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Fahrerlaubnisentziehung Trunkenheitsfahrt – Falsche Rechtsgrundlage in Gutachtensaufforderung

VG Bayreuth – Az.: B 1 S 20.1361 – Beschluss vom 29.12.2020

1. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Nrn. 1 und 2 des Bescheids der Stadt …… vom 23. November 2020 wird wiederhergestellt.

2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Der Streitwert wird auf 3.750,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis und der Untersagung zum Führen von fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen.

Der Antragsteller stimmte am 18. April 2011 dem Entzug der Fahrerlaubnis zu (Erklärung Blatt 50 der Behördenakte) und gab seinen Führerschein bei der Führerscheinstelle der Stadt S……… ab. Dem ging voraus, dass die Führerscheinstelle über einen Unfall des Antragstellers am 22. Oktober 2010 in Zusammenhang mit einem epileptischen Anfall informiert wurde. Er wurde deshalb zur Vorlage eines Gutachtens eines Facharztes für Neurologie und/oder Psychiatrie aufgefordert. Das Gutachten wurde zunächst nicht vorgelegt. Die Stadt S……… erteilte die Fahrerlaubnis am 3. November 2011 neu, nachdem ein Gutachten vom 2. November 2011 vorgelegt wurde. In diesem Gutachten bestätigte Professor Dr. Dr. med. K. die Fahreignung trotz epileptischer Erkrankung, machte aber zur Auflage, dass das Medikament Lamotrigin 200 mg regelmäßig eingenommen werde und halbjährlich neurologische Kontrolluntersuchungen erfolgen würden.

Am 3. November 2011 unterzeichnete der Antragsteller eine Einverständniserklärung (Blatt 76 der Behördenakte) mit folgendem Wortlaut: „Unter Berücksichtigung der für die Fahreignung maßgebenden Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahreignung wird seitens der Führerscheinstelle als Sicherungsmaßnahme festgelegt, über die ½ jährlich durchgeführte neurologische Kontrolluntersuchung zu berichten. Die diesbezüglichen Untersuchungsergebnisse inkl. einer Stellungnahme bezüglich meiner weiteren Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen der Klassen B, M, S und L werde ich zunächst in ½ jährlichen Abständen der Führerscheinstelle vorlegen. Als Vorlagetermin wird jeweils der 02.05. und 02.11. eines Jahres, beginnend am 02.05.2012 bestimmt. Ich nehme zur Kenntnis, dass eine umfassende Eignungsprüfung unumgänglich ist, sollte ich diese Nachweise nicht oder nicht fristgerecht vorlegen. Außerdem muss ich bei Verschlechterung meiner Krankheit ebenfalls mit einem erneuten Überprüfungsverfahren rechnen.“ Auf die Zustellung eines förmlichen Bescheids wurde verzichtet.

Es folgten zahlreiche Folgegutachten. Als Wiedervorlage für ein neues Folgegutachten war der 18. November 2020 bestimmt (Schreiben der Stadt S……… vom 4. Dezember 2019, Blatt 115 der Behördenakte).

Die Führerscheinstelle der Stadt S……… erfuhr zudem von einer Trunkenheitsfahrt des Antragstellers mit dem Fahrrad am 4. April 2014 mit 1,8 Promille. Laut FAER-Behördenauskunft (Blatt 192 der Behördenakte) wurde die Tat wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr mit 20 Tagessätzen zu 20 EUR geahndet (Entscheidung vom 27. Mai 2014, rechtskräftig seit 2. Juni 2014, Datum der Tilgung 2. Juni 2019). Nach Aufforderung ließ der Antragsteller ein medizinisch-psychologisches Gutachten (MPU) durch die ………………… anfertigen (vom 29. Juli 2015), welches zu dem Ergebnis kam, dass bei dem Antragsteller keine körperlichen und/oder geistigen Beeinträchtigungen vorliegen würden, die mit einem unkontrollierten Konsum von Alkohol in Zusammenhang gebracht werden können. Es sei nicht zu erwarten, dass das Führen von fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden könne. Selbiges gelte für fahrerlaubnispflichtige Fahrzeuge. Die Stadt S……… bestätigte mit Schreiben vom 19. August 2015 die Kraftfahreignung in Bezug auf die Trunkenheitsfahrt am 4. April 2014.

Die Polizeiinspektion………… informierte die Führerscheinstelle der Stadt S……… darüber, dass der Antragsteller am 24. Januar 2019 um 00.50 Uhr trotz eines Atemalkoholwertes von 1,35 mg/l ein Fahrrad geführt habe. Er sei aufgrund unsicherer Fahrweise einer Kontrolle unterzogen worden. Er sei in Schlangenlinien gefahren und habe dafür 1,5 m der Fahrbahn benötigt.

Die Blutentnahme im Klinikum …… am 25. Januar 2019 um 01.11 Uhr ergab einen Blutalkoholwert von 2,88 Promille. Die Trunkenheitsfahrt wurde mit Strafbefehl des Amtsgerichts …… vom 28. Mai 2019, rechtskräftig seit 13. Juni 2019, als fahrlässige Trunkenheit im Verkehr mit einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu 50 EUR geahndet. Zudem wurde im Strafbefehl ausgeführt: „Wegen folgender Straftat(en) wurde weder eine Fahrerlaubnismaßnahme noch ein Fahrverbot ausgesprochen: fahrlässige Trunkenheit im Verkehr.“ Es wurden 2 Punkte im Fahreignungsregister eingetragen.

