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Fahrerlaubnisentziehung wegen Drogenkonsum

VG Neustadt (Weinstraße) – Az.: 1 L 367/18.NW – Beschluss vom 17.05.2018

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,- € festgesetzt.

Gründe

I

Der Antragsteller, praktizierender Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, wendet sich im vorliegenden Verfahren gegen die sofortige Vollziehbarkeit eines Bescheids des Antragsgegners vom 15.3.2018, mit dem die Entziehung der Fahrerlaubnis der Klasse C1E (mit Einschlussklassen) verfügt wurde.

Der Antragsteller führte am 17.8.2017 einen Pkw im öffentlichen Verkehrsraum. Bei einer Verkehrskontrolle stellten die kontrollierenden Polizeibeamten bei dem Antragsteller lichtstarre Pupillen, Augenlidflattern und Schweißausbruch fest. Ein freiwilliger Drogenvortest verlief positiv auf Amphetamin und Cannabinoide. Nach Rücksprache mit seinem Rechtsanwalt verweigerte der Antragsteller sämtliche Unterschriften und eine freiwillige Blutprobe, weshalb die Polizeibeamten eine richterliche Anordnung zu einer Blutprobe einholten.

Der toxikologische Befund des Instituts für Rechtsmedizin der Universitätsmedizin Mainz vom 11.1.2018 ergab bei Amphetamin einen Wert von 150 ng/mL und bei THC-Carbonsäure einen Wert von 8 ng/mL.

Im Rahmen der anschließenden Anhörung des Antragstellers zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis nahm dessen Bevollmächtigter Akteneinsicht und trug mit anwaltlichem Schreiben vom 1.2.2018 sodann vor, dass die beabsichtigte Entziehung unverhältnismäßig sei. Bei der Blutprobe sei der psychoaktive Wirkstoff THC des Cannabis nicht nachgewiesen worden. Während eines Spanienurlaubs vom 7. bis 14.8.2017 habe der Antragsteller täglich zwei Tabletten des Medikaments Ephedrin 50 mg (morgens und abends) aufgrund einer akuten Bronchitis zwischen dem 11.8. und dem 13.8.2017 eingenommen. Vom 10.8. bis 15.8.2017 habe er, ebenfalls indiziert, Elvanse (je 70 mg) einmal täglich morgens eingenommen. Das bei der toxikologischen Untersuchung aufgenommene Amphetamin begründe sich sehr naheliegend mit der Aufnahme des Medikaments Elvanse und/oder des Ephedrins, ohne dass damit eine bewusste Aufnahme von Amphetamin anzunehmen sei. Seither habe er weder eines der Medikamente noch Amphetamin konsumiert. Die bei Amphetamin festgestellte Konzentration von 150 ng/mL begründe keine Fahruntüchtigkeit. Fahrfehler seien nicht festgestellt worden. Die bei der polizeilichen Kontrolle festgestellten Auffälligkeiten belegten nicht seine Fahrungeeignetheit. Ein Ermittlungsverfahren gegen ihn sei inzwischen eingestellt worden. Als Anlage zu diesem Schreiben verwies der Antragsteller auf das Informationsblatt des Inhabers der Medikamentenzulassung von Elvanse.

Zur weiteren Abklärung wandte sich die Fahrerlaubnisbehörde an die Medizinaldirektorin der Kreisverwaltung Südwestpfalz – Abteilung Gesundheitswesen -. Diese teilte in einer Stellungnahme vom 7.3.2018 u.a. mit: Ephedrin werde wegen des ungünstigen Nutzen/Risiko-Verhältnisses bei Asthma Bronchiale kaum noch eingesetzt, zumal seit Jahren wesentlich besser verträgliche Medikamente zur Verfügung stünden. Ephedrin unterfalle dem Grundstoffüberwachungsgesetz, da es zur Herstellung von Methylamphetamin benutzt werden könne. Seine Abgabe sei in fast allen Ländern streng reglementiert. Das Präparat Elvanse werde als Medikament ausschließlich zur Therapie von ADHS (primär im Kindesalter im Rahmen einer längerfristigen Behandlung) eingesetzt. Nach strenger Indikationsstellung erfordere eine Weiterbehandlung nach dem 18. Lebensjahr eine fachärztliche Verordnung nach dem Betäubungsmittelgesetz. Zusammenfassend seien die beiden Präparate bei der Indikation „akute Bronchitis“ nicht plausibel. Es handle sich um zwei psychoaktiv wirksame Stimulantien, die in der Lage seien, die Eignung zum sicheren Führen eines Kfz zu beeinträchtigen.

Der Antragsgegner entzog mit Bescheid vom 15.3.2018 die Fahrerlaubnis des Antragstellers der Fahrerlaubnisklasse C1E (inklusive Einschlussklassen) und ordnete den sofortigen Vollzug dieser Verfügung an. Zur Begründung führte er im Wesentlichen an: In Anbetracht des festgestellten Lebenssachverhalts, des Ergebnisses der toxikologischen Untersuchung sowie der zusätzlich eingeholten medizinischen Stellungnahme liege bei dem Antragsteller weder Eignung noch bedingte Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen vor. Zur Verwirklichung des Regeltatbestands der Nr. 9.1 Anlage 4 zu §§ 11 und 14 Fahrerlaubnisverordnung – FeV – genüge bereits die einmalige Einnahme von Amphetamin, wobei auch die polizeilich festgestellten Auffälligkeiten anlässlich der Verkehrskontrolle für eine verkehrsrelevante Beeinträchtigung sprächen. Die Einstellung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens stehe einer Entziehung der Fahrerlaubnis durch die Fahrerlaubnisbehörde nicht entgegen. Bei dem festgestellten Sachverhalt sei ein sofortiges Tätigwerden der Fahrerlaubnisbehörde zum Schutz der übrigen Verkehrsteilnehmer geboten.

Am 26.3.2018 erhob der Antragsteller Widerspruch und stellte den vorliegenden Eilantrag.

