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Fahrerlaubnisentziehung wegen Epilepsieanfälle

VG Köln, Az.: 23 L 556/16, Beschluss vom 04.04.2016

1. Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage (23 K 1743/16) gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 26.02.2016

1. hinsichtlich der Entziehung der Fahrerlaubnis wiederherzustellen und

2. hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung anzuordnen, hat keinen Erfolg. Er ist im Hinblick auf den Antrag zu 1. zulässig, aber unbegründet und im Hinblick auf den Antrag zu 2. unzulässig.

Hinsichtlich des zulässigen Antrags zu 1. fällt die erforderliche Interessenabwägung nach § 80 Abs. 5 VwGO zulasten der Antragstellerin aus, da die angefochtene Ordnungsverfügung nach der im einstweiligen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung rechtmäßig ist und im Klageverfahren aller Voraussicht nach Bestand haben wird.

Entgegen der Ansicht der Antragstellerin ist die Entziehung der Fahrerlaubnis in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Insbesondere wurde der Antragstellerin vor Erlass der Ordnungsverfügung im Sinne von § 28 VwVfG NRW Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Außerdem wurde ihr durch Übersendung des Verwaltungsvorgangs am 2. März 2016 Akteneinsicht gemäß § 29 VwVfG NRW gewährt. Ob die Akteneinsicht als Bestandteil der Anhörung gemäß § 28 VwVfG NRW bereits zeitlich vor Erlass der Entziehungsverfügung – und nicht, wie vorliegend, nach Erlass der Verfügung – hätte gewährt werden müssen, kann dahinstehen, weil ein solcher eventueller Mangel jedenfalls durch die im Rahmen des Verwaltungsverfahrens erfolgte Akteneinsicht gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG NRW geheilt worden wäre.

Die Ordnungsverfügung entspricht zudem dem Bestimmtheitsgebot des § 37 Abs. 1 VwVfG NRW. Danach muss die durch den Verwaltungsakt getroffene Regelung hinreichend klar, verständlich und in sich widerspruchsfrei sein. Dabei genügt, dass aus dem gesamten Inhalt des Verwaltungsakts und aus dem Zusammenhang, vor allem aus der von der Behörde gegebenen Begründung des Verwaltungsakts, im Weg einer an den Grundsätzen von Treu und Glauben orientierten Auslegung hinreichende Klarheit gewonnen werden kann.

Vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 16. Auflage 2015, § 37 Rn. 12 m.w.N.

Diese Voraussetzungen liegen vor. Zwar nimmt die Ordnungsverfügung zu Beginn der Gründe irrtümlicherweise Bezug auf Ziffer 8.3 der Anlage 4 zur FeV, die die Fahrungeeignetheit aufgrund Alkoholabhängigkeit regelt. Der Inhalt der gesamten Begründung und die später korrigierte Bezugnahme auf Ziffer 6.6 der Anlage 4 zur FeV lassen aber keinen Zweifel daran zu, dass der Antragsgegner die Entziehung der Fahrerlaubnis gerade nicht auf einen Alkoholabusus, sondern ausschließlich auf die Fahrungeeignetheit der Antragstellerin aufgrund ihres (wohl psychogenen) Anfallsleidens stützt.

Die Entziehung der Fahrerlaubnis ist auch materiell nicht zu beanstanden. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 3 Abs. 1 S. 1 StVG in Verbindung mit § 46 Abs. 1 FeV. Nach Maßgabe dieser Vorschriften hat die Fahrerlaubnisbehörde dem Fahrerlaubnisinhaber die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn er sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Voraussetzung dafür ist, dass die Tatsachen, aus denen sich die Ungeeignetheit ergibt, erwiesen sind. Bloße Eignungszweifel genügen nicht. Aufgetretene Bedenken auf einer hinreichend gesicherten Tatsachengrundlage müssen sich vielmehr zu der prognostischen Gewissheit verdichtet haben. Es ist unter Einbeziehung von Mitwirkungspflichten des Betroffenen Sache der Verwaltungsbehörde, den Nachweis der entscheidungserheblichen Tatsachen zu führen.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6. Mai 2005 – 16 B 183/05 -, NRWE.

Gemessen an diesen Grundsätzen steht die Ungeeignetheit der Antragstellerin nach summarischer Prüfung fest.