Mit Schreiben vom 4. Dezember 2019 nahm die Stadt S……… auf § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b und c FeV Bezug und erklärte, dass die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens erforderlich sei, wenn wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen würden oder ein Fahrzeug mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr geführt worden sei. Es wurden die beiden Trunkenheitsfahrten am 4. April 2014 und am 24. Januar 2019 geschildert. Die Teilnahme am Straßenverkehr in erheblich alkoholisiertem Zustand stelle mit jedem Fahrzeug eine gravierende Gefahr für die Sicherheit im Straßenverkehr dar. Eine Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr begründe den Verdacht eines die Fahreignung ausschließenden Alkoholmissbrauchs. Wegen der Epilepsieerkrankung stelle sich die Frage, ob ein Alkoholmissbrauch im medizinischen Sinne mit der bestehenden Epilepsieerkrankung zur Fahrungeeignetheit führen könne. Auf Grund der wiederholten Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss (4. April 2014 und 24. Januar 2019) und der hohen Blutalkoholkonzentration von 2,88 Promille bei der letzten Trunkenheitsfahrt mit dem Fahrrad am 24. Januar 2019 bestünden hinsichtlich der Eignung zum Führen von fahrerlaubnisfreien und –pflichtigen Fahrzeugen erhebliche Bedenken. Es sei deshalb nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b und c FeV und Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV zur Ausräumung der dadurch bestehenden Zweifel an der Fahreignung eine Fahreignungsbegutachtung erforderlich. Der Antragsteller werde gebeten, sich bis zum 28. Februar 2020 einer medizinisch-psychologischen Untersuchung zu unterziehen und ein entsprechendes Gutachten einer amtlichen Begutachtungsstelle für Fahreignung zur Fahrtauglichkeit vorzulegen. Es sei folgende Frage zu klären:

„Liegen körperliche und/oder geistige Beeinträchtigungen vor, die mit einem unkontrollierten Konsum von Alkohol in Zusammenhang gebracht werden können? Ist insbesondere nicht zu erwarten, dass das Führen von fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden kann? Ist auch nicht zu erwarten, dass das Führen von fahrerlaubnispflichtigen Fahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden kann?“

Es werde darauf hingewiesen, dass das Gutachten von jeder amtlich anerkannten Gutachterstelle erstellt werden könne. Auf die beiliegende nicht abschließende Aufstellung werde verwiesen. Auf die Möglichkeit zur Einsichtnahme in die Unterlagen und auf § 11 Abs. 8 FeV (Schluss auf die Nichteignung bei Nichtvorlage des Gutachtens) wurde hingewiesen.

Ein Gutachten wurde nicht vorgelegt.

Nach Wohnsitzwechsel hörte die Stadt…… den Antragsteller zum beabsichtigten Entzug der Fahrerlaubnis mit Schreiben vom 7. August 2020 an.

Der Bevollmächtigte des Antragstellers äußerte hierauf, dass der Antragsteller die MPU-Aufforderung nicht erhalten habe. Das Amtsgericht habe von Fahrerlaubnismaßnahmen Abstand genommen.

Nach Hinweis der Stadt ……, dass die Zustellung der Aufforderung durch Postzustellungsurkunde nachgewiesen worden sei, nahm der Bevollmächtigte Einsicht in die Führerscheinakte (Empfangsbekenntnis vom 25. August 2020 – Blatt 213 der Behördenakte) und erwiderte mit Schreiben vom 26. August 2020, dass es sich bei der Anschrift auf der Postzustellungsurkunde um die der Eltern des Antragstellers handele. Der Antragsteller könne wegen häufiger Unregelmäßigkeiten bei Postsendungen nur vermuten, dass der Zusteller das Schreiben versehentlich bei einem Nachbarn eingeworfen habe oder es von seinen Eltern versehentlich entsorgt worden sei, da es zwischen Werbung gerutscht sei. Da der Antragsteller nunmehr erstmals von der Aufforderung der MPU Kenntnis erhalten habe, sei er bereit diese zu absolvieren. Es werde jedoch um nochmalige Überprüfung gebeten. Die Strafrichterin habe vermerkt, dass keine Fahrerlaubnismaßnahme auszusprechen sei. Dies sei für die Verwaltungsbehörde bindend.

Laut Aktenvermerk der Stadt …… über ein Telefonat am 31. August 2020 mit dem Bevollmächtigten des Antragstellers ist ausgeführt:

„Auf Rückfrage bejahte Herr Rechtsanwalt G. die Bereitschaft von Herrn D., die MPU absolvieren zu wollen. Zu Recht gibt der Anwalt an, dass die Tat vor mehr als 1 ½ Jahren war. Dennoch muss beachtet werden, dass sowohl die 1. Trunkenheitsfahrt aus 2014 und die Tat aus 2019 beide noch im FAER eingetragen und somit verwertbar sind. Zudem liegt bei Herrn D. eine Grunderkrankung vor, welche in Zusammenhang mit Alkohol auch Eignungszweifel begründet. …Eine Fristverlängerung zur Vorlage des MPU-Gutachtens bis zum 15. November 2020 im Rahmen des rechtlichen Gehörs wurde vorgeschlagen und von Herrn Rechtsanwalt G. angenommen. … Es wurde vereinbart, dass eine neue Einverständniserklärung – mit der Bitte zur Vorlage bis zum 15.10.2020 – zugesandt wird, sowie zusätzliches Infomaterial.“

Im Schreiben der Stadt …… vom 2. September 2020 wurde die Frist zur Vorlage des Gutachtens bezugnehmend auf das Telefonat vom 31. August 2020 und die Mitteilung, dass der Antragsteller bereit sei, die mit Schreiben der Stadt S……… vom 4. Dezember 2019 geforderte MPU zu absolvieren bis zum 15. November 2020 verlängert. Um Vorlage der Einverständniserklärung bis zum 15. Oktober 2020 wurde gebeten. Hinsichtlich der zu klärenden Eignungszweifel, der daraus resultierenden Fragestellung und der fahrerlaubnisrechtlichen Erfordernis der MPU werde auf die Aufforderung vom 4. Dezember 2019 verwiesen. Es wurde Infomaterial zwecks MPU-Vorbereitung mitversandt.