Unter dem 10.4.2018 erstellte das Institut für Rechtsmedizin der Universitätsmedizin Mainz – auf mehrfache Anfrage des Antragsgegners hin – ein erweitertes toxikologisches Gutachten. Dort wird zusammenfassend ausgeführt, dass der Amphetaminnachweis in der am 11.1.2018 analysierten Probe nicht auf der Einnahme von Ephedrin beruhen könne. Auch der Nachweis von THC-Carbonsäure sei sehr wahrscheinlich nicht auf das Einatmen von THC-haltigem Cannabisrauch zurückzuführen. Ob der Amphetaminnachweis auf die Einnahme von Elvanse (mit seinem Wirkstoff Lisdexamphetamin, welcher aus der Aminosäure Lysin und dem Metaboliten Dexamphetamin bestehe) oder auf den Konsum eines illegalen Produktes zurückzuführen sei, könne anhand der GC/MS-Untersuchung nicht festgestellt werden.

Der Antragsteller trägt nach nochmaliger Akteneinsicht und nach Vorlage seines Führerscheins bei der Fahrerlaubnisbehörde nunmehr ergänzend vor: Er habe nicht willentlich Betäubungsmittel konsumiert. Da in der toxikologischen Untersuchung der psychoaktive Wirkstoff THC nicht nachgewiesen worden sei, könne sich die Entziehung der Fahrerlaubnis nicht auf den Nachweis von THC-Carbonsäure stützen. Ohnehin stütze das nachgereichte Gutachten vom 10.4.2018 seine Darstellung zu einer passiven Einnahme. Er – der Antragsteller – habe sich einen Tag vor seiner Abreise nach Deutschland, abends mehrere Stunden in Barcelona in einem Jazzkeller aufgehalten. Dort sei die Aufnahme von THC vermutlich passiv erfolgt. Der Amphetamin-Nachweis sei auf die Einnahme von Elvanse und/oder Ephedrin, also auf eine Medikamenteneinahme im Zusammenhang mit der Bronchitis zurückzuführen. Die Einnahme von Ephedrin bei „Asthma Bronchiale“ sei dem Antragsteller nicht vorwerfbar. Es bestehe keine Verpflichtung besser verträgliche Medikamente einzunehmen. Zudem habe er das Medikament in Spanien erworben und eingenommen. Eine fachärztliche Verordnung des ebenfalls von ihm in Spanien eingenommenen Präparats Elvanse sei nicht bei einer Einnahmedauer von nur wenigen Tagen erforderlich. In vielen Ländern bestehe für das Medikament Elvanse eine erweiterte Indikation für massive Tagesmüdigkeit. Diesbezüglich gebe es schon länger wissenschaftliche Studien, die den Nutzen belegten. Elvanse werde als sogenanntes „off-label-use“ im Rahmen der Behandlung von Tagesmüdigkeit eingesetzt. Er habe Elvanse letztmals am Dienstag vor der Verkehrskontrolle vom 17.8.2017 eingenommen, ohne zu wissen, dass der Wirkstoff in der chemischen Zusammensetzung nicht von Amphetamin zu unterscheiden sei. In Anbetracht des toxikologischen Gutachtens vom 10.4.2018 sei sein Vorbringen glaubhaft, wonach er D-Amphetamin (dem metabolisierten Wirkstoff von Elvanse) aufgenommen habe. Die von der Polizei protokollierten äußeren Anzeichen anlässlich der Verkehrskontrolle seien auf die Einnahme der bezeichneten Medikamente gegen seine Bronchitis zurückzuführen. Er – der Antragsteller – sei dringend als Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin auf seine Fahrerlaubnis angewiesen, da er Hausbesuche mache und auch außerhalb seiner Sprechstunden erreichbar sein müsse. Ohne Fahrerlaubnis bliebe ihm nur die Möglichkeit, in Notfällen auf die Kinderstation des Krankenhauses in Pirmasens zu verweisen.

Der Antragsteller beantragt, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die für sofort vollziehbar erklärte Verfügung des Antragsgegners vom 15.3.2018 wiederherzustellen.

Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzulehnen.

Er erwidert: Die Entziehungsverfügung werde nicht auf Nr. 9.2 Anlage 4 zu §§ 11 und 14 FeV und damit nicht auf die Einnahme von Cannabis gestützt. Allerdings sei nach dem toxikologischen Gutachten vom 10.4.2018 davon auszugehen, dass ein passiver Cannabis-Konsum des Antragstellers durch Einatmen eher unwahrscheinlich sei. Die Darlegungen des Antragstellers zur Ursächlichkeit der Einnahme von Ephedrin und Elvanse für den Amphetaminnachweis seien nicht überzeugend. Nach Einschätzung des Amtsarztes in dessen Stellungnahme vom 7.3.2018 seien die beiden Präparate bei der Indikation „Akute Bronchitis“ nicht plausibel. Dies vor allem vor dem Hintergrund der beruflichen Tätigkeit des Antragstellers, der über die Problematik hinreichend informiert sein müsste. Nach dem toxikologischen Gutachten vom 10.4.2018 könne Ephedrin als Ursache für das nachgewiesene Amphetamin im Blut des Antragstellers ausgeschlossen werden. Hinsichtlich des Amphetaminnachweises sei denkbar, dass das Amphetamin als legales Arzneimittel oder in Gestalt eines illegalen Produkts konsumiert worden sei. Allerdings sei nochmals darauf hingewiesen, dass das Produkt Elvanse ausschließlich zur Therapie von ADHS (primär im Kindesalter ab 6 Jahren) in einer Therapie angewendet werde. Eine fünftägige Einnahme wie vom Antragsteller behauptet, entspreche nicht den einschlägigen Richtlinien. Zudem könne dieses Präparat Schwindel, Schläfrigkeit und Sehstörungen verursachen und damit das Führen von Fahrzeugen beeinträchtigen. Hierüber hätte der Antragsteller als Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin hinreichend informiert sein müssen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf den Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakte sowie der Gerichtsakte. Dieser war Gegenstand der Beratung der Kammer.

II

Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 15.3.2018 hat keinen Erfolg. Die gemäß § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – vom Gericht vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Lasten des Antragstellers aus. Die mit Bescheid vom 15.3.2018 ihm gegenüber verfügte Entziehung der Fahrerlaubnis der Klasse C1E (inklusive Einschlussklassen) erweist sich bei der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtmäßig. Es besteht zudem ein besonderes öffentliches Interesse an ihrer sofortigen Vollziehung.

