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Fahrerlaubnisentziehung –  Nichtbeibringung Gutachten bei langjähriger Diabetes mellitus

Diabetiker verliert Fahrerlaubnis wegen fehlendem Gutachten.

Ein Diabetiker klagte gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis. Nach einem auffälligen Vorfall im Straßenverkehr, bei dem er den Anweisungen der Polizei nicht folgte, sollte er ein fachärztliches Gutachten vorlegen. Dieser Aufforderung kam er trotz Fristverlängerungen nicht nach und ihm wurde die Fahrerlaubnis entzogen. Das Verwaltungsgericht bestätigte die Entscheidung und wies die Klage ab. Der Kläger hatte die Auflagen zur regelmäßigen Vorlage von Attesten nicht erfüllt und wurde erneut auffällig im Straßenverkehr. Eine altersbedingte Krankheit oder seine Sehfähigkeit konnten als Gründe für das Fehlverhalten ausgeschlossen werden. Das Gericht befand, dass das Landratsamt in der Entscheidung, ein fachärztliches Gutachten anzufordern, rechtmäßig gehandelt hatte. Der Kläger hatte genügend Zeit, um das Gutachten zu besorgen, hatte aber keine Gründe für die Verzögerung geliefert. Die Klage wurde abgewiesen, der Antrag auf Zulassung der Berufung wird vom Beklagten bestritten.

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof – Az.: 11 ZB 22.1446 – Beschluss vom 20.09.2022

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 7.500,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen A79, A1, AM, B, BE und L.

Der Kläger leidet seit 1985 an einem Diabetes mellitus Typ I und weiteren (Folge-)Erkrankungen. Nach einem durch eine Hypoglykämie verursachten Verkehrsunfall im Mai 2017 verzichtete er auf seine Fahrerlaubnis, soweit sie Kraftfahrzeuge der Gruppe 2 betraf. Gemäß den ihm erteilten Auflagen legte er bis Sommer 2019 in regelmäßigen Abständen Bescheinigungen des ihn behandelnden Arztes vor.

Im April 2021 wurde dem Landratsamt Main-Spessart bekannt, dass eine Zeugin (Polizeibeamtin) am 27. März 2021 eine sehr unsichere und auffällige Fahrweise des Klägers beobachtet und dies bei der Polizei angezeigt hatte. Sein Fahrzeug sei immer wieder mit dem linken Reifen über die Mittellinie der Fahrspur (Bundesstraße) gekommen und habe ständig geschlingert. Der Kläger habe aus nicht nachvollziehbaren Gründen von 80 km/h auf 120 km/h beschleunigt und wieder auf 80 km/h gebremst. Bei der unmittelbar anschließenden Verkehrskontrolle durch die Zeugin habe er einen verwirrten Eindruck gemacht, den Grund der Kontrolle nicht nachvollziehen können und sich wenig einsichtig gezeigt. Ein Atemalkoholtest ergab einen Wert von 0,00 mg/l.

Unter Bezugnahme auf diesen Vorfall und das Verfahren zur Überprüfung seiner Fahreignung aus dem Jahr 2017 forderte das Landratsamt den Kläger mit Schreiben vom 29. April 2021 auf, ein fachärztliches Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung (§ 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 5 FeV) zur Klärung der Fragen vorzulegen, ob bei ihm eine Krankheit vorliege, insbesondere eine altersbedingte Krankheit nach Nr. 4, 5 und 6 der Anlage 4 zur FeV, die gegenwärtig seine Fahreignung ausschließe, ob er den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 gerecht werden könne und ob weitere Untersuchungen, z.B. psychologische Tests des Leistungsvermögens, erforderlich seien.

Mit Formularerklärung vom 6. Mai 2021 erklärte sich der Kläger mit einer Begutachtung einverstanden, legte in der Folge jedoch trotz mehrmals verlängerter Beibringungsfrist kein Gutachten vor. Mit Schreiben vom 23. September 2021 ließ er durch seinen damaligen Bevollmächtigten die Übersendung der Akte an eine andere Begutachtungsstelle beantragen, was das Landratsamt mit Schreiben vom selben Tag unter Einräumung einer Äußerungsfrist bis 11. Oktober 2021 ablehnte. Mit anwaltlichem Schreiben vom 29. September 2021 beantragte der Kläger die Übersendung der Unterlagen an eine weitere Begutachtungsstelle.

