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Fahrerlaubnisentziehung wegen Nichtbeibringung eines ärztlichen Gutachtens – Zulässigkeit

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof – Az.: 11 CS 18.2334 – Beschluss vom 10.04.2019

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 6.250,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die im Jahr 1931 geborene Antragstellerin wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung der ihr vor 1980 erteilten Fahrerlaubnis der Klasse 3 (alt).

Anfang August 2017 wurde der Fahrerlaubnisbehörde des Landratsamts Weißenburg-Gunzenhausen durch eine polizeiliche Mitteilung bekannt, dass die Antragstellerin am 14. Juli 2017 ein entgegenkommendes Fahrzeug gestreift hatte, weil sie zu weit links gefahren war, und ohne anzuhalten weiterfahren war, obwohl das hinter ihr fahrende Fahrzeug laut gehupt hatte. Bei einer Befragung durch die Polizei hatte die Antragstellerin einen altersbedingt verlangsamten geistigen Eindruck gemacht, was Anlass zu Zweifeln an ihrer Reaktionsfähigkeit gab.

Daraufhin forderte das Landratsamt mit Schreiben vom 8. August 2017 die Antragstellerin auf, ein Gutachten eines Arztes des Gesundheitsamtes vorzulegen. Dieser stellte in einem Bericht vom 23. Oktober 2017 fest, dass bei der Antragstellerin eine beginnende Demenz vorliege, die durch unzureichende Ergebnisse beim Uhrentest, Mini-Mental Status-Test und DemTest bestätigt werde. Daneben lägen eine Herz- und Nierenleistungsschwäche sowie ein insulinpflichtiger Diabetes mellitus mit Folgeerkrankungen vor. Die Erkrankungen stellten nach Anlage 4 FeV die Fahreignung in Frage. Die Antragstellerin sei nicht mehr in der Lage, den Anforderungen zum Führen eines Kraftfahrzeugs der Gruppe 1 und 2 (Fahrerlaubnisklassen A1, B, BE, C1, C1E, L, und S) gerecht zu werden.

Mit Schreiben der Staatsanwaltschaft vom 9. August 2017 wurde der Antragstellerin angekündigt, dass öffentliche Klage wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort (Az.: 1091 Js 7123/17) erhoben werde, wenn sie mit einer Einstellung des Verfahrens gemäß § 153a StPO nicht einverstanden sei.

Mit Schreiben vom 1. Dezember 2017 ordnete das Landratsamt die Beibringung eines Gutachtens eines Arztes einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle zu verschiedenen durch die amtsärztlich festgestellten Erkrankungen aufgeworfenen Fragen an.

Dieser Aufforderung kam die Antragstellerin nicht nach. Im Rahmen der Anhörung zu der beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis ließ sie mit Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom 8. Mai 2018 vortragen, dass hohes Alter, eine sehr vorsichtige Fahrweise und ein unerklärlicher Verkehrsunfall einer 85jährigen nach der Rechtsprechung nicht die Annahme fehlender Fahreignung rechtfertigen würden. Dies und eine beginnende Demenz würden keine Gutachtensanordnung tragen. Die Fahrerlaubnis sei von absolut überragender Bedeutung für die selbständige Lebensführung der Antragstellerin.

Mit Bescheid vom 16. Mai 2018 entzog das Landratsamt der Antragstellerin gestützt auf § 11 Abs. 8 FeV die Fahrerlaubnis, gab ihr unter Androhung der polizeilichen Einziehung auf, den Führerschein unverzüglich, spätestens innerhalb von drei Tagen nach Zustellung des Bescheids, beim Landratsamt abzugeben und ordnete jeweils die sofortige Vollziehung an. Das amtsärztliche Gutachten, das der Antragstellerin die Fahreignung nicht eindeutig abgesprochen habe, habe Zweifel begründet, denen die Fahrerlaubnisbehörde durch Anordnung eines weiteren Gutachtens habe nachgehen dürfen. Nachdem die Antragstellerin das Gutachten nicht beigebracht habe, habe auf das Fehlen der Fahreignung geschlossen werden dürfen. Am 1. Juni 2018 gab die Antragstellerin ihren Führerschein beim Landratsamt ab.

Am 14. Juni 2018 ließ sie durch ihren Bevollmächtigten Widerspruch einlegen und am 9. August 2018 beim Verwaltungsgericht Ansbach beantragen, die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen.