A) Der Antragsgegner hat bei der Anordnung der sofortigen Vollziehung der in Rede stehenden Verfügung dem Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügt. Dieses Erfordernis zielt zum einen darauf ab, der Behörde den Ausnahmecharakter der Vollziehungsanordnung vor Augen zu führen und sie zu veranlassen, mit besonderer Sorgfalt zu prüfen, ob tatsächlich ein überwiegendes Vollziehungsinteresse den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung erfordert. Es verfolgt zum anderen den Zweck, den Betroffenen in die Lage zu versetzen, durch Kenntnis dieser behördlichen Erwägungen seine Rechte wirksam wahrzunehmen und die Erfolgsaussichten eines Rechtsbehelfs abschätzen zu können. Hiernach begegnet die Begründung für den Sofortvollzug der Verfügung vom 15.3.2018 keinen Bedenken. Dabei ist zu sehen, dass sich bei einem Vorgehen gegen einen Fahrerlaubnisinhaber wegen mangelnder Eignung, die Gründe für einen Erlass der in diesen Fällen vorgeschriebenen Entziehungsverfügung mit den Gründen für deren sofortige Durchsetzung weitestgehend decken, geht es doch regelmäßig darum, den von einem solchen zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeigneten Fahrerlaubnisinhaber ausgehenden ständigen erheblichen Gefahren für andere Verkehrsteilnehmer möglichst umgehend und nicht erst nach dem Abschluss eines gegebenenfalls mehrere Jahre dauernden gerichtlichen Verfahrens zu begegnen (OVG RP, Beschluss vom 13.2.2007 – 10 B 10063/07.OVG). Gehen in Fällen dieser Art aus der Begründung der Verfügung bereits die besondere Dringlichkeit der Vollziehungsanordnung sowie die von der Behörde getroffene Interessenabwägung klar hervor, kann sich dementsprechend, zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen, die Sofortvollzugsbegründung sogar in einer Bezugnahme auf die Begründung für den Verwaltungsakt erschöpfen (vgl. OVG RP, Beschluss vom 24.3.2006 – 10 B 10184/06.OVG). Hier hat der Antragsgegner unter Bezugnahme auf den im Entziehungsbescheid im Einzelnen dargelegten Lebenssachverhalt Erwägungen zu der Risikolage im Falle der Teilnahme ungeeigneter Fahrzeugführer am Straßenverkehr angestellt und mit Blick auf die damit drohende Gefahrenlage – insbesondere vor dem Hintergrund der im Lebenssachverhalt dargestellten Einnahme von Amphetamin – die öffentlichen Interessen am Sofortvollzug als gewichtiger angesehen, als die privaten Interessen des Antragstellers.

B) Die vom Gericht gemäß § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Lasten des Antragstellers aus. Das öffentliche Interesse am Sofortvollzug überwiegt sein persönliches Interesse daran, von der Fahrerlaubnis bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens weiter Gebrauch machen zu können. Die angefochtene Fahrerlaubnisentziehung erweist sich als offensichtlich rechtmäßig. Dem Interesse des Antragstellers steht das überwiegende öffentliche Interesse entgegen, Personen, die sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen haben, unverzüglich von der aktiven Teilnahme am Straßenverkehr auszuschließen.

1) Die Entziehungsverfügung erging in formell rechtmäßiger Weise, insbesondere nach der erforderlichen Anhörung des Antragstellers (§§ 28 Verwaltungsverfahrensgesetz – VwVfG –, 1 Landesverwaltungsverfahrensgesetz – LVwVfG –). Denn die Fahrerlaubnisbehörde hat dem Antragsteller mit Schreiben vom 18.1.2018 die Gelegenheit eingeräumt, sich zu der beabsichtigten Fahrerlaubnisentziehung zu äußern. Selbst wenn hierbei die amtsärztliche Stellungnahme, die der Entziehungsverfügung u.a. zugrunde liegt, dem Antragsteller im Verwaltungsverfahren vor Erlass der angefochtenen Entziehungsverfügung nicht zugänglich gemacht worden sein sollte, wurde dem Antragsteller hierzu im laufenden Eilverfahren Kenntnis und die Möglichkeit verschafft, sich zu dieser Stellungnahme zu äußern. Von dieser Möglichkeit hat der Antragsteller im Schriftsatz vom 7.5.2018 Gebrauch gemacht und auch zu den vom Antragsgegner aus dem Gutachten abgeleiteten Folgerungen im Einzelnen vorgetragen.

2) Die Verfügung des Antragsgegners vom 15.3.2018 ist auch materiell-rechtlich nicht zu beanstanden. Die Fahrerlaubnisentziehung ist gemäß § 3 Abs. 1 Straßenverkehrsgesetz – StVG –, § 46 FeV geboten, weil der Antragsteller sich durch die nachgewiesene Einnahme der sog. „harten Droge“ Amphetamin als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen hat.

a) Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 i. V. m. Nr. 9.1 Anlage 4 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich der Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Ein Ermessen steht der Fahrerlaubnisbehörde insoweit nicht zu.

b) Danach ist ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, wer Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (außer Cannabis), also wie hier Amphetamin, eingenommen hat. Für den Eignungsausschluss genügt im Regelfall bereits der Nachweis des einmaligen Konsums der sog. „harten Droge“, ohne dass es darauf ankommt, ob ein Kraftfahrzeug unter dem Einfluss des Betäubungsmittels geführt wurde (vgl. z.B. OVG RP, Beschluss vom 25.1.2012 – 10 B 11494/11; Beschluss der Kammer vom 20.6.2017 – 1 L 636/17NW; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 7.4.2014 – 10 S 404/14; BayVGH, Beschluss vom 22.9.2015 – 11 CS 15.1447). An dieser Auffassung hält die Kammer wegen der eindeutigen Verordnungslage in Ziffer 9.1 der Anlage 4 zur FeV und im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit „harter Drogen“ (vgl. OVG RP, Beschluss vom 21.11.2000 – 7 B 11967/00) fest. Im derzeitigen Erkenntnisstand ist zumindest von einer einmaligen Amphetamineinnahme durch den Antragsteller auszugehen. Diese ist durch das toxikologische Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin Mainz vom 11.1.2018 nachgewiesen. Auf die Höhe der im Zeitpunkt der Blutentnahme (noch) vorhandenen Amphetaminkonzentration kommt es in fahrerlaubnisrechtlicher Hinsicht schon deshalb nicht an, weil – wie ausgeführt – die Teilnahme am Straßenverkehr unter Drogeneinfluss hier unerheblich ist.

