VG München – Az.: M 6 K 16.4287 – Urteil vom 13.12.2017
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen den Bescheid der Landeshauptstadt München vom 19. August 2016, mit dem ihm die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen aller Klassen entzogen wurde.
Der Kläger ist Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klassen B, L, M und S. Nach der Mitteilung der Staatsanwaltschaft A… vom … November 2005 nahm der Kläger im August 2005 auf dem Gelände der Kultfabrik in A… ca. 1 g Kokaingemisch zu sich. Im Rahmen der Beschuldigtenvernehmung gab der Kläger an, regelmäßig Kokain zu konsumieren. Die Beklagte ordnete daraufhin die Vorlage eines ärztlichen Gutachtens an, das im Februar 2006 entgegen der Abstinenzbehauptung des Klägers einen regelmäßigen Kokainkonsum belegte. Mit Erklärung vom … Februar 2006, bei der Beklagten eingegangen am 2. März 2006, verzichtete der Kläger auf seine Fahrerlaubnis.
Im Dezember 2008 beantragte der Kläger die Umschreibung einer am … Juli 2007 erteilten tschechischen Fahrerlaubnis. Die Umschreibung in eine deutsche Fahrerlaubnis erfolgte im Januar 2009. Mit Schreiben vom Oktober 2009 übermittelte das Kraftfahrtbundesamt die Mitteilung der Stadtbehörde B…, wonach die im Jahr 2007 erteilte Fahrerlaubnis zurückgenommen wurde. Grund hierfür war nach der Begründung des Bescheids, dass dem Kläger nach den Angaben der örtlichen Ausländerpolizei in der Tschechischen Republik nur ein vorübergehender Aufenthalt vom … März 2007 – … April 2007 genehmigt worden sei. Der Bescheid wurde ausweislich der Postzustellungsurkunde einem tschechischen Vertreter bekannt gegeben, den der Kläger nach den Ausführungen des Bescheids im Fahrerlaubnisantrag als Vertreter benannt hatte.
Mit Schreiben vom 27. April 2010 (Bl. 68 d. A.) teilte die Beklagte den Kläger mit, dass die unter falschen Voraussetzungen erteilte deutsche Fahrerlaubnis der Klasse B in einem kostenpflichtigen Verfahren zu entziehen sei. Mit Schreiben vom selben Tage (Bl. 71 d.A.) forderte sie den Kläger auf, binnen drei Monaten ab Zustellung des Schreibens ein medizinisch-psychologisches Gutachten über die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen vorzulegen. Mit Schreiben vom 2. Juni 2014 erneuerte die Beklagte die Aufforderung, ein medizinisch-psychologisches Gutachten vorzulegen. Daraufhin beauftragte der Kläger die Durchführung eines einjährigen Drogenkontrollprogramms, legte jedoch keines der vorgesehenen Urinscreenings bei der Fahrerlaubnisbehörde vor.
Mit Schreiben vom 11. Februar 2016 (Bl. 132 d. A.) forderte die Beklagte dem Kläger ein weiteres Mal auf, binnen 13 Monaten ab Zustellung des Schreibens ein medizinisch-psychologisches Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung über die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen vorzulegen. Das Gutachten müsse ein Drogenkontrollprogramm beinhalten, mit dem eine einjährige Abstinenz entweder durch mindestens sechs Urinscreenings oder zwei Haaranalysen mit jeweils 6 cm Haarlänge nachgewiesen sei. Zur Klärung der Fahreignung seien folgende Fragen zu beantworten: „Kann die zu begutachtende Person trotz der früheren Betäubungsmitteleinahme ein Kraftfahrzeug der Gruppe 1 sicher führen? Ist insbesondere nicht mehr zu erwarten, dass die zu begutachtenden Person zukünftig Betäubungsmittel nach dem Betäubungsmittelgesetz einnimmt, so dass dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist?“ Die Anmeldung zu dem Drogenkontrollprogramm habe spätestens drei Wochen nach Zustellung der Anordnung zu erfolgen. Der Kläger wurde außerdem darauf hingewiesen, dass auf seine Nichteignung geschlossen werde, ein Kraftfahrzeug zu führen, falls er das Gutachten oder die Zwischenergebnisse nicht fristgerecht vorlege. Dies habe den Entzug der Fahrerlaubnis zur Folge.
