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Fahrerlaubnisentziehung wegen Cannabiskonsums und Nachweis durch Haaranalyse

VG Augsburg – Az.: Au 7 S 19.897 – Beschluss vom 09.10.2019

I. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Fahrerlaubnisentziehung und die Verpflichtung zur Ablieferung seines Führerscheins in Nrn. 1 und 2 des Bescheids des Antragsgegners vom 5. Juli 2018 wird wiederhergestellt.

II. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Der Streitwert wird auf 3.750,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der 1999 geborene Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen A1, B, AM und L.

1. Der Antragsteller wurde mit Urteil des Landgerichts … vom 26. November 2018 (rechtskräftig seit 4.12.2018) wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (10 Kilogramm Marihuana) zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren, die zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt.

Im Rahmen der dieser Verurteilung vorangegangenen polizeilichen Ermittlungen wurde dem Antragsteller am 9. Februar 2018 eine 10 cm lange Haarprobe entnommen. Laut dem Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität … vom 7. März 2018 wies die auf ihre gesamte Länge untersuchte Haarprobe folgende Werte auf:

  • THC: 4,1 ng/mg
  • Cannabidiol: 0,08 ng/mg
  • Cannabinol: 1,0 ng/mg.

In der gutachtlichen Stellungnahme (Abschnitt III.) wurde hierzu u.a. ausgeführt, dass sich diese Befunde, unter der Annahme eines durchschnittlichen Haarwachstums von 1 cm pro Monat, mit einem intensiven Konsum von Cannabisprodukten während des von der Untersuchung erfassten Zeitraums von 10 Monaten vor der Haarabnahme vereinbaren ließen. Es hätten sich keine Anhaltspunkte für eine Aufnahme von Amphetamin, Methamphetamin, Ecstasy, Cocain, Opiaten wie zum Beispiel Heroin oder Opioiden wie Methadon, Tramadol, Tilidin, Oxycodon, Buprenorphin und Fentanyl während dieses Zeitraums ergeben.

Im Schlussvermerk der … vom 30. Mai 2018 wird unter Punkt VI. „Beschuldigtenvernehmung/Aussageverhalten“ u.a. ausgeführt, dass der Antragsteller angegeben habe, er sei kein Konsument von Cannabis. Das Haargutachten vom 7. März 2018 habe aber einen intensiven Konsum von Cannabis mindestens seit April 2017 bis Februar 2018 erbracht.

2. Die … informierte das Landratsamt … (nachfolgend: Landratsamt) mit der „Mitteilung wegen eines Betäubungsmitteldelikts“ vom 30. Mai 2018 (Anlass: Verstoß gegen BtMG – illegaler Handel mit Amfetamin) sowie der weiteren Mitteilung vom 1. Juni 2018 (Anlass: Verstoß gegen BtMG – Handel, Ein-/Ausfuhr, Verschaffen von BtM in nicht geringer Menge unter Mitführen einer Schusswaffe o.ä.), der der Schlussvermerk der Kriminalpolizei vom 30. Mai 2018 beigefügt war, über den damaligen Ermittlungsstand (Eingang beider Schreiben beim Landratsamt: 12.6.2018). Daraufhin hörte das Landratsamt den Antragsteller mit Schreiben vom 13. Juni 2018 zur beabsichtigten Entziehung seiner Fahrerlaubnis an. Das Landratsamt gehe aufgrund der Stellungnahme in Abschnitt III. des Gutachtens des Instituts für Rechtsmedizin der Universität … vom 7. März 2018 davon aus, dass der Antragsteller zumindest täglich Cannabis konsumiere oder konsumiert habe. Bereits der regelmäßige, nahezu tägliche Konsum von Cannabisprodukten stehe nach Anlage 4 Nr. 9.2.1 zur FeV einer Fahreignung entgegen.

Mit Schreiben vom 15. Juni 2018 führte die damalige Bevollmächtigte des Antragstellers aus, dass dieser keine Drogen konsumiert habe. Es seien ein weiteres Gutachten und weitere Untersuchungen (der Antragsteller habe lange Haare) in Auftrag gegeben worden. Diese würden erweisen, dass der Antragsteller keinerlei Drogen konsumiert habe.

3. Mit Bescheid vom 5. Juli 2018, der der Bevollmächtigten des Antragstellers laut Empfangsbekenntnis am 19. Juli 2018 zugestellt wurde, entzog das Landratsamt dem Antragsteller die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen (Nr. 1). Er wurde verpflichtet, seinen Führerschein mit der Nummer … unverzüglich, spätestens jedoch binnen drei Tagen nach Zustellung des Bescheids beim Landratsamt abzuliefern (Nr. 2). Für den Fall der Nichtbeachtung der Nr. 2 des Bescheides wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 200,00 EUR angedroht (Nr. 3). Die sofortige Vollziehung der Nrn. 1 und 2 des Bescheides wurde angeordnet (Nr. 4).