Zwar liegt bei ihr keine Erkrankung vor, die aufgrund ausdrücklicher Vorgabe des Verordnungsgebers im Regelfall die Ungeeignetheit zum Führen eines Kraftfahrzeugs nach sich zöge. Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV ist von einer Ungeeignetheit insbesondere dann auszugehen, wenn Erkrankungen oder Mängel nach Anlage 4 (oder 5 oder 6) zur FeV vorliegen. Diese Anlage 4 führt in Ziffer 6.6 seit 2011 nicht mehr sämtliche Anfallsleiden auf, sondern beschränkt sich seitdem auf die Erkrankung der Epilepsie. Dennoch durfte der Antragsgegner aufgrund des von ihm angeordneten nervenärztlichen Gutachtens die Ungeeignetheit der Antragstellerin zum Führen von Kraftfahrzeugen feststellen, und zwar ohne selbst in Analogie zu Ziffer 6.6 der Anlage 4 zur FeV entscheiden zu müssen. Denn § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV stellt mit dem Verweis auf die Anlagen 4 bis 6 zur FeV gerade keine abschließende Regelung dar. Vielmehr hat jedwede Form der Ungeeignetheit zum Führen eines Kraftfahrzeugs nach § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV die Entziehung der Fahrerlaubnis zur Folge, sofern der entsprechende Nachweis erbracht ist.

Auf Grundlage des nervenärztlichen Gutachtens vom 30. November 2015 hat der Antragsgegner zu Recht den Schluss gezogen, dass bei der Antragstellerin aktuell keine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen gegeben ist. Das Gutachten weist keine erkennbaren Mängel auf.

Vgl. zu den Voraussetzungen näher BVerwG, Beschluss vom 30. März 1995 – 8 B 167.94 -, juris.

Der Gutachter hat sich ausführlich mit den genauen Umständen des Anfallsleidens der Antragstellerin auseinandergesetzt. Er hat die bei ihr auftretenden Symptome nicht unbesehen mit der in Ziffer 6.6 der Anlage 4 zur FeV genannten Epilepsie gleichgesetzt. Vielmehr hat er die Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung (Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen – Heft M 115) zur Grundlage seines Gutachtens gemacht, die in Nr. 3.9.6 klarstellen, dass nicht nur Epilepsien, sondern auch andere anfallsartig auftretende Störungen mit akuter Beeinträchtigung des Bewusstseins, der Motorik oder anderer handlungsrelevanter Funktionen, zum Beispiel psychogene Anfälle, zum Mangel der Fahreignung führen. Erst aufgrund der von ihm festgestellten Ähnlichkeit der auf dem Anfallsleiden der Antragstellerin basierenden Risiken mit den auf einer Epilepsie basierenden Risiken – Gefahr weiterer völlig unvorhergesehener Fälle von Bewusstlosigkeit – gelangt er im Ergebnis zu einer Beurteilung, die den Vorgaben in Ziffer 6.6 der Anlage 4 zur FeV entspricht: Fehlende Fahreignung der Antragstellerin, solange nicht feststeht, dass sie mindestens ein Jahr lang anfallsfrei war. Bei summarischer Prüfung gibt diese fachliche Einschätzung keinen Anlass zur Beanstandung. Es erscheint plausibel, dass es nach regelmäßig auftretenden Anfallsleiden mit Bewusstlosigkeit in einem Zeitraum von rund zehn Jahren auch eines längeren Zeitraums mit unauffälliger Befundlage bedarf, bevor eine günstige Prognose möglich und berechtigt erscheint.

Vgl. auch VG Bayreuth, Beschluss vom 21. Januar 2014 – B 1 S 13.879 -, juris.

Dass bislang – glücklicherweise – kein Ohnmachtsanfall der Antragstellerin im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs aufgetreten ist, ändert, anders als von der Antragstellerin angenommen, nichts an der Plausibilität des Gutachtens. Die Gefahr für den Straßenverkehr beruht auf den Feststellungen, dass die Anfallsleiden der Antragstellerin jederzeit und für sie völlig unvorhersehbar auftreten können. Mit den Anforderungen an die Sicherheit des Straßenverkehrs wäre es keinesfalls vereinbar, einen ersten Fall abzuwarten, in dem ein Ohnmachtsanfall im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs aufträte; schon in einem ersten solchen Fall wäre nicht nur das Leben der Antragstellerin, sondern auch das Leben anderer Verkehrsteilnehmer in erheblicher Gefahr.

Ins Leere geht auch das Vorbringen der Antragstellerin, eine Übertragbarkeit der Vorgaben in Ziffer 6.6 der Anlage 4 zur FeV scheide deshalb aus, weil ihre Anfallsleiden ausweislich des Gutachtens stets im Zusammenhang mit Alkoholkonsum gestanden hätten. Denn an keiner Stelle stellt das Gutachten einen solchen Zusammenhang her. Im Gegenteil liegt der Beurteilung eindeutig die durch den Gutachter durchgeführte Anamnese zugrunde, in der die Antragstellerin selbst angegeben hatte, seit dem achten Lebensjahr „kippe sie auch ohne Alkohol um“. Zwar würdigt der Gutachter auch den Umgang der Antragstellerin mit Alkohol und ihre Verhaltensweisen unter Alkoholeinfluss. Dies musste er auch tun, weil er ein umfassendes Gutachten zu erstellen hatte, das sämtliche mögliche Mängel und Erkrankungen in Betracht zieht. Die Würdigungen des Alkoholkonsums tragen jedoch nicht das Ergebnis seiner Beurteilung; einen fortgesetzten Alkoholabusus sieht er gerade nicht als belegt an. Für das Ergebnis seiner Beurteilung stellt er einzig auf das Anfallsleiden ab.