Mit Bescheid vom 13. September 2018, zugestellt am 18. September 2018, wies die Regierung von Mittelfranken den Widerspruch zurück.

Mit Beschluss vom 8. Oktober 2018 lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO mit der Begründung ab, das Landratsamt habe zu Recht die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens angeordnet und nach dessen Nichtbeibringung gemäß § 11 Abs. 8 FeV die Fahrerlaubnis entzogen. In der Aufforderung werde nach Eignungsmängeln hinsichtlich der amtsärztlich festgestellten Krankheiten der Antragstellerin gefragt. Diese Fragestellungen seien anlassbezogen. Mit dem amtsärztlichen Bericht seien konkrete Tatsachen bekannt geworden, die Bedenken gegen die körperliche oder geistige Fahreignung der Antragstellerin begründeten. Insoweit reiche aus, wenn konkrete Tatsachen einen Verdacht begründeten, denn eine Gutachtensanordnung diene der weiteren Aufklärung des Sachverhalts. Stünde bereits fest dass die Fahreignung fehle, sei diese Aufklärungsmaßnahme nicht mehr erforderlich. Auch die behördliche Fragestellung sei anlassbezogen. Mängel seien insoweit nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich. Ferner sei das behördliche Ermessen hinreichend ausgeübt worden. Ergebe die Würdigung, dass die festgestellten Tatsachen nach Art und Gewicht aussagekräftige Anzeichen für aufklärungsbedürftige Eignungszweifel seien, werde ohne das Vorliegen besonderer Umstände kaum Anlass dafür bestehen, dass die Behörde ihre diesbezüglichen Überlegungen nochmals im Rahmen einer ausdrücklichen als solchen bezeichneten Ermessensausübung wiederhole. Auch sei die Fragestellung verhältnismäßig. In Anbetracht des Vortrags der Antragstellerin sei festzustellen, dass weder ihr Alter noch der Verkehrsunfall zur Begründung der Gutachtensanforderung herangezogen worden seien, sondern vielmehr der von der Antragstellerin vorgelegte und damit auch verwertbare amtsärztliche Bericht Anlass hierzu gegeben habe. Zu Recht weise die Fahrerlaubnisbehörde darauf hin, dass die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer den privaten Interessen der Antragstellerin vorgehe, auch wenn sie wie behauptet unfallfrei gefahren sei.

Am 17. Oktober 2018 ließ die Antragstellerin Anfechtungsklage (AN 10 K 18.02022) beim Verwaltungsgericht Ansbach erheben, über die noch nicht entschieden ist.