Mit Telefax vom 15. Oktober 2020 bat der Bevollmächtigte des Antragstellers um nochmalige Überprüfung der Maßnahme. Die Tat liege zwischenzeitlich 20 Monate zurück, es gebe keine weiteren Auffälligkeiten. Auch liege kein Eintrag im Zentralregister in Flensburg vor. Zudem habe es sich nur um eine kurze Fahrstrecke gehandelt, bei der es zu keiner Gefährdung gekommen sei. Es habe kein Alkoholkonsum in Zusammenhang mit fahrerlaubnispflichtigen Fahrzeugen stattgefunden. Nachdem der Vorgang sich vor mehr als 20 Monaten ereignet habe, dürfte jedenfalls jetzt die Anordnung einer MPU nicht mehr gerechtfertigt sein.

Die Stadt …… bat mit Schreiben vom 16. Oktober 2020 um Vorlage der Einverständniserklärung bis zum 23. Oktober 2020. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass an der Forderung des Eignungsnachweises für Kraftfahrzeuge und fahrerlaubnisfreie Fahrzeuge, wie von der Stadt S……… mit Anordnung vom 4. Dezember 2019 gefordert, festgehalten werde, da die Trunkenheitsfahrt bis zum 13. Juni 2024 verwertbar sei.

Der Bevollmächtigte des Antragstellers vertrat mit Schreiben vom 23. November 2020 die Ansicht, dass die Voraussetzungen für eine Entziehung nicht vorlägen, da der Vorfall mehr als zwei Jahre zurückliege. Der Antragsteller sei nur wenige Meter mit dem Fahrrad ohne Fremdgefährdung gefahren. Der vorfallfreie Zeitraum von 2014 bis zum 24. Januar 2019 bestätige, dass ein Trennungsvermögen beim Antragsteller vorhanden sei. Das Amtsgericht …… habe ausdrücklich von Fahrerlaubnismaßnahmen Abstand genommen. Das am 5. November 2020 begonnene Abstinenzprogramm beim TÜV SÜD belege eine Alkoholabstinenz für die rückwirkenden 2 Jahre.

Mit Bescheid vom 23. November 2020 entzog die Stadt …… die Fahrerlaubnis des Antragstellers und untersagte das Führen von fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen aller Art (Nr. 1). Der Antragsteller wurde aufgefordert, seinen Führerschein binnen einer Frist von 5 Tagen nach Zustellung des Bescheids bei der Stadt …… abzugeben (Nr. 2). Sollte der Antragsteller der Verpflichtung in Nr. 2 des Bescheids nicht nachkommen, wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 500 EUR angedroht (Nr. 3). Die sofortige Vollziehung der Nrn. 1 und 2 wurde angeordnet (Nr. 4). Die Trunkenheitsfahrt vom 24. Januar 2019 stelle eine Tatsache dar, welche für sich allein Fahreignungszweifel begründe. Auch als Fahrradfahrer müsse man sich an die gesetzlichen Vorgaben im Straßenverkehr halten. Trotz Angabe einer Trink- und Verhaltensänderung im MPU-Gutachten aus dem Jahr 2015 sei der Antragsteller wieder mit Alkohol im Straßenverkehr auffällig geworden. Zudem bestehe aufgrund der Epilepsieerkrankung nur eine bedingte Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen. Die Fähigkeit mit über 1,6 Promille noch ein Fahrzeug zu führen, weise auf eine überdurchschnittliche Alkoholgewöhnung hin. Bei dieser Alkoholmenge wären erhebliche Ausfallerscheinungen zu erwarten, der Antragsteller sei aber nur in Schlangenlinien gefahren. Wer ein Fahrrad unter diesen Bedingungen ausbalancieren und sich noch einigermaßen orientieren könne, leide an einer ausgeprägten Alkoholproblematik. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchstaben a, c, q und y StVG i.V.m. § 46 Abs. 3 FeV i.V.m. § 3 Abs. 2 FeV i.V.m § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe c FeV sei zwingend eine medizinisch-psychologische Untersuchung anzuordnen. Das Gutachten sei auch wegen des Verdachts des Alkoholmissbrauchs gem. § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe b FeV i.V.m. Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV zu fordern, da wiederholt Zuwiderhandlungen unter Alkoholeinfluss begangen worden seien. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof habe für die Verwertbarkeit von Eintragungen im Fahreignungsregister auf die Verwertungsvorschriften des Straßenverkehrsgesetzes abgestellt. Die Trunkenheitsfahrt vom 24. Januar 2019 sei daher verwertbar. Auch sollte im Rahmen der Begutachtung geklärt werden, ob ein Zusammentreffen von Alkoholmissbrauch im medizinischen Sinne mit der bestehenden Epilepsieerkrankung zur Fahrungeeignetheit führen könne. Gemäß den Ausführungen der Landgerichtsärztin Dr. H. (Anklageschrift der Staatsanwaltschaft vom 12. Mai 2011) seien die epileptischen Anfälle jedes Mal durch zu wenig Schlaf und zu viel Alkoholkonsum ausgelöst worden. Das geforderte Gutachten sei nicht vorgelegt worden. Auch die Folgegutachten hinsichtlich der Epilepsieerkrankung seien nicht vorgelegt worden. Die Vorlagefrist für ein Gutachten könne nicht so lange verlängert werden bis eine positive Begutachtung vorliege. Die Stadt …… gehe von einer ordnungsgemäßen Zustellung der MPU-Aufforderung vom 4. Dezember 2019 aus. Die Zustellung sei in der Zustellungsurkunde am 7. Dezember 2019 vermerkt worden. Der am 5. November 2020 geschlossene Vertrag mit der TÜV SÜD Life Service GmbH über ein Abstinenzkontrollprogramm für 6 Monate sei ein in die Zukunft gerichteter Nachweis der Alkoholabstinenz. Eine rückwirkende Abstinenz für 2 Jahre könne damit nicht nachgewiesen werden. Gemäß § 46 Abs. 3 FeV i.V.m. § 3 Abs. 2 FeV und § 11 Abs. 8 FeV könne auf die Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen und fahrerlaubnispflichtigen Fahrzeugen geschlossen werden, da das Fahreignungsgutachten nicht beigebracht worden sei.

