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Fahrerlaubnisentziehung – Nichtvorlage eines medizinisch psychologischen Gutachtens

VG München, Az.: M 26 K 15.3384, Urteil vom 06.06.2016

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen B, BE, C1, C1E, L, M, S und T sowie die Ablehnung seines Antrags auf Verlängerung der Fahrerlaubnis-Klassen C und CE.

Hinsichtlich der Fahrerlaubnisklassen C, CE, die bis zum … August 2011 befristet waren, beantragte er am … Juni 2011 deren Verlängerung.

Im Verkehrszentralregister ergaben sich zu dieser Zeit zwei Verurteilungen wegen Nötigung bzw. versuchter Nötigung mit einer Bewertung von jeweils 5 Punkten, die zusammen mit einer mit einem Punkt bewerteten Ordnungswidrigkeit bereits zu einer Verwarnung (Entscheidung vom …1.2011) geführt hatten. Mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts A… vom 28. Oktober 2010 war der Kläger wegen Nötigung zu einer Geldstrafe und einem einmonatigen Fahrverbot verurteilt worden. Dem lag zugrunde, dass der Kläger am … April 2010 als Führer eines Sattelzuggespanns auf der Autobahn in einem Baustellenbereich einen vor ihm fahrenden Pkw-Führer zu schnellerem Fahren drängte, indem er sämtliche Lichter seines Lkw aufblendete und für eine Strecke von mindestens 400 m so eng auf das vordere Fahrzeug aufschloss, dass der Abstand nur noch wenige Zentimeter betrug. Nachdem der vorausfahrende Pkw zunächst seine Geschwindigkeit nicht erhöhte, setzte der Kläger noch im Baustellenbereich zu einem Überholvorgang an und scherte auf den linken Fahrstreifen aus, obwohl das Überholen an dieser Stelle aufgrund der Fahrbahnbreite nicht gefahrlos möglich war. Um der Gefahr eines Zusammenstoßes zu entgehen, erhöhte der Bedrängte schließlich seine Fahrgeschwindigkeit. Außerdem war der Kläger bereits mit rechtkräftigem Strafbefehl des Amtsgerichts B… vom 16. August 2010 wegen einer versuchten Nötigung am … Mai 2010 zu einer Geldstrafe und einem einmonatigen Fahrverbot verurteilt worden. Wiederum als Führer eines Sattelzuggespanns befuhr der Kläger die rechte Fahrspur einer Bundesstraße. An einer Kreuzung zeigte die dortige Lichtzeichenanlage Rot, weshalb zwei Verkehrsteilnehmer mit ihren Pkw auf die linke Spur wechselten. Nach Umschalten auf Grün wechselten die betreffenden Pkw-Führer auf die rechte Fahrspur und setzten sich vor den Sattelzug des Klägers. Hierüber verärgert, betätigte dieser die Lichthupe und fuhr dicht auf den vor ihm fahrenden Pkw auf. Nach dem Überqueren der nächsten Kreuzung schaltete der Kläger das Fernlicht ein und fuhr weiterhin in dichtem Abstand hinter den beiden Fahrzeugen her, um diese entweder zu einer schnelleren Fahrweise zu zwingen oder beide zu veranlassen, an den rechten Fahrbahnrand zu fahren, damit der Kläger überholen könne.

