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Fahrerlaubnisentziehung – psychische Störung/Erkrankung

VG München, Az.: M 6 S 16.895, Beschluss vom 07.06.2016

I. Der Antrag wird abgelehnt.

II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Der Streitwert wird auf EUR 8.750,– festgesetzt.

Gründe

I.

Der 1991 geborene Antragsteller wendet sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen AM, A1, A, B, BE, C1, C, C1E, CE, L, T.

In den Behördenakten befindet sich ein vorläufiger Arztbrief des A…Klinikums vom … August 2015. In diesem wird für den Antragsteller eine Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion (ICD-10: a…), Alkoholabusus (ICD-10: b…) und eine dissoziale Persönlichkeitsstörung (ICD-10: c…) diagnostiziert. Das Schreiben führt insbesondere aus, dass vor einer Wiederaufnahme der Ausbildung zum A… eine umfassende Eignungsuntersuchung für … Fahrer durch eine offizielle Stelle (TÜV) erfolgen müsse. Der Antragsteller habe berichtet, dass es ihm seit Ende letzten Jahres nicht gut gegangen sei. Er habe oft Schwindel und das Gefühl umzukippen. Vor 3 Monaten (April 2015) sei sein Vater nach schwerer Krankheit gestorben. Die Gedanken an den Vater würden ihn jetzt ständig begleiten. Auch nachts habe er schlimme Alpträume. Zudem habe er immer wieder das Gefühl, sich selbst „von der Seite“ zu beobachten. Alles falle ihm sehr schwer, er brauche bis zu drei Stunden, um überhaupt aktiv zu werden. Außerdem habe er seine Interessen vernachlässigt, nichts mache ihm Spaß. Im Alter von ca. 15 Jahren habe er mit dem Alkoholkonsum begonnen. Zunächst nur unregelmäßig, dann aber doch fast täglich bis zum 18. Lebensjahr. In der Zeit bis zum Ausbildungsbeginn der Lehre zum A… (Zeitraum … Monate) habe er bis zu 3 mal die Woche exzessiv Alkohol konsumiert mit bis zu 15 Bier pro Abend, verbunden mit riskanten und aggressiven Verhaltensweisen (z.B. Autofahren in stark alkoholisiertem Zustand mit Führerscheinverlust). Mit dem Beginn der Ausbildung zum A… (September 2013) habe er seinen Alkoholkonsum auf die Wochenenden beschränkt, dann jedoch auch in großen Mengen „fast bis zur Bewusstlosigkeit“ getrunken. Er habe dann kein „Stop-Gefühl“ mehr empfunden. Der Arztbericht stellt fest, dass der Antragsteller während des Aufenthalts (… Juli 2015 bis … August 2015) immer wieder von Suchtdruck (Lust auf Alkohol, intensive Erlebnisse wie Spielen am Geldautomaten) berichtete. Letztlich konnte er dem Druck nicht standhalten und konsumierte Bier am Wochenende.

Fahrerlaubnisentziehung - psychische Störung/Erkrankung
Symbolfoto: Kasia Bialasiewicz/Bigstock

In den Akten befindet sich auch ein Schreiben des Klinikums B… vom … Dezember 2014 bezüglich einer stationären Behandlung vom … bis … Dezember 2014 mit den Diagnosen: zwei unklare paroxysmale Ereignisse, vermehrter Alkoholkonsum, kardiovaskuläre Risikofaktoren (Nikotinabusus (… py), Adipositas, ehemaliger Cannabiskonsum).

Aufgrund des bei der Fahrerlaubnisbehörde vorgelegten Arztbriefes vom … August 2015 ergaben sich für diese Zweifel an der Eignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen. Der Antragsteller wurde daher mit Schreiben vom … September 2015 aufgefordert, durch Beibringung eines ärztlichen Gutachtens die Bedenken gegen seine Fahreignung auszuräumen (§ 13 Satz 1 Nr. 1 Fahrerlaubnisverordnung – FeV – ).