Mit Bescheid vom 29. September 2021 entzog das Landratsamt dem Kläger unter Anordnung des Sofortvollzugs die Fahrerlaubnis und gab ihm unter Androhung eines Zwangsgelds auf, seinen Führerschein umgehend, spätestens innerhalb einer Woche nach Zustellung des Bescheids, abzugeben.

Gegen den Bescheid ließ der Kläger am 28. Oktober 2021 Widerspruch einlegen, dem ein aktuelles Zeugnis über eine augenärztliche Untersuchung beigefügt war. Am selben Tag ließ er auch Klage zum Verwaltungsgericht Würzburg erheben.

Den gleichzeitig gestellten Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutz lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 25. November 2021 ab.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 6. Dezember 2021 nahm der Kläger seinen Widerspruch zurück.

Eine Beschwerde gegen den gerichtlichen Beschluss im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes wies der Senat mit Beschluss vom 8. Februar 2022 (11 CS 21.3020) zurück.

Mit Urteil vom 4. Mai 2022 wies das Verwaltungsgericht die Klage unter Bezugnahme auf den angefochtenen Bescheid ab. Nachdem der Kläger der zu Recht ergangenen Beibringungsanordnung vom 29. April 2021 ohne hinreichenden Grund nicht nachgekommen sei, habe der Beklagte gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV ihm die Fahrerlaubnis entziehen und die Herausgabe des Führerscheins anordnen dürfen. Mit dem Vorfall vom 27. März 2021 habe ein hinreichender Anlass für eine Beibringungsanordnung vorgelegen. Der Kläger sei an diesem Tag erneut im Straßenverkehr auffällig geworden, ohne dass dies auf Alkohol- oder Drogenkonsum hätte zurückgeführt werden können. Die Polizei habe gesundheitliche Einschränkungen vermutet und angegeben, nach ihren Erkenntnissen sei der Kläger bereits in Zusammenhang mit einer Diabetes- Erkrankung auffällig geworden. Soweit er pauschal abgestritten habe, an diesem Tag im Straßenverkehr auffällig geworden, insbesondere Schlangenlinien gefahren und auf die Gegenfahrbahn geraten zu sein, könne diesem Vorbringen kein durchgreifendes Gewicht beigemessen werden. Die polizeilichen Angaben hätten auf den ausführlichen Angaben einer Polizeibeamtin beruht, die mit ihrem Fahrzeug seinem Pkw mehrere Kilometer gefolgt sei. Die Beobachtungen seien detailliert und eindeutig und Belastungstendenzen nicht erkennbar gewesen. Die Einlassung des Klägers in der mündlichen Verhandlung, er habe aufgrund eines Schnupfens mehrfach geniest, erscheine wenig glaubhaft. Nicht nur setze er sich damit in Widerspruch zu dem bisherigen Vorbringen, insbesondere im Eilverfahren, sondern räume damit nunmehr doch mögliche Fahrauffälligkeiten ein. Zudem habe er seinen Vortrag dahin gesteigert, dass die Polizeibeamtin viel zu nah auf sein Fahrzeug aufgefahren sei und ihn dadurch nervös gemacht habe. Es erschließe sich nicht, warum er dies nicht schon beim späteren Anhalten durch die Polizei vorgebracht habe. Das Gericht sei davon überzeugt, dass es sich hierbei um eine Schutzbehauptung handele. Es sei davon auszugehen, dass sich der Vorfall wie im Bericht der Zeugin geschildert zugetragen habe. Dies gelte insbesondere auch im Hinblick auf das erst im Juli 2019 abgeschlossene Verfahren im Zusammenhang mit dem Unfallgeschehen am 23. Mai 2017 und dem sich anschließenden Verfahren zur Überprüfung von Auflagen im Zusammenhang mit seiner Diabeteserkrankung, in dem erst mit Erklärung des Landratsamts vom 9. Juli 2019 von der Vorlage weiterer ärztlicher Atteste Abstand genommen worden sei. Die in dem vorangegangenen Verfahren gewonnenen Erkenntnisse hätten die Annahme nahegelegt, dass wiederum die Diabeteserkrankung und eventuelle Folgeerkrankungen Anlass für die neuerlich festzustellenden Verkehrsauffälligkeiten gewesen seien. Nach der vom Kläger abgegebenen Erklärung vom 28. März 2018 sei ihm bekannt gewesen, dass