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Fahrerlaubnisentziehung wegen Cannabiskonsum nach Neuerteilung der Fahrerlaubnis

VG Bremen – Az.: 5 K 345/11 – Urteil vom 14.02.2012

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis.

Dem 1982 geborenen Kläger wurde am 27. März 2001 vom Landratsamt Rems-Murr-Kreis die Fahrerlaubnis der Klasse B erteilt.

Erstmals am 30. Oktober 2007 und dann nochmals am 09. September 2008 stellte die Polizei beim Kläger das Führen eines Kraftfahrzeugs unter der Wirkung des berauschenden Mittels Cannabis fest. Zum 20. April 2009 verzichtete der Kläger freiwillig auf die Fahrerlaubnis mit all den damit verbundenen Rechten. Mit Schreiben vom 28. September 2009 begehrte der Kläger die Neuerteilung der Fahrerlaubnis Klasse B. Der vom Kläger im Rahmen des Neuerteilungsverfahrens eingeräumte Cannabiskonsum wurde mit dem Fahreignungsgutachten des TÜV-Süd vom 07. Januar 2010 als „gewohnheitsmäßig“ eingestuft. Die medizinisch-psychologische Untersuchung fiel negativ aus, da eine einjährige Drogenabstinenz nicht nachgewiesen werden konnte. Nachdem der Kläger nach Bremen umgezogen war, wurde ein weiteres medizinisch-psychologisches Gutachten beim TÜV-Nord eingeholt. In diesem Gutachten vom 03. September 2010 wurde festgestellt, es sei nicht zu erwarten, dass der Kläger auch künftig ein Kraftfahrzeug unter dem Einfluss berauschender Mittel führen werde. Der Kläger praktiziere seit ausreichend langer Zeit einen Drogenverzicht und habe fachliche Hilfe zur Aufarbeitung und Überwindung seiner Drogenproblematik in Anspruch genommen. Eine als tragfähig einzuschätzende Motivation für die Beibehaltung einer drogenabstinenten Lebensführung sei erkennbar geworden. Am 09. September 2010 wurde dem Kläger die Fahrerlaubnis erneut erteilt.

Fahrerlaubnisentziehung wegen Cannabiskonsum nach Neuerteilung der Fahrerlaubnis
Symbolfoto: Von Branding Pot/Shutterstock.com

Eine im Rahmen einer nächtlichen Verkehrskontrolle vorgenommene Blutentnahme vom 03. Februar 2011 ergab für den Kläger als Führer eines Kraftfahrzeugs erneut auffällige Blutwerte. Laut toxikologischem Befundbericht des Klinikums Bremen-Mitte vom 14. Februar 2011 wurde beim Kläger ein THC-Wert von 0,5 ng/ml und ein THC-COOH-Wert von 4,7 ng/ml nachgewiesen.

Mit Verfügung vom 10. März 2011 entzog die des Stadtamts Bremen dem Kläger die Fahrerlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen und ordnete die sofortige Vollziehung dieser Verfügung an. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger sei ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen. Aufgrund der Geschehnisse vom 03. Februar 2011 stehe fest, dass der Kläger Cannabis konsumiert habe. Zwar habe der Kläger noch im Rahmen des medizinisch-psychologischen Gutachtens erklärt, künftig dauerhaft und konsequent auf Drogen verzichten zu wollen. Er habe sich von seiner Clique distanziert und fachliche Unterstützung in Anspruch genommen. Auch Schritte zur Vermeidung von Drogenrückfällen dargelegt, weshalb es seitens des TÜV-Nord zu einer positiven Prognose betreffend das Führen von Kraftfahrzeugen unter Einfluss berauschender Mittel gekommen sei. Durch die Fahrt vom 03. Februar 2011 sei jedoch von einem Rückfall in alte Gewohnheiten auszugehen. Der glaubhafte Abstinenznachweis gegenüber dem TÜV-Nord sei durch den nur fünf Monate später erfolgten THC-Nachweis widerlegt. Der Kläger sei offensichtlich nicht in der Lage, seinen Drogenkonsum einzustellen. Aufgrund der erwiesenen Ungeeignetheit habe es auch keines erneuten medizinisch-psychologischen Gutachtens bedurft.