Der Antragsteller legte das geforderte Gutachten, ausgestellt von der TÜV … vom … November 2015, am … Dezember 2015 der Fahrerlaubnisbehörde vor. Das Gutachten, das auf einer Untersuchung des Antragstellers beruht, kommt zu dem Ergebnis, dass beim Antragsteller eine psychische Störung/Erkrankung vorliege, die nach Anlage 4 FeV die Fahreignung in Frage stelle und der Antragsteller nicht (wieder) in der Lage sei, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 und 2 gerecht zu werden. Die akute Phase sei abgeklungen, allerdings könne zum jetzigen Zeitpunkt ein Wiederauftreten nicht ausgeschlossen werden. Beim Antragsteller liege eine Anpassungsstörung mit depressiver Reaktion vor, die im Juli 2015 zu einer stationär-psychiatrischen Behandlung geführt habe. Aus den vorliegenden Behandlungsunterlagen und aus dem Begutachtungsgespräch gehe hervor, dass der Antragsteller während der akuten Phase seiner Erkrankung unter depressiven Symptomen, Antriebsstörungen, Spannungsgefühlen und Interessenverlust gelitten habe. Es werde eine geringe Frustrationstoleranz und eine niedrige Schwelle für aggressives, gewalttätiges Verhalten geschildert. Kriterien für eine antisoziale Persönlichkeitsstörung seien laut Therapiebericht erfüllt. Die depressive Symptomatik sei aufgrund einer ungünstigen und sehr belastenden familiären und beruflichen Situation aufgetreten. Bei Entlassung aus der stationären Behandlung sei dem Antragsteller nahe gelegt worden, sich in ambulante psychotherapeutische Behandlung zu begeben und es sei ihm ein entsprechender Kontakt vermittelt worden. Allerdings habe er eine solche Therapie bislang nicht in Anspruch genommen. Die erforderliche Krankheitseinsicht und Behandlungscompliance sei demnach in Zweifel zu ziehen. Der Antragsteller scheine während der verkehrsmedizinischen Begutachtung symptomfrei zu sein. Allerdings liege die stationäre-psychiatrische Behandlung erst sehr kurze Zeit zurück, so dass die erforderliche dauerhafte psychische Stabilität derzeit noch nicht gewährleistet sei. Eine neuerliche Begutachtung bezüglich der psychischen Erkrankung erscheine frühestens in einem halben Jahr sinnvoll. Bis dahin sei die Aufnahme einer regelmäßigen fachpsychiatrischen und/oder psychotherapeutischen Behandlung erforderlich. Auch könne die aus aktenkundiger Tatsache begründete Annahme einer Alkoholabhängigkeit beim Antragsteller bestätigt werden. Allein aufgrund der Angaben des Antragstellers sei eine gutachterliche Einschätzung der Schwere der vorliegenden Suchtproblematik nicht sicher möglich und bedürfe der Hinzuziehung der Aktenlage und der übrigen Befunde. In dem vorliegenden Behandlungsbericht werde dargestellt, dass der Antragsteller fast bis zur Bewusstlosigkeit getrunken habe. Er habe kein „Stopp-Gefühl“ mehr empfunden. Es sei davon auszugehen, dass während des Alkoholkonsums die Kontrollfähigkeit vermindert gewesen sei. Auch sei es zu einer ungewöhnlich ausgeprägten Toleranzentwicklung (gesteigerte Alkoholverträglichkeit) gekommen. Der Antragsteller habe über einen Zeitraum von … Monaten exzessiv Alkohol getrunken (15 Bier drei Mal in der Woche). Eine Entwöhnung und ein nachgewiesener Abstinenzzeitraum für die zurückliegenden 12 Monate liegen nicht vor. Aus der Wiedergabe des ärztlichen Untersuchungsgesprächs ergibt sich, dass der Antragsteller angegeben habe, am Vortag zwei Gläser Bier zu je 0,33 l getrunken zu haben. Eine Freundin habe gefeiert. Das sei aber ungewöhnlich, dass er unter der Woche trinke. Am Wochenende sei er unterwegs gewesen. Er trinke wenn er ausgehe bis zu 6 Halbe Bier. Da fahre er aber nicht Auto. Die Maximalmenge habe im letzten Jahr bei 10 bis 12 Halbe Bier gelegen. Das sei gewesen, als der Vater so krank war. Ein starkes Verlangen, oder das Gefühl er brauche Alkohol, das habe er nie gehabt. Er habe ab und zu das Gefühl, er würde jetzt gerne etwas trinken. Das Gutachten führt aus, dass folgende Kriterien nach ICD-10 im vorliegenden Einzelfall erfüllt seien: -verminderte Kontrollfähigkeit während des Alkoholkonsums; – starkes Verlangen, Alkohol zu konsumieren, – Toleranzentwicklung und Vernachlässigung anderer Interessen und Verpflichtungen. Das fahreignungsrelevante Leistungsvermögen zum sicheren Fahren von Kraftfahrzeugen sei gegeben.