Zur Begründung des Fahrerlaubnisentzugs wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass sich der Antragsteller gemäß § 3 Abs. 1 StVG, § 46 Abs. 1 FeV i.V.m. Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen habe. Der regelmäßige/tägliche Konsum von Cannabis im Zeitraum von April 2017 bis Februar 2018 sei mit dem Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität … vom 7. März 2018 nachgewiesen. Unstimmigkeiten, die Zweifel an der Richtigkeit des Gutachtens begründen könnten, seien nicht zu erkennen. Weitere Gutachten seien somit nicht erforderlich (§ 46 Abs. 3 i.V.m. § 11 Abs. 7 FeV).

4. Mit Schriftsatz vom 20. Juli 2018 legte die damalige Bevollmächtigte des Antragstellers Widerspruch gegen den Bescheid vom 5. Juli 2018 ein und legte den „Befund über die Untersuchung von Haaren im Rahmen der Fahreignungsdiagnostik“ des … (…) vom 29. Juni 2018 vor. Nach dieser Befundmitteilung seien die Untersuchungen eines 6 cm langen Abschnitts (gemessen von der Kopfhaut an) einer dem Antragsteller am 20. Juni 2018 entnommenen Haarprobe (Gesamtlänge 11 cm) auf Cocain, Opiat Gruppe, andere Opioide, Amphetamine, Benzodiazepine und Cannabinoide negativ verlaufen. Die Befundmitteilung gelte als Abstinenzbeleg im Sinne der Beurteilungskriterien (3. Auflage 2013) für den Zeitraum von sechs Monaten vor der Probeentnahme.

Das Landratsamt setzte daraufhin mit Bescheid vom 20. Juli 2018 den angeordneten Sofortvollzug bis zum 10. August 2018 aus, da es den Fahrerlaubnisentzug nochmals überprüfen werde.

Mit Schreiben vom 7. August 2018 teilte das Landratsamt der Bevollmächtigten des Antragstellers mit, dass mit dem eingereichten Befundbericht des … vom 29. Juni 2018 eine Abstinenz für den Zeitraum vom 20. Dezember 2017 bis 20. Juni 2018 belegt werde. Das Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin … vom 7. März 2018 weise dagegen die intensive Aufnahme von Cannabis für den Zeitraum April 2017 bis Februar 2018 nach. Nachdem sich die Zeiträume nur unwesentlich überlagern würden, sei die neuerliche Haaranalyse nicht geeignet, die Untersuchungsergebnisse des Instituts für Rechtsmedizin … in Zweifel zu ziehen. Das Landratsamt gehe davon aus, dass der Antragsteller den Konsum von Cannabis im zeitlichen Zusammenhang mit den polizeilichen Ermittlungen zumindest vorläufig aufgegeben habe.

Nachdem die Antragstellerseite erklärt hatte, dass der Widerspruch aufrechterhalten werde (Schriftsatz vom 14.8.2018), legte das Landratsamt den Widerspruch der Regierung von … vor (Vorlageschreiben vom 17.8.2018).

Mit Schreiben vom 30. August 2018 wies das Landratsamt darauf hin, dass der Antragsteller seiner für sofort vollziehbar erklärten Pflicht zur Abgabe des Führerscheins noch nicht nachgekommen sei. Es werde gebeten, den Führerschein umgehend, spätestens bis zum 13. September 2018 abzugeben. Nachdem der Führerschein bis zum genannten Termin nicht abgeliefert worden war, übermittelte das Landratsamt der damaligen Bevollmächtigten des Antragstellers mit Schreiben vom 28. September 2018 die Kostenrechnung gleichen Datums hinsichtlich des nun fällig gestellten Zwangsgeldes. Am 4. Oktober 2018 ging der Führerschein des Antragstellers beim Landratsamt ein.