das Landratsamt seine Fahreignung erneut prüfen müsse, wenn Zweifel an der Einhaltung der Auflage entstünden oder es zu Auffälligkeiten im Straßenverkehr komme. Die Fragestellung in der Gutachtensanforderung sei gemessen an den Voraussetzungen der Nummern 5.1 bis 5.6 i.V.m. Nr. 1, 4, 6 und 10 der Anlage 4 zur FeV und unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit nicht zu beanstanden. Der Kläger leide an einem Diabetes mellitus Typ I, der der ständigen diabetologischen Überwachung bedürfe. Dieser sei der Kläger im Rahmen der verhängten Auflage (Erklärung vom 28.3.2018) weitgehend nachgekommen (mit Ausnahme der Führung eines Fahrtenbuchs). An deren Einhaltung sei nach den Verkehrsauffälligkeiten vom 27. März 2021 jedoch erneut zu zweifeln gewesen. Vor diesem Hintergrund und der Vorgeschichte sei nicht zu beanstanden, wenn das Landratsamt nach Erkrankungen frage, die nach den Nr. 4, 5 und 6 der Anlage 4 zur FeV die Fahreignung ausschlössen. Soweit auf eine altersbedingte Krankheit des 1955 geborenen Klägers abgestellt werde, begreife das Gericht dies vorrangig vor dem Hintergrund einer bereits seit 1985 bestehende Diabeteserkrankung. Auch wenn aufgrund der Häufigkeit der Diabeteserkrankung die bloße Diagnose eines Diabetes mellitus nach der obergerichtlichen Rechtsprechung nicht ohne weiteres die sofortige Anordnung einer Begutachtung rechtfertige, habe hier ein Fall, in dem die Behörde sich zunächst hätte Kenntnis über Art und Schwere der Erkrankung sowie ausreichende Anhaltspunkte für eine eventuelle Ungeeignetheit verschaffen müssen, nicht vorgelegen. Auch die Fristsetzung zunächst bis zum 15. Juli 2021, später verlängert bis 31. August 2021, sei angemessen gewesen. Es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger nicht in der Lage gewesen sei, innerhalb der gesetzten Frist das geforderte Gutachten beizubringen. Dies sei nicht substantiiert dargelegt. Zwar hätten sich Verzögerungen im Zusammenhang mit der Akteneinsicht durch den damaligen Bevollmächtigten ergeben, die das Landratsamt zu einer ersten Fristverlängerung bis zum 30. Juli 2021 veranlasst habe, sowie Verzögerungen im Zusammenhang mit der Rücksendung der Akte durch die Begutachtungsstelle. Auf die Anfrage des Landratsamts mit Schreiben vom 27. August 2021, bis zum 15. September 2021 mitzuteilen, bis wann die Begutachtung abgeschlossen sei, habe die Begutachtungsstelle jedoch lediglich die Fahrerlaubnisunterlagen ohne weitere Stellungnahme übermittelt. Dieses Vorgehen spreche erfahrungsgemäß dafür, dass der Begutachtungsprozess entweder abgebrochen worden sei oder das Gutachten nicht den erwünschten Inhalt gehabt habe. Die ohne weitere Begründung erklärte Bitte, die Fahrerlaubnisakten an eine weitere Begutachtungsstelle zu übermitteln, stelle keinen hinreichenden Grund für eine weitere Fristverlängerung dar, über die nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden sei. Auch die sonstigen Einwendungen des Klägers griffen nicht durch. Die vorgelegten ärztlichen Unterlagen und der diesbezügliche Vortrag bezögen sich überwiegend auf das Überprüfungsverfahren bezüglich seiner Fahreignung im Jahr 2017 und die anschließende Überwachung der Einhaltung der Auflagen. Sie hätten somit keine Aussagekraft hinsichtlich des aktuellen Stands seiner Erkrankung und seiner Fahreignung, zumal sich deren Voraussetzungen bei einer Diabeteserkrankung auch schnell ändern könnten. Eine Bescheinigung, dass der Kläger ein ausreichendes Sehvermögen für die Fahrerlaubnisklassen der Gruppe 1 besitze, ersetze nicht eine umfassende ärztliche Begutachtung seiner Diabeteserkrankung und von deren Folgen. Das im gerichtlichen Verfahren erstmals vorgelegte ärztliche Attest vom 1. Dezember 2020 lasse das Krankheitsbild des Klägers zwischenzeitlich erheblich verschlechtert erscheinen.