Mit Schreiben vom … Dezember 2015 hörte die Fahrerlaubnisbehörde den Antragsteller zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis an. Im Rahmen der Anhörung gab die Bevollmächtigte des Antragstellers an, dass das vorliegende Gutachten nicht geeignet sei, die Fahreignung abschließend zu klären, der TÜV … sei daher zur Nachbesserung aufgefordert worden. Mit Schreiben vom … Januar 2016 teilte die Fahrerlaubnisbehörde der Bevollmächtigten mit, dass das ärztliche Gutachten von der Behörde als schlüssig und nachvollziehbar angesehen werde. Falls jedoch bis spätestens … Januar 2016 ein Stellungnahme der Begutachtungsstelle vorgelegt werden könne, werde diese berücksichtigt werden. Eine weitere Stellungnahme der Begutachtungsstelle wurde durch die Bevollmächtigte nicht vorgelegt.

Mit Bescheid vom … Februar 2016 entzog die Fahrerlaubnisbehörde dem Antragsteller die Fahrerlaubnis aller Klassen (Nr. 1 des Bescheides), gab ihm unter Fristsetzung (Nr. 3) auf, seinen Führerschein bei der Behörde abzuliefern (Nr. 2) und drohte ihm für den Fall der nicht fristgerechten Abgabe ein Zwangsgeld in Höhe von a… EUR an (Nr. 3). Die sofortige Vollziehung der Nrn. 1 und 2 des Bescheides wurde angeordnet (Nr. 4) und dem Antragsteller Verfahrensgebühren in Höhe von b… EUR zuzüglich c… EUR Auslagen auferlegt (Nr. 5).

Im Wesentlichen wird der Bescheid mit dem (negativen) Ergebnis des Gutachtens der TÜV … vom … November 2015 begründet, das aus Sicht der Behörde schlüssig und nachvollziehbar sei und zu dem Ergebnis komme, der Antragsteller verfüge nicht über die erforderliche Eignung zum sicheren Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 und 2.

Bezüglich der Anordnung der sofortigen Vollziehung wird dargelegt, dass es beim Antragsteller aufgrund seiner psychischen Erkrankung/Störung und fehlenden ausreichenden Krankheitseinsicht bzw. Adhärenz zu Wiederauftreten akuter Phasen kommen könne. In Bezug auf die Alkoholabhängigkeit wird erwähnt, dass der Antragsteller sich laut Behandlungsberichten fast bis zur Bewusstlosigkeit betrunken habe, es zu einer ungewöhnlich ausgeprägten Toleranzentwicklung gekommen sei wobei auch Autofahrten in stark alkoholisiertem Zustand erfolgt seien. Wegen fehlender Abstinenz müsse von einer erhöhten Rückfallgefahr mit der Gefahr von Unfällen mit u.U. schweren Folgen ausgegangen werden.

