Skip to content
Menü

Fahrerlaubnisentziehung wegen psychischer Erkrankung

VG Bremen – Az.: 5 V 2090/10 – Beschluss vom 24.03.2011

Es wird festgestellt, dass der Widerspruch des Antragstellers hinsichtlich der Ziffer 3 der Verfügung vom 07.12.2010 aufschiebende Wirkung hat.

Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens tragen der Antragsteller zu drei Viertel und die Antragsgegnerin zu einem Viertel.

Der Streitwert wird zum Zwecke der Kostenberechnung auf 2.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antragsteller wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis.

Mit Urteil des Amtsgerichts Bremerhaven vom 16.06.2009 (21 Ds 901 Js 61403/02) wurde der Antragsteller in einem Strafverfahren wegen gewerbsmäßigen Betruges freigesprochen. Zur Begründung führte das Gericht aus, dass der Antragsteller nach dem Gutachten des medizinischen Sachverständigen seit 1998 an psychischen Auffälligkeiten leide, die diagnostisch einer schizophrenen Psychose zugeordnet werden müssten. Bei der Begutachtung habe sich der Antragsteller psychopathologisch hochgradig auffällig gezeigt. Konzentration und Auffassung seien reduziert gewesen. Im formalen Denken sei er teilweise weitschweifig, teilweise sprunghaft gewesen, teilweise habe er am Thema vorbeigeredet. Psychomotorisch sei der Antragsteller hochgradig unruhig gewesen. Darüber hinaus habe der Antragsteller von akustischen Halluzinationen berichtet. Aufgrund der offensichtlich bei dem Antragsteller vorliegenden überdauernden paranoid-halluzinatorischen Symptomatik mit den beschriebenen Auffälligkeiten in den Bereichen der Auffassung, der Konzentration, des Denkens, der Affektivität und der Psychomotorik sei das seelische Gefüge des Antragstellers und sein Realitätsbezug so tiefgreifend beeinträchtigt, dass seine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit zumindest erheblich vermindert, jedoch sehr wahrscheinlich sogar aufgehoben sei. Für den Antragsteller lägen deshalb die Voraussetzungen der Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB vor.

Nach Mitteilung des Urteils und der Bitte um Überprüfung der Fahrtauglichkeit des Antragstellers durch die Staatsanwaltschaft Bremen forderte das Bürger- und Ordnungsamt der Stadt Bremerhaven den Antragsteller mit Schreiben vom 19.04.2010 auf, sich einer Untersuchung durch einen Facharzt für Neurologie und Psychiatrie zu unterziehen. Nach nochmaliger mündlicher Aufforderung kündigte die Führerscheinstelle mit Schreiben vom 27.05.2010 dem Antragsteller an, ihm mit Blick auf die bisher ausgebliebene Untersuchung die Fahrerlaubnis zu entziehen. Der Antragsteller unterzog sich darauf hin einer Untersuchung durch einen Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, der mit Schreiben vom 14.10.2010 und 28.10.2010 zur Fahrtauglichkeit aufgrund der festgestellten psychischen Erkrankung Stellung nahm. Der Gutachter kam darin zu dem Ergebnis, dass der Antragsteller gesundheitlich nicht in der Lage sei, ein Kraftfahrzeug zu führen. In dem eingehenden Untersuchungsgespräch habe der Antragsteller inhaltliche und formale Denkstörungen aufgewiesen. Es hätten sich eindeutige Zeichen einer paranoiden Psychose ergeben, wie sie bereits in dem im Rahmen des Strafverfahrens erstellten Sachverständigengutachten beschrieben worden sei. Der Antragsteller zeige in Hinblick auf seine Erkrankung keine Einsichtsfähigkeit. Die testpsychologische Untersuchung habe erhebliche Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen bei niedriger Intelligenz ergeben.

Nach vorheriger Anhörung entzog das Bürger- und Ordnungsamt der Stadt Bremerhaven mit Bescheid vom 07.12.2010 dem Antragsteller die Fahrerlaubnis, ordnete insoweit die sofortige Vollziehung an und forderte ihn zur Abgabe des Führerscheins auf. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass das Gutachten ergeben habe, dass der Antragsteller aufgrund seiner psychischen Erkrankung nicht geeignet sei, Kraftfahrzeuge im Straßenverkehr zu führen. Die Verfügung wurde dem Antragsteller am 09.12.2010 zugestellt.

Gegen den Bescheid legte der Antragsteller am 27.12.2010 Widerspruch ein, über den noch nicht entschieden worden ist.

