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Fahrerlaubnisentziehung – Versäumnis eines Termins zur Urinabgabe

VG München, Az.: M 26 S 16.3208, Beschluss vom 14.09.2016

I. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen Nrn. 1, 2 und 5 des Bescheids vom 4. Juli 2016 wird wiederhergestellt bzw. angeordnet.

II. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller eine Bescheinigung über seine vorläufige Fahrberechtigung auszustellen.

III. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

IV. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Der Streitwert wird auf 8.750,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen A, A1, A2, AM, B, BE, C, CE, C1, C1E, L und T.

Der Antragsteller wurde mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts A… vom … November 2014 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Im Rahmen der zugrundeliegenden polizeilichen Ermittlungen wurde beim Antragsteller am … Dezember 2013 u.a. eine Haarprobe entnommen. Deren Analyse erbrachte den Nachweis von Kokain in geringer Menge (a… ng/mg in Abschnitt a und b… ng/mg in Abschnitt b), das ausweislich des Gutachtens der A… vom … Februar 2014 vollständig oder zumindest teilweise auch durch den Kontakt mit Betäubungsmitteln in die Haare gelangt sein könne. Die positiven Analyseergebnisse der Haarprobe zu THC (Gutachten A… vom …2.2014) und zu THC-COOH (Gutachten A… vom …3.2014) ließen den gutachterlichen Stellungnahmen zu Folge (nur) auf einen mehrfachen Konsum von Haschisch und/oder Marihuana schließen. Im Rahmen der öffentlichen Sitzung des Amtsgerichts A… am … November 2014 räumte der Kläger Konsum von Betäubungsmitteln bis … Dezember 2013 ein. Seitdem konsumiere er nicht mehr. Den Konsum von Kokain bezeichnete er als Ausrutscher.

Fahrerlaubnisentziehung - Versäumnis eines Termins zur Urinabgabe
Symbolfoto: Mirage3/Bigstock

Mit Schreiben vom … Mai 2015 forderte der Antragsgegner den Antragsteller zur Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens einer Begutachtungsstelle für Fahreignung auf. Die Richtigkeit der Abstinenzbehauptung sei mit den dafür in Betracht kommenden medizinischen und psychologischen Methoden zu überprüfen. Der Antragsteller werde daher zunächst aufgefordert, bis spätestens … Mai 2015 die Anmeldung zu einem Drogenkontrollprogramm (über ein Jahr, mindestens sechs Urinscreenings; bei Haaranalysen sei Rücksprache mit dem Landratsamt zu nehmen) vorzulegen. Nach erfolgreichem Abschluss werde er die Aufforderung zur medizinisch-psychologischen Untersuchung zu der Frage erhalten, ob er zukünftig Kokain einnehmen werde.

Der Antragsteller meldete sich am … Mai 2015 bei A… zu einem Abstinenzprogramm mit einer Laufzeit vom … Mai 2015 bis … Mai 2016 an und teilte dies der Fahrerlaubnisbehörde fristgemäß mit. Die ersten fünf Urinabgaben und -analysen verliefen unauffällig. Nachweise wurden jeweils vorgelegt. Am … Mai 2016 teilte der Antragsteller dem Antragsgegner mit, dass er den sechsten Urinabgabetermin am … April 2016 versäumt habe und erst am … April 2016 bei A… erschienen sei, da er sich – wie zuvor bei A… angekündigt – noch im Urlaub befunden habe. Laut A… habe er angegeben, sich nur bis zum … April 2016 im Urlaub zu befinden. Ein Gutachter von A… habe empfohlen, den Zeitraum zwischen fünfter Urinabgabe und sechstem Screeningtermin mit einer Haaranalyse zu kompensieren. Ihm werde von A… sodann ein Gesamtbericht ausgehändigt. Von Seiten des Antragsgegners wurden am … Juni 2016 telefonische Erkundigungen bei zwei anderen Begutachtungsstellen zu dieser Vorgehensweise eingeholt und sodann Bedenken gegen ein solches Verfahren gegenüber dem Antragsteller geäußert.

