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Fahrerlaubnisentziehung rechtswidrig

Gutachtensanordnung unrichtige Rechtsgrundlage

VG Aachen – Az.: 3 L 155/20 – Beschluss vom 27.04.2020

1. Die aufschiebende Wirkung der Klage gleichen Rubrums – 3 K 437/20 – gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 11. Februar 2020 wird hinsichtlich der Entziehung der Fahrerlaubnis wiederhergestellt bzw. hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung angeordnet.

Der Führerschein ist dem Antragsteller herauszugeben.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

2. Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

1. Der sinngemäße Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gleichen Rubrums – 3 K 437/20 – gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 11. Februar 2020 über die Entziehung der Fahrerlaubnis wiederherzustellen bzw. hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung anzuordnen, hat Erfolg.

Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Klage ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. anordnen. Bei der Entscheidung hat das Gericht das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung abzuwägen. Vorliegend setzt sich das private Aufschubinteresse des Antragstellers gegenüber dem gegenläufigen öffentlichen Interesse durch. Dieses Abwägungsergebnis beruht auf einer summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache. Danach ist davon auszugehen, dass die angegriffene Ordnungsverfügung vom 11. Februar 2020 den betroffenen Antragsteller in seinen Rechten verletzt und im Klageverfahren aufzuheben sein wird.

Die darin enthaltene Entziehung der Fahrerlaubnis ist als rechtswidrig anzusehen.

Der Antragsgegner durfte nicht nach Maßgabe des § 11 Abs. 8 Satz 1 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) auf die fehlende Fahreignung des Antragstellers schließen. Nach dieser Vorschrift darf die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung u.a. dann schließen, wenn der Betroffene ein gefordertes Gutachten nicht fristgerecht beibringt.

Zwar hat der Antragsteller das geforderte amtsärztliche Gutachten, in welchem ihm die Leiterin des Gesundheitsamts   T. und die Fachärztin für öffentliches Gesundheitswesen   F. einen Zustand nach Alkoholabhängigkeit mit Abstinenz seit dem Jahr 2017 bescheinigen, erst am 19. Februar 2020 und damit nicht nur nach Fristablauf, sondern sogar erst nach Zustellung der streitbefangenen Ordnungsverfügung vom 11. Februar 2020 vorgelegt. Auf eine derartige Säumnis darf nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV aber nur dann eine Entziehung der Fahrerlaubnis gestützt werden, wenn die vom Fahrerlaubnisinhaber unbeachtet gebliebene Aufforderung zur Gutachtenbeibringung in jeder Hinsicht den rechtlichen Vorgaben entspricht.

Daran fehlt es hier. Die an den Antragsteller gerichtete Gutachtensanordnung vom 19. Februar 2019 ist als rechtswidrig einzustufen.

An Form und Inhalt einer Gutachtensanordnung sind strenge Maßstäbe anzulegen. Nur auf diese Weise kann die nach Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) garantierte Effektivität des Verwaltungsrechtsschutzes gegen das Handeln der Fahrerlaubnisbehörde beachtet werden. Eine unmittelbare Anfechtbarkeit hat der Gesetzgeber in § 44a Satz 1 VwGO ausgeschlossen. Etwaige formelle oder materielle Rechtsfehler der Gutachtenaufforderung muss der Betroffene selbst erkennen bzw. erkennen können. Er handelt dabei auf eigenes Risiko. Meint er, einen relevanten Rechtsfehler entdeckt zu haben, und will er sich deshalb vor einer unrechtmäßigen Begutachtung, die regelmäßig einen rechtswidrigen Eingriff in sein Allgemeines Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 GG darstellt, schützen, so muss er die zur Gutachtenvorlage gesetzte Frist bewusst verstreichen lassen und auf die (üblicherweise für sofort vollziehbar erklärte) Entziehung seiner Fahrerlaubnis nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV warten. Anschließend kann er – unter Inkaufnahme von einigen Wochen oder Monaten ohne Fahrberechtigung – den erkannten Rechtsfehler erstmals im Eil- und Klageverfahren gegen die Fahrerlaubnisentziehung vor dem Verwaltungsgericht geltend machen, das wiederum die Rechtmäßigkeit der Gutachtensanordnung im Rahmen der sogenannten Inzidentkontrolle zu prüfen hat.