Mit Schreiben vom … August 2011 und noch einmal mit Schreiben vom … November 2011 forderte die Beklagte den Kläger unter Bezugnahme auf die Straftaten zur Vorlage eines psychologischen Gutachtens auf. Nach der Versendung der Unterlagen an die vom Kläger benannten Begutachtungsstellen wurde jeweils kein Gutachten vorgelegt. Der Kläger machte Hinderungsgründe geltend. Mit Schreiben vom … Mai 2012 ordnete die Beklagte die Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens an. Nachdem der Kläger trotz Beauftragung einer Begutachtungsstelle erneut kein Gutachten vorlegte, entzog die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 17. Januar 2013 die Fahrerlaubnis aller Klassen und lehnte den Verlängerungsantrag hinsichtlich der Fahrerlaubnis-Klassen C, CE ab. Auf die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren am 25. November 2013 erhobene Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München (Az. M 6b K 13.5378) nahm die Beklagte den Bescheid vom 17. Januar 2013 mit Bescheid vom 10. Februar 2014 zurück, weil die ergangenen Gutachtensanordnungen keine Ausführungen dazu enthielten, warum vorliegend eine bloße Maßnahme nach dem schematisch abgestuften Katalog des Mehrfachtäterpunktsystems nicht für ausreichend erachtet wurde. Das Verfahren wurde nach übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten mit Beschluss vom 3. März 2014 eingestellt.

Mit Schreiben vom … April 2014 forderte die Beklagte den Kläger auf, innerhalb von drei Monaten ab Zustellung des Schreibens ein medizinisch-psychologisches Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung über seine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen vorzulegen. Das Gutachten solle die Frage beantworten, ob der Kläger trotz der aktenkundigen Straftaten (hohes Aggressionspotential im/außerhalb des Straßenverkehrs) die Anforderungen an das sichere Führen eines Kraftfahrzeugs der Gruppen 1 und 2 im Verkehr erfülle und ob der Kläger nicht erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche/strafrechtliche Bestimmungen verstoßen werde, so dass dadurch seine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Das Schreiben enthält u.a. Ausführungen dazu, warum eine bloße Maßnahme nach dem schematisch abgestuften Katalog des Mehrfachtäterpunkt-Systems, der mit der ersichtlichen individuellen Fehleinstellung unmittelbar verbundenen Gefährdung der allgemeinen Verkehrssicherheit nicht gerecht werde.

Am … April 2014 wurde dem Kläger nach der Vorlage entsprechender Qualifizierungsnachweise die Schlüsselzahl 95 für die Fahrerlaubnisklassen C1 und C1E durch die Beklagte zuerkannt.

Nachdem die Gutachtensanordnung vom … April 2014 an den noch nicht mandatierten Bevollmächtigten des Klägers zugestellt worden war, erließ die Beklagte mit Schreiben vom … August 2014 nochmals eine identische Gutachtensanordnung und stellte sie dem Kläger zu.

Nach Anhörung entzog die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 27. Juli 2015 die Fahrerlaubnis aller Klassen (Nr. 1 des Bescheids) und ordnete unter Androhung eines Zwangsgelds von a… EUR die Abgabe des Führerscheins spätestens innerhalb einer Woche ab Bestandskraft des Bescheids an (Nrn. 2 und 3). Unter Nr. 4 wurde der Antrag auf Verlängerung der Fahrerlaubnis der Klassen C und CE vom … Juni 2011 abgelehnt. Nrn. 5 und 6 enthalten die Kostenentscheidungen.

Die Entziehung der Fahrerlaubnis und die Ablehnung des Antrags auf Verlängerung der Fahrerlaubnisklassen C und CE wurden mit der Nichtvorlage des geforderten medizinisch-psychologischen Gutachtens und der daraus zu schließenden Nichteignung des Klägers begründet.

Am … August 2015 erhob der zwischenzeitlich Bevollmächtigte des Klägers zum Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage und beantragte, den Bescheid vom 27. Juli 2015 aufzuheben sowie die Verpflichtung auszusprechen, dem Kläger die Fahrerlaubnis der Klassen C und CE unter Eintragung der Kennziffer 95 zu verlängern.