Als Begründung führte die Beklagte an, dass von der Fahrerlaubnisbehörde zur Vorbereitung der Entscheidung über die Entziehung einer Fahrerlaubnis gem. § 14 Abs. 2 Nr. 2 Fahrerlaubnisverordnung – FeV – die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen sei, wenn zu klären sei, ob der Betroffene noch abhängig sei oder, ohne abhängig zu sein, weiterhin Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes einnehme. Bei der Einnahme von Betäubungsmitteln seien die Voraussetzungen, die an den Führer eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr gestellt würden, nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV nicht erfüllt. Die Aufforderung erfolge, nachdem im ärztlichen Gutachten des TÜV … aus dem Jahr 2006 der Konsum von Kokain nachgewiesen wurde.
Nachdem bis zu diesem Zeitpunkt weder eine Anmeldung zum Drogenkontrollprogramm noch eine Schweigepflichtentbindung oder Abstinenznachweise vorgelegt wurden, entzog die Beklagte mit Bescheid vom 19. August 2016 dem Kläger nach erfolgter Anhörung die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen aller Klassen (Nr. 1 des Bescheids), ordnete an, den Führerschein unverzüglich, spätestens aber innerhalb einer Woche ab Zustellung des Bescheids abzugeben (Nr. 2), drohte ein Zwangsgeld für den Fall an, dass der Aufforderung zur Vorlage des Führerscheins nicht rechtzeitig Folge geleistet werde (Nr. 3) und ordnete schließlich die sofortige Vollziehung der Nrn. 1 und 2 an (Nr. 4). Für den Bescheid wurden eine Gebühr von 180,00 Euro und Auslagen in Höhe von 2,19 Euro erhoben (Nrn. 5 und 6).
Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass der Kläger seit dem Tag der Einnahme von Kokain zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet sei. Da der Kläger der Aufforderung zur Vorlage eines Gutachtens nicht nachgekommen sei, habe er zum Ausdruck gebracht, nicht zur Aufklärung der Zweifel an seiner Fahreignung bereit zu sein. Daher werde auf seine Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen geschlossen und ihm die Fahrerlaubnis entzogen.
Mit Schreiben vom 20. September 2016, bei der Beklagten eingegangen am selben Tag, ließ der Kläger durch seinen Bevollmächtigten Widerspruch gegen den Entziehungsbescheid erheben.
Gegen den am 20. August 2016 zugestellten Bescheid erhob der Bevollmächtigte des Klägers außerdem mit am 20. September 2016 eingegangenen Schreiben Klage gegen den Bescheid und beantragte, den Bescheid der Landeshauptstadt München, Kreisverwaltungsreferat vom 19. August 2016 (Aktenzeichen …) aufzuheben.
Der Kläger gab seinen Führerschein bei der Beklagten am … September 2016 ab.
Mit Beschluss vom 1. Februar 2017 wurde das Verfahren auf Anregung des Klägerbevollmächtigten vom 18. November 2016 bis zum Abschluss des Widerspruchverfahrens ausgesetzt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 15. Februar 2017, dem Bevollmächtigten des Klägers ausweislich der Postzustellungsurkunde zugestellt am 17. Februar 2017, wies die Regierung von Oberbayern den Widerspruch zurück. Mit bei Bayerischen Verwaltungsgericht München am 17. März 2017 eingegangenen Schreiben beantragte der Bevollmächtigte des Klägers nunmehr,
den Bescheid der Landeshauptstadt München (Kreisverwaltungsreferat) vom 19.8.2016 (Az. …) in Gestalt des Widerspruchbescheids der Regierung von Oberbayern vom 15.2.2017 (Gz. …) aufzuheben.
Die Klage wurde mit Schreiben vom 22. August 2017 damit begründet, dass es bereits in formeller Hinsicht am Vorliegen einer rechtmäßigen Begutachtensanordnung fehle. Das Gutachten der TÜV … vom … Februar 2006 sei nicht mehr geeignet gewesen, in formeller Hinsicht die Begutachtungsanordnung zu tragen. Darüber hinaus hätte die Entziehung der Fahrerlaubnis nicht ergehen dürfen, nachdem rechtswirksam und bestandskräftig eine neue deutsche Fahrerlaubnis erteilt wurde.