Diese nachgezogene gerichtliche Kontrolle der behördlichen Gutachtensanordnung muss grundsätzlich auf den Erlasszeitpunkt abstellen. Auf dieser Sach- und Rechtslage beruht nicht nur die Anordnung als Verfahrenshandlung, sondern auch die dem Betroffenen abverlangte Entscheidung, ob er die Anordnung – mit allen damit verbundenen Rechtsfolgen – für rechtmäßig oder rechtswidrig ansieht. Jedenfalls erscheint es ausgeschlossen, dass die Fahrerlaubnisbehörde eine defizitäre Begründung oder Fragestellung der beim Betroffenen bereits umgesetzten Gutachtensanordnung dergestalt „nachbessert“, dass sie, wie bei Verwaltungsakten zur Heilung formeller Begründungsdefizite möglich (§ 45 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 VwVfG NRW), ihre Begründung oder Fragestellung erst im Verlauf des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens vornimmt bzw. vervollständigt.

Maßgeblich ist vielmehr die Rechtsschutzperspektive des von der Anordnung Betroffenen. Für ihn ist es nicht zumutbar, innerhalb der behördlich bestimmten Frist einer rechtswidrigen Anordnung zur Begutachtung folgen zu müssen, vgl. Art. 19 Abs. 4 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG. Schon vom Ansatz her ist damit kein Raum für eine behördliche „Nachbesserung“ der Gutachtensanordnung im sich anschließenden Verwaltungsprozess um die Rechtmäßigkeit der Fahrerlaubnisentziehung nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV.

Grundlage für die vom Betroffenen zu leistende Einschätzung der Rechtmäßigkeit der Gutachtensanordnung sind die konkreten Darlegungen der Fahrerlaubnisbehörde zum maßgeblichen Sachverhalt, zu den daraus abgeleiteten Gründen für das Bestehen von Eignungszweifeln, zur Fragestellung an die Gutachter und zur Angabe der für die Untersuchung in Betracht kommenden Stelle. Damit der Betroffene die von der Fahrerlaubnisbehörde insoweit hergestellten Zusammenhänge erkennen kann, statuiert § 11 Abs. 6 FeV formelle Pflichten.

Nach dieser Vorschrift legt die Fahrerlaubnisbehörde unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls und unter Beachtung der Anlagen 4 und 5 in der Anordnung zur Beibringung des Gutachtens fest, welche Fragen im Hinblick auf die Eignung des Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen zu klären sind. Die Behörde teilt dem Betroffenen unter Darlegung der Gründe für die Zweifel an seiner Eignung und unter Angabe der für die Untersuchung in Betracht kommenden Stelle oder Stellen mit, dass er sich innerhalb einer von ihr festgelegten Frist auf seine Kosten der Untersuchung zu unterziehen und das Gutachten beizubringen hat; sie teilt ihm außerdem mit, dass er die zu übersendenden Unterlagen einsehen kann.

Diesen formellen Anforderungen kann die Fahrerlaubnisbehörde nur gerecht werden, wenn sie inhaltlich ohne jeden Schematismus vorgeht und dies in den Gründen der Gutachtensanordnung zum Ausdruck bringt. So soll die Behörde bei der Aufklärung des Falles die „Besonderheiten des Einzelfalles“ berücksichtigen und insbesondere entscheiden, ob daraus ein Verdacht für das Bestehen von solchen Eignungsmängeln bejaht werden kann, die in Anlage 4 und 5 zur FeV aufgelistet sind.

Ob ein – häufig von den Polizeibehörden nach § 2 Abs. 12 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) angezeigter – Sachverhalt jeweils so verstanden werden darf, dass er Eignungszweifel im Sinne eines Verdachts auf das Bestehen eines fahreignungsrelevanten Mangels bzw. Krankheitsbilds (z.B.: Alkoholabhängigkeit nach Nr. 8.3 der Anlage 4 zur FeV) rechtfertigt, bedarf einer doppelten Abgrenzung: Zum einen ist ein solcher Zweifel bzw. Verdacht (noch) nicht gerechtfertigt, wenn in Wahrheit nur bloße Vermutungen oder Spekulationen für das Bestehen eines Eignungsmangels vorliegen. Zum anderen ist ein solcher Zweifel bzw. Verdacht nicht (mehr) gerechtfertigt, wenn in Wahrheit die Fahrungeeignetheit (z.B. durch die Einnahme einer „harten Droge“ nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV) schon feststeht. In beiden Fällen ist eine gleichwohl erlassene Gutachtensanordnung rechtswidrig, vgl. auch § 11 Abs. 7 FeV.