Zur Begründung führte er aus, dass die Verurteilungen des Klägers nach dem Willen des Gesetzgebers nach dem seinerzeit geltenden Punktesystem mit je 5 Punkten bewertet worden seien. Dies habe die erste Eingriffsstufe der Verwarnung ausgelöst. Der Gesetzgeber habe bereits berücksichtigt, dass in jeder Nötigungshandlung ein erhöhtes Aggressionspotential liege. Die vorgenommene Bewertung des Aggressionsverhaltens des Klägers durch die Beklagte anhand der Straftaten stelle eine doppelte Berücksichtigung dar. Im Übrigen sei der Bescheid auch deshalb rechtsfehlerhaft, weil die Beklagte in ihre Ermessensabwägung nicht alle bedeutsamen Sachverhalte eingestellt habe. Sie habe insbesondere nicht einfließen lassen, dass der Kläger seit dem Jahr 2010 trotz Teilnahme am Straßenverkehr auch mit Lastwagen keinerlei Verfehlungen – nicht einmal Ordnungswidrigkeiten – begangen habe, dass sich der Kläger mithin als Kraftfahrer über 5 Jahre bestens bewährt habe.

Mit Schriftsatz vom 1. September 2015 beantragte die Beklagte, die Klage abzuweisen und führte u.a. aus, dass mit der Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung keine unzulässige Doppelbewertung vorgenommen worden sei. Sie verwies hierzu auf § 4 Abs. 1 Satz 2 StVG (a.F.).

Am 6. Juni 2016 fand mündliche Verhandlung statt. Der Bevollmächtigte des Klägers beantragte für diesen:

1. Der Bescheid der Landeshauptstadtstadt München vom 27. Juli 2015 wird aufgehoben.

2. Die Beklagte wird verpflichtet, die Fahrerlaubnis des Klägers der Klassen C und CE zu verlängern und die Kennziffer 95einzutragen.

Für den Fall, dass die erfolgte Eintragung der Kennziffer 95auch die begehrten Fahrerlaubnisklassen C und CE umfassen sollte, werde der Antrag auf Eintragung der Ziffer 95nicht mehr aufrechterhalten.

Die Vertreterin der Beklagten beantragte, die Klage abzuweisen.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten zum Sachverhalt und zum Vorbringen der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte, insbesondere auch auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 6. Juni 2016 sowie auf die vorgelegte Behördenakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, jedoch unbegründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 27. Juli 2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat nach Ablauf der bis … August 2011 gültigen Fahrerlaubnis auch keinen Anspruch auf Verlängerung bzw. Neuerteilung einer Fahrerlaubnis der Klassen C und CE sowie Erstreckung der Schlüsselzahl 95 auf diese (§ 113 Abs. 5 VwGO).

Die Beklagte durfte – ohne dass ihr insoweit noch ein Ermessen zugestanden hätte – aufgrund der Nichtvorlage des mit Schreiben vom … August 2014 geforderten Gutachtens gemäß § 11 Abs. 8 Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV – auf die Nichteignung des Klägers schließen. Auf diese Rechtsfolge war der Kläger in der Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens vom … August 2014 hingewiesen worden (§ 11 Abs. 8 Satz 2 FeV). Aufgrund der zu unterstellenden Nichteignung waren durch die Beklagte die Entziehung der Fahrerlaubnis aller Klassen § 3 Abs. 1 Straßenverkehrsgesetz – StVG – i.V.m. § 46 Abs. 1 FeV und die Ablehnung des Antrags vom … Juni 2011 auszusprechen (s. § 2 Abs. 2 Satz 4 StVG, § 11 Abs. 1 Satz 3 FeV).

Der Kläger ist – was Voraussetzung für die Zulässigkeit des Schlusses auf die fehlende Fahreignung nach § 11 Abs. 8 FeV war – mit Schreiben vom … August 2014 zu Recht zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens aufgefordert worden (§ 46 Abs. 3, § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 FeV). Es lagen im Fall des Klägers Tatsachen vor, die geeignet waren, im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt Bedenken gegen seine Fahreignung zu begründen Die Beklagte hat das ihr zustehende Ermessen erkannt und fehlerfrei ausgeübt und die Fragestellung der Gutachtensanordnung genügt den sich aus § 11 Abs. 6 Satz 1 FeV ergebenden Anforderungen.