Nach Anhörung entzog der Antragsgegner dem Antragsteller mit Bescheid vom 4. Juli 2016 die Fahrerlaubnis aller Klassen (Nr. 1 des Bescheids), forderte ihn auf, den Führerschein oder eine eidesstattliche Versicherung über den Verbleib des Führerscheins innerhalb von sieben Tagen nach Zustellung des Bescheids abzugeben (Nr. 2) und drohte für den Fall der Nichtbefolgung der Aufforderung unter Nr. 2 ein Zwangsgeld von a… EUR an. Unter Nr. 4 ordnete er die sofortige Vollziehung der Nrn. 1 und 2 an. Nr. 5 des Bescheids enthält die Kostenentscheidung.

Die Entziehungsentscheidung wurde mit dem Abbruch des Drogenkontrollprogramms durch A… begründet. Der Abbruch sei vom Antragsteller zu verantworten, da er gegen Bedingungen des Kontrollprogramms verstoßen habe. Eine 12-monatige Abstinenz könne aufgrund des Fernbleibens beim angesetzten sechsten Urinscreening nicht mehr lückenlos belegt werden, was Grundvoraussetzung für eine positive Prognose bei der medizinisch-psychologischen Untersuchung sei. Ein sechstes Untersuchungsergebnis bzw. ein Abschlussbericht über das Drogenkontrollprogramm sei bislang nicht vorgelegt worden. Es sei auf die Nichteignung des Antragstellers gemäß §11 Abs. 8 Satz 1 FeV zu schließen.

Mit Schreiben vom 6. Juli 2016 legte der Bevollmächtigte des Antragstellers für diesen gegen den Bescheid vom 4. Juli 2016 Widerspruch ein.

Mit Schriftsatz vom … Juli 2016 beantragte der Bevollmächtigte des Antragstellers beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,

1. die sofortige Vollziehung des Bescheids vom 4. Juli 2016 auszusetzen und die aufschiebende Wirkung der Verfügung des Antragstellers herzustellen sowie

2. dem Antragsgegner aufzugeben, den vom Antragsteller abgegebenen Führerschein wieder zurückzugeben.

Zur Begründung führte er unter Vorlage von insgesamt neun Urinbefunden (darunter die fünf aus dem Drogenkontrollprogramm und weitere vom …2.2015, …5.2015, …6.2016, …6.2016 und …7.2016) im Wesentlichen aus, dass es zu der äußerst geringen Verzögerung beim sechsten Urinscreening urlaubsbedingt gekommen sei. Der Bevollmächtigte erklärte hierzu, dass der Antragsteller auch gegenüber dem Amtsgericht A… im Rahmen einer Bewährungsauflage verpflichtet gewesen sei, die Teilnahme an einem zweijährigen Drogenkontrollprogramm zu erfüllen. Der Antragsteller habe aus diesem Grund A… angewiesen, die Untersuchungsergebnisse jeweils an das Amtsgericht und das Landratsamt zu versenden. Beim Amtsgericht habe sich der Antragsteller wegen des beabsichtigten Urlaubs mit seiner Ehefrau vom … April 2016 bis zum … April 2016 schriftlich abgemeldet. Gegenüber A… habe er dies telefonisch erledigt, nachdem ihm mitgeteilt worden sei, dass ein Anruf ausreiche und die Abwesenheit vermerkt werde. Erst nach Rückkehr am … April 2016 habe der Antragsteller die SMS von A… empfangen können, wonach er am … April 2016 um a… Uhr für den … April 2016 um b… Uhr einbestellt worden sei. Eine Urinabnahme sei durch A… am … April 2016 nicht erfolgt, da Herr A… von A… das Programm als unterbrochen und beendet betrachtet habe. Der Antragsteller habe sich daraufhin an den Gutachter des A… Prof. B… (gemeint wohl Prof. Dr. C…) gewandt, der angeboten habe, eine Haarprobe durchzuführen. Eine angebotene Haaranalyse habe der Antragsgegner jedoch nicht als nachweiserbringend angesehen.

Die sofortige Entziehung treffe den Antragsteller unzumutbar. Er sei wegen seiner beruflichen Tätigkeit als A… und der Betreuung seiner zu 70 % schwerbehinderten Ehefrau auf den Führerschein angewiesen. Mit Schreiben vom … August 2016 legte der Bevollmächtigte des Antragstellers einen weiteren Urinbefund für das Amtsgericht A… vom … August 2016 vor.