Gegen den gerichtlichen Eilbeschluss richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin, mit der sie die Aufhebung des Beschlusses und die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage beantragt. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts überwiege das Interesse der Antragstellerin an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung. Denn sie habe zu Recht die Beibringung eines Fahreignungsgutachtens verweigert. Bereits die aufgrund des Alters der Antragstellerin erfolgte Gutachtensanordnung vom 8. August 2017 sei rechtswidrig gewesen. Altersbedingte Leistungsminderungen würden bei älteren Fahrerlaubnisinhabern durch langjährige Verkehrserfahrungen und gewohnheitsmäßig geprägte Bedienungserfahrungen ausgeglichen. Hohes Alter und eine sehr vorsichtige Fahrweise dürften noch keinen Anlass zu Zweifeln an der Fahreignung bieten, insbesondere wenn der Fahrerlaubnisinhaber bislang in keiner Weise verkehrsrechtlich in Erscheinung getreten sei. Auch die Unerklärlichkeit eines Verkehrsunfalls eines 85-jährigen Fahrerlaubnisinhabers berechtige nicht zum Schluss auf eine fehlende Fahreignung. Es müssten stets konkrete Eignungsmängeln und nicht nur ein bloßer Verdacht vorliegen. Auch die subjektive Wertung eines Polizeibeamten im Hinblick auf das Alter der Antragstellerin begründe keinen hinreichenden Anlass für eine Gutachtensanordnung. Die amtsärztliche Untersuchung habe nicht vollumfänglich das Ergebnis erbracht, dass die Fahreignung tatsächlich wegen schwerer Demenz im Sinne von Nr. 7.3 der Anlage 4 zur FeV fehle. Vielmehr sei nur eine Demenz im Anfangsstadium festgestellt worden. Es müssten ausgeprägte Leistungsmängel und schwere Persönlichkeitsveränderungen bestehen und nachgewiesen werden, damit die Fahreignung betroffen sei. Die amtsärztliche Feststellung sei somit kein tauglicher Anhaltspunkt für eine weitere Gutachtensanordnung. Dieser stünden auch Vertrauensschutzgesichtspunkte entgegen. Zwischen den beiden Anordnungen hätten knapp vier Monate bzw. mehr als 300 Tage gelegen; die Entziehung der Fahrerlaubnis sei weitere fünf Monate danach erfolgt. In diesem Zeitraum habe die Antragstellerin täglich ohne Beanstandungen am Straßenverkehr teilgenommen und daher darauf vertrauen können, keiner weiteren Begutachtung mehr unterzogen zu werden. Schließlich sei die Fahrerlaubnisentziehung unverhältnismäßig. Vor dem Hintergrund, dass die Antragstellerin verkehrsrechtlich noch nie in Erscheinung getreten sei, sei im Rahmen der vorzunehmenden Zukunftsprognose kein Umstand ersichtlich, der eine Entziehung der Fahrerlaubnis zur Gefahrenabwehr rechtfertigen würde. Die Fahrerlaubnis sei für die Antragstellerin von absolut überragender Bedeutung für ihre Lebensführung. Mit Schreiben vom 17. Dezember 2018 wurde noch ein Arztbericht eines akutgeriatrischen Krankenhauses vom 30. August 2018 in Auszügen vorgelegt, wo die Antragstellerin nach einem Sturz vom 16. bis 31. August 2018 stationär behandelt worden ist. Hieraus ergibt sich, dass eine Demenz oder anderweitige kognitive Störung nicht diagnostiziert und der Antragstellerin der Pflegegrad 2 zuerkannt wurde sowie eine Tagespflege geplant ist.

Der Antragsgegner tritt der Beschwerde entgegen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern oder aufzuheben wäre.

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung in der zum 1. Januar 2018 in Kraft getretenen Fassung des Gesetzes vom 30. Juni 2017 (BGBl I S. 2162), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Verordnung vom 3. Mai 2018 (BGBl I S. 566), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV). Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV kann die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens, unter anderem ein Gutachten eines Arztes einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle (§ 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 5 FeV), anordnen, wenn Tatsachen bekannt werden, die Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung des Fahrerlaubnisinhabers begründen. Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er das geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung geschlossen werden. Der Schluss auf die Nichteignung ist allerdings nur zulässig, wenn die Anordnung der Begutachtung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – BVerwGE 156, 293 = juris Rn. 19).

Bedenken gegen die körperliche und geistige Fahreignung bestehen nach § 11 Abs. 2 Satz 2 FeV insbesondere, wenn Tatsachen bekannt werden, die auf eine Erkrankung oder einen Mangel nach Anlage 4 oder 5 zur FeV hinweisen. Nicht erforderlich ist also, dass eine solche Erkrankung oder ein solcher Mangel bereits feststeht. Allerdings darf die Beibringung des Gutachtens nur aufgrund konkreter Tatsachen, nicht auf einen bloßen Verdacht „ins Blaue hinein“ bzw. auf Mutmaßungen, Werturteile, Behauptungen oder dergleichen hin verlangt werden (vgl. BVerwG, U.v. 5.7.2001 – 3 C 13.01 – NJW 2002, 78 = juris Rn. 26; Siegmund in Freymann/Wellner jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 11 FeV Rn. 36). Ob die der Behörde vorliegenden Tatsachen ausreichen, ist nach den gesamten Umständen des jeweiligen Einzelfalls zu beurteilen. Gleiches gilt für den genauen Grad der Konkretisierung, die die von der Fahrerlaubnisbehörde gemäß § 11 Abs. 6 Satz 1 und 2 FeV festzulegende und mitzuteilende Fragestellung aufweisen muss (BVerwG, B.v. 5.2.2015 – 3 B 16.14 – BayVBl 2015, 421 = juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 3.9.2015 – 11 CS 15.1505 – juris Rn. 13).