Mit Schreiben vom 2. Dezember 2020, eingegangen beim Verwaltungsgericht Bayreuth am 3. Dezember 2020, ließ der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten Klage gegen den Bescheid erheben (B 1 K 20.1362) und mit weiterem Schreiben beantragen, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.

Es sei rechtswidrig bei einem Zeitablauf von einem Jahr und zehn Monaten nach einer kurzen Fahrt mit dem Fahrrad einen Sofortvollzug anzuordnen. Aufgrund des Zeitablaufs seien die Voraussetzungen für den Sofortvollzug nicht gegeben. Auch in der Hauptsache sei die Klage begründet, da das Amtsgericht …… im Strafbefehl eine Entziehung der Fahrerlaubnis geprüft habe und im Strafbefehl festgelegt habe, dass weder eine Fahrerlaubnismaßnahme noch ein Fahrverbot wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr auszusprechen sei. Seit dem Vorfall habe der Antragsteller seinen Alkoholkonsum eingestellt. Er habe zum Nachweis der Alkoholabstinenz ein Abstinenzkontrollprogramm begonnen. Bei der Benutzung von motorisierten Fahrzeugen habe der Antragsteller nie Alkohol zu sich genommen.

Der Antragsteller gab seinen Führerschein am 8. Dezember 2020 bei der Stadt …… ab.

Mit Schreiben vom 9. Dezember 2020 beantragte die Stadt ……, den Antrag abzulehnen.

Der Antragsteller habe weder die Fahreignungszweifel im Hinblick auf seinen Alkoholkonsum noch auf seine Epilepsieerkrankung ausgeräumt. Wegen § 11 Abs. 8 FeV müsse auf die Nichteignung geschlossen werden. Es folgen Ausführungen zum Sofortvollzug und zum Verhältnis von Strafbefehl und Verwaltungsverfahren. Die rechtskräftige Trunkenheitsfahrt aus dem Jahr 2019 sei noch bis zum 13. Juni 2024 verwertbar. Die Voraussetzungen des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c. FeV lägen vor. Dieser regele das Erfordernis einer MPU ungeachtet der Fahrzeugart (BayVGH, B.v. 24.10.2018 – 11 CS 18.203). Das vom Antragsteller begonnene Abstinenzprogramm ab dem 5. November 2020 sei nicht geeignet die Fahreignung nachzuweisen oder eine MPU zu ersetzen. Eine Bestätigung für die Vergangenheit (insbesondere seit dem 24. Januar 2019 bis zum 5. November 2020) sei nicht ersichtlich.

Mit Schreiben vom 21. Dezember 2020 ließ der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten äußern, dass der Zeitablauf von fast 2 Jahren zu berücksichtigen sei. Eine Entziehung der Fahrerlaubnis sei unverhältnismäßig. Soweit auf die Epilepsieerkrankung abgestellt werde, so sei der Bescheid hierauf nicht gestützt worden. Zudem hätte der Antragsteller durch Arztgutachten belegt, dass keine medizinischen Gründe gegen die Fahreignung sprechen würden. Als Anlagen sind ärztliche Bescheinigungen vom 20. April 2017, 30. Mai 2018, und 18. November 2019 beigefügt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die übermittelte Behördenakte Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO analog).

II.

Das Gericht legt den Antrag des Antragstellers sinngemäß so aus (§ 122 Abs. 1, § 88 VwGO), dass die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Nrn. 1 und 2 des Bescheids der Stadt …… vom 23. November 2020 begehrt wird. Einem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die in Nr. 3 des angefochtenen Bescheids enthaltene Zwangsgeldandrohung würde entgegenstehen, dass der Führerschein bereits abgegeben wurde und für einen solchen Antrag daher das Rechtsschutzbedürfnis fehlt.

Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig und begründet.

Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. anordnen. Bei der Entscheidung hat das Gericht entsprechend § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung abzuwägen.

1. Ausgehend von den oben genannten Grundsätzen ist nach summarischer Prüfung der Hauptsache, wie sie im Sofortverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO erforderlich und ausreichend ist, festzustellen, dass der Bescheid vom 23. November 2020 in den Nrn. 1 und 2 rechtswidrig ist und den Antragsteller in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), weil die Antragsgegnerin nicht gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV) auf die Nichteignung des Antragstellers zum Führen von Fahrzeugen schließen durfte.

a) Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) und § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV gilt dies insbesondere dann, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur FeV vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung des Fahrerlaubnisinhabers begründen, kann die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens anordnen (§ 46 Abs. 3 i.V.m. § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV). Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung bestehen insbesondere, wenn Tatsachen bekannt werden, die auf eine Erkrankung oder einen Mangel nach Anlage 4 oder 5 hinweisen (§ 11 Abs. 2 Satz 1 FeV). Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf sie bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen, wenn sie ihn hierauf bei der Anordnung zur Beibringung des Gutachtens hingewiesen hat (§ 11 Abs. 8 FeV).