Der Rechtstreit wurde mit Beschluss vom 19. Oktober 2017 auf den Einzelrichter übertragen.
In der mündlichen Verhandlung vom 4. Dezember 2017 gab der Bevollmächtigte des Klägers an, dass der Kläger seit Mitte 2006 kein Kokain oder andere harte Drogen mehr konsumiere und stellte den Antrag aus der Klageschrift vom 20. September 2016.
Die Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen.
Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Parteien im Übrigen wird auf die vorgelegten Behördenakten und die Gerichtsakte sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 4. Dezember 2017 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat keinen Erfolg.
1. Soweit die Klage (auch) gegen Nr. 3 des Bescheids vom 19. August 2016 gerichtet ist, ist sie wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses bereits unzulässig. Der Führerschein liegt der Beklagten vor. Damit ist die Verpflichtung aus Nr. 2 des Bescheids erfüllt. Es ist weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich, dass die Beklagte das in Nr. 3 des Bescheids angedrohte Zwangsgeld entgegen der Vorschrift des Art. 37 Abs. 4 Satz 1 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz – VwZVG – gleichwohl noch beitreiben wird.
Die Klage ist im Übrigen zulässig, auch wenn parallel zur Klageerhebung Widerspruch gegen den Bescheid der Beklagten eingelegt wurde. Aus den Umständen der Klageerhebung ergibt sich, dass der Kläger zunächst die Entscheidung der Widerspruchsbehörde herbeiführen wollte und damit das ihm gem. Art. 15 Abs. 1 Nr. 6 AGVwGO zustehende Wahlrecht zwischen Widerspruchsverfahren und Klageerhebung zugunsten des Widerspruchsverfahrens ausgeübt hat. Die Klage ist damit als (zunächst unzulässige) Untätigkeitsklage erhoben worden. Nach Ergehen des Widerspruchsbescheids kann der Rechtsstreit unter Einbeziehung des Widerspruchsbescheids allerdings als gewöhnliche Anfechtungsklage fortgeführt werden, wenn der Widerspruch – wie hier durch das Schreiben des Klägerbevollmächtigten vom 17. März 2017 – innerhalb der Frist des § 74 VwGO einbezogen wird (BayVGH, B.v. 12.3.2010 – 11 ZB 08.1495 – juris. Rn. 12). Die Bezugnahme des Klägerbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung ist dabei gem. §§ 86, 88 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – als Bezugnahme auf die Anträge im Schriftsatz vom 17. März 2017 zu verstehen.
2. Soweit die Klage zulässig ist, ist sie allerdings unbegründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 19. August 2016 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 15. März 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Kläger ist ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, so dass ihm die Beklagte zu Recht die Fahrerlaubnis gem. § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV entzogen hat.
2.1 Gemäß § 3 Abs. 1 Straßenverkehrsgesetz – StVG –, § 46 Abs. 1 FeV ist bei fehlender Fahreignung des Betroffenen die Fahrerlaubnis zu entziehen, ohne dass der Fahrerlaubnisbehörde hierbei ein Ermessen zustünde. Bei dem Schluss auf die Fahrungeeignetheit gemäß dem nach § 46 Abs. 3 FeV im Entziehungsverfahren entsprechend anwendbaren § 11 Abs. 8 FeV darf aus der Weigerung, sich einer zu Recht angeordneten Begutachtung zu unterziehen oder ihr Ergebnis der Behörde vorzulegen, hergeleitet werden, dass der Betroffene einen Eignungsmangel verbergen will (vgl. BayVGH, B.v. 26.1.2009 – 11 CS 08.2028 – juris). Zur Anwendung des § 11 Abs. 8 FeV wäre wohl schon ausreichend, wenn wie hier wesentliche Zwischenschritte der Begutachtung nicht fristgerecht vorgenommen werden. Unabhängig davon wäre der Kläger zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchbescheids aber auch nicht mehr in der Lage gewesen, innerhalb der wenige Tage nach der Widerspruchsentscheidung ablaufenden Frist der Gutachtensanordnung das geforderte medizinisch-psychologische Gutachten inklusive des einjährigen Drogenkontrollprogramms beizubringen.
