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Fahrerlaubnisentziehung und Führerscheinbeschlagnahme bei BAK unter 1,1 Promille.

Kein Entzug der Fahrerlaubnis nach Alkoholfahrt.

Die Staatsanwaltschaft Frankenthal (Pfalz) beantragte die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis und die Beschlagnahme der Fahrerlaubnis eines Beschuldigten, der mit 1,13 Promille und 1,23 Promille im Blut am Steuer erwischt wurde. Doch die Beamten konnten keine Ausfallerscheinungen während der Fahrt feststellen und auch der ärztliche Befund zeigte keine klaren Anhaltspunkte für Fahruntüchtigkeit. Das Gericht stellte fest, dass es im jetzigen Ermittlungsstadium an den erforderlichen dringenden Gründen für die Annahme fehlt, dass dem Beschuldigten im Hauptverfahren die Fahrerlaubnis nach § 69 StGB entzogen wird. Der Antrag wurde daher zurückgewiesen. Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte zeigt, dass es keinen Erfahrungssatz gibt, wonach ein Kraftfahrer bei einer BAK von rund 2 Promille oder mehr seine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit erkennt oder jedenfalls für möglich hält. Bei Überschreiten eines BAK von 1,1 Promille nach Alkoholgenuss bestehen jedoch hinreichende Beweisanzeichen für relative Fahruntüchtigkeit aufgrund gesicherter medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse. Insgesamt fehlten im vorliegenden Fall jedoch die nötigen Anhaltspunkte für Fahruntüchtigkeit, und somit wird nur eine Ordnungswidrigkeit angenommen.

Die betroffenen Rechtsbereiche in diesem Fall sind das Strafrecht (insbesondere § 316 StGB) und das Prozessrecht (insbesondere § 111a StPO und § 94 Abs. 3 StPO). Es geht um den Vorwurf der Trunkenheit im Verkehr und die vorläufige Entziehung sowie Beschlagnahme der Fahrerlaubnis. Es wird auch auf die medizinischen Aspekte der Feststellung der Fahrtüchtigkeit eingegangen.

AG Frankenthal – Az.: 4b Gs 1682/22 – Beschluss vom 03.08.2022

Der Antrag der Staatsanwaltschaft Frankenthal (Pfalz) vom 13.07.2022 auf Anordnung der vorläufigen Entziehung – zugleich Aberkennung des Rechts, von der Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen sowie Anordnung der Beschlagnahme gemäß § 94 Abs. 3 StPO – der Fahrerlaubnis des Beschuldigten wird zurückgewiesen.

Gründe

Mit Antrag vom 13.07.2022 (Bl. 32, 33) begehrt die Staatsanwaltschaft Frankenthal (Pfalz) die Anordnung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis des Beschuldigten … gem. § 111a StPO sowie die Anordnung der Beschlagnahme der Fahrerlaubnis gem. § 94 Abs. 3 StPO. Der Beschuldigte befuhr am 30.06.2022 gegen 08:25 Uhr mit dem Kfz amtliches Kennzeichen EF … die Straße Im Horst in M. auf das Firmengelände der Firma …. Nach dem Anhalten des Pkws beschrieben die Beamten in ihrer Mitteilung vom 15.07.2022: „Da keine Ausfallerscheinungen während der Fahrt festgestellt wurden, konnte der Anfangsverdacht nicht bestätigt werden.“ (Blatt 38). Eine um 08:30 Uhr durchgeführte AAK ergab einen Wert von 1,13 Promille eine weitere um 08:49 Uhr 1,23 Promille. Die um 09:43 Uhr durch den Arzt Dr. … entnommene Blutprobe ergab als Befund 1,07 Promille BAK, im ärztlichen Untersuchungsbogen findet sich als Befund „Keine Konsumzeichen, Drehnachnaystagmus > 10 Sekunden niederfrequent bei kleiner Auslenkung und sichererem Spitze-Hacke-Gang und sicherer Kehrwende sowie unsicherer Einbeinstehprobe und sicherer Finger-Finger und Finger-Nase Probe“ bei insgesamt ansonsten.o.p.B. und – widersprüchlich – „gering“ und „deutlich“ Beeinflussung durch Alkohol bei nicht vorhandenen Anhaltspunkten für die Beeinträchtigung der Willensfähigkeit (Blatt 8). Die Oberamtsanwältin bei der Staatsanwaltschaft Frankenthal (Pfalz) hat nach Gelegenheit zur Anhörung unter Hinweis darauf, dass keinerlei evidenten Feststellungen zur alkoholbedingten Beeinträchtigung der Fahrfähigkeit getroffen werden, unter dem 29.07.2022 an ihrem Antrag festgehalten.