Der Schluss auf die Nichteignung des Betroffenen im Fall der Nichtbeibringung eines Gutachtens gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV ist nur zulässig, wenn die Anordnung zur Gutachtensbeibringung rechtmäßig war, wenn also die rechtlichen Voraussetzungen für die Anordnung erfüllt sind und die Anordnung auch im Übrigen den Anforderungen des § 11 FeV entspricht. Voraussetzung ist insbesondere, dass die Anordnung zur Beibringung des Gutachtens anlassbezogen und verhältnismäßig erfolgt ist. Der Betroffene muss der Gutachtensaufforderung entnehmen können, was ihr konkreter Anlass ist und ob das Verlautbarte die behördlichen Zweifel an seiner Fahreignung zu rechtfertigen vermag (vgl. Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2019, § 11 FeV Rn. 55).

An die Rechtmäßigkeit der Gutachtensaufforderung sind auch formal strenge Maßstäbe anzulegen, weil der Antragsteller die Gutachtensaufforderung mangels Verwaltungsaktqualität nicht direkt anfechten kann. Er trägt das Risiko, dass ihm gegebenenfalls die Fahrerlaubnis bei einer Weigerung deswegen entzogen wird. Der Gutachter ist an die Gutachtensaufforderung und die dort formulierte Fragestellung sowie die genannten Rechts- und Beurteilungsgrundlagen gebunden. Es ist gemäß § 11 Abs. 6 FeV Aufgabe der Fahrerlaubnisbehörde und nicht Aufgabe des Gutachters oder des Antragstellers, die Beurteilungsgrundlage und den Beurteilungsrahmen selbst klar und fehlerfrei festzulegen (vgl. BVerwG, B.v. 5.2.2015 – 3 B 16/14 – Buchholz 442.10 § 2 StVG Nr. 21 mit Anmerkung Liebler, BayVGH, B.v. 25.7.2016 – 11 CS 16.1256 – juris).

b) Die Gutachtensaufforderung vom 4. Dezember 2019 in der Gestalt, die sie durch die mit dem Bevollmächtigten des Antragstellers geschlossene Vereinbarung am 31. August 2020 bekommen hatte, war unter anderem auf die Rechtsgrundlage des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV, also auf die Annahme der wiederholten Zuwiderhandlung im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss gestützt. Es wurde hierzu auf die Trunkenheitsfahrten am 4. April 2014 und am 24. Januar 2019 Bezug genommen. Dies war deshalb rechtswidrig, da die Trunkenheitsfahrt am 4. April 2014 zum maßgeblichen Zeitpunkt (der Aufforderung für die Beurteilung der Kraftfahreignung bzw. zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts betreffend die Untersagung des Führens von fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen) nicht mehr verwertbar war und es sich somit nicht um eine wiederholte Zuwiderhandlung im Straßenverkehr im Sinne von § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV handelte. Die Gutachtensaufforderung wurde somit auf eine falsche Rechtsgrundlage gestützt.

(1) Die Ahndung der Tat vom 4. April 2014 erfolgte durch Entscheidung vom 27. Mai 2014, rechtskräftig seit 2. Juni 2014.

Gemäß § 65 Abs. 3 Nr. 3 StVG in der Fassung vom 28. November 2016 gilt, dass die Regelungen über das Verkehrszentralregister und das Punktsystem in die Regelungen über das Fahreignungsregister und das Fahreignungs-Bewertungssystem nach folgenden Maßgaben überführt werden: Auf Entscheidungen, die bis zum Ablauf des 30. April 2014 begangene Zuwiderhandlungen ahnden und erst ab dem 1. Mai 2014 im Fahreignungsregister gespeichert werden, sind dieses Gesetz und die auf Grund des § 6 Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe s erlassenen Rechtsverordnungen in der ab dem 1. Mai 2014 geltenden Fassung anzuwenden.

Die Tilgungsfrist der Eintragung begann nach § 29 Abs. 4 Nr. 3 StVG in der Fassung vom 28. August 2013 (gültig ab 1. Mai 2014 bis 4. Dezember 2014) mit dem Tag der Rechtskraft der Entscheidung, mithin am 2. Juni 2014, so dass aufgrund der fünfjährigen Tilgungsfrist des § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. a StVG diese am 2. Juni 2019 zu tilgen war.

Nach der Rechtsprechung wird für die Beurteilung der wiederholten Gefährdung des Straßenverkehrs auf die Tilgungs- und Verwertungsbestimmungen zurückgegriffen (z.B. Saarl. OVG, B.v. 5.2.2018 – 1 B 12/18 – juris Rn. 3). Ist eine von zwei alkoholbedingten Auffälligkeiten getilgt und damit nicht verwertbar, ist § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV mangels wiederholter Zuwiderhandlung nicht anwendbar (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Auflage 2019, § 13 FeV Rn. 22 f.).

(2) Maßgeblicher Zeitpunkt für die Frage, ob wiederholte Trunkenheitsfahrten vorliegen und somit die Frage der Verwertbarkeit ist für die Beurteilung der Kraftfahreignung der Zeitpunkt der Gutachtenanforderung. Eine spätere Tilgung ändert hieran nichts (Siegmund in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. Stand: 12.10.2020, § 13 FeV Rn. 59 und Saarl. OVG, B.v. 5.2.2018 – 1 B 12/18 – juris Rn. 5).