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung, dem der Beklagte entgegentritt, macht der Kläger ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung, besondere rechtliche Schwierigkeiten und eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend und trägt zur Begründung vor, aus der Versäumung der Beibringungsfrist könne vorliegend nicht auf die fehlende Fahreignung des Klägers geschlossen werden, da dieser sich zu keinem Zeitpunkt endgültig geweigert habe, ein ärztliches Gutachten vorzulegen. Nach seinem ersten Antrag auf Verlängerung der Frist bis zum 30. Juli 2021 habe das Landratsamt den Kläger mit Schreiben vom 27. August 2021 gebeten, bis 15. September 2021 lediglich mitzuteilen, bis wann die Begutachtung abgeschlossen sei. Aus der Begründung des erstinstanzlichen Urteils sei nicht ersichtlich, dass das Landratsamt ausdrücklich darauf hingewiesen habe, dass mit dem Entzug der Fahrerlaubnis zu rechnen sei, wenn die Mitteilung nicht bis 15. September 2021 erfolge. Auch wenn das Schreiben vom 27. August 2021 leider nicht mehr vorliege, sei davon auszugehen, dass es einen solchen Hinweis nicht enthalte und der Kläger sicherlich nicht damit habe rechnen müssen, dass ihm mit Bescheid vom 20. (richtig: 29.) September 2021 überraschend die Fahrerlaubnis entzogen werde; dies insbesondere deshalb, weil der Bescheid erlassen worden sei, nachdem die „Frist zur bloßen Mitteilung, bis wann die Begutachtung abgeschlossen ist…“. Dieses Vorgehen sei weder verhältnismäßig noch angemessen. Dem Kläger hätte nochmals klar und unmissverständlich eine neue Frist zur Beibringung des Gutachtens gesetzt werden müssen. Die Länge einer angemessenen Beibringungsfrist entziehe sich einer abstrakten Festlegung, da die insoweit relevanten Umstände des Einzelfalls variieren könnten. Der Kläger sei mit Schreiben vom 23. September 2021, also gerade sechs Tage vor Erlass des Bescheids, aufgefordert worden, bis 11. Oktober 2021 Stellung zu beziehen, nachdem das Landratsamt seinem damaligen Bevollmächtigten mit Schreiben vom 23. September 2021 die Historie des Verfahrens mitgeteilt und darüber aufgeklärt habe, dass aufgrund dessen beabsichtigt sei, dem Kläger die Fahrerlaubnis zu entziehen. Folglich habe der Kläger noch bis zum 11. Oktober 2021 Zeit gehabt, die geforderte Stellungnahme abzugeben. Durch den vorher erlassenen Bescheid sei diese Frist in unzulässiger Weise verkürzt worden. Eine Verletzung des Rechts auf Anhörung vor Erlass eines belastenden Verwaltungsakts verletze den Betroffenen in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit. Der Bescheid sei daher unrechtmäßig. Hätte der Kläger die Möglichkeit zur Stellungnahme gehabt, wäre es eventuell nicht zum Erlass des Bescheids gekommen. Damit liege auch ein Verstoß gegen das Verfahrensrecht aus Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG vor. Die Rechtssache weise auch besondere Schwierigkeiten in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht auf. Streitentscheidend sei vorliegend die Wirksamkeit eines Bescheids, der vor Ablauf der dem Betroffenen zur Stellungnahme eingeräumten Frist erlassen worden sei. Folglich sei die Angelegenheit auch von grundsätzlicher Bedeutung. Es müsse klargestellt werden, dass eine Behörde, die vorher eine Frist zur Stellungnahme einräume, keinen Bescheid vor deren Ablauf erlassen dürfe. Auch darüber hinaus gehend sei das erstinstanzliche Urteil fehlerhaft. Das Verwaltungsgericht habe sich mit den vorgelegten ärztlichen Unterlagen, insbesondere denen aus dem Jahr 2021, nicht ausreichend auseinandergesetzt. Zumindest aufgrund des augenärztlichen Zeugnisses vom 30. September 2021, das bis 11. Oktober 2021 noch hätte berücksichtigt werden können, wäre eine andere Entscheidung angemessen gewesen. Außerdem habe das Verwaltungsgericht die Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung nicht ausreichend gewürdigt. Es sei nicht unglaubwürdig, dass dieser mehrmals geniest und dadurch möglicherweise den Anschein erweckt habe, dass Auffälligkeiten in seinem Fahrverhalten bestünden. Weiter sei nicht unglaubhaft, wenn er dies bis zur mündlichen Verhandlung noch nicht vorgebracht habe. Der Kläger sei zunächst davon überzeugt gewesen, dass sein Fahrverhalten nicht auffällig gewesen sei, was auch jedem Durchschnittsfahrer fernliege, wenn er niesen müsse. Nach Vorhalt eines auffälligen Fahrverhaltens sei es selbstverständlich, dass der Kläger insoweit nach Erklärungen suche und Fahrauffälligkeiten auf das mehrfache Niesen zurückführe.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, da die geltend gemachten Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO; BayVerfGH, E.v. 14.2.2006 – Vf. 133-VI 04 – VerfGHE 59, 47/52; E.v. 23.9.2015 – Vf. 38-VI-14 – BayVBl 2016, 49 Rn. 52; Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 54), nicht hinreichend dargelegt sind (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) bzw. nicht vorliegen.