Am 31.12.2010 hat der Antragsteller einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht gestellt.

Der Antragsteller trägt vor: Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei bereits deshalb rechtsfehlerhaft, weil sie nur formelhaft begründet worden sei. Es werde lediglich darauf hingewiesen, dass das öffentliche Interesse den Ausschluss des Antragstellers aus der Verkehrsgemeinschaft mit sofortiger Wirkung erfordere. Warum dies so sei, werde nicht weiter begründet. Die Antragsgegnerin verkenne im Übrigen, dass der Antragsteller während des gesamten Verfahrensverlaufs und auch zuvor verkehrsrechtlich nicht in Erscheinung getreten sei. Insgesamt sei festzustellen, dass weder die Staatsanwaltschaft noch die Fahrerlaubnisbehörde nach Kenntnis der Umstände zügig eine Untersuchung der Fahrtauglichkeit veranlasst hätten.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 07.12.2010 wiederherzustellen.

Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag abzulehnen.

Sie habe erstmals durch das am 19.04.2010 eingegangene Hinweisschreiben der Staatsanwaltschaft von der Erkrankung des Antragstellers erfahren. Noch am selben Tag sei der Antragsteller aufgefordert worden, sich aufgrund seiner Schizophrenie in Hinblick auf seine Fahreignung untersuchen zu lassen. Abgesehen davon würde auch die verspätete Tätigkeit einer Behörde nichts an der fehlenden Fahreignung des Antragstellers ändern. Auch sei die Begründung für die sofortige Vollziehung nicht formelhaft erfolgt. Es sei vielmehr ausdrücklich auf die Erkrankung des Antragstellers Bezug genommen worden. Die Erkrankung des Antragstellers sei eine akute schizophrene Psychose, die die Nichteignung zum Führen eines Fahrzeugs zur Folge habe. Das Krankheitsbild sei geprägt von kurzschrittigem Denken, wodurch es nicht mehr möglich sei, mehrschichtige Zusammenhänge in ihrer Komplexität wahrzunehmen. Die Behauptung, der Antragsteller sei während des Verfahrens verkehrsrechtlich nicht in Erscheinung getreten, sei ausweislich des Auszugs aus dem Verkehrszentralregister nicht zutreffend und im Übrigen auch für die Rechtmäßigkeit der Fahrerlaubnisentziehung irrelevant.

II.

Fahrerlaubnisentziehung wegen psychischer Erkrankung
(Symbolfoto: Von Erin Deleon/Shutterstock.com)

Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis ist unbegründet. Der Eilantrag hat lediglich insoweit Erfolg, als die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Aufforderung zur Abgabe des Führerscheins festzustellen ist.

1. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Fahrerlaubnisentziehung genügt den formellen Anforderungen.

Nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist in den Fällen des Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes schriftlich zu begründen. Die Vorschrift erfordert eine auf den konkreten Einzelfall abstellende Darlegung, worin das besondere öffentliche Interesse an einer ausnahmsweisen sofortigen Vollziehbarkeit besteht und weshalb das Interesse des Betroffenen, zunächst nicht von dem angefochtenen Verwaltungsakt betroffen zu werden, hinter dieses erhebliche öffentliche Interesse zurücktreten muss. Eine maßgebliche Funktion der Begründungspflicht besteht darin, den Betroffenen über die Gründe, die für die behördliche Entscheidung maßgeblich gewesen sind, zu unterrichten. Der Begründungspflicht ist daher genügt, wenn die Gründe für das öffentliche Vollzugsinteresse für den Betroffenen hinreichend erkennbar werden. Die Behörde kann sich dabei auch auf die den Verwaltungsakt selbst tragenden Erwägungen stützen, wenn die den Erlass des Verwaltungsaktes selbst rechtfertigenden Gründe zugleich die Dringlichkeit der Vollziehung belegen. Dies ist bei der Fahrerlaubnisentziehung unter dem Aspekt der Gefahrenabwehr angesichts der hohen Bedeutung der Sicherheit des Straßenverkehrs regelmäßig der Fall.

Die in der Verfügung vom 07.12.2010 gegebene Begründung ist nach diesen Maßstäben rechtlich nicht zu beanstanden. Die Behörde ist in der Begründung der Vollziehungsanordnung ersichtlich auf den konkreten Fall eingegangen. Sie hat ausdrücklich auf das zur Fahreignung des Antragstellers erstellte Gutachten Bezug genommen und hat auf die infolge der festgestellten Ungeeignetheit bestehenden Gefährdungen für den Straßenverkehr hingewiesen. Im Übrigen ergibt sich das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung im Bereich des Sicherheitsrechts gerade aus den Gesichtspunkten, die für den Erlass des Verwaltungsaktes selbst maßgebend gewesen sind (vgl. VG München, B. v. 08.09.2010 – M 6a S 10.3824 m.w.N.).

