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Fahrerlaubnisentziehung wegen einmaligen Konsums von Kokain

VG Schwerin – Az.: 6 A 285/22 SN – Urteil vom 28.10.2022

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis.

Der Kläger war Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klassen A, B, C, CE, T sowie einer Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung.

Am 5. März 2021 um 10:40 Uhr kontrollierten Beamte des Hauptzollamtes A-Stadt den PKW des bereits mehrfach fahrerlaubnisrechtlich in Erscheinung getretenen Klägers. Dabei fanden sie eine Druckverschlusstüte mit 2,7 g weißem Pulver in der Mittelkonsole, wobei ein durchgeführter DrugWipe -Test positiv auf Kokain verlief. Die kontrollierenden Beamten hatten den Eindruck, dass der Kläger unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln stünde und baten eine vorbeifahrende Streife der Landespolizei um Unterstützung. Auf Nachfrage der Polizeibeamten äußerte der Kläger, dass ihm die Drogen nicht gehörten und er keine Drogen konsumiert habe. Jemand müsse ihm diese in sein Fahrzeug gelegt haben. Dieses gehöre seiner Freundin und sei nicht abschließbar. Eine in diesem Zusammenhang um 11:34 Uhr am gleichen Tag entnommene Blutprobe wies ausweislich des forensisch-toxikologischen Befundberichts der Universitätsmedizin Schleswig-Holstein vom 6. Juli 2021 eine Konzentration von – Benzoylecgonin (Kokain-Abbauprodukt) ca. 1 ng/ml auf.

Ergänzend heißt es im Bericht: ca.= unterhalb des kalibrierten Bereiches.

Der Beklagte hörte den Kläger mit Schreiben vom 26. Juli 2021 zur Entziehung der Fahrerlaubnis an. Daraufhin rief dieser am 4. August 2021 um 10:25 Uhr bei einer Mitarbeiterin des Beklagten an und teilte mit, er sei Lokführer und habe sich in diesem Zusammenhang im März einem Blut-Test unterzogen, der negativ gewesen sei.

Mit Bescheid vom 16. September 2021 entzog der Beklagte dem Kläger die Fahrerlaubnis, forderte ihn zur Herausgabe seines Führerscheins binnen sieben Tagen auf und ordnete die sofortige Vollziehung der Entziehung an. Die Entscheidung über die Entziehung der Fahrerlaubnis ergehe nach Aktenlage aufgrund des nachgewiesenen Betäubungsmittelkonsums. Die Nichteignung des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen im öffentlichen Straßenverkehr sei erwiesen. Aufgrund der Einnahme von Betäubungsmitteln liege ein erheblicher Eignungsmangel vor, der zur Entziehung der Fahrerlaubnis führe. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung liege im öffentlichen Interesse, da bei einer weiteren Verkehrsteilnahme sowohl der Kläger als auch andere Verkehrsteilnehmer in nicht vertretbarer Weise gefährdet würden.

Hiergegen legte der Kläger mit anwaltlichem Schreiben vom 23. September 2021 Widerspruch ein. Er habe nicht aktiv Kokain konsumiert und könne sich nicht erklären, wie das Kokainabbauprodukt Benzoylecgonin in sein Blutserum gelangt sei. Geringe Spuren von Drogen könnten auch über dritte Träger wie Geldscheine etc. auf den Körper und alsdann durch entsprechende Bewegung auch in den Blutkreislauf der Person gelangen. Es könne nicht von einem unmittelbar vorher begangenen Konsum ausgegangen werden, da lediglich das Abbauprodukt Benzoylecgonin im Wert von 1 ng/ml nachgewiesen werden konnte. Die von der Polizei festgestellten Reaktionen deuteten nicht auf eine Kokaineinnahme hin, er – der Kläger – habe sich in Auswertung des Blutserums nicht in einer Kokainrauschphase befunden. Es liege zudem ein Abweichen vom Regelfall vor; vor einer etwaigen Entscheidung über die Entziehung der Fahrerlaubnis sei ein ärztliches Gutachten oder eine medizinisch-psychologische Untersuchung anzuordnen gewesen.