Der Schluss von der Nichtvorlage des Gutachtens auf die Nichteignung des Fahrerlaubnisinhabers setzt über den Wortlaut des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV hinaus voraus, dass die Anordnung der Untersuchung rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig war (vgl. BVerwG U. v. 9.6.2005 – Az. 3 C 21/04 – BayVBl 2006, 118 = DVBl 2005, 1333; st. Rspr. des BayVGH, z.B. BayVGH, U.v. 25.6.2008 – Az. 11 ZB 08.1123).
2.2 Die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung des Antragstellers wegen des Konsums harter Betäubungsmittel (Kokain) gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV entsprach vorliegend diesen Anforderungen. Nach der gefestigten Rechtsprechung des BayVGH genügt für den Verlust der Fahreignung gemäß Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV wegen des Konsums sog. harter Drogen, wie z.B. Kokain, bereits die einmalige Einnahme. Dies gilt unabhängig davon, ob der Konsum strafrechtlich geahndet wurde oder der Konsument im berauschten Zustand am Straßenverkehr teilgenommen hat (vgl. z.B. BayVGH vom 23.4.2008 Az. 11 CS 07.2671 m.w.N.).
Der Kläger hat durch den mit Gutachten des TÜV… vom … Februar 2006 festgestellten Kokainkonsum gemäß Nr. 9.1 Anlage 4 zur FeV seine Fahreignung verloren, was grundsätzlich eine Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 11 Abs. 7 FeV ohne Anordnung eines Fahreignungsgutachtens rechtfertigt. Insoweit konnte die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV lediglich dazu dienen, dem Antragsteller den Nachweis einer zwischenzeitlichen Wiedererlangung der Fahreignung entsprechend Nr. 9.5 Anlage 4 zur FeV zu ermöglichen (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 9.5.2005 – 11 CS 04.2526 – BayVBl 2006, 18 ff.). Dies war rechtlich allerdings auch geboten, da der mehr als zehn Jahre zurückliegenden Konsum von Kokain einen sicheren Schluss auf den fortbestehenden Konsum und damit ein Vorgehen nach § 11 Abs. 7 FeV nicht mehr erlaubt (vgl. BayVGH, B.v. 4.10.2005 – 11 CE 05.2304 –, Rn. 23, juris).
2.3 Umgekehrt besteht für die Fahrerlaubnisbehörde aber auch kein Verwertungsverbot infolge des Zeitablaufs seit dem Kokainkonsum im Jahr 2006. Die Frage, auf welchen Zeitraum die Behörden bei der Überprüfung der Fahreignung einer Person zurückgreifen dürfen, beantwortet sich anhand der Tilgungsregelungen und Verwertungsverboten des StVG. Nach § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 b) StVG unterliegt die Eintragung eines Verzichts auf eine Fahrerlaubnis einer zehnjährigen Tilgungsfrist, die nach § 29 Abs. 5 Satz 1 StVG erst mit der Neuerteilung einer Fahrerlaubnis, spätestens jedoch fünf Jahre nach dem Tag des Zugangs der Verzichtserklärung bei der zuständigen Behörde beginnt. Selbst wenn man auf den Tag der Erteilung der tschechischen Fahrerlaubnis als frühestmöglichen Beginn der Tilgungsfrist abstellt, wäre der Verzicht damit frühestens mit Ablauf des 18. Juli 2017 zu löschen gewesen. Daraus kann die Wertung des Gesetzgebers entnommen werden, dass die Tatsache des Verzichts auf eine Fahrerlaubnis und der ihm zugrundeliegende Sachverhalt zumindest bis zu diesem Zeitpunkt noch geeignet sind, Bedenken gegen die Fahreignung des Betroffenen im Sinne von § 46 Abs. 3 FeV zu begründen (BayVGH, B.v. 4.10.2005 – 11 CE 05.2304 – juris Rn. 22). Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für die Rechtmäßigkeit des Entziehungsbescheids ist wiederum die letzte Behördenentscheidung, hier also der Zeitpunkt des Zugangs des Widerspruchsbescheids der Regierung von Oberbayern am 17. Februar 2017. Ein Verwertungsverbot bestand zu diesem Zeitpunkt, wie ausgeführt, nicht.