Mit der am 04. April 2011 erhobenen Klage führt der Kläger aus, in den vergangenen Monaten kein Cannabis oder THC-haltige Produkte konsumiert zu haben. Am Vorabend des 03. Februar 2011 habe er sich mit Freunden zu einem Spieleabend getroffen, in dessen Rahmen durch Anwesende, nicht aber durch ihn Cannabis konsumiert worden sei. Dies werde auch durch eidesstattliche Versicherungen der am Spieleabend Beteiligten M.   und S.  bewiesen. Insbesondere da der Raum nicht mit Cannabisrauch durchzogen gewesen sei, nur eine relativ kleine Gruppe von wenigen Personen Cannabis zu sich genommen habe und er sich auch teilweise aus dem Raum entfernt habe, sei ihm das Ausmaß der inhalativen Einnahme von Cannabis nicht bewusst gewesen. Diese Darstellung korrigierte und präzisierte der Kläger im Laufe des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens dahingehend, dass er sich tatsächlich den ganzen Abend über in dem Raum, in dem Cannabis konsumiert worden sei, aufgehalten habe, mit Ausnahme ggf. eines Gangs zur Toilette. In dem etwa 12 m² großen Raum hätten drei Personen relativ viele Joints geraucht. Da das Fenster den ganzen Abend nicht geöffnet worden sei, sei der Raum durch und durch mit Rauch durchzogen gewesen. Zu berücksichtigen sei bezüglich des ihm vorgeworfenen Cannabiskonsums, dass auch durch die bloß passive Einnahme von Cannabis Blutwerte, wie sie beim Kläger aufgrund der Blutentnahme vom 03. Februar 2011 ermittelt worden seien, hervorgerufen werden könnten. Dies werde sowohl durch Teile der Rechtsprechung als auch durch wissenschaftliche Stellungnahmen bestätigt.

Darüber hinaus vertritt der Kläger die Ansicht, unabhängig vom Vorliegen eines aktiven oder passiven Cannabiskonsums folge hieraus jedenfalls keine Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen. Durch das Gutachten des TÜV-Nord habe er eine stabile Drogenabstinenz nachgewiesen und seine Fahreignung unter Beweis gestellt. Hierdurch und durch den Charakter der Neuerteilung der Fahrerlaubnis als Verwaltungsakt verliere der vormalige, gewohnheitsmäßige Cannabiskonsum des Klägers seine Bedeutung. Bei dem vor der Abstinenz liegenden Cannabiskonsum handle es sich um einen abgeschlossenen Vorgang, der einen Schluss auf die jetzigen Konsumgewohnheiten nicht zulasse. Vielmehr sei allenfalls von einer singulären, für die Frage der Entziehung der Fahrerlaubnis unerheblichen Cannabiseinnahme im Februar 2011 auszugehen. Dies folge auch daraus, dass es an einem inneren und zeitlichen Zusammenhang der dem Kläger zur Last gelegten Konsumereignisse fehle. Die mittels der Blutentnahme vom 03. Februar 2011 ermittelten Werte von 0,5 ng/ml THC sowie von 4,7 ng/ml THC-COOH wiesen weder auf einen regelmäßigen, noch auf einen gelegentlichen Cannabiskonsum hin.

Entgegen der Ansicht der Beklagten könne nicht nur die völlige Abstinenz zu einer Fahreignung führen. Vielmehr genüge hierzu auch ein genügend eingeschränkter Konsum, so bei gelegentlichem Konsum und bestehendem Trennungsvermögen zum Führen eines Kraftfahrzeugs. Der THC-Wert von 0,5 ng/ml sowie der Wert von 4,7 ng/ml THC-COOH ließen aber nicht auf ein fehlendes Trennungsvermögen von Cannabiskonsum und dem Führen eines Kraftfahrzeuges schließen.

