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Fahrerlaubnisentziehung wegen nervlicher Gebrechen

OVG Sachsen, Az.: 3 B 125/17, Beschluss vom 08.06.2017

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Dresden vom 6. April 2017 – 6 L 384/17 – wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,00 € festgesetzt.

Gründe

Die mit der Beschwerde vorgebrachten Gründe, auf deren Prüfung der Senat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 146 Abs. 4 Sätze 3 und 6 VwGO beschränkt ist, ergeben nicht, dass es das Verwaltungsgericht zu Unrecht abgelehnt hat, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die in Nr. 1 des Bescheids des Antragsgegners vom 16. Februar 2017 vorgenommene Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen 3 und 4 sowie die in Nr. 2 des vorgenannten Bescheids angeordnete Abgabe des Führerscheins binnen Wochenfrist nach Zustellung des Bescheids wiederherzustellen.

1. Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung darauf hingewiesen, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers nach dem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung keinen Bedenken begegne. Die Entziehung der Fahrerlaubnis könne sich auf § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV stützen. Der Antragsteller sei zum Führen von Kraftfahrzeugen gemäß § 2 Abs. 4 Satz 1 StVG ungeeignet, da er nicht die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfülle, denn er leide an einer Parkinson-Erkrankung, womit ihm nach Nr. 6.3 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV (künftig: Anlage 4) die Fahreignung fehle. Dies folge aus den gutachterlichen Feststellungen des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. S… vom 23. März 2016 sowie dem Gutachten der DEKRA e. V. vom 10. Juni 2016 über eine durchgeführte Fahrprobe. Die Berechtigung der Fahrerlaubnisbehörde, vom Antragsteller derartige Gutachten zu fordern, könne offen bleiben, da dieser mit der Erstellung der Gutachten einverstanden gewesen sei und sie der Behörde vorgelegt habe. Das eingeholte nervenärztliche Gutachten habe die Zweifel an der Fahreignung des Antragsstellers nicht vollständig ausräumen können. Das Gutachten der DEKRA e. V. über die von dem ärztlichen Gutachter geforderte „Fahrprobe“ begegne keinen inhaltlichen Bedenken. Die negative Einschätzung könne nicht durch den Einwand entkräftet werden, der Antragsteller habe bei der Fahrprobe einen ganz anderen Fahrzeugtyp als sein eigenes Fahrzeug fahren müssen. Die Feststellungen würden durch die bisherigen Verkehrsauffälligkeiten des Antragstellers gestützt. Er habe selber angegeben, Ende September 2015 bei einem Fahrzeug im Gegenverkehr einen Seitenspiegel abgefahren zu haben. Zudem zeigten die Feststellungen der Polizeibeamten des Polizeireviers R… vom 11. Dezember 2015, dass es beim Antragsteller auch unter Nutzung seines eigenen Fahrzeugs zu gravierenden Fahrdefiziten gekommen sei.

Darüber hinaus sei die Entziehung der Fahrerlaubnis auch deshalb gerechtfertigt, weil der Antragsgegner gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf seine Nichteignung habe schließen können. Denn der Antragsteller habe das Ergebnis der zweiten Fahrprobe, die am 25. Oktober 2016 stattgefunden habe, nicht vorgelegt, obwohl ihm die Möglichkeit eingeräumt worden sei, zur Erfüllung der Anforderungen eines Gutachtens nach § 11 Abs. 4 FeV eine solche zweite Fahrprobe durchzuführen. Damit habe der Antragsteller das von der Fahrerlaubnisbehörde geforderte Gutachten nicht fristgerecht beigebracht, obwohl er gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf die Folgen einer Weigerung hingewiesen worden sei.

Die Anordnung des Sofortvollzugs sei gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO geboten. Der Schutz von Leib und Leben anderer Verkehrsteilnehmer vor nicht hinnehmbaren Gefährdungen durch den Antragsteller habe Vorrang vor seinem privaten Interesse, ein Kraftfahrzeug nutzen zu können.