Die damit geforderte Abgrenzung kann sich im Einzelfall als derart komplex darstellen, dass sie von medizinischen Laien nicht mehr sachgerecht vorgenommen werden kann. Aus diesem Grund kann die Fahrerlaubnisbehörde unter Umständen gehalten sein, sich des Sachverstandes des öffentlichen Gesundheitsdienstes zu bedienen, sofern zu einer sachgerechten Präzisierung der Fragestellung und Zuordnung der aufzuklärenden Symptomatik zu den einzelnen eignungsausschließenden Erkrankungen gemäß der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung medizinisches Fachwissen erforderlich sein sollte.

Vgl. dazu Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 10. Dezember 2013 – 10 S 2397/12 -, juris  Rn. 29.

Es ist also Aufgabe der Fahrerlaubnisbehörde und nicht Aufgabe des Gutachters oder gar des Betroffenen, die Beurteilungsgrundlage und den Beurteilungsrahmen klar und fehlerfrei festzulegen. Der Schluss auf die Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ist mit anderen Worten nur zulässig, wenn die zu Grunde liegende Gutachtensanordnung sowohl die verfahrensrechtlichen als auch die inhaltlichen Anforderungen erfüllt, insbesondere als anlassbezogen und verhältnismäßig anzusehen ist.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. Februar 2015 – 3 B 16/14 -, juris Rn. 8.

Diesen Vorgaben wird die streitbefangene Gutachtensanordnung nicht gerecht.

Allerdings teilt das Gericht die Auffassung des Antragsgegners, dass ein hinreichender Anlass für eine Begutachtung des Antragstellers gegeben war. Dies ergibt sich aus der nach § 2 Abs. 12 StVG übermittelten Anzeige der Kreispolizeibehörde Heinsberg, wonach der Antragsteller folgendermaßen auffällig geworden ist:

Am Montag, dem 8. August 2016, gegen 08:15 Uhr informierte der Antragsteller die Autobahnpolizeiwache   N. telefonisch darüber, dass er am Samstag, den 6. August 2016, gegen 19:30 Uhr, auf der A 00 an der Anschlussstelle   I.-Ost einen Verkehrsunfall gehabt habe. Er sei links in die Leitplanke abgekommen und sein Fahrzeug befinde sich jetzt auf dem Parkplatz der Kirche in   L. . Die Beamten fanden die Schilderung vor Ort bestätigt und forderten den Antragsteller auf, zu seinem Fahrzeug zu kommen.

Als der Antragsteller eintraf, fiel den Beamten auf, dass er stark nach Alkohol roch. Ein durchgeführter Alkoholtest ergab gegen 09:15 Uhr einen Wert von 0,42 Promille. Der Antragsteller gab an, gegen Mitternacht „zwei Gläser Wein“ getrunken zu haben. Die Beamten hielten in einem „Hinweis“ für den Antragsgegner ihren Eindruck über das Erscheinungsbild des Antragstellers wie folgt fest:

„Das Verhalten des [Antragstellers] am Abstellort, insbesondere das zunächst von uns nicht wahrgenommene Wegdrehen des Kopfes beim Gespräch, die wässrigen Augen und extremes Zittern der Hände ließen bei den einschreitenden Beamten den Eindruck entstehen, dass der [Antragsteller] regelmäßig (Hervorhebung im Original) Alkohol konsumiert. Insbesondere bei der Durchführung des Alco-Tests fiel das extreme Zittern des [Antragstellers] auf, das über das normale Maß an Nervosität ging. Es entstand der Eindruck, dass es sich hierbei bereits um einsetzende Entzugserscheinungen handelt.

Offensichtlich kann der [Antragsteller] das Führen von KFZ und den Genuss von Alkohol nicht konsequent trennen, da er mit einem PKW auch am Abstellort unter dem Einfluss alkoholischer Getränke erschien, obwohl er wusste, dort auf die Polizei zu treffen. Es ist daher zu erwarten, dass der [Antragsteller] regelmäßig unter dem Einfluss von alkoholischen Getränken ein Kraftfahrzeug führen wird.“

Dieser Sachverhalt ruft Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers hervor. Er begründet den Verdacht, dass der Antragsteller an einer Alkoholabhängigkeit leidet, die nach Nr. 8.3 der Anlage 4 zur FeV die Fahreignung ausschließt. Das lässt sich aus dem mitgeteilten Verhalten und dem Zustand des Antragstellers ableiten. Maßgeblich sind u.a. die Alkoholisierung an einem Montagmorgen trotz einer geplanten Kontaktaufnahme mit der zuständigen Polizeiwache, das Wegdrehen des Kopfes im Gespräch mit den Polizeibeamten, die wässrigen Augen und ein extremes Zittern der Hände als mögliche Entzugserscheinung.