Die beiden am … April 2010 und … Mai 2010 begangenen Taten (Nötigung und versuchte Nötigung) stellen Straftaten im Sinne des von der Beklagten herangezogenen § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 FeV dar. Der ausreichende Bezug zur Kraftfahreignung liegt hier bereits darin, dass die Taten in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Verhalten des Klägers als Kraftfahrzeugführer stehen. Durch die rechtskräftig geahndeten Straftaten hat der Kläger aber insbesondere auch ein hohes Aggressionspotential an den Tag gelegt, denn sie lassen ein hohes Maß an Angriffslust, Streitsüchtigkeit und Impulsivität erkennen. In einem solchen Fall bestehen begründete Zweifel daran, dass der Betroffene im motorisierten Straßenverkehr die Rechte anderer Verkehrsteilnehmer respektieren wird, sowie daran, ob nicht aufgrund des zu erwartenden rücksichtslosen Durchsetzens eigener Interessen in schwerwiegender Weise die Rechte anderer verletzt werden. Eine Aufforderung zur Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens hätte darüber hinaus wohl auch auf § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 sowie Nr. 6 FeV gestützt werden können.

Der Gutachtensanordnung stand keine sich aus § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG ergebende Bindungswirkung entgegen. Im vorliegenden Fall hatten zwar auch die für die Nötigungsdelikte zuständigen Strafgerichte dessen Fahreignung zu beurteilen (§ 69 Abs. 1 StGB) und jeweils „nur“ ein Fahrverbot gemäß § 44 StGB ausgesprochen. Da die strafgerichtlichen Entscheidungen entgegen § 267 Abs. 6 Satz 2 StPO jedoch nicht erkennen lassen, warum von der Entziehung der Fahrerlaubnis abgesehen wurde, entfällt mangels Eindeutigkeit und Bestimmtheit der Entscheidungen die Bindung nach § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG (vgl. BayVGH, B.v. 8.1.2015 – 11 CS 14.2389 – juris m.w.N.).

Die Beklagte hat bei der Anordnung zur Beibringung des Gutachtens auch das ihr eingeräumte Ermessen erkannt und rechtsfehlerfrei ausgeübt. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wurde beachtet.

Die Beklagte hat nunmehr insbesondere auch berücksichtigt und ausreichend gewürdigt, dass die Verurteilungen wegen der Taten vom … April 2010 und … Mai 2010 zu Eintragungen ins Verkehrszentralregister (jetzt Fahreignungsregister) geführt haben und damit dem Maßnahmenkatalog des Mehrfachtäterpunktsystems (bzw. nun Fahreignungsbewertungssystems) unterlagen. Das Tätigwerden der Fahrerlaubnisbehörde außerhalb des Punktsystems ist gemäß § 4 Abs. 1 Satz 3 StVG bzw. § 4 Abs. 1 Satz 2 in der bis 30. April 2014 gültigen Fassung – StVG a.F. – zwar grundsätzlich möglich. In einem solchen Fall sind aber im Rahmen anzustellender Ermessenserwägungen die Umstände des Einzelfalles sorgfältig zu würdigen. Dem entsprechend muss eine Gutachtensanordnung nach § 46 Abs. 3 i.V.m. §§ 11 bis 14 FeV erkennen lassen, warum es im jeweiligen Einzelfall gerechtfertigt ist, nicht (nur) nach den grundsätzlich vorrangigen Maßnahmen, die das sogenannte Punktsystem erlaubt, vorzugehen, sondern (zusätzlich) eine medizinisch-psychologische Begutachtung anzufordern (BayVGH, B.v. 8.1.2015 – 11 B 12.416 – juris; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Auflage 2015, § 11 FeV Rn. 43, § 4 StVG Rn. 33).