Auf die Frage, ob und in welchem Umfang der Antragsteller Cannabis konsumiert hat, kommt es hinsichtlich der Regelvermutung der in Anlage 4 FeV angeführten Sachverhalte im vorliegenden Fall nicht an. Denn der Antragsgegner hat die Entziehung insoweit auf Nr. 9.1 Anlage 4 (Betäubungsmittel mit Ausnahme von Cannabis) und nicht auf Nr. 9.2 Anlage 4 FeV (Cannabis) gestützt. Bei der nachfolgenden Prüfung der Glaubhaftigkeit der Darstellung des Antragstellers im Problembereich „Amphetamin“ wird freilich auch auf den festgestellten Wert von 8 ng/mL THC-Carbonsäure und den darauf bezogenen Vortrag des Antragstellers einzugehen sein.

c) Soweit sich der Antragsteller darauf beruft, dass aus dem Ergebnis der toxikologischen Untersuchung vom 11.1.2018 nicht auf seine fehlende Fahreignung geschlossen werde kann, dringt er damit im vorliegenden summarischen Verfahren nicht durch. An der Glaubhaftigkeit seines Vorbringens bestehen erhebliche Zweifel. Ein Sachverhalt, der abweichend vom Regelfall der Nr. 9.1 Anlage 4 FeV hier ausnahmsweise, trotz des Amphetaminnachweises, im Rahmen der Vorbemerkung Nr. 3 zur Anlage 4 FeV der Annahme der fehlenden Fahreignung entgegenstehen könnte, ist weder vom Antragsteller dargetan, noch sonst wie ersichtlich.

aa) Beruft der Fahrerlaubnisinhaber sich im Fall einer toxikologisch nachgewiesenen Drogenaufnahme – wie hier durch das Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Mainz – auf eine unbewusste Drogeneinnahme, ist von ihm zu verlangen, dass er diesen Ausnahmetatbestand von Beginn an detailliert, in sich schlüssig, soweit irgend möglich nachprüfbar und widerspruchsfrei schildert (vgl. OVG RP, Beschluss vom 25.1.2012, a. a. O.). Daran fehlt es hier.

bb) Der Antragsteller hat zunächst keine Angaben zu einer Drogeneinnahme gemacht. Erst sechs Monate nach der Verkehrskontrolle hat er sodann dargelegt, dass er anlässlich eines vom 7. bis 14.8.2017 dauernden Spanienurlaubs täglich zwei Tabletten des Medikaments Ephedrin 50 mg (morgens und abends) aufgrund einer akuten Bronchitis zwischen dem 11.8. und dem 13.8.2017 eingenommen habe. Vom 10.8. bis 15.8.2017 habe er, ebenfalls indiziert, Elvanse (je 70 mg) einmal täglich morgens eingenommen. Die Einnahme von Ephedrin und/oder Elvanse erkläre den Nachweis von Amphetamin in seiner Blutprobe. Dieser Vortrag ist aber inkonsistent. Denn der Antragsteller hat – anders als geboten – gegenüber der Fahrerlaubnisbehörde nicht frühzeitig auf den behaupteten Medikamentenkonsum hingewiesen, sondern nach Eingang des toxikologischen Gutachtens vom 11.1.2018, sechs Monate nach der Verkehrskontrolle, erstmals auf die Medikamenteneinnahme als Erklärung für die positive Blutprobe hingewiesen.

cc) Zudem dürfte dem Antragsteller als Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin bei der Unterbreitung seines Vortrags bekannt gewesen sein, dass im Hinblick auf das Medikament Ephedrin feststeht, dass dieses keine positiven Analysewerte im Hinblick auf Amphetamin verursachen kann. Denn Ephedrin zählt chemisch zwar wie Amphetamin zur Gruppe der Phenethylamine, unterscheidet sich jedoch sowohl in seiner chemischen Struktur als auch in seinen physikalischen Eigenschaften essentiell von Amphetamin. Auch kann sich Ephedrin im menschlichen Körper nicht durch Stoffwechselprozesse o.ä. in Amphetamin umwandeln (Toxikologisches Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universitätsmedizin Mainz vom 10.4.2018). Eine artifizielle Amphetaminbildung ist aufgrund der Molekülstruktur des Ephedrins nicht möglich (Urteile der Kammer vom 18.11.2015 – 1 K 338/15 und vom 10.8.2010 – 6 K 1332/09.NW, aufgrund des dort eingeholten Gutachtens). Der Versuch des fachkundigen Antragstellers hier eine erkennbar unzutreffende Erklärung für den Amphetaminnachweis zu unterbreiten, begründet Zweifel an der Glaubhaftigkeit seines Vortrags.

dd) Erhebliche Vorbehalte gegen die Konsistenz der Darstellung des Antragstellers bestehen auch deshalb, weil er als Arzt zur Behandlung seiner behaupteten Bronchitis auf ein Medikament (Ephedrin) zurückgegriffen haben will, das als chemisches Stimulans im Bereich des Dooping, als Wachmacher oder bei Narkolepsie eingesetzt wird; ephedrinhaltige Substanzen sind seit 1.4.2006 wegen des hohen Missbrauchspotenzials rezeptpflichtig (de.wikipedia.org). Bei Bronchitis und Erkältung wird Ephedrin wegen der erheblichen Nebenwirkungen und Risiken kaum noch eingesetzt. Diese medizinische Einschätzung der Medizinaldirektorin X in deren Stellungnahme vom 7.3.2018 steht in Einklang mit allgemein zugänglichen Informationsquellen und wurde insoweit von dem Antragsteller nicht angezweifelt. Zwar hat der Antragsteller zutreffend darauf verwiesen, dass er zur Behandlung seiner Bronchitis nicht auf ein bestimmtes Medikament verwiesen werden kann, zumal er Ephedrin nach eigenen Angaben gut verträgt. Er kann aber darauf verwiesen werden, dass sein Vortrag im Zusammenspiel der hier bereits aufgezeigten und weiter aufzuzeigenden Aspekte erheblichen Vorbehalten begegnet.