Mit Schreiben vom … August 2016 erklärte der Antragsteller Bezug nehmend auf ein Telefongespräch mit der Fahrerlaubnisbehörde an „Eides Statt“, dass er sich seit … Juli 2016 nicht mehr im Besitz seines Führerscheins befinde. Er habe diesen per …-Einschreiben mit der Einlieferungsnummer … am … Juli 2016 an das Landratsamt geschickt. Diese Sendung sei laut … am … Juli 2016 eingegangen. Der Führerschein sei dort jedoch nicht auffindbar.

Mit Schriftsatz vom 8. August 2016 beantragte der Antragsgegner, den Antrag abzulehnen.

Es verwies zur Begründung u.a. darauf, dass ein sechster Urinbefund nicht nachgereicht worden sei und nachträglich gegenüber dem Amtsgericht erbrachte Abstinenzbelege nicht geeignet seien, das abgebrochene Drogenkontrollprogramm zu heilen. Diese entsprächen schon nicht den Anforderungen der Begutachtungsleitlinien bzw. Beurteilungskriterien. Ein einjähriger lückenloser Abstinenznachweis sei nicht erbracht. Es sei auch keine Bestätigung von A… vorgelegt worden, wonach der Antragsteller am Abbruch des Programms kein Verschulden trage.

Mit Schriftsatz vom … August 2016 legte der Bevollmächtigte des Antragstellers eine Kopie seiner an das Amtsgericht A… gerichteten Urlaubsabmeldung vom … April 2016 (eingegangen beim Amtsgericht am …4.2016) nebst seinerzeit übermittelten Flug- und Ticketdaten zu einem Hin- und Rückflug A…/B… vor.

Mit Schriftsatz vom … September 2016 ergänzte der Antragsgegner, dass A… am … September 2016 auf Anfrage mitgeteilt habe, dass sich der Antragsteller am … März 2016 telefonisch für den Zeitraum … April 2016 bis … April 2016 in den Urlaub abgemeldet habe. Dem Merkblatt des Labors, dessen Kenntnisnahme der Antragsteller durch Unterschrift bestätigt habe, sei zu entnehmen, dass Urlaub bzw. Abwesenheit mindestens drei Tage zuvor angekündigt werden müsse. Die Abmeldung sei somit schon verspätet erfolgt. Der Antragsteller habe zumindest fahrlässig gegen die Vertragsbedingungen verstoßen.

Mit Schriftsatz vom … September 2016 entgegnete der Bevollmächtigte des Antragstellers, dass dieser nicht den Zeitraum … April bis … April 2016 angegeben habe. Er habe den Rückflug aus dem Urlaub für den … April 2016 gebucht und entsprechend angegeben. Es sei nicht nachvollziehbar, warum der Antragsteller eine kürzere Urlaubsdauer hätte angeben sollen.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die Behördenakte verwiesen.

II.

Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hat im Wesentlichen Erfolg.

1. Der Antrag zu 1 ist im Sinne des § 88 VwGO dahingehend auszulegen, dass der Antragsteller die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die in Nrn. 1 und 2 des Bescheids vom 4. Juli 2016 enthaltenen Regelungen (zur Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit der Abgabeverpflichtung hinsichtlich des Führerscheins s. BayVGH, B.v. 22.9.2015 – 11 CS 15.1447 – juris) sowie die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs hinsichtlich der in Nr. 3 verfügten Zwangsgeldandrohung (s. Art. 21a des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes – VwZVG) und der im Bescheid enthaltenen Kostenentscheidungen unter Nr. 5 (s. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO) begehrt.

1.1. Der Antrag zu 1 ist wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, soweit die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Zwangsgeldandrohung in Nr. 3 des Bescheids begehrt wird. Der Antragsteller hat seinen Führerschein nach eigenen Angaben bereits abgegeben. Er ist zwar bei der Fahrerlaubnisbehörde, an die er gesandt worden sein soll, nicht auffindbar. Der Antragsteller hat jedoch nach telefonischer Rücksprache mit der Fahrerlaubnisbehörde im Sinne des § 5 Straßenverkehrsgesetz – StVG – an „Eides Statt“ versichert, dass er sich wegen des vorstehenden Sachverhalts nicht mehr im Besitz des Führerscheins befinde. Bei dieser Sachlage ist unabhängig davon, ob die förmlichen Anforderungen an eine Versicherung an Eides statt gemäß § 5 StVG erfüllt sind, nicht davon auszugehen, dass das angedrohte Zwangsgeld von Antragsgegnerseite noch beigetrieben werden wird (vgl. Art. 37 Abs. 4 Satz 1 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz).