Vorliegend ist nicht auf den Zeitpunkt der Aufforderung durch die Stadt S……… (am 4. Dezember 2019) abzustellen, sondern auf die erneute Vereinbarung der Stadt …… im Gespräch mit dem Bevollmächtigten des Antragstellers am 31. August 2020.

Die Antragsgegnerin hat sich im Verwaltungsverfahren auf den Vortrag des Antragstellers eingelassen, dass die Gutachtensaufforderung vom 4. Dezember 2019 nicht zugegangen ist. Im Rahmen eines Telefonats am 31. August 2020 mit dem Bevollmächtigten des Antragstellers wurde vereinbart, dass der Antragsteller eine MPU absolvieren wird. Nach dem objektiven Empfängerhorizont musste sich dieses Gespräch so darstellen, dass es sich nicht um eine bloße Fristverlängerung handelte (die die Behörde grundsätzlich auch noch nach Ablauf der Frist gewähren kann), da im hier vorliegenden speziellen Ausnahmefall eine andere örtlich zuständige Behörde handelte. Zudem musste sich auf Grund des Ablaufs des Gesprächs, welcher in der Aktennotiz festgehalten ist, der Sachverhalt für den Bevollmächtigten des Antragstellers so darstellen, dass es sich um eine neue Vereinbarung handelte, da die Stadt …… in dem Gespräch eine eigene Sachprüfung angestellt und dabei ausdrücklich beide Trunkenheitsfahrten gewürdigt hat. Da der Antragsteller zuvor um erneute Sachprüfung durch die neu zuständige Behörde gebeten hatte, kann nicht davon ausgegangen werden, dass es vorliegend nur um eine bloße Fristverlängerung ging. Die telefonische Vereinbarung, die durch das nachfolgende Schreiben der Stadt …… vom 2. September 2020 bestätigt wurde, stellt somit eine neue Aufforderung zur Vorlage eines Gutachtens dar.

Eine Gutachtensaufforderung im Sinne des § 11 Abs. 8 FeV liegt auch dann vor, wenn die Fahrerlaubnisbehörde statt einer förmlichen Anordnung den Weg einer Vereinbarung mit dem Betroffenen wählt; die Anwendung des § 11 Abs. 8 setzt aber voraus, dass seine Voraussetzungen von der Fahrerlaubnisbehörde auch in diesem Fall beachtet worden sind (Siegmund in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. Stand: 16.10.2020, § 11 FeV Rn. 124).

(3) Da die Tat vom 4. April 2014 am 2. Juni 2019 zu tilgen war, lag zum Zeitpunkt der neuen Gutachtensanforderung durch die Stadt…… am 31. August 2020 nur eine verwertbare Trunkenheitsfahrt vor. Die Aufforderung, ein Gutachten beizubringen, das sich mit der Frage der wiederholten Zuwiderhandlung im Straßenverkehr unter Einbeziehung dieser Tat auf der Grundlage des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV erstrecken soll, ist rechtswidrig, da die Tat dem Antragsteller nicht mehr vorgehalten werden darf.

Angemerkt wird, dass selbst wenn man für die Frage der Verwertbarkeit auf die spätere Löschung der Eintragung abstellen würde (§ 29 Abs. 6 Satz 2 StVG: Eine Eintragung nach § 28 Abs. 3 Nr. 1 oder 3 StVG wird nach Eintritt der Tilgungsreife erst nach einer Überliegefrist von einem Jahr gelöscht), die Tat auch dann zum Zeitpunkt der Vereinbarung am 31. August 2020 nicht mehr verwertbar gewesen ist.

(4) Der Schluss auf die Nichteignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen nach § 11 Abs. 8 FeV ist somit rechtswidrig.

Selbiges gilt erst Recht für die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge, da hier für die Beurteilung der Verwertbarkeit der zweiten Alkoholtat auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abgestellt werden muss. Bei der Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge handelt es sich um einen Dauerverwaltungsakt, weshalb der Beurteilungszeitpunkt derjenige der Entscheidung durch das Gericht ist, soweit sich hinsichtlich des Beurteilungszeitpunkts aus materiellem Recht nichts anderes ergibt (BayVGH, U.v. 17.1.2020 – 11 B 19.1274 – juris Rn. 18). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof geht in dieser Rechtsprechung davon aus, dass sich aus dem materiellen Recht kein anderer Zeitpunkt für die gerichtliche Überprüfung ergibt, denn in den einschlägigen straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften ist kein Verfahren normiert, wie die Berechtigung zur Teilnahme am Straßenverkehr mit fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen wiedererlangt oder eine diesbezügliche Untersagungsverfügung wieder aus der Welt geschafft werden kann. Deshalb besteht bei Tilgungsreife zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ein Grund für den Antragsteller, der Gutachtensaufforderung keine Folge leisten zu müssen (BayVGH, U.v. 17.1.2020, a.a.O. Rn. 21).

(5) Auch die zutreffende Bezugnahme der Rechtsgrundlage des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV verhilft der Gutachtensanordnung nicht zur Rechtmäßigkeit. Das Gericht vertritt die Ansicht, dass die Gutachtensaufforderung in Bezug auf § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV rechtmäßig gewesen wäre, wenn allein auf die Fahrt am 24. Januar 2019 abgestellt worden wäre (Ausführungen unter aa bis dd. In diesem Fall wäre sowohl die Entziehung der Fahrerlaubnis als auch die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge auf der Grundlage von § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV rechtmäßig). Da vorliegend aber eine zutreffende (§ 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV) und eine falsche Rechtsgrundlage (§ 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV) für die Gutachtensanordnung zitiert wurden, infiziert die falsche Rechtsgrundlage die gesamte Gutachtensanordnung (Ausführungen unter ee).