Da vorliegend nicht einmal der gelegentliche Cannabiskonsum des Klägers feststehe, sei die Beklagte gehalten gewesen, vor der Entziehung der Fahrerlaubnis ein neues psychologisches Gutachten anzufordern.

Der Kläger beantragt, den Bescheid des Stadtamts Bremen, , vom 10.03.2011 – Az. 051-3 – aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich zur Begründung auf den ergangenen Bescheid und führt ergänzend aus, trotz der im Rahmen beider Gutachten gemachten Aussagen zu einer endgültigen Distanzierung vom Drogenkonsum und der beschriebenen negativen Erfahrungen sei es dem Kläger nicht gelungen, dem Erfordernis eines drogenfreien Lebens dauerhaft gerecht zu werden. Er sei rückfällig geworden. Der Verweis auf das Passivrauchen sei als bloße Schutzbehauptung des Klägers zu werten, da passives Rauchen von Cannabis allenfalls im Urin, nicht aber im Blut Spuren hinterlasse.

Der Kläger hat am 16. Mai 2011 um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Der Antrag ist mit Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 25. Mai 2011 abgelehnt worden (5 V 571/11). Die hiergegen eingelegte Beschwerde des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht Bremen mit Beschluss vom 01. August 2011 zurückgewiesen (2 B 133/11).

In der mündlichen Verhandlung vom 14. Februar 2012 wurde der Kläger persönlich angehört. Wegen seiner Ausführungen wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 10. März 2011 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

I. Rechtsgrundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis ist § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i. V. m. § 46 Abs. 1 FeV. Danach ist demjenigen die Fahrerlaubnis zu entziehen, der sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere dann, wenn eine Erkrankung oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 der FeV vorliegen. Gemäß Anlage 4 Nr. 9.2.1. der FeV führt die regelmäßige Einnahme von Cannabis zur Nichteignung. Entgegen dem Vorbringen des Klägers sind diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall gegeben.

1. Der vom Kläger gezeigte Konsum von Cannabis ist mit den Gutachten des TÜV-Süd vom 07. Januar 2010 und des TÜV-Nord vom 03. September 2010 als gewohnheitsmäßig oder regelmäßig zu charakterisieren (Gutachten des TÜV-Süd vom 07. Januar 2010, S. 17; vgl. Gutachten des TÜV-Nord vom 03. September 2010, S. 14). Eine regelmäßige Einnahme von Cannabis im Sinne von Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV liegt jedenfalls dann vor, wenn täglich oder nahezu täglich Cannabis konsumiert wird (vgl. BVerwG, U. v. 26.02.2009 – 3 C 1/08 – juris). Diese Voraussetzungen sind bei dem eingeräumten fast täglichem Konsum von Juli bis Oktober 2007 und einem Cannabiskonsum unter der Woche und am Wochenende im August 2008 gegeben, ohne dass es im weiteren auf die Werte der am 30. Oktober 2007 und am 09. September 2008 entnommenen Blutproben ankäme.

2. Entgegen dem Vorbringen des Klägers verliert der Befund des regelmäßigen Cannabiskonsums im Sinne der Fahrerlaubnisverordnung seine Bedeutung auch nicht durch eine Führerscheinneuerteilung oder eine für ihn günstige Beurteilung im Rahmen einer medizinisch-psychologischen Untersuchung. Bei dem Fahreignungsgutachten handelt es sich um eine bloß sachverständige Äußerung zur eigenverantwortlichen Meinungsbildung der Behörde. Auch der Neuerteilung der Fahrerlaubnis kommt keine Regelungswirkung zu, die eine Neubewertung von vor ihrer Erteilung liegenden Umständen ausschließen würde. Demgemäß ist es der Behörde jedenfalls dann unbenommen, auf vor der Neuerteilung einer Fahrerlaubnis liegende Umstände für eine Bewertung der Sach- und Rechtslage zurückzugreifen, wenn sich neue und für eine revidierende Beurteilung relevante Tatsachen in zeitlicher Nähe zum Gutachtenzeitpunkt ergeben (a)). Im Falle eines vor Neuerteilung der Fahrerlaubnis feststehenden, gewohnheitsmäßigen Cannabiskonsums liegen solche Umstände in jeglichem erneuten, aktiven Cannabiskonsum begründet, wie er auch vorliegend zur Überzeugung der Kammer feststeht (b)).