Mit Antrag vom 18. Oktober 2021 ersuchte der Kläger um vorläufigen Rechtsschutz, wobei das Verwaltungsgericht Schwerin den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den angegriffenen Entziehungsbescheid mit Beschluss vom 23. Dezember 2021 ablehnte. Wegen der Einzelheiten wird auf die Gründe des Beschlusses (6 B 1698/21 SN) Bezug genommen. Am 4. März 2022 verwarf das Oberverwaltungsgericht Greifswald die dagegen eingelegte Beschwerde als unzulässig.

Mit Widerspruchsbescheid vom 21. Januar 2022 wies das L. für S. und V. M.-V. den Widerspruch des Klägers zurück.

Am 24. Februar 2022 hat der Kläger Klage erhoben. Er habe zu keinem Zeitpunkt aktiv Kokain konsumiert, räume aber ein des Öfteren auch im Zeitraum Februar/März 2021 über Internetportale („markt.de/poppen.de“ sowie „mydirtyhobby.de“) sich mit Prostituierten bzw. „Hobby-Prostituierten“ getroffen und dort die Sexualpraktik „Natursekt‘“ praktiziert zu haben. Er habe hierbei den Urin der Prostituierten getrunken. Ob diese selbst Kokain konsumiert hätten, entziehe sich seiner Kenntnis. Er habe, sofern es seine finanziellen Mittel ihm erlaubten, möglichst einmal in der Woche eine Prostituierte bezüglich der vorgenannten Sexualpraktik aufgesucht, ansonsten alle 14 Tage. Dabei sei er mit dieser unter die Dusche gegangen und habe sodann den kompletten von der Prostituierten ausgeschiedenen Urin direkt von der Vagina in den Mund gespritzt bekommen und getrunken. Um welche Menge es sich dabei im Einzelnen gehandelt habe, könne er nicht näher beschreiben. Der Urin sei vorher nicht in einen Messbecher umgefüllt worden. Er erinnere sich, dass er jeweils mehrere Schlucke getrunken habe.

Der Kläger beantragt, den Bescheid vom 16. September 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 2022 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Voraussetzungen der Entziehung der Fahrerlaubnis lägen vor. Die Kokainaufnahme sei nicht mit dem Genuss des Urins einer nicht näher benannten, kokainkonsumierenden Prostituierten zu erklären. Die Behauptung des Klägers, er habe niemals aktiv Kokain konsumiert, werde schon durch seine aktenkundige Vorgeschichte widerlegt. Im Rahmen einer medizinisch-psychologischen Untersuchung am 7. September 2012 habe er eingeräumt im Jahr 2010 über mehrere Monate als Türsteher einer Disco tätig gewesen zu sein und jeweils am Freitag und am Samstag Kokain konsumiert zu haben. Dem obergerichtlichen Maßstab, wonach aufgrund der von Drogenkonsumenten für andere Verkehrsteilnehmer ausgehenden erheblichen Gefahren erhöhte Anforderungen an die Plausibilität der Einlassungen zu stellen seien, werde sein Vorbringen nicht gerecht. Er versäume es, die Möglichkeit einer unbewussten Drogeneinnahme hinreichend substantiiert und plausibel darzulegen. Er benenne weder konkret Datum und Uhrzeit, Ort noch Namen Dritter, was jedoch zu erwarten gewesen wäre, sofern er ernsthaft von einer Drogeneinnahme über die beschriebene Sexualpraktik ausgehe.

Mit Beschluss vom 19. September 2022 wurde der Rechtsstreit der Berichterstatterin zur Entscheidung als Einzelrichterin übertragen.

Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung den Kläger informatorisch angehört und Frau A. als Zeugin gehört.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten in den Verfahren 6 A 285/22 SN, 6 B 1698/21 SN sowie den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

I. Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid vom 16. September 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 2022 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Rechtsgrundlage der Entziehung der Fahrerlaubnis ist § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV). Danach ist die Fahrerlaubnis demjenigen zu entziehen, der sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 FeV i.V.m. Nr. 9.1 der Anlage 4 zu §§ 11,13, 14 FeV führt die Einnahme von Betäubungsmitteln i.S.d. Betäubungsmittelgesetzes im Regelfall dazu, dass die Kraftfahrereignung nicht mehr besteht. Steht die Nichteignung des Betroffenen zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde fest, unterbleibt die Anordnung zur Beibringung eines ärztlichen oder medizinisch-psychologischen Fahreignungsgutachtens (§ 46 Abs. 3 i.V.m. § 11 Abs. 7 FeV).