2.4. Der Verwertung des Kokainkonsums aus dem Jahr 2006 stand auch nicht entgegen, dass am 18. Juli 2007 (und damit nach diesem Zeitpunkt) eine Fahrerlaubnis aus dem EU-Ausland neu erteilt wurde, was der Kläger sinngemäß vorträgt. Einschlägig ist damit die zweite Führerscheinrichtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 (Art. 18 Abs. 2 der Richtlinie 2006/126/EG). Gem. Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG konnten Mitgliedstaaten die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins ablehnen, der von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt wurde. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist dieses Ermessen allerdings eng auszulegen, um die nicht grundsätzliche Pflicht zur gegenseitigen Anerkennung von Führerscheinen zu konterkarieren. Insbesondere soll die Anerkennung von keiner Prüfung des Staates abhängen, ob der Führerscheininhaber die nationalen Fahreignungsvoraussetzungen erfüllt, sofern diese Umstände bereits vor Erteilung der Fahrerlaubnis bestanden (EuGH, U.v. 6.4.2006 – C-227/05 – zfs 2006, 416, Rs. „Halbritter“). Für den nachträglichen Entzug einer gem. § 30 FeV im Wege der Umschreibung erteilten deutschen Fahrerlaubnis wegen Umständen, die bereits vor Erteilung der ausländischen Fahrerlaubnis vorgelegen haben, gilt insoweit nichts anderes (vgl. Haus/Zwerger, § 38 Rn. 3). Denn auch wenn bei einer Umschreibung mangels Erwähnung des § 11 Abs. 2 FeV in § 30 Abs. 1 FeV die Frage der Eignung grundsätzlich zu prüfen ist, würde andernfalls wiederum die erfolgte Prüfung des anderen Mitgliedstaats in Zweifel gezogen.
Ob aus dieser Rechtsprechung allerdings zwingend der Schluss zu ziehen ist, dass Eignungszweifel unter keinen Umständen auf einen Sachverhalt vor Erteilung der ausländischen Fahrerlaubnis gestützt werden können, ist umstritten. Angeführt wird zum einen, dass in Fällen der gezielten Umgehung der MPU ein Missbrauch von Gemeinschaftsrecht anzunehmen wäre (OVG Mecklenburg-Vorpommern, B.v. 29.8.2006 – 1 M 46/06 – NJW 2007, 1154; OVG Thüringen, B.v. 29.6.2006 – ThürVBl 2006, 249; OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 8.9.2006 – OVG 1 S 122.05 – juris). Auch in Fällen einer „Dauergefährdung“ sollen die Umstände über die Ausstellung der EU-Fahrerlaubnis hinauswirken (OVG Niedersachsen, B.v. 11.10.2005 – 12 ME 288/05 – juris Rn. 28) und daher im nationalen Verfahren als Anknüpfungstatsache verwertbar sein. Andere Oberverwaltungsgerichte sind dem allerdings entgegengetreten (keine Handhabe, einer nachträglich erteilten EU-Fahrerlaubnis die Berechtigungswirkung abzusprechen: OVG RP, B.v. 15.8.2005 – 7 B 11021/05 – NJW 2005, 3228). Für den Fall, dass im Ausstellungsstaat eine Eignungsprüfung stattgefunden hat, durch die diesbezügliche Zweifel auch nach den Maßstäben der deutschen Rechtsordnung ausgeräumt werden, ging auch das Bayerische Staatsministerium des Innern davon aus, dass weitere Maßnahmen in Bezug auf eine EU-Fahrerlaubnis nicht veranlasst sind (vgl. Abschnitt 4.2.b des IMS vom 14.7.2004, Az. IC4-1303-38; offen lassend BayVGH, B.v. 9.6.2005 – 11 CS 05.478).