a) Zunächst ist festzustellen, dass es sich bei dem vom Kläger geltend gemachten Gutachten des TÜV-Nord, auf dessen Grundlage die Fahrerlaubnis wiedererlangt wurde, um eine bloß sachverständige Äußerung zu bestimmten Bedenken hinsichtlich der körperlichen oder geistigen Eignung des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen aufgrund einer eingehenden Untersuchung unter Berücksichtigung fachwissenschaftlicher Erkenntnisse handelt. Das Gutachten soll die eigenverantwortliche Meinungsbildung der Behörde ermöglichen (vgl. Bouska/Laeverenz, Fahrerlaubnisrecht, 3. Aufl. 2004, S. 254). Es handelt sich um eine von Sachverständigen gefertigte Stellungnahme, die von der nicht ungeprüft übernommen werden darf und einer eigenen kritischen Würdigung unterzogen werden muss. Damit fehlt es dem Gutachten an den Voraussetzungen eines (feststellenden) Verwaltungsaktes nach § 35 VwVfG, der im Sinne einer „tabula rasa“ vergangene Ordnungswidrigkeiten gleichsam ungeschehen machen und einer weiteren Beurteilung entziehen könnte. Haben sich die Annahmen im Gutachten als nicht zutreffend erwiesen, ist die Behörde nicht gehindert, eine erneute Beurteilung der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen unter Einbeziehung auch der früheren Vorfälle vorzunehmen (vgl. OVG Bremen, B. v. 01.08.2011 – 2 B 133/11; so auch schon OVG Bremen, B. v. 14.08.2007 – 1 B 302/07; a.A., bezogen auf die Feststellung eines „gelegentlichen“ Cannabiskonsums OVG Sachsen-Anhalt, B. v. 18.07.2006 – 1 m 64/06 – alle juris).

Anderes folgt auch nicht aus der dem Gutachten nachfolgenden Neuerteilung der Fahrerlaubnis, welcher Verwaltungsaktcharakter nach § 35 VwVfG zukommt. Zwar setzt die Neuerteilung der Fahrerlaubnis eine positive Prognose hinsichtlich der Fahreignung des jeweiligen Antragstellers voraus. Ein etwaiger (feststellender) Regelungsgehalt, der vergangene Ordnungswidrigkeiten gleichsam ungeschehen machen und einer weiteren Beurteilung entziehen könnte, kommt der Fahrerlaubnisneuerteilung jedoch nicht zu. Eine anderweitige Auffassung wäre weder mit dem Sinn und Zweck des Fahrerlaubnisrechts als Recht der Gefahrenabwehr zu vereinbaren, noch systematisch mit § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i. V. m. § 46 Abs. 1 FeV in Einklang zu bringen. Letztere Normen verweisen pauschal auf die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen und Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 der FeV, ohne diesbezüglich zwischen solchen Mängeln zu unterscheiden, die bereits vor Erteilung der Fahrerlaubnis bestanden und solchen, die erst später eingetreten sind.