Das Verwaltungsgericht hat die testgestützten Feststellungen des Amtsarztes zu Recht als ausreichende konkrete Tatsachen gewertet, um Bedenken gegen die Fahreignung im Sinne von § 11 Abs. 2 Satz 2 FeV zu begründen. Der Umstand, dass die tatsächlichen Feststellungen (unzureichende Ergebnisse in drei Demenztests, beginnende Demenz; Herz- und Nierenleistungsschwäche, Diabetes mit Folgeerkrankungen) nicht ausgereicht haben, um gemessen an Nr. 4, 5, 7.3. und 10 der Anlage 4 zur FeV die Einschätzung des Amtsarztes nachzuvollziehen, eine Fahreignung sei nicht gegeben, bedeutet nicht, dass sie nicht geeignet waren, Anlass zu aufklärungsbedürftigen Zweifeln an der Fahreignung zu geben. In diesem Zusammenhang hat das Verwaltungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass eine weitere Aufklärungsmaßnahme nicht mehr erforderlich und damit gemäß § 11 Abs. 7 FeV unzulässig gewesen wäre, wenn aufgrund der amtsärztlichen Feststellungen die fehlende Fahreignung bereits festgestanden hätte. Anhaltspunkte dafür, dass die amtsärztlichen Feststellungen fehlerhaft sein könnten, sind nicht ersichtlich, auch nicht aufgrund des – im Übrigen nach dem maßgeblichen Zeitpunkt der Gutachtensanordnung (vgl. BayVGH, B.v. 11.2.2019 – 11 CS 18.1808 – juris Rn. 22) am 1. Dezember 2017 und nur in Auszügen – vorgelegten Arztberichts des Krankenhauses vom 30. August 2018. Denn dieser lässt nicht erkennen, ob die kognitive Leistungsfähigkeit der wegen eines Sturzes behandelten Antragstellerin überhaupt getestet worden ist oder ob die Feststellung dazu lediglich auf einer allgemeinen gesprächsweisen Einschätzung beruht.

Weiter ist das Verwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass der amtsärztliche Bericht verwertet werden durfte. Nachdem die Antragstellerin den Bericht vorgelegt hat, handelt es sich nach ständiger Rechtsprechung um eine neue Tatsache mit selbständiger Bedeutung (vgl. BayVGH, B.v. 20.6.2018 – 11 CS 18.1027 – juris Rn. 9 m.w.N.). Somit kommt es auf die Rechtmäßigkeit der Gutachtensanordnung vom 8. August 2017 nicht mehr an.