ee) Weiter erscheint erheblich unglaubhaft, dass der Antragsteller Elvanse während seines Urlaubs und zuletzt am 15.8.2017 – also schon in Deutschland – morgens anlässlich seiner Bronchitis eingenommen haben will. Denn dieses Präparat wird nach der Produktbeschreibung des Herstellers, die Teil der Verwaltungsakte ist und die der Antragsteller selbst vorgelegt hat, im Rahmen einer therapeutischen Gesamtstrategie zur Behandlung von ADHS, bei Kindern ab einem Alter von 6 Jahren indiziert. In wenigen Fällen wird sie über das 18. Lebensjahr hinaus bei Erwachsenen-ADHS angewendet. Elvanse besitzt für Erkältungskrankheiten keine Indikation des Herstellers. Das Arzneimittel enthält als Wirkstoff Lisdexamphetamin. Dieser Stoff wird im Körper zu Dexamphetamin und Lysin umgewandelt (Produktbeschreibung Punkt 5.2 „Biotransformation“). Auch der Gemeinsame Bundesausschuss beschreibt in seinem Dossier (Stand 30.5.2013) zur Nutzenbewertung gemäß § 35a SGB V das Anwendungsgebiet von Elvanse allein im Rahmen einer therapeutischen Gesamtstrategie von ADHS bei Kindern in einem Alter ab 6 Jahren, abhängig von einer näher beschriebenen medizinischen Indikation. Weitere in Deutschland zugelassene Anwendungsgebiete – insbesondere zur Behandlung einer Bronchitis bei Erwachsenen, wie vom Antragsteller angeblich praktiziert – wurden vom Gemeinsamen Bundesausschuss ausdrücklich verneint. Dexamphetamin besitzt ungefähr eine doppelt so starke psychoaktive Wirkung wie Levamphetamin (Toxikologisches Gutachten vom 10.4.2018). Elvanse wird daher auch als sogenannte „Managerdroge“ eingesetzt, zuweilen auch unter dem Produktnamen Vyvanse (Managermagazin vom 26.5.2015, www.manager-magazin.de). Die behauptete, in der Sache ungewöhnliche und von der Arzneimittelzulassung in Deutschland teilweise nicht gedeckte Anwendung gleich zweier Stimulanzien mit erheblichem Missbrauchspotential durch den Antragsteller erhöht die Glaubhaftigkeit dessen Vortrags nicht.

ee) Soweit der Antragsteller nunmehr im Eilverfahren vorträgt, er habe nicht gewusst, dass das zur Behandlung des ADHS bei Kindern ab 6 Jahren eingesetzte Elvanse in der chemischen Analyse nicht von Amphetamin zu unterscheiden sei, vermag auch diese Einlassung nicht zu überzeugen. Denn der Wirkstoff von Elvanse ist nach der Trennung von Lysin im menschlichen Körper Dexamphetamin, also im chemischen und im Wortsinn wie Levamphetamin ein Isomer des Amphetamins und nicht nur ein von Amphetamin analytisch nicht zu unterscheidender Stoff (vgl. toxikologisches Gutachten vom 10.4.2018). Dies musste dem Antragsteller, der in seiner Praxis die komplette kinder- und jugendmedizinische Versorgung anbietet, auch bekannt sein.

ff) Soweit der Antragsteller zu einem späteren Zeitpunkt vorgetragen hat, dass er Elvanse zur Bekämpfung der durch die Bronchitis eingetretenen Müdigkeit 5 Tage lang eingenommen habe, stellt dies wiederum eine Veränderung seiner Angaben dar und erscheint vor dem Hintergrund der ärztlichen Ausbildung des Antragstellers und der eingeschränkten Zulassung des Präparats in Deutschland sowie des von dem Hersteller beschriebenen Anwendungsgebiets (s.o.) unglaubhaft. Denn als Mittel gegen Müdigkeit ist Elvanse vom Hersteller nicht indiziert und von der beschriebenen Arzneimittelzulassung nicht umfasst. Der Hinweis auf die Einnahme des Präparats in Spanien geht ins Leere, weil der Antragsteller am Morgen des 15.8.2017 das Mittel letztmals eingenommen haben will. Zu diesem Zeitpunkt hielt er sich aber nach seinen eigenen Angaben wieder in Deutschland auf. Außerdem unterscheidet sich das alleinige Anwendungsgebiet von Elvanse in Spanien nicht von dem in Deutschland vom Hersteller angegebenen Bereich, also zur Behandlung von ADHS bei Kindern ab 6 Jahren (Gemeinsamer Bundesausschuss, Punkt 2.2.3, Tabelle 2-5). Zudem kann Elvanse Schwindel, Schläfrigkeit und Sehstörungen einschließlich Akkomodationsschwierigkeiten verursachen (Herstellerangaben Punkt 4.7). Dass der Antragsteller als Arzt zur Bekämpfung seiner durch eine Bronchitis ausgelösten Müdigkeit dieses Präparat eingenommen haben will, ist nicht glaubhaft.