2.

Auch in materieller Hinsicht ist die Vollziehungsanordnung der Antragsgegnerin nicht zu beanstanden. Die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO vom Gericht vorzunehmende Interessenabwägung geht zu Lasten des Antragstellers aus. Unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheides das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung stellt sich die vorliegend angegriffene Fahrerlaubnisentziehung als offensichtlich rechtmäßig dar.

a) Rechtsgrundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis ist vorliegend § 3 Abs. 1 StVG in Verbindung mit § 46 Abs. 1 Sätze 1 und 2 FeV. Danach ist die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung vorliegen, welche die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausschließen.

b) Gemäß Ziffer 7.6 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung ist die Fahreignung bei akuten schizophrenen Psychosen und bei mehreren psychotischen Episoden nicht gegeben. Nach Ablauf einer schizophrenen Psychose kann die Fahreignung für die auch vom Antragsteller geführte Führerscheinklasse C1E nur ausnahmsweise angenommen werden, wenn besonders günstige Umstände bestehen.

Die Voraussetzungen zum Entzug der Fahrerlaubnis lagen hier zum maßgeblichen Zeitpunkt der Behördenentscheidung vor. Bei dem Antragsteller liegt eine Erkrankung im Sinne der Nr. 7.6 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung vor, die seine Fahreignung ausschließt. In dem zu berücksichtigenden Gutachten von Dr. G., erstellt mit Schreiben vom 14.10. und 28.10.2010, gelangt dieser zu der Einschätzung, dass sich bei dem Antragsteller eindeutige Zeichen einer paranoiden Psychose ergäben, wie sie auch schon in dem im Rahmen des Strafverfahrens erstellten psychiatrischen Gutachten als seit 1998 bestehend beschrieben seien. Selbst wenn keine akute Psychose vorliegen sollte, kann eine Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeugs mit der Führerscheinklasse C1 E nur unter besonders günstigen Umständen angenommen werden. Solche besonders günstigen Umstände liegen im Falle des Antragstellers nicht vor. Gerade in Anbetracht der Vorgeschichte, die in dem psychiatrischen Gutachten ausführlich dargelegt und auf die in dem vorliegenden fachärztlichen Gutachten von Dr. G. Bezug genommen wird, ist bei dem Antragsteller von einer chronifizierten Psychose auszugehen, die seine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt. Die paranoid-halluzinatorische Symptomatik ist bereits in dem psychiatrischen Gutachten von Herrn Dr. E. eingehend beschrieben worden. Sie ist nach den gutachterlichen Feststellungen von Herrn Dr. G. auch im Rahmen des mit dem Antragsteller geführten diagnostisch-psychiatrischen Gesprächs eindeutig zu beobachten gewesen. Hierzu ist festgehalten, dass der Antragsteller erhebliche inhaltliche und formale Denkstörungen aufgewiesen habe. Bei der testpsychologischen Untersuchung hätten sich erhebliche Gedächtnis- und Konzentrationsschwierigkeiten bei niedriger Intelligenz gezeigt. Der Gutachter hat darüber hinaus festgestellt, dass dem an einer schizophrenen Psychose in ihrer chronischen Verlaufsform leidenden Antragsteller jegliche Krankheitseinsicht fehle und dass er – jedenfalls zum Zeitpunkt der Begutachtung – nicht in ärztlicher Behandlung sei. Der Antragsteller nehme auch keine Medikamente, die er als „Gift“ bezeichnet habe. Ob eine regelmäßige nervenärztliche Behandlung zu einer Verbesserung der Symptome und gegebenenfalls sogar zur Wiedererlangung der Fahreignung führen könnte, ist im vorliegenden Zusammenhang nicht von Belang, sondern kann allein für eine Wiedererteilung der Fahrerlaubnis von Bedeutung sein.