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sind anzunehmen, wenn der Rechtsmittelführer einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (vgl. BVerfG, B.v. 18.6.2019 – 1 BvR 587/17 – BVerfGE 151, 173 Rn. 32 m.w.N.; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – NVwZ 2016, 1243 = juris Rn. 16 m.w.N.) und dies zugleich Zweifel an der Richtigkeit des Ergebnisses begründet (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838 = juris Rn. 9).

Dies ist hier nicht der Fall.

Entgegen der Ansicht des Klägers leidet der Entziehungsbescheid nicht an einem Anhörungsfehler (Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG). Zwar hat eine Behörde, die Gelegenheit zur Äußerung binnen einer bestimmten Frist eingeräumt hat, den Ablauf der Äußerungsfrist grundsätzlich abzuwarten, bevor sie entscheidet. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn der Beteiligte vor Ablauf der Frist offenkundig abschließend Stellung genommen hat und weder aus den Umständen noch aus einem entsprechenden Hinweis seine Absicht deutlich wird, sich im Laufe der gesetzten Frist noch einmal zu der angekündigten Maßnahme äußern zu wollen (vgl. Herrmann in BeckOK VwVfG, Stand 1.7.2022, § 28 Rn. 19; Schneider in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand April 2022, § 28 VwVfG Rn. 48; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 22. Aufl. 2021, § 28 Rn. 38; Krasney, NVwZ 1986, 337, 342 m.N. aus der Rspr.). Die dem Kläger mit Schreiben des Landratsamts vom 23. September 2021 eingeräumte Gelegenheit zur Stellungnahme zu der beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis hat dessen Bevollmächtigter mit den beiden Schreiben vom 27. und 29. September 2021 wahrgenommen. Hiermit erklärte er unter ausdrücklichem Bezug auf das Schreiben vom 23. September 2021 die fehlende Bereitschaft des Klägers, auf seine Fahrerlaubnis zu verzichten, sowie seine bestehende Bereitschaft, sich begutachten zu lassen, und bat um Übersendung der Akten an eine weitere Begutachtungsstelle, ohne dass eine weitere Äußerung zu der beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis angekündigt oder vorbehalten wurde. Danach durfte das Landratsamt davon ausgehen, dass der Kläger abschließend Stellung genommen hatte, und den Bescheid auch vor Ablauf der – im Übrigen angemessenen rund 14-tägigen – Äußerungsfrist erlassen. Ein Festhalten an der ursprünglichen Fristsetzung wäre vor diesem Hintergrund eine unnötige und unverhältnismäßige Förmlichkeit gewesen (vgl. Schneider a.a.O. § 28 VwVfG Rn. 48).