gg) Weiter passen die Angaben des Antragstellers zur von ihm behaupteten Einnahme von Elvanse nicht zu den am 11.1.2018 bestimmten Amphetamin- Werten. Das Institut für Rechtsmedizin der Universitätsmedizin Mainz hat bei einer dem Antragsteller am 17.8.2017, 20:35 Uhr entnommenen Blutprobe die Konzentration von Amphetamin mit 150 ng/ml bestimmt. Der Antragsteller hat angegeben, am Morgen des 15.8.2017 zum letzten mal 70 mg Elvanse eingenommen zu haben. Der im Blut des Antragstellers bestimmte Amphetaminwert korrespondiert nicht mit den vom Gemeinsamen Bundesausschuss (s.o., Tabelle 2-A) gelisteten und vom Hersteller von Elvanse angegebenen Werten. Danach beträgt die maximale Konzentration (C-max.) von Dexamphetamin aus Lisdexamphetamin bei einer Gabe von 70 mg höchstens 160 ng/mL bei Kindern (!). Wegen des höheren Körpergewichts ist bei gleichbleibender Präparatmenge von 70 mg bei Erwachsenen ein deutlich niedrigerer Wert des C-max. zu erwarten. Doch selbst wenn man zugunsten des Antragstellers von den Werten für Kinder ausgeht, ist festzuhalten, dass diese C-max. nach höchstens ca. 5 Stunden (= T-max.) erreicht wird. Die Halbwertzeit wird in der bezeichneten Tabelle mit ca. 9 Stunden, vom Hersteller mit ca. 11 Stunden angegeben. Damit kann jedoch nicht in Einklang gebracht werden, dass der Amphetaminwert bei der von dem Antragsteller genommenen Blutprobe etwa 2,5 Tage nach der behaupteten letzten Einnahme von Elvanse noch bei 150 ng/mL – also fast dem C-max. Wert für Kinder, den diese maximal nach ca. 5 Stunden erreichen – lag. In Anbetracht der aufgezeigten großen Diskrepanz soll hier nur noch der Vollständigkeit halber darauf verwiesen werden, dass das OVG RP (Beschluss vom 18.8.2010 – 10 B 10811/10) im dortigen Fall von einer Nachweisbarkeit von Amphetamin im Blut von nur 6 Stunden ausging. Dieser zeitliche Ansatz ist noch weniger als die Angaben des Herstellers sowie des Gemeinsamen Bundesausschusses zu C-max, T-max. und Halbwertzeit mit den Angaben des Antragstellers zur letztmaligen Einnahme von Elvanse in Einklang zu bringen.

hh) Schließlich sprechen auch die polizeilich festgestellten Anhaltspunkte (lichtstarre Pupille, Augenlidflattern, Schweißausbruch) vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen gegen die Darstellung des Antragstellers zur letztmaligen Einnahme von Elvanse.

ii) Zwar hat der Antragsgegner die Entziehungsverfügung nicht auf den Nachweis von THC-Carbonsäure gestützt. Der Vortrag des Antragstellers zu dem Komplex THC und THC-Carbonsäure begründet dennoch weitere Zweifel, die die Glaubhaftigkeit seines Vortrags zur behaupteten Medikamenteneinnahme als Quelle des nachgewiesenen Amphetamins nicht erhöhen. Denn er hat zwar zutreffend darauf hingewiesen, dass der psychoaktive Bestandteil des Cannabis, nämlich THC, in der Blutprobe nicht nachgewiesen wurde. Indessen kann auch der Nachweis von THC-Carbonsäure Rückschlüsse auf die Einnahme von Cannabinoiden begründen. In diesem Kontext hat der Antragsteller zu einem späteren Zeitpunkt erläutert, er habe sich einen Tag vor seiner Rückreise nach Deutschland abends mehrere Stunden in Barcelona in einem Jazzkeller aufgehalten. Dort müsse es „voraussichtlich passiv“ zur Aufnahme von Cannabis gekommen sein. Es ist zum einen wenig glaubhaft, dass der Antragsteller einerseits infolge seiner behaupteten akuten Bronchitis zu einer sehr ungewöhnlichen Selbstmedikation greift, um die Krankheit zu behandeln, in deren Folge er nach eigenen Angaben unter krankheitsbedingter Müdigkeit gelitten habe, andererseits dann aber wenige Tage nach dem Ausbruch der Erkrankung abends mehrere Stunden in einem Jazzkeller verbracht haben will, wo er „voraussichtlich passiv“ Cannabis eingenommen habe. Diese Angaben des Antragstellers sind zum anderen auch deshalb nicht konsistent, weil bei einem Aufenthalt in einem Raum normaler Größe durch passive inhalative Aufnahme eine THC-Plasmakonzentration von 2 ng/mL kaum überschritten wird (VGH Bayern, Beschluss vom 13.6.2008 – 11 CS 08.633). Wie in einer Blutprobe, die mehrere Tage nach dem behaupteten passiven Einatmen genommenen wurde, noch ein THC-Carbonsäure Wert (THC- Carbonsäure ist ein Abbauprodukt von THC) von 8 ng/mL als Folge des passiven Einatmens feststellbar sein soll, ist ohne weitere Umstände – etwa andere Ursachen für einen solchen Wert – nicht ersichtlich. Zudem weist das toxikologische Gutachten vom 10.4.2018 darauf hin, dass bei einem durchgeführten Test, bei welchem Probanten in einem gut besuchten Coffeeshop in Maastricht untersucht worden waren, nach dreistündigem Aufenthalt der Probanten, nach der Exposition höchstens 2 ng/mL THC-Carbonsäure in Folge des passiven Einatmens von THC-haltigem Rauch gemessen wurden. Die Blutprobe des Antragstellers wurde drei bis bis vier Tage nach dem angeblichen Besuch des spanischen Jazzkellers genommen. Der aus der Blutprobe bestimmte Wert von 8 ng/mL korrespondiert nicht mit dem vom VGH Bayern (Beschluss vom 13.7.2008, a.a.O.) angenommenen Wert und auch nicht mit den Angaben in dem toxikologischen Gutachten. Dieses kommt daher zu dem Ergebnis, dass eine Cannabis-Aufnahme mittels passiven Einatmens hier eher unwahrscheinlich ist.

Nach den vorstehenden Ausführungen sprechen im vorliegenden Eilverfahren somit mehrere gewichtige Aspekte gegen die Darstellung des Antragstellers, dass der bei der Blutprobe gemessene Amphetaminwert auf die Einnahme des Arzneimittels Elvanse zurückzuführen ist. Da der Antragsteller eine weitere Medikamenteneinnahme, die vor dem Hintergrund der Nrn. 9.4 und 9.6 Anlage 4 FeV zu prüfen wäre, nicht dargelegt, sondern ausdrücklich verneint hat, ist die Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers wegen der Regelvermutung der Nr. 9.1 Anlage 4 FeV nicht zu beanstanden.

d) Doch selbst wenn hier hilfsweise zugunsten des Antragstellers unterstellt wird, dass er das Arzneimittel Elvanse zur Eigenbehandlung einer Bronchitis eingenommen hat und sich die zahlreichen Ungereimtheiten im Vortrag im Hauptsacheverfahren klären ließen, begründen die Nrn. 9.6 und 9.4 Anlage 4 FeV kein von Nr. 9.1 Anlage 4 FeV abweichendes Ergebnis.