Mit Schreiben vom … Februar 2016 legte die Bevollmächtigte des Antragstellers gegen den Bescheid vom … Februar 2016 Widerspruch bei der Fahrerlaubnisbehörde ein. Über diesen Widerspruch wurde bis jetzt nicht entschieden. Der Antragsteller hat am … Februar 2016 seinen Führerschein bei der Fahrerlaubnisbehörde abgegeben.

Mit Schriftsatz vom … Februar 2016, eingegangen beim bayerischen Verwaltungsgericht München am … Februar 2016, beantragt die Bevollmächtigte des Antragstellers,

die sofortige Vollziehung der Verfügung des Antragsgegners vom … Februar 2016, zugestellt am … Februar 2016, aufzuheben, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom … Februar 2016 wiederherzustellen und den Antragsgegner zu bescheiden, den vom Antragsteller abgelieferten Führerschein unverzüglich wieder an den Antragsteller herauszugeben.

Hinsichtlich der Alkoholproblematik werde die Begründung auf einen Krankheitsbericht des A…Klinikums vom … August 2015 gestützt. Auf die Einzelheiten des Berichts, insbesondere die zeitlichen Gegebenheiten werde hierbei jedoch nicht eingegangen. Im Bericht heiße es: „Während seiner Arbeitslosigkeit (Januar 2013 – September 2013) exzessiver Alkoholkonsums bis zu dreimal pro Woche. Mit Beginn der Ausbildung im September 2013 Konsum auf Wochenende beschränkt mit weiterhin großen Mengen von bis zu 15 Bier/Abend. Seit 3 Wochen trinke er nun nicht mehr.“ (Stand April 2015). Diese Begründung werde auch durch die begutachtende Stelle TÜV … herangezogen, da laut Gutachten eine eigene Einschätzung seitens des Gutachters nicht sicher möglich sei. Auch der Sachverständige gehe nicht auf die Zeitangaben der Arztberichte ein. Es werde vielmehr unterstellt, dass sämtliche aufgeführten Symptome im Zeitpunkt der Entlassung aus der Klinik vorlagen, was jedoch laut Arztbericht so nicht richtig sei, zumal die ärztliche Untersuchung des TÜV … zu dem Ergebnis gekommen sei, dass keine körperlichen Symptome für eine Alkoholabhängigkeit festzustellen seien. Hier hätte eine vertiefte Auseinandersetzung stattfinden müssen. Komplett fehle zudem die Auseinandersetzung mit dem Zusammenhang zwischen der Alkoholproblematik des Antragstellers und dem Straßenverkehr. Es werde angeregt, hier anlässlich des Rechtsstreits ein Obergutachten anfertigen zu lassen. Der Antragsteller mache eine Ausbildung zum A…. Er befinde sich derzeit im letzten Ausbildungsjahr und hätte im Frühsommer die Abschlussprüfung absolvieren sollen. Dies sei von der Behörde nicht beachtet worden. Ebenso sei nicht beachtet worden, dass vorliegend Anlass zu der Aufforderung einer Begutachtung nicht die Auffälligkeit im Straßenverkehr gewesen sei. Die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung sei daher rein schematisch, rechtsfehlerhaft und aufzuheben.

Der Antragsgegner legte mit Schreiben vom 11. März 2016 seine Verwaltungsakten vor und beantragte, den Antrag vom … Februar 2016 abzulehnen.

Der Antragsgegner führt unter anderem aus, der Antragsteller habe bei einer persönlichen Vorsprache am … September 2015 den „vorläufigen Arztbrief“ vom … August 2015 des A…Klinikums vorgelegt. Das ärztliche Gutachten von Frau Dr. A…, Ärztin bei der Begutachtungsstelle für Fahreignung des TÜV … sei von der Fahrerlaubnisbehörde eingehend geprüft worden und die Ausführungen seien als schlüssig und überzeugend angesehen worden. Daraufhin sei dem Antragsteller die Fahrerlaubnis entzogen worden.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichts- und Verwaltungsakten ergänzend Bezug genommen (§117 Abs. 3 VwGO).