Letztlich kann dieser Meinungsstreit im vorliegenden Fall offenbleiben. Denn ein Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht scheidet vorliegend jedenfalls deswegen aus, weil nach – unbestrittener – Mitteilung des Gemeinsamen Zentrums der deutsch-tschechischen Polizei-und Zollzusammenarbeit die tschechische Fahrerlaubnis wegen des Verstoßes gegen das Wohnsitzerfordernis zurückgenommen wurde. Ob die Entscheidung tatsächlich zugegangen ist, was vom Kläger bestritten wird, kann ebenfalls offenbleiben. Denn bereits die von der tschechischen Fahrerlaubnisbehörde mitgeteilten Tatsachen stellten „andere vom Ausstellerstaat herrührende unbestreitbare Informationen dar“, denen zufolge das Wohnsitzprinzip nicht eingehalten wurde (vgl. § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV). Bei dieser Sachlage darf der Aufenthaltsstaat die Anerkennung des Führerscheins verweigern (EuGH, U.v. 26.6.2008 – C-329/06 und C-343/06, Wiedemann – Slg. 2008, I-4635) und damit folglich auch eine im Wege der Umschreibung erteilte Fahrerlaubnis wegen fehlender Eignung entziehen, da die europarechtliche Sperrwirkung hinsichtlich der Berücksichtigung fahreignungsrelevanter Tatsachen, die zeitlich vor der Umschreibung der tschechischen Fahrerlaubnis lagen, entfallen ist. Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes stehen hierbei nicht entgegen (vgl. BayVGH, B.v. 2.4.2009 – Az. 11 CS 09.292 – juris – RdNr. 18).
2.5 Die Fahrerlaubnis könnte schließlich auch nach §§ 3 Abs. 1 StVG, 46 Abs. 1 FeV entzogen werden, obwohl der Kokainkonsum des Klägers der Beklagten schon zum Zeitpunkt der Umschreibung bekannt war, die Beklagte dies aber nicht zum Anlass für weitere (Aufklärungs-) Maßnahmen genommen hat. Denn § 3 Abs. 1 StVG findet auch dann Anwendung, wenn die Fahrerlaubnisbehörde bei unverändertem Sachverhalt nachträglich erkennt, dass sie oder eine andere Behörde die ihr oder dieser bei der Erteilung der Erlaubnis bekannten Tatsachen im Hinblick auf die Feststellung der Eignung oder Befähigung rechtlich fehlerhaft gewürdigt hat, der Fahrerlaubnisinhaber also bei richtiger Rechtsanwendung als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen ist. Das Fehlen von Eignung oder Befähigung „erweist“ sich in einem solchen Fall durch richtige Rechtserkenntnis (vgl. OVG Hamburg, B.v. 30.1.2002 – 3 Bs 4/02 – NJW 2002, 2123 w.m.N. zur Rechtsprechung des BVerwG). Im vorliegenden Fall kommt noch hinzu, dass die Beklagte erst nach der Umschreibung der Fahrerlaubnis Kenntnis von der Rücknahmeentscheidung der tschechischen Fahrerlaubnis erhielt und damit europarechtliche Zweifel erst nach diesem Zeitpunkt beseitigt waren.
2.6. Bedenken gegen die Fragestellung sind weder ersichtlich noch vorgetragen (§ 11 Abs. 6 FeV). Unschädlich ist, dass in der Fragestellung der differenziert zu betrachtende Cannabiskonsum nicht ausdrücklich ausgenommen wurde, da aus der Gutachtensanordnung dennoch hinreichend klar hervorging, dass die Frage sich nur auf Betäubungsmittel i.S.d. Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV bezog (vgl. BayVGH, B.v. 20.10.2017 – 11 B 17.1080 – juris Rn. 30). Der Kläger wurde in der Gutachtensaufforderung auch darauf hingewiesen, dass bei nicht fristgerechter Vorlage des Gutachtens oder der Zwischenergebnisse auf seine fehlende Eignung geschlossen werden könne (§ 11 Abs. 8 Satz 2 FeV).
3. Da somit die Entziehung der Fahrerlaubnis der gerichtlichen Überprüfung standhält, verbleibt es auch bei der in Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids enthaltenen Verpflichtung, den Führerschein abzugeben, die sich aus § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG i.V.m. § 47 Abs. 1 Sätze 1 und 2 FeV ergibt. Rechtliche Bedenken gegen die in den Nrn. 5 und 6 des Bescheids enthaltenen Festsetzungen zu den Kosten des Verwaltungsverfahrens wurden weder vorgetragen, noch sind solche ersichtlich.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung hat ihre Rechtsgrundlage in § 167 Abs. 2, Abs. 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 Zivilprozessordnung – ZPO.
Beschluss
Der Streitwert wird auf EUR 5.000.- festgesetzt
(§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG- i.V.m. den Empfehlungen in der Nr. 46.3 Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit [abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, Anh. § 164 Rn. 14]).