Es ist im Hinblick auf die Aufnahme von Amphetamin in die Anlage III zum Betäubungsmittelgesetz zwar rechtlich geboten, den Konsum der Zubereitung eines verschreibungsfähigen – und dem Konsumenten tatsächlich von einer hierzu befugten Person verschriebenen – Betäubungsmittels aus dem Anwendungsbereich der Nummer 9.1 der Anlage 4 FeV auszuklammern und die Frage, ob die Einnahme eines solchen Stoffes zum Verlust der Fahreignung führt, allein anhand der Nummern 9.4 und 9.6 dieser Anlage zu beantworten. Denn es erscheint dem Grunde nach vorstellbar, dass bestimmte Betäubungsmittel, wenn sie ärztlich verordnet und in Übereinstimmung mit der ärztlichen Verschreibung eingenommen werden, die Fahreignung unberührt lassen (VGH Bayern, Beschluss vom 18.4.2011 – 11 C 10.3167). Bei der Einnahme von Arzneimitteln, die Stoffe enthalten, welche Betäubungsmittel im Sinne der Anlage III zu § 1 Abs. 1 BtMG sind, kann also die fehlende Fahreignung nicht schon vorab aus Nr. 9.1 der Anlage 4 (ein- oder mehrmalige Einnahme von Betäubungsmitteln) hergeleitet werden, da insoweit die in Nr. 9.4 und Nr. 9.6.2 der Anlage 4 FeV definierten Eignungsmängel speziellere Anforderungen normieren (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 22.1.2013 – 10 S 243/12, juris Rn. 8).

aa) Indessen kommt hier Nr. 9.6 Anlage 4 zu §§ 11 und 14 FeV nicht zur Anwendung.

Nr. 9.6 Anlage 4 FeV setzt eine „Dauerbehandlung“ voraus. Der Antragsteller hat allerdings angegeben, Elvanse nur von 10. bis 15.8.2017 eingenommen zu haben. Dieser kurze Zeitraum eröffnet jedoch nicht die Möglichkeit einer „Dauerbehandlung“. Er steht der Annahme einer für die Fahreignung günstigen Gewöhnung an das Arzneimittel, die hingegen bei einer Dauerbehandlung eintreten kann, entgegen. Weiter setzt diese Regelung die Einnahme eines Arzneimittels voraus, was begrifflich dessen Einnahme als Arzneimittel, also im Rahmen der vom Hersteller zugelassenen Anwendungsgebiete voraussetzt. Wie oben bereits dargestellt, wird Elvanse nach der Produktbeschreibung des Herstellers im Rahmen einer therapeutischen Gesamtstrategie zur Behandlung von ADHS bei Kindern ab einem Alter von 6 Jahren indiziert. In wenigen Fällen wird sie über das 18. Lebensjahr hinaus bei Erwachsenen-ADHS angewendet. Elvanse besitzt für Erkältungskrankheiten keine Indikation des Herstellers. Auch der Gemeinsame Bundesausschuss beschreibt in seinem Dossier (Stand 30.5.2013) zur Nutzenbewertung gemäß § 35a SGB V das Anwendungsgebiet von Elvanse allein im Rahmen einer therapeutischen Gesamtstrategie von ADHS bei Kindern in einem Alter ab 6 Jahren, abhängig von einer näher beschriebenen medizinischen Indikation. Weitere in Deutschland zugelassene Anwendungsgebiete – insbesondere zur Behandlung einer Bronchitis bei Erwachsenen, wie vom Antragsteller angeblich praktiziert – wurden vom Gemeinsamen Bundesausschuss ausdrücklich verneint. Wenn der Antragsteller dieses Präparat dennoch nach eigenen Angaben wissentlich sachwidrig zu anderen Zwecken einnimmt („off label use“), nämlich um seine Müdigkeit zu bekämpfen, also wach zu bleiben, kommt Nr. 9.6 Anlage 4 14 FeV von vornherein nicht zur Anwendung und es bleibt bei der Regelvermutung der Nr. 9.1 FeV. Auch der VGH Bayern (Beschluss vom 18.4.2011, a.a.O., juris Rn. 23) geht davon aus, dass die ärztlich verordnete Einnahme eine bestimmungsgemäße, verschreibungsfähige Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels voraussetzt. Ebenso geht der VGH Baden-Württemberg (Beschluss vom 31.1.2017 – 10 S 1503/16) davon aus, dass sowohl aus Kapitel 3.12.1 der alten Fassung der Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung als auch aus Kapitel 3.14.1 der seit 1.5.2014 geltenden neu gefassten Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung (Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Mensch und Sicherheit, Heft M 115) folgt, dass die Spezialregelung für die Dauerbehandlung mit Arzneimitteln in Nummer 9.6.2 der Anlage 4 FeV nur dann anzuwenden ist, wenn die dem Betäubungsmittelgesetz unterfallende Substanz aus der bestimmungsgemäßen Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels herrührt (siehe auch § 24aAbs. 2 Satz 3 StVG). Eine bestimmungsgemäße Einnahme durch den Antragsteller ist hier aber gerade nicht erfolgt. Eine erweiterte Auslegung von Nr. 9.6 Anlage 4 FeV dahingehend, dass die gelegentliche oder nur kurzzeitige Einnahme irgendeines psychoaktiv wirkenden Medikaments oder anderer psychoaktiv wirkender Stoffe, die ein Betäubungsmittel darstellen, keinen Regelfall der fehlenden Fahreignung nach Nr. 9.1 FeV begründet, würde dem nur beispielhaften Katalog in Anlage 4 FeV nicht gerecht. Denn aus der Auflistung der Dauerbehandlung mit Arzneimitteln und der partiellen Begünstigung eines Fahrerlaubnisinhabers, der dauerhaft bestimmungsgemäß Arzneimittel einnimmt, kann im Umkehrschluss nicht abgeleitet werden, dass die kurzzeitige oder die nur gelegentliche, nicht bestimmungsgemäße, nicht hinreichend ärztlich kontrollierte Einnahme eines Medikaments dem Anwendungsbereich der Nr. 9.1 Anlage 4 FeV entzogen ist. Eine solche erweitere Auslegung ließe zudem Nr. 9.1 Anlage 4 FeV praktisch leerlaufen, weil bei Nachweis „harter Drogen“ im Blut des Fahrerlaubnisinhabers allein die Berufung auf die anwendungsfremde, einmalige oder kurzfristige Einnahme eines in Nr. 9.6 Anlage 4 FeV erwähnten Arzneimittels oder Wirkstoffs genügte, eine Entziehung der Fahrerlaubnis zunächst zu vermeiden.