2. Dem hält die Beschwerde mit Schriftsatz vom 11. Mai 2017 entgegen, dass der Antragsgegner seinen tatsächlichen Gesundheitszustand in dem Entziehungsbescheid nicht gewürdigt habe. Einschränkungen seien bei ihm nur in der sogenannten „off“-Phase gegeben. Diese dauere etwa drei Stunden. Danach sei eine fünfstündige „on“-Phase gegeben, in der er vollumfänglich fit sei und normal am Leben teilnehmen könne. Hieran schließe sich eine achtstündige Übergangsphase an, in der er relativ gut beweglich sei. Er plane das Führen eines Kraftfahrzeugs nur in der „on“-Phase. Durch den Entzug werde er massiv in seinem Sozialleben eingeschränkt. Er könne ohne Hilfe des Kraftfahrzeugs keine weiten und umständlichen Strecken gehen. Auch habe er erhebliche Zweifel daran, dass die von dem Gutachter der DEKRA e. V. festgestellten Tatsachen, die angeblich gegen seine Fahrtauglichkeit sprechen, tatsächlich vorgelegen hätten. Hierzu berufe er sich auf das Zeugnis des Fahrlehrers O… Dieser habe an der ersten Fahrprobe (am 10. Juni 2016) teilgenommen. Darüber hinaus berufe er sich auf das Zeugnis des Fahr(schul)lehrers der zweiten Fahrprobe (am 25. Oktober 2016). Mit dessen Hilfe könnten die Darlegungen der DEKRA e. V. entkräftet werden. Insoweit seien „auch die Schlussfolgerungen aufgrund der negativen Übergabe der schriftlichen Darlegungen des Sachverständigen der DEKRA e. V. zur 2. Fahrprobe nachvollziehbar“. Der Sachverständige der DEKRA e. V. habe seinen Darlegungen zur ersten Fahrprobe nicht widersprechen wollen. Denn der Sachverständige wolle vermeiden, widersprüchliche Gutachten zu erstellen. Zu der zweiten Fahrprobe hatte der Antragsteller in seinem erstinstanzlich in Bezug genommenen Widerspruch mit Schriftsatz vom 17. März 2017 vorgetragen, dass derselbe Sachverständige der DEKRA e. V. zu keiner anderen Bewertung seiner Fahrtauglichkeit habe gelangen können, da er sich sonst zu seinen Feststellungen bei der ersten Fahrprobe in Widerspruch gesetzt hätte. Das Gutachten über die zweite Fahrprobe am 25. Oktober 2016 wurde nicht vorgelegt.

3. Das Vorbringen des Antragstellers rechtfertigt keine Änderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses.

Ist über den Widerspruch des Fahrerlaubnisinhabers gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis noch nicht entschieden worden, hat das Gericht seiner Interessenabwägung im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO die aktuelle Sach- und Rechtslage zugrunde zu legen. Denn im Fahrerlaubnisrecht ist für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Maßnahme die im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung bestehende Sach- und Rechtslage maßgebend (BVerwG, Beschl. v. 22. Januar 2001 – 3 B 144.00 -, juris Rn. 2).

3.1 Der Antragsteller wendet sich nicht gegen die vom Verwaltungsgericht bejahte Berechtigung des Antragsgegners, gemäß § 11 Abs. 2, Abs. 4 Nr. 1 FeV beim Antragsteller die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens und hiervon ausgehend die Beibringung eines Gutachtens eines Prüfers für den Kraftfahrzeugverkehr fristgemäß beizubringen. Die von dem ärztlichen Sachverständigen, dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S…, in seinem Gutachten vom 23. März 2016 getroffenen Feststellungen sind auch im Hinblick auf die Notwendigkeit, eine Fahrprobe durchzuführen, vom Antragsteller ebenfalls nicht in Frage gestellt worden.

Die von ihm beschriebenen Einschränkungen während der sogenannten „off“-Phase, seiner angeblichen Fahrtauglichkeit in der „on“-Phase sowie in der dann folgenden achtstündigen Übergangsphase sind in dem vorbezeichneten ärztlichen Gutachten (vgl. dort Seite 2) im Einzelnen angesprochen worden. Dass sein tatsächlicher gesundheitlicher Zustand in dem Bescheid nicht gewürdigt worden sei, ist angesichts der Feststellungen auf Seiten 2 f. dieses Bescheids unzutreffend. Hierin wird das ärztliche Gutachten im Einzelnen gewürdigt.

3.2 Die Rügen des Antragstellers beschränken sich im Kern damit darauf, die Aussagekraft der über die beiden Fahrproben am 10. Juni sowie am 25. Oktober 2016 angefertigten Gutachten i. S. v. § 11 Abs. 4 Nr. 1 FeV anzugreifen.