Aufgrund der Befundkonstellation geht das Gericht von einer zurückliegenden Kokain-Aufnahme aus (aa.), die auf einen bewussten Drogenkonsum zurückzuführen ist (bb.). Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass eine vom Regelfall abweichende Sondersituation vorliegt (cc.) oder der Kläger seine Fahreignung wiedergewonnen hat (dd.).

aa. Bereits die einmalige – bewusste – Einnahme von sogenannten „harten Drogen“ rechtfertigt die Annahme der Nichteignung, ohne dass es eines Zusammenhangs zwischen dem Drogenkonsum und der Teilnahme am Straßenverkehr bedarf (vgl. OVG Greifswald, Beschluss vom 28. Januar 2013 – 1 M 97/12 -; Beschluss vom 4. Oktober 2011 – 1 M 19/11 -; Beschluss vom 20. Mai 2010 – 1 M 103/10 -; alle zitiert nach juris). Die hierin zum Ausdruck kommende Strenge ist in der Aufnahme des jeweiligen Betäubungsmittels in den Katalog des Betäubungsmittelgesetzes begründet, die die besondere Gefährlichkeit im Falle des Konsums berücksichtigt (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 11. August 2009 – 12 ME 156/09 -, juris Rn. 8).

Es ist aus Sicht des Gerichts nachgewiesen, dass der Kläger im zeitlichen Zusammenhang mit der Kontrolle am 5. März 2021 um 10:40 Uhr Kokain konsumiert hat. Dies ergibt sich aus dem toxikologischen Befundbericht des Universitätsklinikums S.H. vom 6. Juli 2021 (ca. 1 ng/ml Benzoylecgonin (Kokain-Abbauprodukt) sowie der Stellungnahme (Anlage 1 zum Schriftsatz des Beklagten vom 12. November 2021 im Verfahren 6 B 1698/21 SN) der Frau Dr. C. des Universitätsklinikums S.H. vom 1. November 2021. Kokain ist ein Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes, Anlage III zu § 1 Abs. 1 des Betäubungsmittelgesetzes. Diese Befundkonstellation belegt eine zurückliegende Kokain-Aufnahme.

Aufgrund des Befundberichtes und der gutachterlichen Ausführungen vom 1. November 2021 erweist sich, dass Benzoylecgonin in der bei dem Kläger entnommenen Blutprobe hinreichend sicher nachgewiesen ist. Die Tatsache, dass die Messwerte unterhalb des kalibrierten Arbeitsbereiches liegen, bedeutet lediglich, dass bei Messergebnissen in diesem Bereich größere messtechnische Abweichungen auftreten können. Das Gericht geht von einem mit überwiegender Wahrscheinlichkeit anzunehmenden Kokainkonsum des Klägers aus. Das Gericht geht weiter davon aus, dass sich die Grenzwerte durch den Fortschritt der Laboranalytik ständig verbessern und dass es insoweit keine niedrigste Bestimmungs- oder Nachweisgrenze gibt, die die Verwertbarkeit einschränken könnte. Nur das untersuchende Labor kann beantworten, ob es den festgestellten Wert für sicher hält (vgl. VG Oldenburg, Beschluss vom 1. September 2020 – 7 B 2242/20 -, juris Rn. 15).