Ein Rechtsfehler der streitbefangenen Gutachtensanordnung besteht darin, dass diese für die Klärung der Eignungszweifel eine unrichtige Rechtsgrundlage heranzieht.

Als Rechtsgrundlage für die Klärung von Eignungszweifeln bei einer Alkoholproblematik greift nämlich nach § 46 Abs. 3 FeV auch für das Entziehungsverfahren die spezielle Rechtsgrundlage in § 13 FeV ein, die in Satz 1 Nr. 1 bestimmt: Liegen Tatsachen vor, welche die Annahme einer Alkoholabhängigkeit begründen, hat die die Fahrerlaubnisbehörde im Entziehungsverfahren (zwingend) anzuordnen, dass ein ärztliches Gutachten beizubringen ist.

Der Antragsgegner hat es versäumt, seine Gutachtensanordnung darauf zu stützen. Die stattdessen von ihm herangezogene allgemeine Rechtsgrundlage für die Klärung von Eignungszweifeln in § 11 Abs. 2 FeV (i.V.m. § 46 Abs. 3 FeV) war nicht einschlägig. Eine andere Sichtweise folgt nicht etwa aus den Informationen, die sich der Antragsgegner aus den Strafakten des Amtsgerichts Erkelenz beschafft hat. Aufgrund des oben geschilderten Vorfalls vom 6. August 2016, gegen 19:30 Uhr, auf der A 00, wurde der Antragsteller vom Amtsgericht Erkelenz mit Strafurteil vom 29. Januar 2018 wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu einer Geldstrafe verurteilt. Aus den Strafakten entnahm der Antragsgegner, dass der Antragsteller im Strafprozess geltend gemacht hatte, dass er „aufgrund seiner Erkrankungen zur Zeit nicht verhandlungsfähig und nicht reisefähig“ sei (Hausarztbescheinigung vom 24. Januar 2017) bzw. „ab dem 27. Juni 2017 für mindestens 12 Wochen in einer Rehamaßnahme“ (Strafverteidigerschreiben vom 27. Juni 2017) sei. Diese Mitteilungen lassen sich mit dem Verdacht auf das Bestehen einer Alkoholabhängigkeit durchaus vereinbaren. Sie gaben dem Antragsgegner jedenfalls keinen hinreichenden Grund dafür, vom Verdacht auf eine Alkoholabhängigkeit abzurücken und deshalb § 13 Satz 1 Nr. 1 FeV nicht heranzuziehen. Die bloße Vermutung weiterer Erkrankungen reicht dafür nicht aus.

Ein weiterer Rechtsfehler liegt darin, dass der Antragsgegner in den Gründen der Gutachtensanordnung für den Antragsteller den Anschein eines Ermessensfehlers gesetzt hat.

Bei der vom Antragsgegner herangezogenen Rechtsgrundlage in § 11 Abs. 2 FeV handelt es sich (anders als bei § 13 Satz 1 Nr. 1 FeV) um eine Vorschrift, die der Behörde ein Ermessen einräumt. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die Fahreignung begründen, so „kann“ die Fahrerlaubnisbehörde nach § 11 Abs. 2 FeV ein Gutachten anfordern. Sie muss dies nicht tun. In jedem Fall besteht aber die – den Betroffenen schützende – rechtliche Pflicht der Behörde, bei der Rechtsanwendung das ihr eingeräumte Ermessen zu erkennen und anschließend ordnungsgemäß auszuüben, vgl. § 114 Satz 1 VwGO und § 40 VwVfG NRW. Dieser Pflicht ist der Antragsgegner nicht nachgekommen. Eine Wendung wie „in Ausübung des mir zustehenden Ermessens“ findet sich in der Gutachtensanordnung nicht. Hat der Antragsgegner das ihm eingeräumte Ermessen gar nicht erkannt (Ermessensausfall), konnte es logischerweise auch nicht zu einer Ausübung des Ermessens kommen.