Selbst wenn man dies anders sähe, könnte der Kläger die Aufhebung des Entziehungsbescheids wegen eines Verfahrensfehlers gemäß Art. 46 BayVwVfG nicht verlangen, weil die Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Wegfalls der Fahreignung eine gebundene Entscheidung ohne Ermessensspielraum ist (vgl. Schwarz in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 46 VwVfG Rn. 26; Sachs in Stelkens/ Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 46 Rn. 51 ff.; BayVGH, B.v. 7.5.2021 – 11 CS 21.556 – juris Rn. 19), was auch bei Nichtvorlage eines zu Recht geforderten Fahreignungsgutachtens gilt bzw. wenn das Fehlen der Fahreignung gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch Gesetz vom 16. April 2021 (BGBl I S. 822) zu vermuten ist (vgl. BayVGH, B.v. 1.7.2022 – 11 CS 22.860 – juris Rn. 12; B.v. 16.5.2022 – 11 ZB 21.3174 – juris Rn. 17; Dauer in Hentschel/König/ Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. 2021, § 11 FeV Rn. 51).

Da das Landratsamt dem Kläger mit Schreiben vom 23. September 2021 Gelegenheit zur Äußerung eingeräumt hat, ist es ohne Belang, ob weitere behördliche Schreiben einen Hinweis auf die ins Auge gefasste Maßnahme enthielten. Mit E-Mail vom 27. August 2021 hat das Landratsamt lediglich angekündigt, bei der Begutachtungsstelle anzufragen, aus welchem Grund die Frist zur Erstellung des Gutachtens nicht eingehalten werden könne bzw. bis wann mit dessen Erstellung zu rechnen sei. Mit Schreiben vom 24. August 2021 hatte es eine weitere Fristverlängerung abgelehnt. Dieser Schriftverkehr bezieht sich ausschließlich auf eine etwaige Fristverlängerung und sollte keine Anhörung einleiten. Der Beklagte führt ferner zu Recht an, dass sich bereits der Beibringungsanordnung entnehmen ließ, dass mit der Entziehung der Fahrerlaubnis zu rechnen sei, wenn das angeordnete Gutachten nicht fristgerecht beigebracht würde. Der Hinweis gemäß § 11 Abs. 8 Satz 2 FeV ist erteilt worden.

Auch materiell ist die Entziehung der Fahrerlaubnis – wie der Senat in dem Beschwerdebeschluss vom 8. Februar 2022, auf den insoweit Bezug genommen wird, bereits dargelegt hat – rechtmäßig.

Aus dem Wortlaut des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV ergibt sich ohne weiteres, dass es nicht darauf ankommt, ob sich der Kläger endgültig geweigert hat, ein Gutachten beizubringen, sondern darauf, dass er das (zu Recht) geforderte Gutachten (ohne rechtfertigenden Grund) nicht fristgerecht beigebracht hat. Der Beklagte hat im Übrigen zutreffend angeführt, dass dem Kläger mit fast vier Monaten ausreichend Zeit zur Verfügung stand, ein Fahreignungsgutachten beizubringen.

Für die Rechtmäßigkeit der Beibringungsanordnung kommt es in zeitlicher Hinsicht auf ihren Erlass, hier den 29. April 2021, an (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – BVerwGE 156, 293 Rn. 14; BayVGH, B.v. 7.2.2022 – 11 CS 21.2385 – juris Rn. 15 jeweils m.w.N.). Das augenärztliche Zeugnis vom 30. September 2021 vermag demgemäß weder etwas an der Rechtmäßigkeit der Beibringungsanordnung noch – wie das Verwaltungsgericht ausgeführt hat – etwas an der Rechtmäßigkeit des Entziehungsbescheids zu ändern, weil es ein umfassendes fachärztliches Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung nicht ersetzen kann. Die vom Landratsamt in der Beibringungsanordnung vom 29. April 2021 gestellten Fragen werden durch das augenärztliche Zeugnis nicht beantwortet.