Demgemäß ist es der Behörde jedenfalls dann unbenommen, auf vor der Neuerteilung einer Fahrerlaubnis liegende Umstände für eine Bewertung der Sach- und Rechtslage zurückzugreifen, wenn sich neue und für eine revidierende Beurteilung relevante Tatsachen in zeitlicher Nähe zum Gutachtenzeitpunkt ergeben.

b) Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Angesichts des im Fall des Klägers feststehenden, gewohnheitsmäßigen Cannabiskonsums für die Zeit vor Neuerteilung der Fahrerlaubnis konnte die Beklagte jeglichen aktiven Cannabiskonsum zum Anlass nehmen, von einem Rückfall in alte Konsumgewohnheiten auszugehen und dem Kläger die Fahrerlaubnis zu entziehen.

aa) Aufgrund der Blutentnahme vom 03. Februar 2011 und der beim Kläger nachgewiesenen Blutwerte steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Kläger aktiv Cannabis konsumiert hat. Dem Einwand des Klägers, die nachgewiesenen Werte von 0,5 THC ng/ml und 4,7 THC-COOH ng/ml rührten von einem Passivkonsum im Rahmen des der Fahrt vorausgegangenen Spieleabends her, folgt das Gericht nicht.

Nach den der Kammer vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen steht für diese fest, dass unter den vom Kläger beschriebenen Umständen eines nicht von Cannabisrauch durchzogenen Raumes, der mehrfach verlassen wird und in dem nur eine kleine Gruppe von wenigen Personen Cannabis zu sich nimmt, Blutwerte, wie sie beim Kläger nachgewiesen wurden, nicht durch einen passiven Konsum erreicht werden können. Ein bloß passiver Cannabiskonsum vermag die beim Kläger nachgewiesenen Werte von 0,5 THC ng/ml und von 4,7 THC-COOH ng/ml im Blut nicht zu erklären. Zwar ist zutreffend, dass auch der bloß passive Konsum von Cannabis zu forensisch relevanten Blutkonzentrationen führen kann (vgl. hierzu etwa Wehner/Wildemann/Köhling, Blutalkohol 43 (2006), 349 ff.; Krause, DAR 2006, 175 f.; AG St. Wedel, U. v. 23.09.2010 – 1 OWi 67 Js 724/10 (234/10) – juris). Dies gilt gemäß neuerer wissenschaftlicher Untersuchungen jedoch für den Fall nicht, dass die Räumlichkeit eine gewisse Größe aufweist und zumindest durch das „Kommen und Gehen“ von Personen eine gewisse Belüftung sichergestellt ist. Unter diesen Voraussetzungen konnte in keiner der den Probanden entnommenen Serumproben mittels einer gaschromatographisch-massenspektrometrischen Untersuchung THC sicher und nach Maßgabe der Richtlinien der Gesellschaft für Toxikologische und Forensische Chemie nachgewiesen werden. Bei der gaschromatographisch-massenspektrometrischen Untersuchung der Blutprobe auf THC-COOH wurden Werte knapp über der Nachweisgrenze (maximal ~ 2 ng/ml) ermittelt (Schimmel/Drobnik/Röhrich/Becker/Zörntlein/Urban, Blutalkohol 47 (2010), 269 (271)). Sämtliche Werte lagen damit deutlich unter dem beim Kläger gemessenen THC-COOH-Wert von 4,7 ng/ml. Ältere Untersuchungen, die unter Bedingungen erfolgten, welche der klägerischen Darstellung des Spieleabends entsprechen, erbrachten keinen Nachweis von Cannbinoiden im Blutplasma (Schimmel/Drobnik/Röhrich/Becker/Zörntlein/Urban, Blutalkohol 47 (2010), 269 (269) unter Verweis auf eine Untersuchung von Law). Zur Überzeugung der Kammer steht damit fest, dass unter den vom Kläger beschriebenen Umständen eines nicht von Cannabisrauch durchzogenen Raums, der zudem teilweise im Verlauf des Abends verlassen wird und in dem von einer nur relativ kleinen Gruppe von wenigen Personen Cannabis konsumiert wird, Blutwerte, wie sie beim Kläger nachgewiesen wurden, nicht von einem bloß passiven Cannabiskonsum herrühren können (vgl. auch Eisenmenger, NZV 2006, 24 (25); VG Augsburg, U. v. 27.02.2007 – Au 3 K 06.1270 – juris).

