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Fahrerlaubnisentziehung – Nichtbeibringung MPU-Gutachten nach Fahrten unter Alkoholeinfluss

Gericht bestätigt Entziehung der Fahrerlaubnis nach Alkoholfahrt und Rotlichtverstoß.

Das Verwaltungsgericht München hat die Klage eines Mannes abgewiesen, der sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen A, A1, B, BE, L, M und S gewehrt hatte. Hintergrund waren eine Trunkenheitsfahrt im Jahr 2010 mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,43 ‰ sowie ein Rotlichtverstoß im Jahr 2016 mit einer Atemalkoholkonzentration von 0,31 mg/l. Die Behörden forderten daraufhin mehrfach ein medizinisch-psychologisches Gutachten an, das der Mann jedoch nicht beibrachte. Das Gericht urteilte nun, dass die Anordnung des Gutachtens rechtmäßig war und der Mann aufgrund seiner Zuwiderhandlungen nicht mehr als fahreignungsgemäß angesehen werden kann. Auch lange zurückliegende Taten können laut Gesetzgeber berücksichtigt werden, solange sie nach den Tilgungs- und Verwertungsbestimmungen noch im Rechtsverkehr vorgehalten werden können. Der Kläger legte daraufhin Anfechtungsklage ein, die jedoch ebenfalls abgewiesen wurde. Er hat nun die Möglichkeit, Berufung einzulegen.

Das Gericht hat einen Antrag auf Zulassung der Berufung abgelehnt, da keine ausreichenden Gründe vorgelegt wurden. Der Kläger hatte behauptet, dass seine Verkehrsverstöße nicht verwertbar seien, aber das Gericht stellte fest, dass dies nicht zutrifft. Das Gericht erklärte, dass die Tilgungsfrist für die Verstöße abgelaufen war und dass sie im Zeitpunkt des Erlasses der Anordnung noch verwertbar waren. Das Gericht wies darauf hin, dass die Rechtmäßigkeit der Fahrerlaubnisentziehung auf der Grundlage der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung bewertet werden muss. Der Kläger hatte auch argumentiert, dass die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens unverhältnismäßig sei, aber das Gericht stimmte dem nicht zu. Es erklärte, dass die Beibringung eines Gutachtens zwingend vorgeschrieben ist, solange eine Tat im Fahreignungsregister noch nicht getilgt ist. Das Gericht wies auch darauf hin, dass die Annahme des Klägers, er habe nur eine Trunkenheitsfahrt begangen, nicht zutrifft. Der Antrag auf Divergenz wurde ebenfalls abgelehnt, da keine Unterschiede in den abstrakten Rechtssätzen festgestellt wurden.

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof – Az.: 11 ZB 22.1463 – Beschluss vom 20.09.2022

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen A, A1, B, BE, L, M und S.

Die Fahrerlaubnis war ihm nach vorangegangener Entziehung durch seit 9. Februar 2011 rechtskräftigen Strafbefehl vom 19. Januar 2011 wegen einer Trunkenheitsfahrt am 14. Dezember 2010 mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,43 ‰ am 16. April 2012 neu erteilt worden.

Mit rechtskräftigem Bußgeldbescheid vom 22. Juli 2016 wurde gegen den Kläger ein Bußgeld und ein einmonatiges Fahrverbot verhängt, weil er am 6. Juli 2016 um 8:02 Uhr ein Kraftfahrzeug mit einer Atemalkoholkonzentration von 0,31 mg/l geführt hatte. Dabei transportierte er in seiner Eigenschaft als Betriebspersonal acht Grundschulkinder und beging einen Rotlichtverstoß. Die Tat ist mit zwei Punkten bewertet.

Daraufhin forderte ihn die Beklagte mit Schreiben vom 23. September 2016 gestützt auf § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV auf, ein medizinisch-psychologisches Gutachten zu der Frage beizubringen, ob zu erwarten sei, dass er künftig ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss führen werde. Infolge mehrmaliger Bitten um Fristverlängerung erließ die Beklagte in der Folge weitere Beibringungsanordnungen gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV am 21. Juni 2018, am 8. März 2019 und am 22. Mai 2020.

Eine weitere Bitte um Fristverlängerung lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 13. August 2020 ab und hörte den Kläger zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis an.

Mit Bescheid vom 27. Oktober 2020 entzog sie dem Kläger die Fahrerlaubnis aller Klassen und forderte ihn unter Androhung eines Zwangsgelds auf, seinen Führerschein innerhalb einer Woche ab Bestandskraft des Bescheids abzugeben.

Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 27. November 2020 ließ der Kläger Widerspruch einlegen, den die Regierung von Oberbayern mit Widerspruchsbescheid vom 29. Juni 2021, zugestellt am 7. Juli 2021, zurückwies.

Am 5. August 2021 ließ der Kläger Anfechtungsklage erheben, die das Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 5. Mai 2022 abwies. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Beklagte habe gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die fehlende Fahreignung schließen dürfen, da sie zu Recht gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV die Beibringung eines Fahreignungsgutachtens angeordnet habe. Die vom Kläger begangenen Zuwiderhandlungen seien im Zeitpunkt der Gutachtensanordnung verwertbar und für die Beurteilung der Kraftfahreignung heranzuziehen gewesen. Bei gebundenen Entscheidungen bemesse sich die Verwendung von in der Vergangenheit liegendem Fehlverhalten nach Maßgabe der gesetzlichen Tilgungs- und Verwertungsbestimmungen, d.h. insbesondere nach § 29 StVG. Die Tilgungsfrist für die Trunkenheitsfahrt vom 14. Dezember 2010 habe nach § 65 Abs. 3 Nr. 2 StVG, § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. a, Abs. 5 Satz 1 StVG (i.d.F. bis 30.4.2014) am 16. April 2022 und die Tilgungsfrist für die Ordnungswidrigkeit vom 6. Juli 2016 nach § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. b, Abs. 4 Nr. 3 StVG (i.d.F. bis 25.1.2019) i.V.m. Nr. 2.2.1 Anlage 13 zur FeV am 10. August 2021 geendet. Entgegen der Ansicht des Klägers sei unerheblich, dass die zweite Tat nur eine Ordnungswidrigkeit darstelle, weil § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV nicht zwischen Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren differenziere. Art und Schwere der Tat würden im Rahmen der ausdifferenzierten Tilgungsregelungen des § 29 StVG berücksichtigt. Nach § 13 Satz 2 FeV schieden nur wiederholte Verstöße gegen § 24c StVG (Alkoholverbot für Fahranfänger) aus. Ebenso wenig fordere § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV einen zeitlichen oder sachlichen Zusammenhang zwischen den Taten. Auch lange zurückliegende Taten könnten berücksichtigt werden, sofern sie nach den Tilgungs- und Verwertungsbestimmungen dem Betroffenen im Rechtsverkehr noch vorgehalten werden könnten. Unerheblich sei, wenn die Tilgung im Laufe des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens eintrete. Der Gesetzgeber habe sich mit einer zehnjährigen Tilgungsfrist bei Alkoholstraftaten, hier § 316 Abs. 2 StGB, für einen relativ langen Zeitraum entschieden, was vor dem Hintergrund der bei alkoholauffällig gewordenen Verkehrsteilnehmern bestehenden Rückfallgefahren nicht zu beanstanden sei. Für eine einzelfallbezogene Prüfung eines Gefahrenverdachts bestehe daneben kein Raum mehr. Die aufgeworfene Problematik der Voraussetzungen einer Gutachtensanordnung nach einer einmaligen Trunkenheitsfahrt spiele vorliegend keine Rolle, da mit wiederholten Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss die tatbestandlichen Merkmale des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV erfüllt seien. Die Beibringungsfrist sei ausreichend bemessen gewesen und der Kläger über die Folgen der Nichtbeibringung des geforderten Gutachtens belehrt worden. Die Fragestellung sei anlassbezogen und verhältnismäßig gewesen. Danach habe der Beklagten kein Ermessensspielraum hinsichtlich der Nichteignungsvermutung des § 11 Abs. 8 FeV zugestanden.