bb. Darüber hinaus erscheint die Behauptung des Klägers, er habe zu keinem Zeitpunkt aktiv Kokain konsumiert – auch vor dem Hintergrund der in der Mittelkonsole des vom Kläger geführten Fahrzeuges gefundenen 2,7 Kokain -, in diesem Sinne als Schutzbehauptung. Es sind angesichts der von ungeeigneten Fahrerlaubnisinhabern wie Drogenkonsumenten für andere Verkehrsteilnehmer ausgehenden erheblichen Gefahren an die Plausibilität der Einlassungen des Klägers erhöhte Anforderungen zu stellen. Er muss zumindest eine nachvollziehbare Schilderung abgeben, wie es zu einem unbewussten, zufälligen oder durch Dritte manipulierten Genuss der Droge gekommen sein soll. Es kann aber regelmäßig selbst dann, wenn die konkrete Einnahme dem Betroffenen verborgen geblieben ist, eine möglichst detaillierte Schilderung der Vorgänge erwartet werden, in deren Rahmen es möglicherweise zu der Drogeneinnahme gekommen sein könnte (vgl. OVG Greifswald, Beschluss vom 4. Oktober 2011 – 1 M 19/11 -, juris Rn. 8). Zwar kann sich eine in geringem Umfang festgestellte Menge von Betäubungsmitteln bzw. deren Abbauprodukten im Blut mit einer unbewussten Aufnahme dieser Betäubungsmittel erklären lassen. Dies stellt jedoch neben der bewussten Einnahme von Kokain durch den Kläger nur eine weitere Möglichkeit dar (vgl. VG Lüneburg, Beschluss vom 25. Oktober 2018 – 1 B 44/18 -, juris Rn. 22). Der Kläger hat eine unbewusste Aufnahme von Kokain weder schlüssig und nachvollziehbar beschrieben, noch konkrete Umstände genannt und nachgewiesen, die auf eine solche schließen lassen. Letztlich verbleibt es mit dem vom Kläger geschilderten Geschehen bei einer unsubstantiierten Behauptung, für deren Richtigkeit für das Gericht keine Anhaltspunkte ersichtlich sind.

Weder das Vorbringen des Klägers, möglicherweise mit Kokain versetzten Urin getrunken zu haben (1.), noch sein Vorbringen, mit Gegenständen in Berührung gekommen zu sein, die mit Anhaftungen von Drogen versehen gewesen waren (2.), noch die aufgrund einer HIV-Infektion von ihm einzunehmenden Medikamente können den gutachtlich festgestellten Benzoylecgonin-Wert für das Gericht schlüssig und nachvollziehbar erklären (3.). Im Rahmen der vom Gericht anzustellenden Gesamtbetrachtung ist auch zu würdigen, dass die das Fahrzeug des Klägers durchsuchenden Zollbeamten in der Mittelkonsole 2,7 g Kokain gefunden haben (4.).

(1.) Die Tatsache, dass durch die Zeugin A. verstoffwechseltes und über deren Urin ausgeschiedenes Kokain nach nochmaliger Verstoffwechselung zu einem Nachweis von Kokain-Metaboliten in seinem Blut geführt hat, hat der Kläger gegenüber dem Gericht nicht nachgewiesen. Zwar hat er den oralen Konsum von Urin als Grund für den Drogenbefund angegeben und im Rahmen seiner informatorischen Anhörung detaillierte Angaben zu Zeit (wöchentlich, immer donnerstags), Ort (Wohnung der Zeugin) und Ablauf der von ihm geschilderten Sexualpraktik der Urophagie (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Urophilie) gemacht. Er hat jedoch im Rahmen seiner informatorischen Anhörung eingeräumt, nicht genau zu wissen, inwiefern die Zeugin überhaupt Drogen zu sich genommen hat, aber dass – wenn er mit Kokain versetzten Urin getrunken habe – es mit „allerhöchster Wahrscheinlichkeit“ von dieser Affäre gekommen sein muss. Für das Gericht steht nach der informatorischen Anhörung des Klägers fest, dass sich die Aufnahme von mit Drogen versetzten Urins durch die Zeugin allein als Mutmaßung des Klägers erweist, die dieser weder im Vorfeld der mündlichen Verhandlung noch im Rahmen seiner informatorischen Anhörung mit konkreten Tatsachen unterlegen konnte. Der Kläger hat eingeräumt, dass es sich seiner Kenntnis entzieht, ob die von ihm benannte Zeugin Kokain zu sich genommen hat. Damit hat er selbst offengelassen, ob der von ihm geschilderte Geschehensablauf überhaupt zutreffen kann. Auch die Vernehmung der Zeugin A. durch das Gericht hat zu keinem anderen Ergebnis geführt, da sie mit Blick auf eine mögliche Selbstbelastung auf die Frage des Gerichts nach einem etwaigen Drogenkonsum keine Antwort gegeben hat.