(aa) Hat ein Fahrerlaubnisinhaber wie der Antragsteller ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr geführt, ordnet die Fahrerlaubnisbehörde an, dass ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist (§ 46 Abs. 3 i.V.m. § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV). Dies gilt nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut nicht nur für eine Fahrt mit einem Kraftfahrzeug, sondern – wie im Fall des Antragstellers – auch für eine Fahrt mit einem nicht motorisierten Fahrzeug, also auch bei einer erstmaligen Trunkenheitsfahrt mit einem Fahrrad (stRspr, BVerwG, B.v. 20.6.2013 – 3 B 102.12 – NJW 2013, 2696 Rn. 5; BayVGH, B.v. 17.4.2019 – 11 CS 19.24 – juris Rn. 16). Die Teilnahme am Straßenverkehr in erheblich alkoholisiertem Zustand stellt mit jedem Fahrzeug eine gravierende Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs dar. Eine Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr begründet den Verdacht eines die Fahreignung ausschließenden Alkoholmissbrauchs (vgl. BVerwG, B.v. 20.6.2013 a.a.O. Rn. 7).

(bb) Die Antragsgegnerin ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Antragsteller am 24. Januar 2019 ein Fahrrad im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 2,88 Promille geführt hat. Zwar ordnet § 3 Abs. 4 Satz 1 und 2 StVG eine Bindungswirkung an die Feststellung des Sachverhalts in einem Strafverfahren nur insoweit an, als nicht zum Nachteil des Fahrerlaubnisinhabers vom Inhalt des Urteils oder Strafbefehls abgewichen werden darf. Jedoch können die Fahrerlaubnisbehörde oder das Verwaltungsgericht auch sonst grundsätzlich von den für die Fahreignung relevanten strafrichterlichen Feststellungen ausgehen. An diesen Feststellungen muss sich der oder die Betroffene festhalten lassen, sofern nicht ausnahmsweise gewichtige Anhaltspunkte für deren Unrichtigkeit bestehen, insbesondere neue Tatsachen oder Beweismittel als Wiederaufnahmegründe im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO vorliegen, die für die Unrichtigkeit der tatsächlichen Feststellungen im Strafurteil sprechen (BayVGH, B.v. 4.3.2016 – 11 ZB 15.2682 – juris Rn. 15 m.w.N.). Die Tat ist zudem unstreitig noch bis zum 13. Juni 2024 verwertbar.

(cc) Auch steht § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG der Berücksichtigung der Tat vom 24. Januar 2019 im Rahmen des Verfahrens der Entziehung der Fahrerlaubnis nicht entgegen. Die inhaltlichen Anforderungen der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung an die strafgerichtliche Eignungsfeststellung sind in der Tendenz streng: So reicht es zur Begründung der Bindungswirkung in einem Strafurteil nicht, wenn erweislich der Urteilsgründe „ausdrücklich von einer Entziehung der Fahrerlaubnis abgesehen“ wird, wenn dieser Entscheidung keine eigene abschließende Beurteilung der Eignungsfrage zugrunde liegt (Siegmund in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. Stand: 12.10.2020, § 3 StVG Rn. 57). Vorliegend wurde von der Strafrichterin keine Beurteilung der Eignungsfrage vorgenommen, was sich zum einen aus dem Inhalt des Strafbefehls entnehmen lässt, zum anderen aber auch daraus, dass nach § 69 StGB nur dann die Entziehung der Fahrerlaubnis durch den Strafrichter zu prüfen ist, wenn jemand eine rechtswidrige Tat im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat. Vorliegend ging es aber nicht um die Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers, da der Antragsteller mit dem Fahrrad fuhr.

(dd) Auch die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge wäre unter der Prämisse der alleinigen Heranziehung der Rechtsgrundlage des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV nicht zu beanstanden.

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde – ohne dass ihr insoweit ein Ermessen zukommt – das Führen von Fahrzeugen oder Tieren zu untersagen, wenn sich jemand als ungeeignet oder nur noch bedingt geeignet dafür erweist. Diese Vorschrift gilt auch für Personen, die kein fahrerlaubnispflichtiges Kraftfahrzeug führen, sondern in anderer Weise am Straßenverkehr teilnehmen, z.B. für Fahrrad- und Mofafahrer und Lenker von Fuhrwerken (vgl. die Verordnungsbegründung zu § 3 FeV [BR-Drs. 443/98, S. 237], BayVGH, U.v. 16.5.2017 – 11 B 16.1619 – juris Rn. 14; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2019, § 3 FeV Rn. 10). Nach § 3 Abs. 2 FeV finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Führer eines Fahrzeugs oder Tieres zum Führen ungeeignet oder nur noch bedingt geeignet ist. Auch Fahrradfahrer sind bei fehlendem Trennungsvermögen oder fehlender Trennungsbereitschaft zwischen Alkoholkonsum und Fahren zur Teilnahme am Straßenverkehr nicht geeignet (§ 3 Abs. 2 i.V.m. § 11 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV). Bei entsprechenden Anhaltspunkten ist das Trennungsvermögen oder die Trennungsbereitschaft durch ein medizinisch-psychologisches Gutachten abzuklären. Mit der Anordnung der entsprechenden Anwendung der §§ 11 bis 14 FeV in § 3 Abs. 2 FeV sollten nicht die Voraussetzungen, unter denen ein medizinisch-psychologisches Gutachten anzuordnen ist, relativiert werden. Die entsprechende Anwendung erstreckt den Regelungsgehalt dieser Vorschriften auf Fälle des Führens erlaubnisfreier Fahrzeuge insoweit, als sie ihrem Wortlaut nach anwendbar sind (BVerwG, B.v. 20.6.2013 – 3 B 102.12 – NJW 2013, 2696 Rn. 6). Für Fahrradfahrer bedeutet dies, dass im Hinblick auf etwaige behördliche Entscheidungen nicht die Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeugs abzuklären ist, sondern – auch wenn die Eignungsvoraussetzungen sich insoweit weitgehend entsprechen – die Eignung zum Führen erlaubnisfreier Fahrzeuge (BayVGH, B.v. 19.8.2019 – 11 ZB 19.1256 – juris).