(1) Die Beschwerde des Antragstellers hat aber schon deshalb keinen Erfolg, weil sich dieser bei der Darlegung der Beschwerdegründe nicht mit der selbständig tragenden verwaltungsgerichtlichen Feststellung befasst hat, der Antragsgegner habe nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf seine Nichteignung schließen können, weil der Antragsteller das Gutachten über die zweite Fahrprobe vom 25. Oktober 2016 nicht fristgemäß vorgelegt hat. Hierzu hätte es mit dem Beschwerdevorbringen aber weiterer Darlegungen bedurft, denn die Begründungspflicht des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO bezieht sich auf alle in dem angefochtenen verwaltungsgerichtlichen Beschluss die Entscheidung selbständig tragenden Begründungen (Seifert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 124a Rn. 196; BVerwG, Beschl. v. 9. Dezember 1994 – 11 PKH 28.94 -, juris Rn. 6 m. w. N.; SächsOVG, Beschl. v. 20. Juni 2016 – 3 A 195/16 -, juris Rn. 18; st. Rspr.).

Dies ist vorliegend nicht geschehen. Denn der Antragsteller hat mit seiner Beschwerde nur pauschal angebliche Mängel dieser zweiten Fahrprobe gerügt, das Gutachten bis heute nicht vorgelegt. Daran ändert nichts, dass dieses Verhalten angesichts des wohl ebenfalls negativen Ergebnisses menschlich nachvollziehbar ist. Damit sind die verwaltungsgerichtlichen Feststellungen nicht in Frage gestellt, soweit das Gericht unter Heranziehung von § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV darauf abgestellt hat, dass der Antragsgegner auf die Nichteignung des Antragstellers schließen durfte, da dieser das angeforderte Gutachten nicht fristgerecht beigebracht hat, obwohl er auf die negativen Auswirkungen der Nichtvorlage hingewiesen wurde.

(2) Soweit der Antragsteller im Übrigen das negative Ergebnis des Gutachtens über die erste Fahrprobe vom 10. Juni 2016 angreift, ist er ebenfalls seinen Darlegungspflichten nicht nachgekommen. Das Verwaltungsgericht hat unter wörtlicher Wiedergabe dieses Gutachtens im Einzelnen ausgeführt, weswegen das Gutachten verwertbar sei. Insbesondere hat das Gericht darauf hingewiesen, dass das gutachterliche Ergebnis durch frühere Vorkommnisse bestätigt worden sei, und darauf, dass die dort während der Fahrt begangenen Verletzungen von Vorfahrtsregelungen, die Rotlichtverstöße, die fehlende Beachtung des Verkehrs und die fehlende Absicherung bei Abbiegevorgängen und Fahrstreifenwechseln sowie das Nichteinhalten des Rechtsfahrgebots eindeutige Fahrfehler seien und es sich nicht um Bedienfehler handele, die auf die Nutzung eines für den Antragsteller ungewohnten Fahrzeugs zurückgeführt werden könnten. Auf diese eingehende Analyse seines Fahrverhaltens ist der Antragsteller in seiner Beschwerde nicht eingegangen.

Die anstatt dessen angebotene Einvernahme von Zeugen ist wegen des Eilcharakters der Beschwerdeentscheidung gemäß § 146 VwGO nicht zulässig und muss dem sich gegebenenfalls anschließenden Verfahren in der Hauptsache vorbehalten bleiben (BayVGH, Beschl. v. 18. April 2012 – 21 CS 12.447 -, juris Rn. 12 m. w. N.). Eine eigenständige, die Überlegungen des Antragsgegners und des Verwaltungsgerichts in Frage stellende Darstellung des Geschehensablaufs bei der Fahrprobe enthält das Beschwerdevorbringen hingegen nicht.

3.3 Soweit schließlich das Verwaltungsgericht in einer eigenständigen Interessenabwägung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO dem öffentlichen Interesse an dem Sofortvollzug der Fahrerlaubnisentziehung Vorrang vor dem privaten Interesse des Antragstellers gegeben hat, gilt nichts anderes.

Der Antragsteller hat sich schon nicht mit den diesbezüglichen verwaltungsgerichtlichen Überlegungen auseinandergesetzt, die der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats entsprechen (SächsOVG, Beschl. v. 25. Juli 2016 – 3 B 40/16 -, juris Rn. 8). Im Übrigen hat der Antragsgegner unwidersprochen darauf hingewiesen, dass der Antragsteller auch ohne seine Fahrerlaubnis nicht so isoliert sei, wie er glauben machen wolle, da seine Ehefrau ebenfalls eine Fahrerlaubnis besitze und gemeinsam mit ihr seinen Alltag und sein soziales Leben pflegen könne.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 47, 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG und folgt im Übrigen der Streitwertsetzung des Verwaltungsgerichts im erstinstanzlichen Verfahren, gegen die keine Einwände erhoben wurden.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

 

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