1.2. Der Antrag zu 1 ist im Übrigen zulässig und begründet.

Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung von Widerspruch oder Klage ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. anordnen. Es trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung. Grundlage dieser Entscheidung ist eine Abwägung zwischen dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers und dem Vollzugsinteresse des Antragsgegners, wobei insbesondere die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu berücksichtigen sind (vgl. Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 72 ff.). Der für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgebliche Zeitpunkt ist vorliegend der Tag der Beschlussfassung des Gerichts, da der Antragsteller Widerspruch erhoben hat und das Verwaltungsverfahren somit noch nicht abgeschlossen ist.

Hier überwiegt das Vollzugsinteresse des Antragsstellers, da sein Widerspruch nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erforderlichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung voraussichtlich Erfolg haben wird. Der Bescheid vom 4. Juli 2016 erweist sich nach der gegenwärtigen Sach- und Rechtlage als rechtswidrig und verletzt den Antragsteller in seinen Rechten (s. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Wer Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis) einnimmt, ist im Regelfall zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht geeignet (§ 11 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Nr. 9.1 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV). Erweist sich der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, hat ihm die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen (§ 3 Abs. 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV). Mit der Entziehung erlischt die Fahrerlaubnis (§ 3 Abs. 2 StVG, § 46 Abs. 6 Satz 1 FeV). Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV). Nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV ist die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen, wenn zu klären ist, ob der Betroffene noch betäubungsmittelabhängig ist oder – ohne abhängig zu sein – weiterhin Betäubungsmittel einnimmt.

Wegen der seit dem Drogenkonsum verstrichenen Zeit und der Behauptung, seit … Dezember 2013 abstinent zu sein, ging der Antragsgegner zum Zeitpunkt der Gutachtensanordnung am … Mai 2016 im konkreten Fall in nicht zu beanstandender Weise nicht mehr ohne Weiteres von der Fahrungeeignetheit des Antragstellers aus. E hielt für den Nachweis der wiedererlangten Fahreignung zutreffend die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV und insoweit auch die Absolvierung eines Drogenkontrollprogramms, aus dem die Einhaltung eines Abstinenzzeitraums von einem Jahr geschlossen werden kann, für erforderlich.

Der Antragsgegner hat die Entziehung der Fahrerlaubnis auf § 11 Abs. 8 FeV gestützt, weil der Antragsteller im Rahmen des Drogenkontrollprogramms den Termin zur Abgabe der sechsten Urinprobe versäumte und die beauftragte Begutachtungsstelle A… das Drogenkontrollprogramm deshalb beendete. Auf diese Folge im Fall des Abbruchs des Drogenkontrollprogramms war der Antragsteller in der Anordnung vom … Mai 2015 auch hingewiesen worden. Nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde – ohne Ermessen – auf die Nichteignung eines Betroffenen zu schließen, wenn dieser sich weigert, sich im Falle von Fahreignungszweifeln untersuchen zu lassen, oder er das von der Fahrerlaubnisbehörde geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt. Der Schluss von der Nichtvorlage des Gutachtens auf die Nichteignung des Fahrerlaubnisinhabers setzt über den Wortlaut des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV hinaus die Rechtmäßigkeit, insbesondere die Anlassbezogenheit und Verhältnismäßigkeit der Anordnung der Untersuchung voraus (vgl. BVerwG vom 9.6.2005 – 3 C 25/04 – BayVBl 2006, 118).

Vorliegend kann dahinstehen, ob die Anordnung vom … Mai 2016, die im Ergebnis die isolierte Anordnung eines Drogenkontrollprogramms und nicht zugleich eine medizinisch-psychologischen Untersuchung fordert, sondern nur in Aussicht stellt, rechtmäßig ist. Insoweit wäre zumindest fraglich ist, ob die Anordnung geeignet war, die Einhaltung der Anforderungen aus § 11 Abs. 6 FeV, etwa im Hinblick auf die Fristsetzung oder die Erfordernisse die sich aus § 11 Abs. 6 Satz 4 FeV ergeben, zu gewährleisten. Unabhängig davon sind hier die Voraussetzungen des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV nicht als erfüllt anzusehen.