Die Beklagte hat in der Gutachtensanordnung vom … August 2014 unter ausführlicher Auseinandersetzung mit dem konkreten Sachverhalt dargelegt, warum im Fall des Klägers wegen des durch die Straftaten ersichtlich gewordenen hohen Aggressionspotentials so schwer wiegende Zweifel an der Fahreignung bestehen, dass eine bloße Maßnahme nach dem schematisch abgestuften Katalog des auf die Taten damals noch anzuwenden Mehrfachtäterpunktsystems der ersichtlichen Fehleinstellung des Klägers und der damit verbundenen Gefährdung der allgemeinen Verkehrssicherheit nicht mehr gerecht wird. Die Ermessenserwägungen der Beklagten sind den heranzuziehenden Taten angemessen. Wenn – wie hier – Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotential den Verdacht begründen, dass sich der Inhaber einer Fahrerlaubnis bzw. Bewerber um eine solche auch zukünftig im Straßenverkehr unbeherrscht und die Verkehrssicherheit gefährdend verhalten könnte, wiegt dies so schwer, dass nicht abgewartet werden kann, ob sich Fahreignungsmängel in der Weise niederschlagen, dass nach dem Punktsystem eine Fahrerlaubnisentziehung in Betracht kommt (s. BayVGH, B.v. 7.11.2013 – 11 CS 13.1779 – juris Rn. 15). Es ist offensichtlich, dass ein durch das Verhalten des Klägers provozierter Unfall mit dem von ihm für die Nötigungshandlungen jeweils genutzten Sattelzuggespann unabsehbar schwere, insbesondere in Bezug auf den Vorfall vom … April 2010, sogar tödliche Folgen hätte haben können.

Auch daraus, dass seit den Vorfällen im Jahr 2010 bis zur Gutachtensanordnung vom … August 2014 mehr als vier Jahre verstrichen sind und der Antragsteller seitdem nicht mehr einschlägig aufgefallen ist bzw. dem Umstand, dass diese Aspekte nicht Gegenstand der Gutachtensanordnung der Beklagten waren, kann vorliegend nicht deren Rechtswidrigkeit abgeleitet werden. Ergeben sich – wie hier – die Zweifel aufgrund von Vorkommnissen, die zu einer Eintragung in das Verkehrszentralregister (jetzt Fahreignungsregister) führen, so beantwortet sich die Frage, innerhalb welcher Zeitspanne der betreffende Sachverhalt zum Anlass für die Anordnung zur Beibringung eines Fahreignungsgutachtens gemacht werden darf, grundsätzlich nach den für dieses Register geltenden Tilgungs- und Verwertungsvorschriften. Solange der anlassgebende Sachverhalt danach noch verwertbar ist, ergibt sich für eine weitere einzelfallbezogene Prüfung, ob die gegebenen Verdachtsmomente noch einen Gefahrenverdacht begründen, grundsätzlich kein Raum mehr (s. BayVGH, B.v. 6.5.2008 – CS 08.551 – juris Rn. 35 m.w.N.). Die für die Taten des Klägers geltende fünfjährige Tilgungsfrist war noch nicht abgelaufen (s. § 65 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 StVG i.V.m. § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 a, Abs. 4 Nr. 1 und Abs. 6 Satz 1 StVG a.F.). Im Fall des Antragstellers bestand auch kein Anlass, von dem Vorstehenden abzuweichen. Es kann – auch in Anbetracht des Umstands, dass der Kläger seit den Vorfällen nicht mehr ordnungswidrigkeiten- oder strafrechtlich in Erscheinung getreten ist – nicht davon ausgegangen werden, dass sich ein beim Kläger vorhandenes Aggressionspotential durch bloßen Zeitablauf vermindert haben könnte. Ob ein hohes Aggressionspotential (noch) besteht, soll gerade im Wege der medizinisch-psychologischen Begutachtung einer Klärung zugeführt werden. Die Fahrerlaubnisbehörde könnte eine entsprechende sachverständige Beurteilung nicht leisten.