Die nunmehrigen Bevollmächtigten des Antragstellers regten bei der Widerspruchsbehörde mit Schriftsatz vom 22. November 2018 an, die beim Institut in … noch vorhandene Haarprobe des Antragstellers zum Ausschluss einer Verwechslung nochmals untersuchen zu lassen. Mit weiterem Schriftsatz vom 5. Dezember 2018 wiesen die Bevollmächtigten des Antragstellers darauf hin, dass das Gutachten der Universität … vom 7. März 2018 keinen Beweis dafür bringen könne, dass der Antragsteller entsprechend Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV fahrungeeignet sei, weil er regelmäßigen, nahezu täglichen Konsum von Cannabis gehabt habe. Eine Rückfrage beim Institut in … habe ergeben, dass wissenschaftlich ein nachgewiesener Wert von 4,1 ng/mg THC überhaupt keinen Beweis dafür darstelle, dass ein Konsum stattgefunden habe. Es scheine zwischenzeitlich Stand der Diskussion zu sein, dass lediglich aufgrund Vorliegens einer Haaranalyse nicht mit Sicherheit auf ein gewisses Maß an Konsum von Cannabis geschlossen werden könne.

Mit Schriftsatz vom 28. Mai 2019 teilten die Bevollmächtigten des Antragstellers mit, dass die von der Regierung von … telefonisch vorgeschlagene Durchführung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung abgelehnt werde, da es für einen regelmäßigen Cannabiskonsum des Antragstellers keinen Nachweis gebe.

5. Mit Schriftsatz vom 13. Juni 2019, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg per Fax am selben Tag, ließ der Antragsteller durch seine Prozessbevollmächtigten im Weg des vorläufigen Rechtsschutzes beantragen: die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid des Landratsamtes … vom 5. Juli 2019 anzuordnen.

Zur Begründung des Antrags wurden im Wesentlichen die im Widerspruchsverfahren vorgebrachten Argumente wiederholt.

Der Antragsgegner beantragte mit Schreiben vom 25. Juni 2019, den Antrag abzulehnen.

Die Regierung von … legte mit Schreiben vom 2. Juli 2019 die Behördenakte vor.

5. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichts- und vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

II.

1. Der mit Schriftsatz vom 13. Juni 2019 gestellte Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs „anzuordnen“, ist sachgerecht dahingehend auszulegen (vgl. §§ 88, 122 VwGO), dass die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen Nrn. 1 und 2 des Bescheids des Antragsgegners vom 5. Juli 2018 wiederherzustellen ist. Der Antragsgegner hat in Nr. 4 des Bescheids vom 5. Juli 2018 die sofortige Vollziehung der Nr. 1 (Entziehung der Fahrerlaubnis) und der Nr. 2 (Pflicht zur Ablieferung des Führerscheins) gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet. In diesem Fall richtet sich der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs (s. § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO). Auch enthält der Antragsschriftsatz vom 13. Juni 2019 die Überschrift „Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung“.

Im Rahmen der sachgerechten Auslegung des Antrags ist weiter davon auszugehen, dass vorläufiger Rechtsschutz im Hinblick auf die Nr. 3 des Bescheids vom 5. Juli 2018 (Zwangsgeldandrohung) nicht beantragt ist, da ein solcher Antrag mit dem Inhalt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die bereits kraft Gesetzes sofort vollziehbare (Art. 21a des Bayerischen Verwaltungs- und Vollstreckungsgesetzes/VwZVG) Zwangsgeldandrohung anzuordnen (s. § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO), ins Leere liefe. Da das Landratsamt das angedrohte Zwangsgeld mit der Kostenrechnung vom 28. September 2018 fällig gestellt hat, hat sich die Zwangsgeldandrohung erledigt. Mit der (wenn auch verspäteten) Ablieferung des Führerscheins am 4. Oktober 2018 ist eine weitere Beitreibung des Zwangsgeldes unzulässig geworden. Denn gemäß Art. 37 Abs. 4 Satz 1 VwZVG ist die Anwendung des Zwangsmittels einzustellen, sobald der Pflichtige seiner Verpflichtung nachkommt (vgl. BayVGH, B.v. 21.5.2019 – 22 CS 19.547 – juris Rn. 10). Nach Aktenlage bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass das Landratsamt das Zwangsgeld noch weiter beitreibt.

2. Der so ausgelegte Antrag ist zulässig und begründet.

a) Das Gericht hat bei der Entscheidung über den Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Nrn. 1 und 2 des streitgegenständlichen Bescheids wiederherzustellen, eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen. Im Rahmen dieser Entscheidung ist das Interesse des Antragstellers, zumindest vorläufig weiter von seiner Fahrerlaubnis Gebrauch machen zu können, gegen das Interesse der Allgemeinheit daran, dass dies unverzüglich unterbunden wird, abzuwägen. Ausschlaggebend im Rahmen dieser Abwägungsentscheidung sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels, dessen aufschiebende Wirkung angeordnet oder wieder hergestellt werden soll. Lässt sich schon bei summarischer Prüfung feststellen, dass der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig ist und den Betroffenen in seinen Rechten verletzt, so dass der Widerspruch Erfolg haben wird (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), kann kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts bestehen. Andererseits ist für eine Interessenabwägung, die zugunsten des Antragstellers ausgeht, im Regelfall kein Raum, wenn keine Erfolgsaussichten in der Hauptsache bestehen.