Sofern der Kläger seine Darstellung des Spieleabends im Verlauf des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens dahingehend korrigiert und präzisiert hat, tatsächlich habe er sich den ganzen Abend über in dem Raum, in dem Cannabis konsumiert worden sei, aufgehalten, mit Ausnahme ggf. eines Gangs zur Toilette, auch sei der Raum nicht sonderlich groß gewesen (etwa 12 m²), es hätten drei Personen relativ viele Joints geraucht und der Raum sei unter anderem wegen des geschlossenen Fensters durch und durch mit Rauch durchzogen gewesen, wertet die Kammer diese Ausführungen als bloße Schutzbehauptung. Eine nachvollziehbare Erklärung für den widersprüchlichen Vortrag ist nicht ersichtlich. Auch auf Vorhalt des Gerichts in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger nicht schlüssig darzulegen vermocht, warum ein von Cannabisrauch durchzogener, kleiner Raum und ein massiver Cannabiskonsum durch Dritte erst im Rahmen der mündlichen Verhandlung, im Anschluss an die ablehnenden Beschlüsse von Verwaltungsgericht und Oberverwaltungsgericht erfolgte und auch seine Darstellung zum Verlassen des Raums erst in Folge der ablehnenden Entscheidung durch das Verwaltungsgericht korrigiert worden ist. Sofern der Kläger diesbezüglich einen Kommunikationsfehler mit seiner Prozessbevollmächtigten geltend macht, hält es die Kammer für ausgeschlossen, dass eine derartig fehlerhafte Darstellung zentraler Geschehnisse in sämtlichen an das Verwaltungsgericht und das Oberverwaltungsgericht gerichteten Schriftsätzen bis zur mündlichen Verhandlung unentdeckt geblieben sein soll. Das schrittweise Abweichen von der ursprünglichen Darstellung des Spieleabends zunächst im Beschwerdeverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht und dann im Rahmen der mündlichen Verhandlung deutet vielmehr darauf hin, dass der wechselnde Vortrag mit entsprechenden Vorhalten im verwaltungsgerichtlichen und oberverwaltungsgerichtlichen Beschluss im Zusammenhang steht.

Den eidesstattlichen Versicherungen des M.   und des S.   misst die Kammer kein entscheidungserhebliches Gewicht zu. Es ist nicht auszuschließen, dass der Kläger Cannabis konsumiert hat, ohne dass Herr M und Herr S dies beobachtet haben. Im Übrigen handelt es sich um Beteiligte aus dem Freundeskreis des Klägers; daher ist nicht ausgeschlossen, dass sie dem Kläger mit ihren Erklärungen helfen wollen.

bb) Der demgemäß nachgewiesene Cannabiskonsum des Klägers ist auch von solchem Gewicht, dass der Beklagten die erneute Meinungsbildung auf Grundlage von Geschehnissen vor der Führerscheinneuerteilung möglich war. Da beim Kläger ein gewohnheitsmäßiger Konsum von Cannabis festgestellt wurde, vermag jeglicher Konsum von Cannabis in zeitlicher Nähe zum Ablauf der Jahresfrist bzw. des Fahreignungsgutachtens die Frage der Fahreignung neu aufzuwerfen.

In materieller Hinsicht kann die wegen Betäubungsmittelkonsums verloren gegangene Fahreignung grundsätzlich frühestens nach einjähriger, nachgewiesener Abstinenz wiedererlangt werden, wie Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV zeigt. Diese Forderung einer einjährigen Abstinenz gilt nicht nur für den Fall der Abhängigkeit, sondern ist jedenfalls in entsprechender Anwendung „in allen Fällen eines die Fahreignung ausschließenden Betäubungsmittelkonsums (…) zu erheben“ (VG München, B. v. 01.07.2010 – m 6b S 10.2305 – juris, m. w. N.). Hieraus folgt, dass im Fall eines vormals regelmäßigen Cannabiskonsums jeglicher Cannabiskonsum während der Abstinenzzeit eine Rückerlangung der Fahrerlaubnis ausschließt. In der Folge ist auch jeglicher Rückfall in den Cannabiskonsum in zeitlicher Nähe zur Jahresfrist bzw. zum Gutachtenzeitpunkt für die Frage der Fahrtauglichkeit von Relevanz, unabhängig von den konkret nachgewiesenen Blutwerten.