II.

Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) bleibt ohne Erfolg.

Der gestellte Antrag ist gemäß § 88 VwGO dahingehend auszulegen, dass der Antragsteller die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die in Nr. 1 des Bescheids vom … Februar 2016 verfügte Entziehung der Fahrerlaubnis und hinsichtlich der in Nr. 2 des Bescheids enthaltenen, fristmäßig konkretisierten, Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins (§ 47 Abs. 1 Satz 2 Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV –; BayVGH, B.v. 22.9.2015 – 11 CS 15.1447 – juris) begehrt, sowie die Anordnung der aufschiebenden Wirkung hinsichtlich der in Nr. 3 verfügten Zwangsgeldandrohung, welche gemäß Art. 21a des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes (VwZVG) bereits kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist.

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs ist allerdings hinsichtlich Nummer 3 des Bescheids vom … Februar 2016 bereits unzulässig. Der Antragsteller hat seinen Führerschein bei der Fahrerlaubnisbehörde abgegeben und damit die Verpflichtung aus Nr. 2 des Bescheids erfüllt. Da nicht davon auszugehen ist, dass der Antragsgegner das Zwangsgeld entgegen der Vorschrift des Art. 37 Abs. 4 VwZVG gleichwohl noch beitreiben wird, fehlt es dem Antragsteller für einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung hinsichtlich Nr. 3 des Bescheids am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis.

Im Übrigen ist der Antrag zulässig, aber unbegründet.

Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs im Fall des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen, im Fall des § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung. Es hat bei der Entscheidung über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung abzuwägen zwischen dem von der Behörde geltend gemachten Interesse an der sofortigen Vollziehung ihres Bescheides und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein erforderliche summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf offensichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei kursorischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, besteht kein Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer allgemeinen Interessenabwägung.

Die Begründung für die Anordnung des Sofortvollzugs in Nr. 4 des Bescheides vom … Februar 2016 entspricht den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Nach dieser Vorschrift hat die Behörde unter Würdigung des jeweiligen Einzelfalls schriftlich darzulegen, warum sie abweichend vom Regelfall der aufschiebenden Wirkung, die Widerspruch und Klage grundsätzlich zukommt, die sofortige Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts angeordnet hat. An den Inhalt der Begründung sind dabei allerdings keine zu hohen Anforderungen zu stellen (Schmidt in: Eyermann, VwGO – Verwaltungsgerichtsordnung, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 43).

Das besondere öffentliche Interesse, bereits mit Zustellung des Bescheids die weitere Teilnahme des Antragstellers am Straßenverkehr zu unterbinden, wird konkret anhand der Umstände des vorliegenden Einzelfalles des Antragstellers unter Zugrundelegung des gesamten Akteninhaltes begründet. Dies genügt den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Ferner ist darauf hinzuweisen, dass im Bereich des Sicherheitsrechts das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung häufig – so auch hier – gerade aus den Gesichtspunkten, die für den Erlass des Verwaltungsakts selbst maßgebend waren, besteht (st. Rspr., z.B. BayVGH, B.v. 10.3.2008 – 11 CS 07.3453 m.w.N. – juris).

Da über den Widerspruch noch nicht entschieden ist, ist vorliegend für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts maßgeblich.

Bei summarischer Prüfung der derzeitigen Sach- und Rechtslage wird der Widerspruch gegen Nr. 1 und Nr. 2 des Bescheids vom … Februar 2016 voraussichtlich nicht erfolgreich sein, weil der Bescheid insoweit rechtmäßig ist und den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzt, § 68 Abs. 1 Satz 1, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Antragsteller ist derzeit nicht geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen. Das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis überwiegt daher das Interesse des Antragstellers, weiter im Besitz seiner Fahrerlaubnis zu bleiben.

