karlsruhe, Beschluss vom 3. Dezember 2021 – 2 K 2745/21 -, BeckRS 2021, 38855 Rn. 35; VG des Saarlandes, Urteil vom 28. November 2007 – 10 K 52/07 -, juris Rn. 22,

voraussichtlich mit Ablauf des 24. Januar 2022 endete. Anhaltspunkte dafür, dass die Tilgungsreife am 24. Januar 2021 nicht eintrat oder eine – bisher nicht aktenkundige – Löschung zu diesem Datum nicht erfolgte, liegen hier unter Berücksichtigung der beschränkten Aufklärungsmöglichkeiten im Eilrechtsschutzverfahren nicht vor. Verwertungsverbote nach § 29 Abs. 7 Satz 1 und 2 StVG sind nicht ersichtlich.

2. Da die Entziehung der Fahrerlaubnis bei summarischer Prüfung offensichtlich rechtswidrig ist, sind auch die weiteren darauf beruhende Verfügungen voraussichtlich rechtswidrig. So ist Aufforderung zur Ablieferung des Führerscheins gemäß § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG i.V.m. § 47 Abs. 1 FeV als rechtswidrig anzusehen. Das gleiche gilt für die Androhung des Zwangsmittels, denn an der zwangsweisen Durchsetzung einer rechtswidrigen Grundverfügung besteht kein öffentliches Interesse.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG. Das Interesse an der Fahrerlaubnis wird im Hauptsacheverfahren mit dem Betrag des einfachen Auffangstreitwertes des § 52 Abs. 2 GKG angesetzt, weil der Antragsteller nicht in qualifizierter Weise – etwa als Berufskraftfahrer – auf seine Fahrerlaubnis angewiesen ist.

Vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 8. April 2014 – 16 B 207/14 -, juris, Rn. 8 ff.

In Verfahren betreffend die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ermäßigt sich der danach zu berücksichtigende Betrag von 5.000,00 Euro aufgrund der Vorläufigkeit der Entscheidung um die Hälfte. Die Zwangsgeldandrohung wirkt sich nach Nr. 1.7.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der am 31. Mai/1. Juni 2012 und am 18. Juli 2013 beschlossenen Änderungen nicht streitwerterhöhend aus. Mit Blick auf § 80 Abs. 6 VwGO geht das Gericht in Ansehung von § 6a Abs. 3 Satz 1 StVG i.V.m. § 22 Abs. 1 Verwaltungskostengesetz in der bis zum 31. August 2013 gültigen Fassung davon aus, dass die Kostenfestsetzung nicht Gegenstand des Eilrechtsschutzverfahrens ist und daher den Streitwert nicht erhöht.

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