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 5. Juli 2018 ist hinsichtlich der Nrn. 1 und 2 des Bescheids wiederherzustellen, da der Widerspruch bei summarischer Prüfung erfolgreich sein wird. Der angegriffene Bescheid erweist sich als rechtswidrig, da sich nach derzeitiger Aktenlage nicht sicher feststellen lässt, dass beim Antragsteller regelmäßiger Cannabiskonsum vorgelegen hat. An der sofortigen Vollziehung einer rechtswidrigen Verfügung besteht kein besonderes öffentliches Interesse.

Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Fahrerlaubnisentziehung ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung maßgeblich (st. Rspr. BVerwG, U.v. 23.10.2014 – 3 C 3.13 – NJW 2015, 2439 – juris Rn. 13; BayVGH, B.v. 4.12.2012 – 11 ZB 12.2667 – juris). Da im vorliegenden Fall gegen den Bescheid des Landratsamtes vom 5. Juli 2018 Widerspruch eingelegt wurde, ein Widerspruchsbescheid aber noch nicht ergangen ist, ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt dieser Entscheidung maßgeblich.

b) Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV) hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung und die Frage der Fahreignung ist durch ärztliche und/oder medizinisch-psychologische Gutachten zu klären (§ 3 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 2 Abs. 8 StVG, § 46 Abs. 3 FeV). Steht die Nichteignung des Betroffenen zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde fest, unterbleibt die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens und die Fahrerlaubnis ist (zwingend) zu entziehen (§ 11 Abs. 7 FeV).

Mit den Auswirkungen von Cannabiskonsum auf die Fahreignung befasst sich die Nr. 9.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung. Bei gelegentlicher Einnahme von Cannabis besteht nach Nr. 9.2.2 die Fahreignung des Betroffenen, wenn der Cannabiskonsum vom Fahren getrennt wird, kein zusätzlicher Gebrauch von Alkohol oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen stattfindet und keine Störung der Persönlichkeit und kein Kontrollverlust vorliegen.Nach Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV ist nicht fahrgeeignet, wer regelmäßig Cannabis einnimmt; der regelmäßige Konsum von Cannabis führt damit ohne weiteres (quasi automatisch) zur Fahrungeeignetheit. Nach der Nr. 3 der Vorbemerkungen zu dieser Anlage gelten diese Bewertungen für den Regelfall.

Unter regelmäßiger Einnahme von Cannabis im Sinne von Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV ist ein Konsum zu verstehen, der nach wissenschaftlichem Erkenntnisstand als solcher und ohne das Hinzutreten weiterer Umstände im Regelfall die Fahreignung ausschließt. Ein solcher regelmäßiger Konsum von Cannabis, der für sich genommen die Fahreignung entfallen lässt, liegt jedenfalls dann vor, wenn täglich oder nahezu täglich Cannabis konsumiert wird (st.Rspr. vgl. BVerwG, U.v. 26.2.2009 – 3 C 1/08 – BVerwGE 133, 186, juris Rn. 14 f.; BayVGH, B.v. 22.9.2010 – 11 ZB 10.184 – juris Rn. 11; eingehend dazu auch OVG NW, B.v. 1.6.2010 – 16 B 428/10 – juris, Rn. 7: die gewohnheitsmäßige Einnahme von Cannabis kann nur dann als regelmäßig im fahrerlaubnisrechtlichen Sinne angesehen werden, wenn sie nicht deutlich seltener als täglich erfolgt; BayVGH, B.v. 4.5.2009 – 11 CS 09.262 – juris Rn. 15: kein regelmäßiger Konsum bei maximal vier Konsumvorgängen pro Woche oder höchstens zwanzig Konsumvorgängen pro Monat.).