ee) Da sich die Gutachtensaufforderung aber nicht nur auf die Rechtsgrundlage des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV (Blutalkoholkonzentration von mehr als 1,6 Promille), sondern zudem auf die Grundlage des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV (wiederholte Zuwiderhandlung im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss) bezog, kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Gutachter die Beurteilung der Kraftfahreignung oder Eignung, erlaubnisfreie Fahrzeuge zu führen, auch auf die Frage der wiederholten Zuwiderhandlung bezieht. In diesem Fall würde das Gutachten von einer fehlerhaften Tatsachengrundlage ausgehen, weshalb es zum Beweis der Nichteignung des Antragstellers zum Führen eines Kraftfahrzeuges nicht herangezogen werden könnte (OVG Rheinl.-Pfalz, B.v. 23. 6.2010 – 10 B 10545/10 – juris).

Nach ständiger Rechtsprechung führt eine falsche Rechtsgrundlage in der Gutachtensanordnung zur Rechtswidrigkeit, insbesondere wenn dies die Rechtsposition und Rechtsverteidigung des Antragstellers beeinträchtigen kann (VG Würzburg, U.v. 1.12.2015 – W 6 K 15.743 – juris Rn. 29). Der der Beibringungsanordnung anhaftende Mangel kann nicht dadurch geheilt werden, dass das Gericht an Stelle der von der Behörde genannten Rechtsgrundlage von einer anderen, zutreffenden Rechtsgrundlage ausgeht. Denn dem Recht des Antragstellers, der an ihn gerichteten Gutachtensanforderung dann nicht Folge leisten zu müssen, wenn sie auf eine nicht einschlägige Befugnisnorm gestützt worden sein sollte, würde der Boden entzogen, wenn man das Gericht als berechtigt ansehen würde, von einer anderen, zutreffenden Rechtsgrundlage und deshalb vom Eintritt der in § 11 Abs. 8 FeV bezeichneten Rechtsfolge auszugehen (vgl. BayVGH B.v. 31.8.2010 – 11 CS 10.1821 – Rn. 23, unter Berufung auf B.v. 24.8.2010 – 11 CS 10.1139 und BVerwG U.v. 5.7.2001 – 3 C 13.01 – beide juris).

Selbiges muss gelten, wenn in der Anordnung mehrere Rechtsgrundlagen genannt werden, von denen sich eine als nicht zutreffend erweist. Der Gutachter ist an die Gutachtensaufforderung und die dort formulierte Fragestellung sowie die dort genannten Rechts- und Beurteilungsgrundlagen gebunden. Es ist gemäß § 11 Abs. 6 FeV Aufgabe der Fahrerlaubnisbehörde und nicht Aufgabe des Gutachters oder des Antragstellers, die Beurteilungsgrundlage und den Beurteilungsrahmen selbst klar und fehlerfrei festzulegen (vgl. BVerwG, B.v. 5.2.2015 – 3 B 16/14 – Buchholz 442.10 § 2 StVG Nr. 21 mit Anmerkung Liebler, BayVGH, B.v. 25.7.2016 – 11 CS 16.1256 – juris). Es kann dem Betroffenen im Falle einer Gutachtensanordnung mit mehreren Fragestellungen grundsätzlich nicht angesonnen werden, selbst entsprechende rechtliche Differenzierungen vorzunehmen und letztlich klüger und präziser sein zu müssen als die Fachbehörde. Ihm kann insbesondere auch nicht zugemutet werden, dem Gutachter etwa verständlich zu machen, dass entgegen dem behördlichen Gutachtensauftrag nur bestimmte Teile der Fragestellung zulässigerweise zum Gegenstand der Untersuchung gemacht werden dürften (VGH Baden-Württemberg, B.v. 30.6.2011 – 10 S 2785/10 – juris Rn. 12, VG München, B.v. 28.09.2017 – M 26 S 17.1401 – juris Rn. 32). Der Antragsteller würde im vorliegenden Fall in seiner Rechtsposition und Rechtsverteidigung schlechter gestellt, wenn im vorzulegenden Gutachten auch auf die nicht mehr verwertbare Tat eingegangen werden müsste.

2. Auf die formelle Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung kommt es daher nicht mehr an.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 2 und § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. Ziffern 1.5, 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NVwZ-Beilage 2013, 57). Der Streitwert für die Nichtberechtigung zum Führen von fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen wurde nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs mit 2.500 EUR für das Hauptsacheverfahren und entsprechend verringert für den vorliegenden Antrag mit 1.250 EUR bewertet (BayVGH, B.v. 6.7.2011 – 11 CS 11.844 – juris Rn. 12).

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