Dies ergibt sich aus Folgendem: Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) und § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist.

Beim Antragsteller liegt eine psychische Störung/Erkrankung im Sinne von Nr. 7.5 der Anlage 4 zur FeV vor, die die Fahreignung in Frage stellt. Zwar erwähnt das Gutachten des TÜV … keine genaue Nummer aus der Anlage 4, jedoch legt das Gutachten den Bericht des A…Klinikums zugrunde, in dem von einer Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion (ICD-10: a…) ausgegangen wird, so dass auf der Hand liegt, dass Nr. 7.5 der Anlage 4 zur FeV in Betracht kommt. Es wird festgestellt, dass keine Hinweise auf eine Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis vorhanden sind (Seite 12 des Gutachtens vom … November 2015). Das Gutachten des TÜV … stellt fest, dass die akute Phase abgeklungen ist, allerdings könne zum jetzigen Zeitpunkt ein Wiederauftreten nicht ausgeschlossen werden. Dies wird auch darauf gestützt, dass der Antragsteller trotz ärztlicher Beratung dahingehend sich nicht in eine ambulante psychotherapeutische Behandlung begeben habe. Gerade auch die sich daraus ergebende fehlende Einsicht des Antragstellers, sich mit der Erkrankung auseinanderzusetzen und Maßnahmen zu ergreifen, um ein Wiederauftreten zu verhindern, stützt die Annahme, dass eine dauerhafte psychische Stabilität noch nicht gewährleistet ist. Bereits aus diesem Grund fehlt dem Antragsteller jedenfalls gegenwärtig die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen (Nr. 7.5 der Anlage 4 zur FeV).

Darüber hinaus liegt beim Antragsteller eine seine Fahreignung ausschließende Alkoholabhängigkeit vor.

In Nr. 8 der Anlage 4 zur FeV wird bezüglich Alkohol ausgeführt, dass die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bei Alkoholmissbrauch (Nr. 8.1) und bei Alkoholabhängigkeit (Nr. 8.3) grundsätzlich nicht besteht. Von Alkoholmissbrauch wird in diesem Zusammenhang immer dann gesprochen, wenn ein Bewerber oder Inhaber einer Fahrerlaubnis das Führen von Kraftfahrzeugen und einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher trennen kann, ohne bereits abhängig zu sein. Als alkoholabhängig wird in der Regel bezeichnet, wer die Kriterien der diagnostischen Leitlinien der Alkoholabhängigkeit nach der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen ICD-10 erfüllt. Alkoholabhängigkeit wird unter Bezugnahme auf die ICD-10 dann angenommen, wenn irgendwann während des letzten Jahres drei oder mehr der folgenden Kriterien gleichzeitig vorhanden waren: a) Ein starker Wunsch oder eine Art Zwang, psychotrope Substanzen zu konsumieren. b) Verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich des Beginns, der Beendigung und der Menge des Konsums. c) Ein körperliches Entzugssyndrom bei Beendigung oder Reduktion des Konsums, nachgewiesen durch substanzspezifische Entzugssymptome oder durch die Aufnahme der gleichen oder einer nahen verwandten Substanz, um Entzugssymptome zu mildern oder zu vermeiden. d) Nachweis einer Toleranz. e) Fortschreitende Vernachlässigung anderer Vergnügungen oder Interessen zugunsten des Substanzkonsums, erhöhter Zeitaufwand, um die Substanz zu beschaffen, zu konsumieren oder sich von den Folgen zu erholen. f) Anhaltender Substanzkonsum trotz Nachweises eindeutiger schädlicher Folgen (vgl. BayVGH, B.v. 20.1.2012 -11 CS 11.3011 – juris). Waren die Voraussetzungen zum Führen von Kraftfahrzeugen wegen Alkoholabhängigkeit, bei der die Fähigkeit zum sicheren Führen von Kraftfahrzeugen generell aufgehoben ist, nicht gegeben, so können sie nach den Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung nur dann wieder als gegeben angesehen werden, wenn durch Tatsachen der Nachweis geführt wird, dass dauerhafte Abstinenz besteht. Hierzu ist in der Regel eine erfolgreiche Entwöhnungsbehandlung mit anschließend mindestens einjähriger Abstinenz erforderlich, die mittels regelmäßiger ärztlicher Untersuchungen und Labordiagnostik nachgewiesen werden muss; weiterhin dürfen keine sonstigen eignungsrelevanten Mängel vorliegen. Gleiches ergibt sich im Wesentlichen aus Nr. 8.4 der Anlage 4 zur FeV.