Soweit der Kläger die gerichtliche Würdigung seiner Einlassung zur Zeugenaussage der Polizeibeamtin über seine Fahrweise am 27. März 2021 angreift, setzt er jener zum Teil nur seine andere Sichtweise entgegen. Jedenfalls zeigt er nicht auf, dass das Verwaltungsgericht die Grenzen der freien richterlichen Überzeugungsbildung überschritten hat, wonach die richterliche Überzeugung auf rational nachvollziehbaren Gründen beruhen und insbesondere die Denkgesetze, die Naturgesetze sowie zwingende Erfahrungssätze beachten muss (vgl. BayVGH, B.v. 18.8.2022 – 10 ZB 22.1265 – juris Rn. 4; B.v. 6.7.2022 – 24 ZB 22.319 – juris Rn. 22; B.v. 23.5.2022 – 3 ZB 21.2958 – juris Rn. 8; SächsOVG, B.v. 13.5.2022 – 3 A 844/20 – juris Rn. 9; OVG NW, B.v. 30.3.2022 – 6 A 1776/20 – juris Rn. 8 f.). Fehler der gerichtlichen Sachverhalts- und Beweiswürdigung sind im Hinblick auf § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO im Berufungszulassungsverfahren nur einer eingeschränkten Prüfung zugänglich. Ein Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO liegt vor, wenn das Gericht von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, namentlich Umstände übergeht, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen, oder wenn die Beweiswürdigung objektiv willkürlich ist, gegen die Denkgesetze verstößt oder einen allgemeinen Erfahrungssatz missachtet. Es genügt nicht, einer vertretbaren Sachverhaltsbewertung des Gerichts nur eine eigene abweichende Sachverhaltsbewertung entgegenzustellen (Rudisile in Schoch/Schneider, VwGO, Stand Juli 2021, § 124a Rn. 100; Happ in Eyermann, VwGO, § 124 Rn. 19).

Wie im Beschwerdebeschluss vom 8. Februar 2022 dargelegt, hält im Übrigen auch der Senat das nachträgliche Verteidigungsvorbringen des Klägers nicht für glaubhaft.

2. Aus den vorstehenden Gründen sind auch keine besonderen rechtlichen Schwierigkeiten im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ersichtlich. Die durch den Rechtsstreit aufgeworfenen Fragen lassen sich ohne weiteres aus dem Gesetz beantworten oder sind bereits in der Rechtsprechung geklärt (vgl. Happ, a.a.O. § 124 Rn. 27 ff.; Rudisile, a.a.O. § 124 Rn. 28e).

3. Die Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Tatsachen- oder Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (vgl. Happ, a.a.O. § 124 Rn. 36; Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124 Rn. 127). Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und klärungsfähig, insbesondere entscheidungserheblich, ist; ferner, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. Happ, a.a.O. § 124a Rn. 72; Rudisile, a.a.O. § 124a Rn. 102 ff.). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn sich die aufgeworfene Frage im Berufungsverfahren nicht stellen würde, wenn sie bereits geklärt ist oder aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens beantwortet werden kann oder wenn sie einer abstrakten Klärung nicht zugänglich ist (vgl. BVerwG, B.v. 20.3.2018 – 1 B 5.18 – juris Rn. 2 m.w.N.; BayVGH, B.v. 16.5.2022 – 11 ZB 21.1964 – juris Rn. 23).

Daran gemessen kommt der sinngemäß aufgeworfenen Frage, ob die Behörde vor Ablauf der von ihr gesetzten Äußerungsfrist den angekündigten Bescheid erlassen darf, hier keine grundsätzliche Bedeutung zu, weil ein Anhörungsfehler gemäß Art. 46 BayVwVfG unbeachtlich und damit nicht entscheidungserheblich wäre.

4. Als unterlegener Rechtsmittelführer hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 2 VwGO).

5. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 1, 2 GKG und den Empfehlungen in Nr. 46.2 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.

6. Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO), ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

 

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