(2.) Darüber hinaus vermag auch der Einwand, das in seinem Blut festgestellte Benzoylecgonin könne auf eine sogenannte „Drittübertragung“ – beispielsweise durch Geldscheine – zurückzuführen sein, nicht zu überzeugen. Dass ein relevanter Kokaineintrag aus Geldscheinen beim Kläger im Vorfeld des 5. März 2021 tatsächlich vorlag, hat er weder schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, noch ist dies für das Gericht anderweitig ersichtlich. Zwar sind vereinzelt im „Rotlichtmilieu“ externe Kontaminationen festgestellt worden, wenn Geldscheine noch Kokainanhaftungen nach dem Aufrollen und Füllen aufgewiesen haben. Auch bei Personen, die in engem Kontakt mit Kokainkonsumenten gelebt haben, ist in Einzelfällen Kokain in deren Haarproben nachgewiesen worden (vgl. VG München, Beschluss vom 30. April 2010 – M 6a S 10.1147 -, juris Rn. 39). Da zum einen viele Berufstätige weit mehr Kontakt mit Geldscheinen als der – arbeitssuchende – Kläger haben (wie z.B. Kassiererinnen in Supermärkten oder Bankangestellte), ohne dass insoweit von Kokainbefunden auszugehen ist und zum anderen der Kläger keine substantiierten Hinweise in Bezug auf den intensiven Kontakt mit „Drogengeld“ oder Kokainkonsumenten vorgebracht hat, bleibt auch dieses Vorbringen als lediglich vage und unsubstantiierte Behauptung bestehen, von deren Richtigkeit das Gericht nicht überzeugt ist.

(3.) Das vom Kläger eingenommene Medikament Genvoya kann die Abbauprodukte von Kokain im Blutserum des Klägers ebenfalls nicht erklären, da dieses Medikament nicht zu Kokain verstoffwechselt. Genvoya ist eine Einzeltablette zur Therapie der Infektion mit dem humanen Immundefizienzvirus 1 (HIV-1) bei Erwachsenen, Jugendlichen und verringert die HIV-Menge im Körper, wodurch das Immunsystem gestärkt und das Risiko für die Entwicklung von Erkrankungen gesenkt, die durch die HIV-Infektion verursacht werden (Genvoya, Original-Beipackzettel, Stand August 2022). Der Kläger hat nicht vorgetragen, in welcher Art und Weise das eingenommene Medikament Einfluss auf die Abbauprodukte von Kokain im Blutserum des Klägers genommen haben soll. Aus dem Beipackzettel für Patienten (Genvoya, Original-Beipackzettel, Stand August 2022) ergeben sich zwar Nebenwirkungen wie anomale Träume, Kopfschmerzen, Schwindelgefühl, Durchfall, Erbrechen, Bauchschmerzen, Blähungen (Flatulenz), Hautausschlag, Müdigkeit, niedrige Anzahl roter Blutkörperchen (Anämie), Selbstmordgedanken und Selbstmordversuch (bei Patienten, die bereits zuvor eine Depression oder psychiatrische Erkrankung hatten), Depressionen, Verdauungsprobleme, die nach den Mahlzeiten zu Beschwerden führen (Dyspepsie), Schwellung von Gesicht, Lippen, Zunge oder Rachen (Angioödem), Juckreiz (Pruritus), Nesselsucht (Urtikaria). Eine falschpositive Anzeige eines Kokainabbauproduktes aufgrund der Einnahme des vorgenannten Medikaments ist hingegen im Beipackzettel nicht aufgeführt und auch aus Sicht des Gerichts fernliegend.