Letztlich ist auch hier die Rechtsschutzperspektive des Betroffenen entscheidend: Der Hinweis auf eine Rechtsgrundlage, deren (Ermessens-) Vorgaben nicht erfüllt werden, gibt dem Betroffenen hinreichenden Anlass für die Annahme, die Gutachtensanordnung als rechtswidrig anzusehen und ihr nicht zu folgen. Dieser besonders weitreichende Schutz des Betroffenen davor, dass einzelne Begründungselemente der Gutachtensanordnung fehlerhaft erscheinen, erscheint zwar durchaus untypisch für das auf Gefahrenabwehr und Verkehrssicherheit angelegte Recht der Erteilung und Entziehung von Fahrerlaubnissen. Mit zunehmender Länge des Verfahrens aus Gutachtensanordnung, Fahrerlaubnisentziehung, etwaiger gerichtlicher Beanstandung der Gutachtensanordnung, erneuter Gutachtensanordnung und Fahrerlaubnisentziehung erhöht sich nämlich das Risiko, dass der Betroffene in den Zeitabschnitten, in denen er trotz Eignungszweifel einstweilen wieder am Straßenverkehr teilnehmen darf, eine Gefahr für seine Person bzw. Leben und Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer darstellt. Die gegenwärtige Gesetzeslage lässt aber aus der Sicht des Gerichts keine andere Wahl. Da das einfache Recht in § 44a Satz 1 VwGO die isolierte Anfechtbarkeit der Gutachtensanordnung rigoros ausschließt, muss der nachgezogene Rechtsschutz gegen die Gutachtensanordnung, der erst im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen (Eil-) Verfahrens gegen die Fahrerlaubnisentziehung möglich ist, ebenfalls rigoros ausfallen.

Ein weiterer Fehler der Gutachtensanordnung liegt darin begründet, dass die gewählte Fragestellung zu unbestimmt erscheint.

Die von § 11 Abs. 6 FeV normierten Anforderungen schließen es aus, die Fragestellung einer Gutachtenaufforderung derart umfassend auszugestalten, dass die mit der Begutachtung betraute Person oder Stelle ermächtigt wird, die Gesamtheit der in der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung erwähnten Krankheitsbilder zum Gegenstand der Untersuchung zu machen.

Vgl. Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 10. Dezember 2013 – 10 S 2397/12 -, juris Rn. 28.

So liegt der Fall hier. In der angegriffenen Anordnung heißt es:

„Liegt bei der/dem Untersuchten eine Gesundheitsstörung oder Krankheit vor, die für die Kraftfahreignung erheblich ist und kann die/der Untersuchte trotz einer festgestellten Gesundheitsstörung oder Krankheit ein Kraftfahrzeug der Klasse/n A, A1, B, BE, C1, C1E, L, M, S und T sicher führen?“

Damit hat es der Antragsgegner versäumt, eine konkretisierende Fragestellung unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls festzulegen und dem Betroffenen – unter Darlegung der Gründe für die Eignungszweifel – mitzuteilen. Auf die genaue Darlegung des aus Behördensicht bestehenden Zusammenhangs zwischen dem Ausgangssachverhalt, der die Eignungszweifel hervorruft, und dem gutachterlichen Prüfprogramm, dass durch die Fragestellung bestimmt wird, kann nicht verzichtet werden.

Vorliegend hätte sich nach Maßgabe der einschlägigen Rechtsgrundlage in § 13 Satz 1 Nr. 1 FeV die Fragestellung danach richten müssen, ob beim Antragsteller aufgrund der am 8. August 2016 gezeigten Auffälligkeiten eine Alkoholabhängigkeit (Nr. 8.3 der Anlage 4 zur FeV) vorliegt. Der Umstand, dass nach § 13 Satz 1 Nr. 1 FeV – nicht anders als in der angegriffenen Gutachtensanordnung geschehen – ein ärztliches Gutachten hätte verlangt werden müssen, ändert nichts daran, dass dem Betroffenen nicht zugemutet werden kann, einer „überschießenden Fragestellung“ in der Gutachtenaufforderung zu folgen.

Nach alledem wird die Fahrerlaubnisentziehung mangels rechtmäßiger Gutachtensanordnung einer Überprüfung im Klageverfahren voraussichtlich nicht standhalten und darf daher – ebenso wie die Pflicht zu Führerscheinabgabe und die Zwangsgeldandrohung – einstweilen nicht vollzogen werden.

Der in amtlicher Verwahrung befindliche Führerschein ist dem Antragsteller wieder auszuhändigen, vgl. auch § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

2.  Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 2 i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen, etwa Beschluss vom 20. November 2012 – 16 A 2172/12 – juris, Rn. 17 f., m. w. N., der sich die Kammer anschließt, ist für ein Hauptsacheverfahren wegen Entziehung einer Fahrerlaubnis ungeachtet der erteilten Fahrerlaubnisklassen stets der Auffangwert (5.000 Euro) und für ein vorläufiges Rechtsschutzverfahren die Hälfte dieses Betrages (2.500 Euro) als Streitwert anzusetzen. Die Verpflichtung, den Führerschein abzugeben, und die zugleich verfügte Zwangsgeldandrohung werden nicht streitwerterhöhend berücksichtigt.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

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