Das verkehrsmedizinische Gutachten von Dr. G. stellt eine hinreichende Grundlage für die Beurteilung der Fahreignung des Antragstellers dar. Die psychische Erkrankung des Antragstellers und die sich daraus ergebenden Folgerungen für seine Fahreignung werden unter Bezugnahme auf das ausführliche psychiatrische Gutachten von Herrn Dr. E. vom 22.05.2009 nachvollziehbar und in sich widerspruchsfrei dargestellt. Es genügt auch noch den Anforderungen, die in der Anlage 15 der Fahrerlaubnis-Verordnung für die Durchführung der Untersuchungen und die Erstellung der Gutachten aufgestellt werden. Die wesentlichen Befunde und eine kurze Darstellung der zur Beurteilung führenden Schlussfolgerungen sind in dem Gutachten enthalten. Auch die Art der Untersuchungen und die Inhalte des psychiatrischen Gesprächs sind bezeichnet worden. Die von der Fahrerlaubnisbehörde gestellten Fragen sind jedenfalls mit Schreiben vom 28.10.2010 vollständig beantwortet worden. Bezüglich des Umfanges des Gutachtens ist zu berücksichtigen, dass die Ausführungen aufgrund der eindeutigen Befundlage knapp ausfallen durften. Insbesondere durfte sich der verkehrsmedizinische Gutachter zur Einschätzung des Krankheitsbildes und der Symptomatik auf die ausführlichen Darlegungen in dem psychiatrischen Gutachten vom 22.05.2009 stützen und mit Blick darauf seine eigenen Ausführungen auf die wesentlichen Feststellungen insbesondere zu den Auswirkungen der psychischen Störungen auf die Fahreignung beschränken.

c) Soweit der Antragsteller gegen die Feststellung der Nichteignung geltend macht, dass er während des gesamten Verlaufs des Verfahrens und auch zuvor verkehrsrechtlich nicht in Erscheinung getreten sei, greift dieser Einwand nicht durch. Die auf § 3 Abs. 1 StVG und § 46 Abs. 1 FeV gestützte Entziehung der Fahrerlaubnis dient nicht repressiv der Ahndung vorangegangener Verkehrsverstöße, sondern der Abwehr von Gefahren, die künftig durch die Teilnahme von nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen geeigneten Fahrern im Straßenverkehr entstehen können (vgl. BVerwG, NJW 2008, 2601 ff.). Die Behauptung, dass sich der Antragsteller in der Vergangenheit im Verkehr ordnungsgemäß verhalten hat, ist schon deshalb für eine künftige Gefährdung des Straßenverkehrs wenig aussagekräftig. Die Behauptung ist zudem nicht zutreffend. Ausweislich der Behördenakte hat der Antragsteller zahlreiche Verkehrsverstöße in dem Zeitraum von 2006 bis 2010 begangen. Dabei handelt es sich vor allem um erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitungen auch innerhalb geschlossener Ortschaften, mit denen besondere Verkehrsgefährdungen verbunden sind. Nach einer Auskunft des Kraftfahr-Bundesamtes vom 22.12.2010 wird für den Antragsteller ein Punktestand von 14 Punkten ausgewiesen.

d) Der Rechtmäßigkeit der Fahrerlaubnisentziehung kann schließlich auch nicht entgegengehalten werden, dass die Fahrerlaubnisbehörde über einen längeren Zeitpunkt untätig geblieben ist. Abgesehen davon, dass das zügige behördliche Vorgehen in den Fällen der Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht tatbestandliche Voraussetzung für die Entziehung der Fahrerlaubnis ist und auch ein Ermessen der Fahrerlaubnisbehörde insoweit nicht besteht, ist der diesbezüglich vom Antragsteller erhobene Vorwurf auch in der Sache nicht gerechtfertigt. Die Fahrerlaubnisbehörde hat von dem erfolgten Freispruch aufgrund nicht auszuschließender Schuldunfähigkeit erst durch Übermittlung der Staatsanwaltschaft am 19.04.2010 erfahren. Noch am selben Tag ist der Antragsteller aufgefordert worden, sich einer fachärztlichen Begutachtung zu unterziehen. Dass das Gutachten mit erheblichen Verzögerungen erst im Oktober 2010 erstellt worden ist, kann der Behörde nicht vorgehalten werden, weil der Antragsteller nach eigenen Angaben wegen mehrerer Aufenthalte in der Türkei für eine Untersuchung nicht zur Verfügung stand. Die bei dieser Sachlage bestehende, aber nicht genutzte Möglichkeit der Behörde nach § 11 Abs. 8 FeV vorzugehen, schließt die spätere Entziehung wegen festgestellter Nichteignung des Betroffenen nicht aus. Ob hier durch die Staatsanwaltschaft eine frühere Mitteilung gegenüber der Fahrerlaubnisbehörde hätte erfolgen können, ist für die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung nicht von Belang.

e) Erweist sich damit die angegriffene Fahrerlaubnisentziehung nach summarischer Prüfung als rechtmäßig, besteht auch ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung, denn die Verfügung dient der Abwehr von Gefahren, die mit einer weiteren Teilnahme des Antragstellers am öffentlichen Straßenverkehr einhergehen. Angesichts der erheblichen psychischen Erkrankung und der damit verbundenen Symptomatik muss das Interesse des Antragstellers, einstweilen bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache weiter ein Kraftfahrzeug führen zu dürfen, gegenüber diesem öffentlichen Interesse zurücktreten.