bb) Die hier hilfsweise unterstellte Einnahme des Medikaments Elvanse durch den Antragsteller stellt zudem nach Nr. 9.4 Anlage 4 FeV eine missbräuchliche Einnahme (= regelmäßig übermäßiger Gebrauch) dieses Medikaments dar. Missbrauch im Sinn der Nr. 9.4 Anlage 4 FeV liegt dann vor, wenn von einem verordneten Arzneimittel in „übertherapeutischem“ Umfang Gebrauch gemacht wird (VGH Bayern, Beschluss vom 18.4.2011, a.a.O.). Ein solcher „übertherapeutischer“ Umfang liegt zur Überzeugung der Kammer nicht nur dann vor, wenn ein Fahrerlaubnisinhaber ein amphetaminhaltiges Medikament über die ärztlicherseits verschriebene Dosis hinaus anwendet, sondern auch dann, wenn eine Selbstmedikamentierung von vornherein – wie hier – außerhalb der Indikationsbereiche des Arzneimittels liegt. Hier sei nochmals darauf verwiesen, dass der Antragsteller nach eigenen Angaben Elvanse wissentlich sachwidrig zu anderen Zwecken einnahm („off label use“), nämlich um seine Müdigkeit zu bekämpfen, also wach zu bleiben. Eine Nr. 9.4 Anlage 4 FeV ausschließende bestimmungsgemäße Einnahme von Elvanse ist allein aus den unter Punkt 2 d aa der Gründe II der vorliegenden Entscheidung genannten Gründen zu verneinen. Eine „missbräuchliche“ Einnahme“ liegt hier aber auch deshalb vor, weil der Antragsteller mit Lisdexamphetamin ohne hinreichende ärztliche Kontrolle einen Wirkstoff eingenommen hat, der nach Einnahme im menschlichen Körper zu Lysin und zu dem psychoaktiv wirksamen Dexamphetamin – also einem Betäubungsmittel i.S.d. § 1 Abs. 1 BtmG i.V.m. Anlage III zum BtmG – aufgespalten wird. Nach der Einnahme des Amphetamins, in Kombination mit einem weiteren Stimulans, kann der Antragsteller trotz seiner ärztlichen Ausbildung nicht mehr die Gewähr bieten, Auswirkungen der Arzneimitteleinnahme auf seine Fahreignung objektiv abzuschätzen. Die gewählte Medikamentierung bedarf hier vielmehr einer adäquaten ärztlichen Kontrolle Dritter. Denn wer wie im vorliegenden Fall ein Betäubungsmittel mit erheblichen Nebenwirkungen und mit vorhandenem Missbrauchs- und Abhängigkeitspotential (vgl. die Herstellerangaben Punkt 4.7 zu Auswirkungen auf die Verkehrstüchtigkeit, die Punkte 4.2 und 4.4 und die dortige Zusammenstellung der Nebenwirkungen des Präparats sowie die obigen Ausführungen zu „Managerdooping“) zusammen mit einem anderen Stimulans (hier Ephedrin) im Wege der Selbstmedikation einnimmt, bedarf auch als Arzt grundsätzlich der Kontrolle eines Facharztes mit verkehrsmedizinischer Zusatzqualifikation (s. § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 FeV). Dieser kann am ehesten die Frage beurteilen, ob der Antragsteller trotz der kombinierten Einnahme zweier Stimulanzien noch sicher am Straßenverkehr teilnehmen kann, insbesondere wenn wie hier die Einnahme außerhalb der Indikation des Herstellers des Präparats und außerhalb der in Deutschland geltenden Zulassung erfolgt. Selbst die Verschreibung und die Kontrolle durch einen Allgemeinmediziner genügen hier nicht, weil dieser die fahrerlaubnisrelevante Gefahrenabschätzung einer kurzfristigen, außerhalb des zugelassenen medizinischen Anwendungsbereichs erfolgten Betäubungsmitteleinnahme und die Wechselwirkungen mit einem weiteren Stimulans, in Folge der spezifischen pharmakokinetischen und pharmakodynamischen Vorfragen regelmäßig nicht leisten kann.

Demnach liegt hier ein anders gelagerter Fall vor, als in der von dem OVG RP (Beschluss vom 20.11.2013 – 10 B 10990/13) entschiedenen Konstellation, wo eine medizinische Indikation und ärztliche Aufsicht eines Dritten über die dauernde Behandlung des Fahrerlaubnisinhabers denkbar erschien.

3) Schließlich liegt ein besonderes öffentliches Interesse vor, dem unkontrolliert zwei Stimulanzien, in einem Fall Amphetamin, konsumierenden Antragsteller zum Schutz der anderen Verkehrsteilnehmer mit sofortiger Wirkung die weitere aktive Teilnahme am fahrerlaubnispflichtigen Fahrzeugverkehr im Rahmen der ihm vormals erteilten Fahrerlaubnis der Klasse C1E (inkl. Einschlussklassen) zu untersagen. Zwar kann die Kammer nachvollziehen, dass der Antragsteller im Zuge seiner beruflichen Tätigkeit als Kinder- und Jugendarzt auf eine Fahrerlaubnis angewiesen sein kann. Seine weitere Teilnahme am Straßenverkehr ist aber bei Abwägung der widerstreitenden öffentlichen Interessen nachrangig. Zudem ist eine Notarztversorgung auch über das Krankenhaus Pirmasens sichergestellt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung folgt den § 52 und 53 GKG i.V.m. den Nrn. 1.5 und 46.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, LKRZ 2014, 169.

 

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