Bei Alkoholabhängigkeit liegt Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen vor, ohne dass es darauf ankommt, ob ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum und das Führen von Fahrzeugen hinreichend sicher getrennt werden kann. Abhängigkeit rechtfertigt deswegen auch dann die Feststellung von Ungeeignetheit, wenn bisher keine Verkehrsteilnahme unter Alkoholeinfluss festgestellt wurde (Hentschel/König/Dauer, StVG, 42. Aufl. 2013, § 2 Rn. 45). Ist zu klären, ob eine Person alkoholabhängig ist, ordnet die Fahrerlaubnisbehörde gemäß § 13 Satz 1 Nr. 1 FeV ein ärztliches Gutachten zur Klärung der Kraftfahreignung an. Dies wurde durch die Fahrerlaubnisbehörde veranlasst. Das vom Antragsteller vorgelegte Gutachten vom … November 2015 kommt zu dem Ergebnis, dass eine Alkoholabhängigkeit des Antragstellers vorliegt. Eine Entwöhnung mit nachgewiesenem Abstinenzzeitraum liege nicht vor.

Der Antragsgegner durfte sich auf das Gutachten des TÜV … vom … November 2015 stützen. Nach Nr. 2 der Anlage 4a „Grundsätze für die Durchführung der Untersuchungen und die Erstellung der Gutachten“ zur FeV muss ein Gutachten in allgemeinverständlicher Sprache abgefasst sowie nachvollziehbar und nachprüfbar sein. Die Nachvollziehbarkeit betrifft die logische Ordnung (Schlüssigkeit) des Gutachtens. Sie erfordert die Wiedergabe aller wesentlichen Befunde und die Darstellung der zur Beurteilung führenden Schlussfolgerungen (Buchstabe a). Das Gutachten muss in allen wesentlichen Punkten insbesondere im Hinblick auf die gestellten Fragen (§ 11 Abs. 6) vollständig sein. Der Umfang eines Gutachtens richtet sich nach der Befundlage. Bei eindeutiger Befundlage wird das Gutachten knapper, bei komplizierter Befundlage ausführlicher erstattet (Buchstabe b). Im Gutachten muss dargestellt und unterschieden werden zwischen der Vorgeschichte und dem gegenwärtigen Befund (Buchstabe c).

Diesen Anforderungen wird das Gutachten in Bezug auf die psychische Störung/Erkrankung gerecht. Auch sind jedenfalls drei der vorgenannten Kriterien der ICD-10 für eine Alkoholabhängigkeit schlüssig durch das Gutachten belegt. Das Gutachten geht von dem Vorhandensein folgender Kriterien aus: – Verminderte Kontrollfähigkeit während des Alkoholkonsums – starkes Verlangen, Alkohol zu konsumieren – Toleranzentwicklung – Vernachlässigung anderer Interessen und Verpflichtungen.