Aufgrund der Beurteilung durch den Gutachter geht der Antragsgegner zu Recht davon aus, dass die Fahreignung jedenfalls deshalb fehlt, weil seit den Ohnmachtsanfällen am 11. April 2015 bis zum entscheidenden Zeitpunkt der Entziehung der Fahrerlaubnis am 26. Februar 2016 kein Jahr vergangen sei. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Entziehungsverfügung ist die im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung bestehende Sach- und Rechtslage maßgebend.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Januar 2001 – 3 B 144/00 -, juris.

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin kommt es nicht darauf an, ob ihrer Behauptung, seit dem 11. April 2015 habe sie keinen Anfall mehr erlitten, Glauben geschenkt werden kann oder nicht. Selbst wenn man diese Behauptung als wahr unterstellte, wäre bis zum 26. Februar 2016 noch kein Jahr vergangen.

Soweit die Antragstellerin geltend macht, die geforderte Anfallsfreiheit von einem Jahr könne im Falle ihres wohl psychogenen Anfallsleidens nicht als Kriterium herangezogen werden, weil ihr Leiden medizinisch nicht dokumentierbar und eine Anfallsfreiheit folglich nicht nachweisbar sei, kann dem nicht gefolgt werden. Der Antragstellerin stehen mehrere Nachweismöglichkeiten zur Verfügung. Sie selbst spricht davon, eine Psychotherapie absolvieren zu wollen; damit wird die vom Gutachter empfohlene diagnostische Einordnung der Ereignisse mit Bewusstlosigkeit in diesem Rahmen ebenso möglich sein wie eine hinreichend sichere Aussage zur Anfallsfreiheit. Daneben besteht die Möglichkeit, zusätzlich eine Fremdanamnese der Angehörigen einzuholen, die in stetem Kontakt zu ihr stehen.

Vgl. Schubert/Schneider/Eisenmenger/Stephan, Kommentar Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, 2. Aufl. 2005, Ziff. 3.9.6.

Aus Sicht der Kammer reichte das nervenärztliche Gutachten aus, um die aktuelle Ungeeignetheit der Antragstellerin zum Führen eines Kraftfahrzeugs zu begründen. Selbstverständlich stand es aber dem Antragsgegner frei, daneben auf weitere Tatsachengrundlagen zurückzugreifen, beispielsweise auf Aussagen der Freundin der Antragstellerin oder auf Aussagen der Antragstellerin selbst im vorangegangenen Strafprozess.

Ein Ermessen steht dem Antragsgegner bei feststehender Ungeeignetheit nicht zu.

Auch unabhängig von der zuvor erörterten Rechtmäßigkeit der angegriffenen Ordnungsverfügung fällt eine allgemeine, d.h. vom Ausgang des Hauptsacheverfahrens losgelöste Interessenabwägung hier zum Nachteil der Antragstellerin aus. Zum Schutz von Leib und Leben der übrigen Verkehrsteilnehmer besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse daran, die Antragstellerin durch eine sofort wirksame Maßnahme vorläufig von der Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr auszuschließen. Das gilt selbst dann, wenn ihr aufgrund dessen konkrete private oder auch berufliche Nachteile drohen sollten.

Vgl. zu dieser Interessenlage BVerfG, Kammerbeschluss vom 19. Juli 2007 – 1 BvR 305/07 -, juris, Rz. 5; OVG NRW, Beschluss vom 22. Mai 2012 – 16 B 536/12 -, juris, Rz. 33.

Der Antrag zu 2. ist unzulässig; die aufschiebende Wirkung der Klage gegen eine Zwangsgeldandrohung kann schon deshalb nicht nach § 80 Abs. 5 VwGO angeordnet werden, weil der Antragsgegner ein Zwangsgeld nie angedroht hat. Vielmehr hat er die Anwendung unmittelbaren Zwangs angedroht und diese mit der Androhung einer entsprechenden Gebührenforderung verbunden. Eine Auslegung des Antrags dahingehend, dass er auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Androhung unmittelbaren Zwangs gerichtet wäre, scheidet aus, weil insoweit ein Rechtsschutzbedürfnis nicht erkennbar ist. Die Androhung der zwangsweisen Einziehung des Führerscheins hat sich mit der freiwilligen Abgabe des Führerscheins durch die Antragstellerin bereits vor Eingang der Klage erledigt, § 43 Abs. 2 VwVfG NRW.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 und 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG. In Verfahren wegen der Erteilung oder Entziehung einer Fahrerlaubnis setzt das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen den Streitwert in Hauptsacheverfahren einheitlich auf den Auffangwert von EUR 5.000,00 fest. Dieser Wert ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auf den hälftigen Betrag zu reduzieren.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 05.02.2015 – 16 B 8/15 -, juris, Rz. 16 ff.

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