Da eine Vorlagefrist im Sinne der 2. Alternative des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV für die einzelnen Urinscreenings oder für einen etwaigen Abschlussbericht der Begutachtungsstelle im Schreiben vom … Mai 2016 nicht festgesetzt wurde (vgl. hierzu auch § 11 Abs. 6 Satz 2 FeV), scheidet es von vornherein aus, in diesem Sinne eine Säumnis des Antragstellers anzunehmen. Das Verstreichenlassen des Termins für das sechste Urinscreening kann in diesem konkreten Einzelfall aber auch nicht als Weigerung im Sinne der 1. Alternative des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV angesehen werden. Die Rechtsfolge des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV tritt zwar grundsätzlich auch dann ein, wenn der Betroffene gegen eine wesentliche Mitwirkungspflicht im Zusammenhang mit der Gutachtenserstellung verstoßen hat und beispielsweise zu einem Screeningtermin nicht erscheint. Der Schluss auf die Nichteignung ist jedoch trotz Vorliegens objektiver Tatsachen nur dann zulässig, wenn es für diese auf Seiten des Betroffenen keinen berechtigten Grund gibt. Die Regelung beruht nämlich auf der Überlegung, dass bei grundloser Weigerung die Vermutung berechtigt ist, der Betroffene wolle einen Eignungsmangel verbergen (s. Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, FeV, § 11 Rn. 51). So kann es einem Betroffenen insbesondere nicht zum Nachteil gereichen, wenn ihm eine Mitwirkungshandlung unverschuldet nicht möglich war. Ob ein entsprechender Vortrag in dieser Hinsicht den Tatsachen entspricht, hat die Fahrerlaubnisbehörde aufzuklären, wobei der Betroffene mitzuwirken hat.

Nach der gebotenen summarischen Prüfung spricht viel dafür, dass der Antragsteller wegen einer urlaubsbedingten Abwesenheit vom … April 2016 bis … April 2016 unverschuldet nicht in der Lage war, den Screeningtermin am … April 2016 wahrzunehmen bzw. reisebedingt auch nur rechtzeitig von der Einladung per SMS am … April 2016 zu erfahren. Nach dem gesamten Vortrag des Antragstellers und seines Bevollmächtigten sowie nach sonstiger Aktenlage ist derzeit nicht tatsachengestützt in Zweifel zu ziehen, dass sich der Urlaub des Antragstellers vom … April 2016 bis zum … April erstreckte. Hierfür sprechen nicht zuletzt die vom Bevollmächtigten übermittelten Flug- und Ticketdaten, die der Antragssteller seiner Abmeldung gegenüber dem Amtsgericht anfügte. Insoweit äußert auch der Antragsgegner keine Zweifel. Dass die Säumnis hinsichtlich des für den … April 2016 anberaumten Untersuchungstermins in vorwerfbarer Weise durch den Antragsteller verursacht wurde, indem er seine Abwesenheit nicht ordnungsgemäß angab, ergibt sich nach Auffassung des Gerichts derzeit nicht mit der erforderlichen Gewissheit. Es war daher auch nicht gerechtfertigt, das Drogenkontrollprogramm als abgebrochen anzusehen.