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung, dem die Beklagte entgegentritt, macht der Kläger ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung und eine Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geltend. Zur Begründung ist ausgeführt, die ausschlaggebende Beibringungsanordnung vom 22. Mai 2020, die sich auf Vorfälle aus den Jahren 2010 und 2016 beziehe, sei bedenklich, weil sie Jahre nach den zugrundeliegenden Vorfällen ergangen sei. Die anlassgebende Trunkenheitsfahrt müsse nach den einschlägigen Vorschriften des Fahreignungsregisters noch verwertbar sein, § 29 StVG. Bereits unter diesem Gesichtspunkt sei der Anlass aus dem Jahre 2010 hier nicht mehr verwertbar. Sei die anlassgebende Trunkenheitsfahrt allerdings noch verwertbar und liege sie wie hier dennoch relativ lange zurück, sei auch unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten die Frage der Verwertbarkeit heranzuziehen und auch der entsprechende Zeitablauf zu berücksichtigen. Sei nach einer einmaligen Trunkenheitsfahrt mit einer Blutalkoholkonzentration von weniger als 1,6 ‰ die Fahrerlaubnis durch das Strafgericht entzogen worden, dürfe die Fahrerlaubnisbehörde die Neuerteilung nicht allein wegen dieser Fahrerlaubnisentziehung von der Beibringung eines positiven medizinisch-psychologischen Gutachtens abhängig machen. Das liege nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur anders, wenn zusätzliche Tatsachen die Annahme künftigen Alkoholmissbrauchs begründeten. Hieran fehle es. Der Regelungszusammenhang des § 13 Satz 1 Nr. 2 FeV lasse nur den Schluss zu, dass allein eine einmalige Trunkenheitsfahrt mit weniger als 1,6 ‰ die Forderung nach Vorlage eines Gutachtens nicht rechtfertige, auch wenn das Strafgericht die Fahrerlaubnis entzogen habe. Folge man der Argumentation des „Berufungsgerichts“, bestehe ein Widerspruch zwischen der strafrechtlich festgesetzten Sperrfrist, die im Zeitpunkt der hier angegriffenen verwaltungsbehördlichen Entscheidungen abgelaufen gewesen sei, und der verwaltungsrechtlichen Entziehung der Fahrerlaubnis. Zudem sei für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen, in dem die Trunkenheitsfahrt von Dezember 2010 und der Bußgeldbescheid vom Juli 2016 nicht mehr verwertbar gewesen seien. Weiter weiche das Urteil von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ab, wonach der Verordnungsgeber mit den Tatbeständen des § 13 Satz 1 Nr. 2 FeV verschiedene Lebenssachverhalte erfasse, die je selbstständig zur Anordnung der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens verpflichteten. Diese Tatbestände stünden nicht beziehungslos nebeneinander. Habe die Blutalkoholkonzentration bei der Trunkenheitsfahrt unter 1,6 ‰ gelegen und seien keine wiederholten Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen worden, so sei die Anforderung eines medizinischen-psychologischen Gutachtens nicht ohne weiteres gerechtfertigt. Die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens setze nach dem klaren Wortlaut der Vorschrift voraus, dass die Fahrerlaubnis aus einem der unter Buchstaben a bis c genannten Gründe entzogen worden sei. Aus dieser Rückbindung folge, dass auch im Zusammenhang mit dem Tatbestand des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV die Systematik und Wertung dieser Gründe zu beachten sei. Hiermit sei unvereinbar, die strafgerichtliche Fahrerlaubnisentziehung im Fall einer Trunkenheitsfahrt zum eigenständigen Sachgrund für die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung zu machen. Das Verwaltungsgericht lasse eine Auseinandersetzung mit dieser Rechtsprechung vermissen und lasse diese Entscheidung außer Acht.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, da die geltend gemachten Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 und 4 VwGO, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO; BayVerfGH, E.v. 14.2.2006 – Vf. 133-VI 04 – VerfGHE 59, 47/52; E.v. 23.9.2015 – Vf. 38-VI-14 – BayVBl 2016, 49 Rn. 52; Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 54), nicht hinreichend dargelegt sind (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) bzw. nicht vorliegen.

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sind anzunehmen, wenn der Rechtsmittelführer einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (vgl. BVerfG, B.v. 18.6.2019 – 1 BvR 587/17 – BVerfGE 151, 173 Rn. 32 m.w.N.; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – NVwZ 2016, 1243 = juris Rn. 16 m.w.N.) und dies zugleich Zweifel an der Richtigkeit des Ergebnisses begründet (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838 = juris Rn. 9). Dies ist hier nicht der Fall.

Soweit der Kläger behauptet, dass die von ihm im Straßenverkehr begangenen Zuwiderhandlungen nicht verwertbar seien, ohne sich mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts auseinanderzusetzen, verfehlt er schon die Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO. Da das angegriffene Urteil nicht offensichtlich falsch ist, genügt es nicht, lediglich den Vortrag aus dem Klageverfahren zu wiederholen oder einer vertretbaren Sachverhaltsbewertung und rechtlichen Würdigung des Gerichts nur die eigene abweichende Bewertung bzw. Würdigung entgegenzusetzen (vgl. Rudisile in Schoch/Schneider, VwGO, Stand Juli 2022, § 124a Rn. 100; Happ in Eyermann, VwGO, § 124a Rn. 59, 63; Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124a Rn. 203 f.; Kautz in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 124a Rn. 43). Dem Zulassungsvorbringen lässt sich nicht ansatzweise entnehmen, aus welchen Gründen die gerichtliche Subsumtion des Sachverhalts unter die einschlägigen Vorschriften der § 65 Abs. 3 Nr. 2 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) vom 5. März 2003 (BGBl I S. 310), im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch Gesetz vom 29. Juni 2020 (BGBl I S. 1528), § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. a, Abs. 5 Satz 1 StVG (i.d.F. bis 30.4.2014) und § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. b, Abs. 4 Nr. 3 StVG unzutreffend sein soll.

Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Trunkenheitsfahrt vom 14. Dezember 2010 im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der Beibringungsanordnung am 22. Mai 2020 noch nicht tilgungsreif war. Nach der hier einschlägigen Vorschrift des § 65 Abs. 3 Nr. 2 StVG werden Entscheidungen, die nach § 28 Abs. 3 StVG in der bis zum Ablauf des 30. April 2014 anwendbaren Fassung im Verkehrszentralregister gespeichert worden („Alteintragungen“) und nicht von § 65 Abs. 3 Nr. 1 StVG erfasst sind, bis zum Ablauf des 30. April 2019 nach den Bestimmungen des § 29 StVG in der bis zum Ablauf des 30. April 2014 anwendbaren Fassung getilgt und gelöscht. Nach § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 i.V.m. Nr. 2 Buchst. a StVG a.F. betrug die Tilgungsfrist für eine Straftat nach § 316 StGB zehn Jahre. Diese Frist hat nach § 29 Abs. 5 StVG a.F. mit Neuerteilung der Fahrerlaubnis, spätestens fünf Jahre nach der beschwerenden Entscheidung, hier also am 16. April 2012, zu laufen begonnen (sog. Anlaufhemmung). Seit dem 1. Mai 2019 gilt für die Berechnung der Tilgungsfrist nach § 65 Abs. 3 Nr. 2 Satz 4 StVG das neue Recht unter Anrechnung der abgelaufenen Tilgungsfrist nach altem Recht. Nach § 29 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a StVG beträgt die Tilgungsfrist bei Entscheidungen über eine Straftat, in denen wie hier die Fahrerlaubnis entzogen oder eine isolierte Sperre angeordnet worden ist, ebenfalls zehn Jahre und beginnt nach § 29 Abs. 5 Satz 1 StVG ebenfalls mit Erteilung oder Neuerteilung der Fahrerlaubnis, spätestens jedoch fünf Jahre nach der Rechtskraft der beschwerenden Entscheidung. Da dem Kläger die Fahrerlaubnis hier lange vor Ablauf von fünf Jahren nach der beschwerenden Entscheidung bzw. ab deren Rechtskraft neu erteilt worden ist, kam es jeweils auf den Tag der Neuerteilung, den 16. April 2012, an. Die Rechtsänderung wirkt sich daher nicht aus. Die Tat war somit bis 16. April 2022 verwertbar, also auch im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der Beibringungsanordnung am 22. Mai 2020. Ebenso zutreffend hat das Verwaltungsgericht dargelegt, dass die zweite einschlägige Zuwiderhandlung mit Ablauf des 10. August 2021 tilgungsreif war. Die Tilgungsfrist für die mit seit 10. August 2016 rechtskräftigem Bußgeldbescheid geahndete Ordnungswidrigkeit vom 6. Juli 2016 beträgt nach § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. b i.V.m. § 24a Abs. 1 StVG i.V.m. Nr. 2.2.1 der Anlage 13 zur Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), im maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Gesetz vom 5. Dezember 2019 (BGBl I S. 2008), in Kraft getreten am 1. Juni 2020, fünf Jahre und begann nach § 29 Abs. 4 Nr. 3 StVG am Tag der Rechtskraft zu laufen.