Zur Sachverhaltsergänzung wird auf die Ermittlungsakte Bezug genommen.

II.

Unabhängig davon, dass der Antrag keine Feststellung zum subjektiven Moment, das heißt Fahrlässigkeit oder Vorsatz beinhaltet, ist Tathandlung des § 316 StGB das Führen eines Fahrzeuges im Zustand der (rauschbedingten) Fahruntüchtigkeit, die infolge des Genusses von Alkohol oder anderen berauschender Mittel eingetreten ist. Das ist rechtsfehlerhaft; denn es gibt, wie das OLG Koblenz mehrfach mit zutreffender Begründung entschieden hat (VRS 70, 11 = BA 1986, 151 = StVE § 316 StGB Nr. 71; OLG Koblenz, Urteil vom 27.05.1993 – 1 Ss 77/93), keinen Erfahrungssatz des Inhalts, daß ein Kraftfahrer bei einer hohen BAK – rund 2 Promille oder mehr – seine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit erkennt oder jedenfalls für möglich hält (vgl. etwa OLG Köln, DAR 1987, 157; OLG Hamm, NStE § 316 StGB Nr. 11; KG, VRS 80, 448 (449) = BA 1991, 186 (187); OLG Karlsruhe, NZV 1993, 117 (118) = NJW 1993, 1282 L; Hentschel/Born, Rdnrn. 346 bis 348; Cramer, in: Schönke/Schröder, StGB, 24. Aufl., § 316 Rdnr. 10; Rüth, in: LK, 10. Aufl., § 316 Rdnr. 95). Diese in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte einhellige Auffassung trägt den bei Trinkversuchen gewonnenen Erkenntnissen Rechnung, insbesondere dem Umstand, dass bei fortschreitender Trunkenheit die Kritik- und Erkenntnisfähigkeit abnimmt und der Alkoholisierte sich infolge alkoholischer Euphorie besonders leistungsfähig fühlt (Senat, VRS 70, 11 (12) = BA 1986, 151 (152) = StVE § 316 StGB Nr. 71; OLG Köln, VRS 72, 367 (369); KG, VRS 80, 448 (449) = BA 1991, 186 (187); Hentschel/Born, Rdnr. 347; Zink/Reinhardt/Schreiber, BA 1983, 508ff.; Teyssen, BA 1984, 179). Es ist allgemein anerkannt, dass bei Überschreiten eines BAK von 1,1 Promille nach Alkoholgenuss hinreichende Beweisanzeichen für die relative Fahruntüchtigkeit aufgrund gesicherter Medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse bestehen. Bei darunter liegenden Werten müssen getroffene Feststellungen die relative Fahruntüchtigkeit belegen. Relative Fahruntüchtigkeit liegt nach dem Genuss von Alkohol oder anderer berauschenden Mitteln im Sinne des § 316 StGB vor, wenn, abgesehen von der dadurch bewirkten Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit des Konsumenten, erst weitere festgestellte Tatsachen erweisen, dass der Genuss der Mittel zur dessen Fahruntüchtigkeit geführt hat (BGHSt 31,44 ff). Festgestellt werden muss ein erkennbares äußeres Verhalten, dass auf seine durch den Alkohol/Drogenkonsum hervorgerufene Fahruntüchtigkeit hindeutet. Als solche Ausfallerscheinungen die durch den Alkohol/Drogenkonsum zumindest mitverursacht sein müssen, kommen insbesondere in Betracht: Fahrfehler, Beeinträchtigung der Körperbeherrschung oder sonstiges Verhalten, die rauschbedingte Enthemmung und Kritiklosigkeit erkennen lässt. Derartige Ausfallerscheinungen müssen zweifelsfrei festgestellt werden. Der Beschuldigte wurde auch nicht etwa deshalb angehalten, weil sie in auffälliger Weise gefahren wäre. Auch die von den Polizeibeamten und den die Blutprobe entnehmende Arzt beobachteten psychischen/physischen Erscheinungen, nämlich „Keine Konsumzeichen, Drehnachnaystagmus > 10 Sekunden niederfrequent bei kleiner Auslenkung und sichererem Spitze-Hacke-Gang und sicherer Kehrwende sowie unsicherer Einbeinstehprobe und sicherer Finger-Finger und Finger-Nase Probe“ bei insgesamt ansonsten.o.p.B. und – widersprüchlich – „gering“ und „deutlich“ Beeinflussung durch Alkohol bei nicht vorhandenen