Der Antragsgegner verweist in diesem Zusammenhang zwar mit Recht darauf, dass der Antragsteller gegenüber der Begutachtungsstelle sein Einverständnis mit den Bedingungen des Kontrollprogramms erklärte und den Erhalt des hierzu ausgehändigten Merkblattes bestätigte. Das „Merkblatt für Fahreignungsbegutachtungen wegen des Konsums von Betäubungsmitteln und Alkohol“ enthält u.a. Hinweise zur rechtzeitigen Abmeldung bei Abwesenheit (mindestens drei Tage zuvor) und zum Abbruch des Programms bei unentschuldigter Terminsäumnis. Dem Antragsgegner ist auch darin zuzustimmen, dass es sich um eine Obliegenheit des Antragstellers handelte, von dem ihm unstreitig im Zusammenhang mit der Beauftragung der Begutachtungsstelle zugeleiteten und von ihm unterschriebenen Merkblatt Kenntnis zu nehmen und sich an die vereinbarten Bedingungen zu halten. Es müsste somit zu seinen Lasten gehen, wenn die Begutachtungsstelle das Drogenkontrollprogramm wegen der Nichteinhaltung der vereinbarten Bedingungen abbricht, worauf ebenfalls als Konsequenz im Falle eines solchen Fehlverhaltens hingewiesen wird. Es kann hier jedoch nicht als feststehend angenommen werden, dass der Antragsteller sich nicht in ausreichender Weise für die Abwesenheit bis zum … April 2016 entschuldigt hat, so dass auch dahinstehen kann, wie sich eine versehentliche Falschangabe des Abwesenheitszeitraums durch den Antragsteller auswirken würde. Denn eine falsche Angabe der Reisedaten durch den Antragsteller ist keinesfalls wahrscheinlicher, als die fehlerhafte Aufnahme der Daten im Telefonvermerk durch A…. Selbst wenn man annehmen würde, dass der Antragsteller den Reisebeginn bewusst und mit dem Risiko, noch kurzfristig zu einem Screening geladen zu werden, auf den … April 2016 datierte, um die im Merkblatt genannte Ankündigungsfrist von drei Tagen zu wahren, erklärt dies nicht die Angabe einer früheren Rückkehr. Die verspätete Abmeldung erst am … März 2016 war jedenfalls nicht ursächlich für die Versäumung des Termins. Bei der vorstehenden Sachlage, für die nicht ersichtlich ist, wie sie sich weiter aufklären ließe, war es aus Sicht des Gerichts nicht gerechtfertigt, das Drogenkontrollprogramm abzubrechen und in Konsequenz zu unterstellen, dass der Antragsteller einen Eignungsmangel zu verbergen beabsichtigte. Ein kurzfristig angekündigter sechster Urinabgabetermin hätte bis zum Ablauf des Drogenkontrollprogramms am … Mai 2016 wohl auch noch durchgeführt werden können.

Für die weitere Verfahrensweise ist in Bezug auf das Angebot des Antragstellers, eine Haaranalyse durchzuführen, und die ggf. mit A… zu klärende Frage, ob eine solche in Betracht kommt, um doch noch einen zusammenhängenden Abstinenzeitraum von einem Jahr nachzuweisen, auf folgende Aspekte aufmerksam zu machen: Schon die Anordnung vom … Mai 2015 sah – nach Rücksprache mit dem Landratsamt – die Möglichkeit vor, das geforderte Drogenkontrollprogramm in Form von Haaranalysen zu erbringen. Dem bereits erwähnten Merkblatt von A… ist zu entnehmen, dass eine längere Abwesenheit – bei vorheriger Vereinbarung – mit einer Haaranalyse überbrückt werden könne. Einer Haaranalyse steht aus Sicht des Gerichts auch nicht per se entgegen, dass auch bei einem negativen Befund ein einmaliger oder sehr seltener Konsum von Betäubungsmitteln während des in Rede stehenden Überprüfungszeitraums nicht ausgeschlossen werden könne. Denn dies trifft auch bei stichprobenartig durchgeführten sechs Urinanalysen während eines Jahres zu.

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass der Antragsteller nach Aktenlage schon vor dem … Mai 2015 und auch weiterhin Abstinenznachweise betreffend Kokain, Canabinoide und einer jeweils zufällig ausgewählten Substanzgruppe gegenüber dem Amtsgericht im Zusammenhang mit seiner Bewährungsauflage erbracht hat. Mit Ausnahme der vorgelegten Befunde vom … Juni 2016 und … Juni 2016 erfolgte die Einbestellung jeweils kurzfristig (innerhalb von 36 Stunden). Es ist nicht ersichtlich, dass die betreffenden Befunde nicht den Anforderungen der Nr. 2 b) der Anlage 4a zur FeV entsprächen.

Da die sofortige Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis der summarischen gerichtlichen Überprüfung nicht standhält, kann es auch nicht bei der in Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids enthaltenen fristmäßig konkretisierten Verpflichtung, den Führerschein abzuliefern, und beim Sofortvollzug der Kostenentscheidung verbleiben.

2. Der auf die Herausgabe des Führerscheins gerichtete Antrag zu 2 ist dahingehend zu verstehen, dass begehrt wird, die Vollzugsfolgen vorläufig zu beseitigen (s. § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO). Nachdem der Führerschein derzeit nicht auffindbar ist, ist dem nachzukommen, indem der Antragsgegner angewiesen wird, eine vorläufige Bescheinigung über die Fahrberechtigung des Antragstellers auszustellen (vgl. § 4 Abs. 2 StVG).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung hat ihre Grundlage in § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes – GKG – i.V.m. den Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Stand: 2013).

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