Die nicht begründete Annahme des Klägers, die Zuwiderhandlungen hätten im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung noch verwertbar sein müssen, widerspricht den Grundsätzen des Verwaltungsprozessrechts und der ständigen obergerichtlichen Rechtsprechung. Es handelt sich vorliegend um eine Anfechtungsklage und nicht um ein Verpflichtungsbegehren wie in dem zur Begründung einer Divergenz herangezogenen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. April 2017 (3 C 13.16 – BVerwGE 158, 335 Rn. 10). Bei der Entscheidung über Verpflichtungsbegehren ist in der Tat auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer angefochtenen Fahrerlaubnisentziehung ist indessen die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung maßbeglich (zuletzt BVerwG, U.v. 7.4.2022 – 3 C 9.21 – ZfSch 2022, 474 Rn. 13; U.v. 11.4.2019 – 3 C 14.17 – BVerwGE 165, 215 Rn. 11 m.w.N). Beruht die Annahme fehlender Fahreignung auf § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV, weil der Betroffene sich geweigert hat, sich untersuchen zu lassen, oder weil er das geforderte Gutachten nicht fristgerecht beigebracht hat, setzt dies nach ständiger Rechtsprechung voraus, dass die Beibringungsanordnung im Zeitpunkt ihres Erlasses formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig war (vgl. BVerwG, U.v. 7.4.2022 a.a.O. Rn. 14; U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – BVerwGE 156, 293 Rn. 14, 19; BayVGH, B.v. 7.2.2022 – 11 CS 21.2385 – juris Rn. 15 jeweils m.w.N.) und die ihr zugrundeliegenden Eintragungen in diesem Zeitpunkt noch verwertbar waren. Darauf, ob sie im Zeitpunkt des Bescheiderlasses oder der Entscheidung des Gerichts nochmals aufgrund desselben Sachverhalts rechtmäßig ergehen könnte, kommt es nicht an.

Auch auf die übrigen Einwände des Klägers, die zum Teil rechtlich-logisch nicht nachvollziehbar sind, ist das Verwaltungsgericht zutreffend eingegangen. Auf die Gründe des erstinstanzlichen Urteils wird daher Bezug genommen (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Insbesondere war die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nicht unverhältnismäßig. § 13 Satz 1 Nr. 2 FeV räumt der Behörde hinsichtlich der Anordnung eines Gutachtens kein Ermessen ein, sondern schreibt die Beibringung zwingend vor. Es besteht daher kein Raum für eine Einzelfallprüfung. Solange eine Tat im Fahreignungsregister noch nicht getilgt ist, kann sie für die Beurteilung der Fahreignung verwertet werden (vgl. BayVGH, B.v. 7.12.2015 – 11 ZB 15.2271 – juris Rn. 17).

Soweit den Einwänden die Annahme zugrundeliegt, dass der Kläger nur eine Trunkenheitsfahrt begangen habe bzw. nur eine der beiden Zuwiderhandlungen verwertbar sei, gehen sie ins Leere, weil diese Annahme, wie dargelegt, nicht zutrifft.

2. Aus demselben Grund ist auch von vornherein auszuschließen, dass das erstinstanzliche Urteil vom Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. April 2017 (a.a.O.) abweicht. In dem diesem Urteil zugrundeliegenden Fall hatte die Fahrerlaubnisbehörde die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach Entziehung durch das Strafgericht – anders als im Fall des Klägers – nach einer nur einmaligen Trunkenheitsfahrt mit einer Blutalkoholkonzentration von weniger als 1,6 ‰ von der Beibringung eines positiven medizinisch-psychologischen Gutachtens abhängig gemacht.

Des Weiteren verfehlt der Zulassungsantrag auch insoweit die Darlegungsanforderungen. Eine Divergenz im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ist gegeben, wenn das Verwaltungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz oder verallgemeinerungsfähigen Tatsachensatz von einem in der Rechtsprechung eines Divergenzgerichts aufgestellten ebensolchen entscheidungserheblichen Rechts- oder Tatsachensatz abweicht (vgl. Rudisile in Schoch/Schneider, VwGO, § 124 Rn. 42 ff.; Stuhlfauth in Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 8. Aufl. 2021, § 124 Rn. 50 ff.; Happ in Eyermann, VwGO, § 124 Rn. 42 f.). Im Rahmen der Darlegung sind die divergierenden Rechtssätze einander präzise gegenüberzustellen. Die Behauptung, das Ausgangsgericht habe einen in der Rechtsprechung der übergeordneten Gerichte aufgestellten Grundsatz übersehen, übergangen oder in sonstiger Weise nicht richtig angewandt, genügt insoweit nicht (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 9.2.2022 – 8 B 56.21 – juris Rn. 3; B.v. 27.1.2022 – 1 B 10.22 – juris Rn. 28 ff.; Rudisile a.a.O. Rn. 42; Happ, a.a.O. § 124a Rn. 73 m.w.N.; Kautz, a.a.O. § 124 Rn. 85).

3. Als unterlegener Rechtsmittelführer hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 2 VwGO).

4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 1, 2 GKG und den Empfehlungen in Nr. 46.1 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.

5. Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO), ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

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