Dessen ungeachtet ist mit Blick auf die Einwände der Antragstellerin zu ergänzen, dass der von einem geschulten Polizeibeamten gewonnene Eindruck, sie habe einen „teilweise verlangsamten geistigen Eindruck“ gemacht, in Verbindung mit dem vorangegangenen von ihr nicht bemerkten Unfallgeschehen ausreichenden Anlass für eine Aufklärung von Fahreignungszweifeln bot. Dem steht nicht entgegen, dass die Staatsanwaltschaft das strafrechtliche Ermittlungsverfahren eingestellt hat und die Verursachung des Verkehrsunfalls durch die Antragstellerin damit nicht gerichtlich festgestellt worden ist. Zunächst setzt die Strafbarkeit nach § 142 Abs. 1 StGB lediglich eine nicht ganz unbegründete, aus dem äußeren Anschein des Unfalls zu folgernde Möglichkeit voraus, dass das Verhalten des Fahrers den Unfall mitverursacht hat (vgl. § 142 Abs. 5 StGB; Zopfs in MünchKomm zum StGB, 3. Aufl. 2017, § 142 Rn. 36), so dass eine Klärung der Ursache im Strafverfahren auch nicht zwangsläufig zu erwarten gewesen wäre. Davon abgesehen verbietet es die Einstellung eines Strafverfahrens nach § 153a StPO nicht, in Verfahren mit anderer Zielsetzung Feststellungen über Tatsachen, die einen Straftatbestand erfüllen, in dem für die dortige Entscheidung erforderlichen Umfang als Grundlage für die daran anknüpfenden außerstrafrechtlichen Rechtsfolgen zu verwerten (vgl. BayVGH, B.v. 21.3.2016 – 11 CS 16.175 – juris Rn. 12 f.; B.v. 5.3.2009 – 11 CS 09.228 – juris Rn. 26). Die Verwaltungsbehörde kann sich dabei auf dieselben Beweismittel stützen wie das Strafgericht, ohne an dessen Bewertung gebunden zu sein (BayVGH, a.a.O.). Ferner genügt für die Anordnung eines ärztlichen Gutachtens der Hinweis auf eine Erkrankung nach Anlage 4 zur FeV (§ 11 Abs. 2 Satz 1 und 2 FeV) bzw. ein „Anfangsverdacht“ (vgl. BVerwG, U.v. 5.7.2001 – 3 C 13.01 – NJW 2002, 78 = juris Rn. 22; U.v. 14.11.2013 – 3 C 32.12 – BVerwGE 148, 230 = juris Rn. 17), also – wie es in § 152 Abs. 2 StPO umschrieben wird – das Bestehen zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte. Im Verwaltungsverfahren gilt ebenso wie im Verwaltungsprozess der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (Schwarz in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 2016, § 24 VwVfG Rn. 41; BayVGH, B.v. 21.11.2018 – 11 CS 18.1237 – juris Rn. 15). Eine allgemeingültige Regel, wann ein Sachverhalt als erwiesen angesehen werden darf, gibt es nicht (Kallerhoff/Fellenberg in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 24 Rn. 20). Grundsätzlich ausreichend ist ein Maß an Gewissheit, das den Zweifeln Schweigen gebietet, auch wenn sie nicht völlig auszuschließen sind (Ziekow, VwVfG, 3. Aufl. 2013, § 24 Rn. 14; Schwarz, a.a.O.), bzw. eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit (Kallerhoff/Fellenberg, a.a.O.). In Anbetracht der detailreichen und schlüssigen Zeugenaussage, der Spuren am Fahrzeug der Antragstellerin und des Umstands, dass sie einer Einstellung des Strafverfahrens nach § 153a StPO zugestimmt hat, bestehen vorliegend keine vernünftigen Zweifel daran, dass sie bei ihrer Fahrt am 14. Juli 2017 mit ihrem Außenspiegel das entgegenkommende Fahrzeug gestreift, aber nicht angehalten hat, was auf Aufmerksamkeits-, Wahrnehmungs- bzw. Reaktionsdefizite hinweist (vgl. BayVGH, B.v. 22.1.2018 – 11 CS 17.2192 – juris Rn. 13). Die Einstellung des Verfahrens nach § 153a StPO gegen einen möglicherweise Unschuldigen ist unzulässig. Vielmehr setzt sie einen hinreichenden Tatverdacht voraus bzw., dass keine Zweifel an der Erfüllung des Straftatbestands bestehen und nach dem Verfahrensstand mit hoher Wahrscheinlichkeit von einer Verurteilung auszugehen ist (vgl. Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl. 2019, § 153a Rn. 2 m.w.N.; Beukelmann in Beck-OK, StPO, § 153a Rn. 14).

Ferner folgt aus dem Umstand, dass der Polizeibeamte seiner Beobachtung die aus seiner Sicht nächstliegende in Betracht kommende Ursache („aufgrund ihres Alters“) hinzugefügt hat, nicht, dass das Gutachten aufgrund des Alters der Antragstellerin angeordnet worden ist. Hierfür oder dafür, dass es aufgrund einer besonders vorsichtigen Fahrweise oder der Unerklärlichkeit des Verkehrsunfalls angeordnet worden ist, bietet die Gutachtensanordnung vom 8. August 2017 nach ihrem Wortlaut keinen Anhaltspunkt. Die Zeugin schildert keine vorsichtige Fahrweise, sondern eine Fahrweise unter Inanspruchnahme der Gegenfahrbahn.