Anhaltspunkten für die Beeinträchtigung der Willensfähigkeit sind keine aussagekräftigen Anhaltspunkte für das Vorliegen von Fahruntüchtigkeit. Zwar können die getroffenen Feststellungen Anzeichen für Alkohol/Drogenkonsum sein. Doch lässt sich daraus auch im Zusammenhang mit der mitgeteilten BAK noch kein verlässlicher Schluss auf (relative) Fahruntüchtigkeit ziehen, weil diese Feststellungen im Einzelfall noch nicht eine tatsächliche Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit bedeuten (vergleiche BGHSt 44,227 unter Hinweis auf die Begründung zum Regierungsentwurf betreffend die neue Fassung des § 24a OWiG – BT Drucksachen 13/3764 Seite 5). Das wäre nur dann der Fall, wenn Feststellungen hätten darüber getroffen werden können, wie sich diese bei dem 180 cm großen und 80 kg schweren Beschuldigten ausgewirkt haben und eine etwaige Kompensation möglich ist (BGH a.a.O.). Der klinische Befund des die Blutprobe entnehmenden Arztes ist wegen Fehlens von nachprüfbaren Maßstäben und der Abhängigkeit von der Übung hinsichtlich der subjektiven Einschätzung des Arztes nur von geringen Wert, kann aber mit der gebotenen Vorsicht und Zurückhaltung mitberücksichtigt werden (Hentschel Straßenverkehrsrecht 36. Auflage, § 316 StGB Randnummer 65; OLG Hamm VRs 37,48). Insbesondere verbietet es sich, aus der festgestellten Dauer des Drehnystagmus für den Beschuldigten nachteilige Schlüsse zur inneren Tatseite zu ziehen. Der Drehnystagmus ist ein mehr oder weniger lange dauerndes Augenzittern beim Fixieren eines Gegenstandes nach vorheriger mehrfacher Drehung des zu Untersuchenden um die Körperachse, das auch bei Nüchternen zu beobachten ist, sich unter Alkoholeinfluß jedoch regelmäßig verlängert oder verstärkt (vgl. Hentschel/Born, Rdnr. 210). Einen Beweiswert hat der Drehnystagmus nur für die Feststellung der relativen Fahruntüchtigkeit, dies auch nur dann, wenn ein sog. grobschlägiger Nystagmus ermittelt wurde und außerdem – ein auffällig langer Drehnystagmus muß nicht alkoholbedingt sein, sondern kann auch andere Ursachen haben – als Vergleichswert ein Nüchternbefund zur Verfügung steht, der nur unter Mitwirkung des zu Untersuchenden gewonnen werden kann (OLG Hamm, VRS 33, 442; OLG Köln, VRS 65, 440, OLG Zweibrücken, BA 1984, 534; ZfS 1990, 33; Heifer/Sellier/Kutzner, BA 1966, 556; OLG Koblenz: Vorsatz bei Trunkenheit im Verkehr NZV 1993, 444). Tatumstände, aus denen zulässigerweise auf einen Vorsatz des Beschuldigten hinsichtlich seiner Fahruntüchtigkeit geschlossen werden könnte, sind dem Antrag der Staatsanwaltschaft nicht zu entnehmen. Vorliegend ist insbesondere zu beachten, dass konkrete Fahrfehler des Beschuldigten nicht festgestellt sind. In der Gesamtwürdigung der Umstände sind die Feststellungen des Arztes bereits nicht hinreichend, erlauben aber, da es sich insoweit auch um hiervon unabhängige, situationsbedingte oder ständig gegebenen individuelle Eigenschaften des Beschuldigten handeln kann weder Einzeln noch in der Gesamtschau den zwingenden Schluss auf das Vorliegen von Psycho/physischen Beeinträchtigungen durch den Alkoholkonsum, die seine Fahrtüchtigkeit zur Tatzeitpunkt im Sinne des § 316 StGB aufgehoben haben. Danach fehlt es im jetzigen Ermittlungsstadium an den erforderlichen dringenden Gründen für die Annahme, dass dem Beschuldigten im Hauptverfahren die Fahrerlaubnis nach § 69 StGB entzogen werden wird, vielmehr ist die Annahme einer Ordnungswidrigkeit geboten.

Der Antrag unterlag daher der Zurückweisung.

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