Anders als das Landratsamt angenommen hat, ist aus dem Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität … vom 7. März 2018 ein regelmäßiger Cannabiskonsum des Antragstellers im Sinne der Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV, bei dem ohne weitere Aufklärungsmaßnahmen die Fahrerlaubnis zu entziehen ist, nicht hinreichend sicher abzuleiten. Die Feststellung im Gutachten, dass sich die Befunde mit einem intensiven Konsum von Cannabisprodukten während des von der Untersuchung erfassten Zeitraums vereinbaren ließen, deutet zwar auf einen häufigen Konsum und/oder auf einen Konsum von Cannabisprodukten mit einem hohen Wirkstoffgehalt hin. Die Aussage „intensiver Konsum“ kann jedoch das Konsummuster bzw. die Konsumfrequenz der täglichen oder nahezu täglichen Einnahme von Cannabis nicht zweifelsfrei belegen. Wie bereits oben dargestellt (s. Rn. 34, 35) ist aber nur beim täglichen oder nahezu täglichen Cannabiskonsumenten per se davon auszugehen, dass er Drogenkonsum und Kraftfahren nicht zuverlässig auseinanderhalten kann und damit ohne weitere Überprüfung als fahrungeeignet einzustufen ist.

Zudem ist bei Haaranalysen als Beleg für Cannabiskonsum zu beachten, dass nach neueren Untersuchungen positive Messwerte nicht zwangsläufig mit einem aktiven Cannabiskonsum in Verbindung gebracht werden können. Durch den im Gutachten vom 7. März 2018 im Rahmen der chemisch-toxikologischen Untersuchung der Haarprobe erfolgten Nachweis der Hauptwirkstoffe THC (Tetrahydrocannabinol) sowie Cannabidiol und Cannabinol wird nicht zweifelsfrei eine Körperpassage bewiesen, da diese Substanzen auch im Cannabisrauch vorkommen, also durch passiven Konsum aufgenommen werden können. Zudem können Cannabinoide auch durch engen Körperkontakt und durch das bloße Hantieren mit Cannabis auf das Haar übertragen werden (vgl. B. Moosmann, N. Roth, V. Auwärter: Finding cannabinoids in hair does not prove cannabis consumption. In: Sci Rep. 5, 7. Okt 2015, S. 14906. PMID 26443501; B. Madea / F. Mußhoff / G. Berghaus, Verkehrsmedizin, Fahrsicherheit,) Fahreignung, Unfallrekonstruktion, 2. Auflage, Kapitel B, 1.5.1.3 [Drogennachweis in Haaren], S. 190/192). Wie sich aus dem Urteil des Landgerichts … vom 26. November 2018 und insbesondere aus dem Schlussvermerk der … vom 30. Mai 2018 ergibt, hatte der Antragsteller vor Abnahme der Haarprobe am 9. Februar 2018 intensiven Kontakt mit Marihuana sowie mit Cannabis bzw. Drogen konsumierenden Personen (Erwerb von ca. 10 kg Marihuana durch den Antragsteller zwischen Weihnachten und Silvester 2017, welches in der Folgezeit auch durch den Antragsteller, u.a. zusammen mit seiner nach deren Angaben regelmäßig Cannabis konsumierenden Freundin umverpackt bzw. portioniert und an andere Personen aus dem Drogenmilieu weitergegeben wurde).

Die in der Haarprobe des Antragstellers aufgefundenen Cannabiswirkstoffe sowie die Verstrickung des Antragstellers im Drogenmilieu – Tatsachen, die auf einen regelmäßigen Konsum hinwiesen – wären daher Anlass gewesen, der Frage nach seinem Konsumverhalten durch eine ärztliche Begutachtung einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung weiter nachzugehen.

c) Der Bescheid vom 5. Juli 2018 ist auch nicht aus anderen Gründen rechtmäßig. Selbst wenn man davon ausginge, dass die in der Haarprobe des Antragstellers aufgefundenen Cannabiswirkstoffe (Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität … vom 7.3.2018) zumindest einen gelegentlichen Cannabiskonsum im Zeitraum April 2017 bis Februar 2018 belegen würden, ergäbe sich hieraus nicht, dass der Antragsteller fahrungeeignet wäre. Denn Zusatztatsachen im Sinne der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV sind nach Aktenlage nicht bekannt. Insbesondere ist der Antragsteller in der Vergangenheit nicht dadurch aufgefallen, dass er unter dem Einfluss von Cannabis ein Kraftfahrzeug geführt hat.

d) Erweist sich die Entziehung der Fahrerlaubnis als rechtswidrig, gilt dies auch für die Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1, Nr. 46.2 und Nr. 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Danach ist die Führerscheinklasse A1 mit einem Streitwert von 2.500,00 EUR und die Führerscheinklasse B (samt der eingeschlossenen Klassen AM und L) mit einem Streitwert von 5.000,00 EUR zu werten. Der sich so ergebende Streitwert von 7.500,00 EUR ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren.

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