Verminderte Kontrollfähigkeit nimmt das Gutachten an, da der Antragsteller angab, sich fast bis zur Besinnungslosigkeit betrunken zu haben und kein Stopp-Gefühl gekannt zu haben. Trotz der Angabe, den Alkoholkonsum nunmehr auf das Wochenende beschränkt zu haben, gibt der Antragsteller auch beim Untersuchungsgespräch für das TÜV Gutachten an, einen Maximalkonsum von 10-12 halben Bier im letzten Jahr vor Gutachtenerstellung gehabt zu haben. Auch der Arztbericht des A…Klinikums führt in Bezug auf den Konsum von Alkohol am Wochenende aus, dass der Antragsteller während solcher Alkoholexzesse dann aggressiv und streitlustig sei sowie unter Bewusstseinsminderung leide. Diese Aussage bezieht sich nicht auf den Zeitraum vor Beginn der Ausbildung, sondern deckt den Zeitraum bis zum Aufenthalt des Antragstellers im A…Klinikum ab und wird auch durch die Aussagen des Antragstellers im Untersuchungsgespräch für das TÜV Gutachten bestätigt.

Der beim Antragsteller angenommene Suchtdruck ergibt sich klar aus seinen Äußerungen und den Einschätzungen im Rahmen des Berichtes des A…Klinikums und der darauf aufbauenden Beurteilung der Ärztin Dr. A…. Auch durch die Äußerung des Antragstellers im TÜV Gutachten, er habe ab und zu das Gefühl, er würde jetzt gerne etwas trinken, kommt der Suchtdruck durchaus zum Ausdruck. Den Akten können sich auch Anhaltspunkte entnehmen lassen, dass der Antragsteller in anderen Bereichen zu Suchttendenzen neigt.

Bezüglich der Toleranzentwicklung zitiert das TÜV Gutachten einen Zeitraum (… Monate exzessiver Alkohol), der vor dem Ausbildungsbeginn des Antragstellers im September 2013 stattfand. Insofern bräuchte es für eine schlüssige Darlegung dieses Kriteriums eine Ergänzung des Gutachtens dahingehend, ob die Toleranzentwicklung auch bei der im letzten Jahr vor der Gutachtenerstellung angenommenen konsumierten Alkoholmenge anzunehmen ist. Die Angabe des Antragstellers vor dem A…Klinikum, er trinke seit 3 Wochen keinen Alkohol mehr, zeigt sich nach den Aussagen beim ärztlichen Untersuchungsgespräch für das Gutachten im November 2015, bei dem Alkoholkonsum am Vortag eingeräumt wurde, als überholt.

In Bezug auf die Vernachlässigung von Interessen und Verpflichtungen gab der Antragsteller sowohl im ärztlichen Untersuchungsgespräch zum TÜV Gutachten als auch beim Bericht des A…Klinikums hierauf Hinweise, die die Gutachterin ihrer Beurteilung zugrunde legen konnte. Die Gutachterin berücksichtigt hierbei, dass auch die schwierige familiäre Situation, insbesondere die Erkrankung des Vaters, hierbei eine Ursache darstellen. Allerdings sei davon auszugehen, dass auch der Alkoholkonsum diese Tendenz verstärkt habe.

Somit erweist sich der Bescheid des Antragsgegners vom … Februar 2016 insgesamt bei summarischer Prüfung als rechtmäßig. Insbesondere überwiegt bei dieser Sach- und Rechtslage das Interesse der Allgemeinheit am sofortigen Vollzug der Fahrerlaubnisentziehung das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs zum jetzigen Zeitpunkt. Das Interesse des Antragstellers, seine Ausbildung zum A… fortzusetzen, muss im Moment hinter dem Interesse der Allgemeinheit, nicht durch einen ungeeigneten Kraftfahrer in Gefährdungssituationen zu geraten, zurücktreten.

Es sei darauf hingewiesen, dass entscheidender Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage in einem eventuell noch folgenden Klageverfahren der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung wäre. Der Antragsteller hätte daher im derzeit laufenden Widerspruchsverfahren grundsätzlich noch Gelegenheit, weitere Gutachten vorzulegen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetzes – GKG – i.V.m. den Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.

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