Anderes gilt entgegen dem Vorbringen des Klägers nur für den Fall gelegentlichen Cannabiskonsums, der zum Verlust der Fahrerlaubnis geführt hat. Nur hier kann statt einer vollständigen Abstinenz auch der nachgewiesene Übergang zu einem mit den Anforderungen der Nummer 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV zu vereinbarenden Konsumverhalten genügen (vgl. BayVGH, B. v. 09.05.2005 – 11 CS 04.2526 – juris).

Da es sich bei der Abstinenzfrist von einem Jahr regelmäßig um eine Mindestfrist handelt, sind auch jedenfalls solche Geschehnisse als in zeitlicher Hinsicht relevant anzusehen, die binnen sechs Monaten nach Erstellung des Fahreignungsgutachtens eintreten. Da das Fahreignungsgutachten des TÜV Nord Anfang September 2010 erstellt wurde und der Kläger das Fahrzeug unter Cannabiseinfluss am 03. Februar 2011 führte, ist auch diese Voraussetzung vorliegend erfüllt.

Danach war es der Beklagten trotz positiver Prognose im Rahmen einer medizinisch-psychologischen Fahreignungsuntersuchung möglich, auf den vor dem Gutachtenzeitpunkt liegenden, gewohnheitsmäßigen Cannabiskonsum des Klägers für eine revidierende Beurteilung seiner Fahreignung zurückzugreifen.

cc) Dem Rückgriff auf Geschehnisse vom Herbst 2007 und vom Sommer 2008 zur Beurteilung der Geeignetheit zum Führen eines Kraftfahrzeugs kann auch nicht entgegengehalten werden, diese Geschehnisse lägen bereits zu lange zurück. Jedenfalls solche Vorkommnisse, die zum Entscheidungszeitpunkt der Behörde nicht mehr als 3 ½ Jahre zurückliegen, können zur Beurteilung der Frage herangezogen werden, ob eine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen gegeben ist oder nicht; dies gilt, wie dargelegt, unabhängig von einer zwischenzeitlich nachgewiesenen Abstinenzphase (vgl. OVG Bremen, B. v. 01.08.2011 – 2 B 133/11; B. v. 14.08.2007 – 1 B 302/07 – beide juris).

II. Die Beklagte war schließlich auch nicht gehalten, vor dem Entzug der Fahrerlaubnis zunächst ein erneutes medizinisch-psychologisches Gutachten anzufordern. Dies folgt bereits daraus, dass sich die mangelnde Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen aus dem in den Gutachten des TÜV-Süd und des TÜV-Nord dargestellten regelmäßigen Konsum von Cannabis ergibt, der vom Kläger auch nicht in Abrede gestellt wird. Im Übrigen folgt im Umkehrschluss zu §§ 46 Abs. 3, 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV, die für den Fall der Ungewissheit, ob weiterhin Betäubungsmittel konsumiert werden, die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens vorsehen, dass es vorliegend keiner weiteren Untersuchungen bedarf. Aus der Tatsache, dass das Gesetz nur für den Fall eine erneute medizinisch-psychologische Untersuchung vorsieht, in dem die Frage des „ob“ des Betäubungsmittelkonsums unklar ist, folgt im Gegenschluss, dass dies nicht gilt, wenn diese Frage bereits positiv beantwortet werden kann.

Damit lagen die Voraussetzungen dafür vor, ohne weitere Sachaufklärung die Fahrerlaubnis zu entziehen.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 ZPO.

Beschluss

Der Streitwert wird zum Zwecke der Kostenberechnung gem. § 52 Abs. 1, 2 GKG auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

 

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