Schließlich stehen der Gutachtensanforderung vom 1. Dezember 2017 auch keine Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes, hier in Form der allein in Betracht kommenden Rechtsfigur der Verwirkung, entgegen. Es kann dahinstehen, ob die Verwirkung im Rahmen sicherheitsrechtlicher Befugnisse, die nicht im Ermessen der Behörde stehen, überhaupt in Betracht kommt (vgl. BayVGH, B.v. 21.1.2019 – 11 ZB 18.2066 – juris Rn. 22; B.v. 22.10.2014 – 11 C 14.386 – juris Rn. 20). Voraussetzung wäre jedenfalls, dass neben dem Verstreichen eines längeren Zeitraums weitere Umstände hinzukämen, die ein schutzwürdiges Vertrauen darauf begründen könnten, die Behörde werde von ihrer Befugnis auch künftig keinen Gebrauch mehr machen (vgl. BayVGH, B.v. 21.1.2019 a.a.O.). Das ist hier jedoch nicht der Fall, da die Fahrerlaubnisbehörde die Hinauszögerung des Verfahrens nicht zu verantworten hatte und nie den Eindruck erweckt hat, sie werde von einer Entziehung der Fahrerlaubnis Abstand nehmen, wenn die Fahreignung der Antragstellerin ungeklärt bleibt. Der zeitliche Abstand zwischen den Gutachtensanordnungen ergibt sich daraus, dass das amtsärztliche Gutachten erst am 23. Oktober 2017 gefertigt und am 7. November 2017 vorgelegt worden ist. Aus den behördlichen Schreiben vom selben Tag und vom 15. Februar 2018 konnte die Antragstellerin ersehen, dass ein Verfahren zur Entziehung der Fahrerlaubnis eingeleitet worden war und der Antragsgegner von der Maßnahme im Falle nicht ausreichender Mitwirkung auch nicht absehen würde. Die Zeitverzögerung, die dadurch entstanden ist, dass das amtsärztliche Gutachten nicht hinreichend nachvollziehbar war und weiteren Aufklärungsbedarf verursacht hat, kann der Fahrerlaubnisbehörde, die der Antragstellerin mit der Beauftragung des staatlichen Gesundheitsamts die kostengünstigste Möglichkeit einer Einschätzung ihrer Fahreignung eröffnet hat, ohne dass hierauf ein rechtlicher Anspruch bestanden hätte, ebenfalls nicht entgegengehalten werden. Da die Untersuchung nicht ergeben hat, dass eine weitere Teilnahme der Antragstellerin am Straßenverkehr unbedenklich ist, musste sie mit weiteren Aufklärungsmaßnahmen und ggf. einer Entziehung der Fahrerlaubnis rechnen. Die weiteren Zeitverzögerungen hat die Antragstellerin selbst verursacht, indem sie zur Einholung von Rechtsrat um eine Fristverlängerung nachgesucht, sodann längere Zeit nicht reagiert und schließlich um Akteneinsicht gebeten hat und ihr rechtliches Gehör zu gewähren war. Allein die schlichte Teilnahme eines fahrungeeigneten Fahrerlaubnisinhabers am Straßenverkehr kann keinen Vertrauensschutz begründen. Abgesehen davon, dass die Behauptung einer regelmäßigen Verkehrsteilnahme nicht nachprüfbar ist, ist auch nicht feststellbar, ob und wie oft es zu einer Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer gekommen und ein Schadenseintritt nur durch deren Umsicht vermieden worden ist.

Auch der Einwand, eine Fahrerlaubnisentziehung sei im Hinblick auf eine langjährige beanstandungsfreie Verkehrsteilnahme unverhältnismäßig, geht fehl. Die einmal gegebene Fahreignung hängt von körperlichen und geistigen Fähigkeiten ab, die sich im Laufe des Lebens bei jedem Fahrerlaubnisinhaber aufgrund des natürlichen Alterungsprozesses verschlechtern. Sie kann daher nicht unverändert Grundlage für eine gleichbleibende positive Prognose sein. In Anbetracht des Verkehrsunfalls am 14. Juli 2017, den die Antragstellerin mit hoher Wahrscheinlichkeit verursacht hat, ist auch die Behauptung nicht nachvollziehbar, sie sei bislang in keiner Weise verkehrsrechtlich in Erscheinung getreten. Fehlt die Fahreignung, ist die Entziehung der Fahrerlaubnis zum Schutz von Leben und Gesundheit der anderen Verkehrsteilnehmer zwingend. Im Hinblick auf den hohen Rang dieser Rechtsgüter hat das Mobilitätsbedürfnis der Antragstellerin und die Bedeutung der Fahrerlaubnis für ihre Lebensführung dahinter zurückzustehen.

Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1, 2 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1, Nr. 46.2, 46.3 und 46.5 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. BayVGH, B.v. 15.12.2014 – 11 CS 14.2202 – juris Rn. 7).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

 

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