3. Soweit sich der Antragsteller gegen die in Ziffer 3 ausgesprochene Aufforderung zur Abgabe seines Führerscheins wendet, ist der Antrag bei verständiger Würdigung der Interessen des Antragstellers als Antrag auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung analog § 80 Abs. 5 VwGO auszulegen. Dieser Antrag hat Erfolg.

Die unter Ziffer 3 ausgesprochene Aufforderung zur Abgabe des Führerscheins stellt nicht nur einen deklaratorischen Hinweis auf die aus § 3 Abs. 2 Satz 2 StVG folgende gesetzliche Verpflichtung dar, sondern beinhaltet vielmehr einen feststellenden Verwaltungsakt gegenüber dem Antragsteller. Eine Durchsetzung dieser Verpflichtung mit Mitteln des Verwaltungszwangs kann nämlich außerhalb eines Sofortvollzugs nach § 11 Abs. 2 BremVwVG nur auf der Grundlage eines schriftlichen Verwaltungsakts erfolgen (vgl. § 11 Abs. 1 BremVwVG). Mit der ausdrücklichen Tenorierung der Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins hat die Antragsgegnerin eine Regelung durch Verwaltungsakt getroffen, die sie auch im Rahmen eines Verwaltungsvollstreckungsverfahrens durchsetzen könnte. Allerdings fehlt es bisher an einer wesentlichen Vollstreckungsvoraussetzung, denn der Verwaltungsakt ist insoweit weder bestandskräftig geworden noch ist er in diesem Punkt sofort vollziehbar.

Die Vollzugsanordnung in Ziffer 2 der Verfügung bezieht sich nur auf die in Ziffer 1 der Verfügung ausgesprochene Fahrerlaubnisentziehung; dies ergibt sich sowohl aus der gewählten Reihenfolge im Tenor der Verfügung als auch aus dem Fehlen von Ausführungen zur Verpflichtung zur Führerscheinabgabe in der Begründung der Vollzugsanordnung. Die sofortige Vollziehbarkeit der Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins folgt auch nicht aus § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO. Nach dieser Norm entfällt die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage nur in durch Bundesgesetz oder für das Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen. §80 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 VwGO fordert somit ein förmliches Gesetz (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 30.03.2007, Az. 1 S 31.07; OVG NRW, Beschl. v. 30.08.1999, Az. 8 B 902/99; Schoch/Schmidt-Assmann/Pietzner, VwGO, 20. EL, 2010, § 80 Rdnr. 126). Dem genügt die Fahrerlaubnis-Verordnung als Bundesrechtsverordnung nicht (a.A. BayVGH, Beschl. v. 09.06.2005, Az. 11 CS 05.478; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl., § 47 FeV Rn. 3). Auch § 3 Abs. 3 Satz 3 StVG ordnet nicht an, dass Rechtsbehelfen gegen die Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins keine aufschiebende Wirkung zukommt. Demnach ist die Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins gegenwärtig nicht sofort vollziehbar. Es ist daher analog § 80 Abs. 5 VwGO festzustellen, dass der Widerspruch des Antragstellers insoweit aufschiebende Wirkung hat.

4. Die Androhung eines Zwangsgeldes ist im Tenor der angefochtenen Verfügung nicht erfolgt. Auf sie wird lediglich in der Begründung ohne entsprechenden Ausspruch Bezug genommen. Da es insoweit bereits an einem Verwaltungsakt fehlt, bedarf es auch keiner aufschiebenden Wirkung des gegen die Verfügung insgesamt erhobenen Widerspruchs.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 53 Abs. 2, 52 Abs. 1 GKG.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Haben Sie einen Bußgeldbescheid erhalten?

Mit unserer Hilfe teure Bußgelder und Fahrverbote vermeiden!

Wir überprüfen Ihren Bußgeldbescheid kostenlos und unverbindlich auf Fehler und die Möglichkeit eines Einspruchs.
Blitzer Bußgeld prüfen

Rechtstipps aus dem Verkehrsrecht

Urteile über Bußgeld und Ordnungswidrigkeiten

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!