Soweit der Bevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung noch darauf verwies, dass die Beklagte trotz vorheriger Kenntnis von den beiden Verurteilungen wegen Nötigungsdelikten erst im Zuge des Verlängerungsverfahrens Aufklärungsmaßnahmen zur Frage der Fahreignung ergriff und die Auffassung vertrat, dass dieser Umstand im Rahmen der Ermessensausübung durch die Beklagte zu würdigen gewesen wäre, ist auch dieser Einwand nicht durchgreifend. Entsprechende Ermessenserwägungen waren nicht veranlasst. Das Fahrerlaubnisrecht, das zum Bereich des Sicherheitsrechts gehört, verpflichtet die Behörde solange zu Maßnahmen, wie von der Nichteignung des Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen oder von Zweifeln hieran auszugehen ist. Selbst wenn man – was im Bereich des Sicherheitsrechts grundsätzlich zweifelhaft ist – von der Möglichkeit einer Verwirkung ausgehen wollte, käme eine solche nur in Betracht, wenn dafür neben dem Verstreichen eines längeren Zeitraums (sog. Zeitmoment) weitere Umstände hinzukämen, die die verspätete Geltendmachung als treuwidrig erscheinen lassen würden (sog. Umstandsmoment) (BVerwG, U.v. 20.3.2014 – 4 C 11/13 – ZfBR 2014, 690). Vorliegend ist zwischen der Kenntnis der Beklagten von den Verurteilungen des Klägers und ihrem in die erste Gutachtensanordnung vom … August 2011 mündenden Tätigwerden allenfalls ein Zeitraum von einigen Monaten und damit kein längerer Zeitraum im vorgenannten Sinne verstrichen. Es bestand auch deshalb keine Veranlassung anzunehmen, dass die Beklagte nach der zwingend auszusprechenden Verwarnung nach dem Mehrfachtäterpunktsystem am … Januar 2011 keine weiteren, die Fahreignung betreffenden Prüfungen vornehmen werde.

Ebenso wenig war durch die Beklagte – wie der Bevollmächtigte des Klägers zu meinen scheint – die Zuerkennung der Schlüsselzahl 95 für die – untypisch – nicht sofortvollziehbar entzogene Fahrerlaubnis der Klassen C1, C1E in die Ermessenserwägungen einzubeziehen. Den insoweit nachgewiesenen Berufskraftfahrer-Qualifikationen für gewerbliche Fahrten ist für die hier in Rede stehenden Fahreignungszweifel nichts zu entnehmen.

Für das Gericht bestehen schließlich auch keine Zweifel hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Fragestellung der Gutachtensanordnung. Sie bewegt sich innerhalb der in § 11 Abs. 6 Satz 1 FeV vorgegebenen Grenzen. Die Hinweise nach § 11 Abs. 6 Satz 2 FeV sind erfolgt.

Da die Entziehung der Fahrerlaubnis der summarischen gerichtlichen Überprüfung standhält, verbleibt es auch bei der in Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids enthaltenen, hinsichtlich der Frist konkretisierten Verpflichtung, den Führerschein innerhalb der genannten Frist abzuliefern (§ 3 Abs. 2 Satz 3 StVG i.V.m. § 47 Abs. 1 Satz 1 FeV). Rechtliche Bedenken gegen die in Nr. 3 des Bescheids enthaltene Zwangsgeldandrohung oder die Kostenentscheidungen (Nrn. 5 und 6) wurden weder vorgetragen noch sind solche sonst ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung hat ihre Rechtsgrundlage in § 167 Abs. 2, Abs. 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.

Beschluss

Der Streitwert wird auf EUR 12.500,00 festgesetzt

(§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG- i.V.m. Nr. 46.3 und 46.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013; s. BayVGH, U.v. 7.3.2016 – 11 B 15.2093 – juris Rn. 45).

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