(4.) In die anzustellende Gesamtschau ist zudem einzubeziehen, dass die durchsuchenden Zollbeamten 2,7 g Kokain in der Mittelkonsole des vom Kläger geführten Fahrzeuges gefunden haben. Bei seiner informatorischen Befragung hat der Kläger dazu angegeben, dass er sich nicht erklären könne, wie diese Drogen in die Mittelkonsole gelangt seien und das Fahrzeug nicht verschließbar gewesen sei. Das Gericht verkennt nicht, dass der Besitz von Betäubungsmitteln nicht zwangsläufig mit dem (bewussten) Konsum dieser Betäubungsmittel einhergeht. Dennoch ist das Führen eines Kraftfahrzeuges, in dem sich Betäubungsmittel befanden, im Rahmen der Würdigung, ob ein bewusster Konsum von harten Drogen vorliegt, nicht unberücksichtigt zu lassen und ist jedenfalls ein Indiz für den Umgang des Klägers mit Betäubungsmitteln (vgl. VG Bremen, Urteil vom 24. September 2020 – 5 K 742/19 -, juris Rn. 34). Dabei kann sich der Kläger auch nicht damit entlasten, dass die Beifahrertür nicht abschließbar gewesen ist. Das Gericht glaubt nicht, dass Dritte dem Kläger 2,7 g Kokain in die Mittelkonsole gelegt haben. Das Gericht sieht diese Verlaufsalternative – auch angesichts des hohen Preises für den Kokain-Erwerb (vgl. OVG Greifswald, Beschluss vom 4. Oktober 2011, a.a.O., juris Rn. 8) – als fernliegend und als bloße Schutzbehauptung an.

cc. Anhand des Vorbringens des Klägers ist auch keine vom Regelfall nach Nr. 9.1 der Anlage 4 FeV abweichende, atypische Sondersituation im Sinne von Ziff. 3 Satz 2 der Vorbemerkung zur Anlage 4 der FeV erkennbar, die ausnahmsweise eine weitere Aufklärung, z. B. durch Anordnung der Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens, geboten hätte. Es obliegt insoweit dem Kläger, durch schlüssigen Vortrag die besonderen Umstände darzulegen und nachzuweisen, die ein Abweichen von der Regelvermutung rechtfertigen sollen (vgl. VGH München, Beschluss vom 9. Juli 2019 – 11 CS 19.1066 -, juris Rn. 17).

dd. Es bestehen keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger die Fahreignung wiedererlangt haben könnte. Die Abstinenzbehauptung und der Abschluss eines Vertrages über regelmäßig durchzuführende Drogenscreenings am 5. August 2021 reichen dafür nicht aus. Vielmehr setzt die Wiedererlangung der Kraftfahreignung den durch eine Mehrzahl von aussagekräftigen und unter forensischen Bedingungen gewonnenen Drogenscreenings zu führenden Nachweis voraus, dass der Betroffene über einen hinreichend langen Zeitraum (im Regelfall mindestens ein Jahr) keine harten Drogen mehr konsumiert hat. Einen solchen hat der Kläger nicht vorgelegt. Zusätzlich bedarf es des Nachweises, dass auf der Grundlage einer tragfähigen Motivation eine hinreichend stabile Verhaltensänderung eingetreten ist, die eine günstige Prognose für die Zukunft zulässt. Dieser – vom Kläger nicht erbrachte – Nachweis kann grundsätzlich nur auf der Grundlage einer medizinisch-psychologischen Begutachtung erbracht werden (VG Aachen, Entscheidung vom 19. Mai 2020 – 3 L 309/20 -, juris Rn. 15; OVG Münster, Beschluss vom 20. März 2014, – 16 B 264/14 -, juris Rn. 12; Beschluss vom 2. April 2012, – 16 B 356/12 -, juris Rn. 6).

Aufgrund der dargelegten Rechtmäßigkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis ist die Anordnung zur Abgabe des Führerscheins nicht zu beanstanden. Die Verpflichtung zur unverzüglichen Ablieferung besteht gemäß § 47 Abs. 1 Satz 2 FeV selbst dann, wenn die Entscheidung zur Entziehung der Fahrerlaubnis angefochten wurde, insoweit jedoch – wie hier – die sofortige Vollziehung angeordnet ist.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

III. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 VwGO i. V. m. den §§ 708 Nr. 11, 711, 709 S. 2 Zivilprozessordnung (ZPO).

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