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Fahrerlaubnisentziehung – Gutachtenaufforderung bei gelegentlichem Cannabiskonsum

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof – Az.: 11 CS 19.1101 – Beschluss vom 31.07.2019

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.750,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen A1, AM, B, BE und L.

Am 27. August 2018 um 16:25 Uhr unterzog die Polizei den Antragsteller einer Verkehrskontrolle und stellte dabei drogentypische Auffälligkeiten fest. Auf Nachfrage gab er an, in der Nacht des 25. August 2018 zwei Züge von einem Joint genommen zu haben. Eine um 17:00 Uhr entnommene Blutprobe enthielt nach der chemisch-toxikologischen Untersuchung des Instituts für Rechtsmedizin der Universität München vom 4. September 2018 1,1 ng/ml THC und 23,4 ng/ml THC-COOH.

Ein strafrechtliche Ermittlungsverfahren wegen einer Straftat nach § 29 BtMG stellte die Staatsanwaltschaft mit Verfügung vom 19. September 2018 gemäß § 170 Abs. 2 StPO ein. Gegen den erlassenen Bußgeldbescheid wurde Einspruch eingelegt.

Im Rahmen der Anhörung zu der beabsichtigten Aufforderung zur Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens erklärte der Antragsteller nach einem Aktenvermerk der Fahrerlaubnisbehörde des Landratsamts Weilheim-Schongau am 8. Oktober 2018 telefonisch zunächst, er habe an besagtem Tag erstmals Cannabis konsumiert. Nach Erläuterung der Sachlage und der Ankündigung, eventuell ein fachärztliches Gutachten zur Konsumaufklärung anzuordnen, habe er von dieser Aussage Abstand genommen.

Mit Schreiben vom 29. Oktober 2018 gab das Landratsamt dem Antragsteller unter Hinweis auf den Vorfall vom 27. August 2018 und seine Angaben zum Cannabiskonsum gemäß § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV i.V.m. Nr. 9.2.2 Anlage 4 zur FeV auf, bis 12. Januar 2019 ein medizinisch-psychologisches Gutachten zu der Frage beizubringen, ob nicht zu erwarten sei, dass er zukünftig ein Kraftfahrzeug unter Einfluss von Cannabis oder dessen Nachwirkungen führen werde.

Nachdem der Antragsteller sich geweigert hatte, ein Gutachten vorzulegen, entzog ihm das Landratsamt mit Bescheid vom 27. Januar 2019 gestützt auf § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV die Fahrerlaubnis und forderte ihn unter Androhung eines Zwangsgelds auf, seinen Führerschein innerhalb einer Woche beim Landratsamt abzugeben. Ferner ordnete es die sofortige Vollziehung dieser Verfügungen an und lehnte darüber hinaus den Antrag auf Erteilung einer Fahrerlaubnis der Klasse A2 ab. Am 18. Februar 2019 gab der Antragsteller seinen Führerschein beim Landratsamt ab.

Am 12. März 2019 ließ der Antragsteller beim Verwaltungsgericht München durch seinen Bevollmächtigten Klage (M 26 K 19.1170) erheben, über die noch nicht entschieden ist, und gemäß § 80 Abs. 5 VwGO die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage beantragen.

Das Verwaltungsgericht lehnte den Antrag mit Beschluss vom 7. Mai 2019 ab. Zur Begründung ist ausgeführt, die Anordnung der sofortigen Vollziehung genüge den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Die Fahrerlaubnisbehörde habe sie ersichtlich auf den Einzelfall abstellend begründet. Im Übrigen ergebe sich das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung bereits aus den für den Erlass des Verwaltungsakts maßgebenden Gesichtspunkten. Da die auf § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV gestützte Gutachtensanordnung rechtmäßig gewesen sei, habe das Landratsamt gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf die Nichteignung des Antragstellers schließen dürfen. Dieser habe nicht substantiiert in Abrede gestellt, bis zur Verkehrskontrolle am 27. August 2018 gelegentlicher Cannabiskonsument gewesen zu sein. Nach den Ergebnissen des rechtsmedizinischen Gutachtens stehe fest, dass er in einem Zeitraum von einigen Stunden vor der Blutuntersuchung Cannabisprodukte konsumiert habe. Nach den Umständen des Einzelfalls sei auch nicht davon auszugehen, dass es sich hierbei um einen einmaligen Probierkonsum gehandelt habe. Eine weitere Aufklärung der Häufigkeit des Konsums sei nur dann geboten, wenn ein einmaliger Konsum anders als hier ausdrücklich behauptet und substantiell dargelegt worden sei. Da THC nach der Aufnahme einer Einzelwirkdosis nur maximal zwölf Stunden im Blut nachweisbar sei, sei nicht glaubhaft, dass ein erstmaliger Konsum in Form von zwei Zügen an einem Joint in der Nacht des 25./26. August 2018 ursächlich für die in der am 27. August 2018 um 17:00 Uhr entnommenen Blutprobe festgestellte THC-Konzentration gewesen sein solle. Weiter stehe aufgrund des rechtsmedizinischen Gutachtens fest, dass der Antragsteller einmal gegen das Trennungsgebot der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV verstoßen habe. Er habe diesen Sachverhalt nicht in Abrede gestellt. Darauf, ob der Bußgeldbescheid zwischenzeitlich rechtskräftig geworden sei, komme es daher nicht an. Auch die Einstellung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens nach § 29 BtMG, in dem die Entziehung der Fahrerlaubnis von vornherein nicht in Betracht gekommen sei, stehe dieser Einschätzung nicht entgegen. Der Gegenstand des Strafverfahrens, der unerlaubte Besitz und Erwerb von Betäubungsmitteln, sei nicht identisch mit dem vorliegend zu beurteilenden Tatbestand der Nr. 9.2.2 Anlage 4 zur FeV (Führen eines Kraftfahrzeugs unter der Einwirkung von Cannabis). Ermessensfehler bei der Anordnung einer medizinisch psychologischen Untersuchung nach § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV seien nicht ersichtlich. Eine positive Beantwortung der zu begutachtenden Frage setze nicht zwingend eine Abstinenz voraus und hänge auch nicht vom Nachweis einer Drogenabstinenz über eine bestimmte Zeit ab. Die Fragestellung sei zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses, als noch keine ernst zu nehmenden Anhaltspunkte für eine mögliche Wiedererlangung der Fahreignung vorgelegen hätten, (noch) anlassbezogen gewesen. Somit sei das Vorliegen einer stabilen Abstinenz nicht zu prüfen gewesen. Die Wiedererlangung der Fahreignung sei schon zeitlich nicht möglich gewesen, weil seit der Fahrt vom 27. August 2018 nicht einmal der möglicherweise ausreichende Zeitraum von einem halben Jahr verstrichen gewesen sei. Im Übrigen habe der Antragsteller dem Landratsamt gegenüber erstmals im Januar 2019 substantiiert das Vorliegen einer Abstinenz geltend gemacht und einen Befundbericht über eine Urinkontrolle vorgelegt. Die ihm am 4. Dezember 2018 entnommene Blutprobe sei zur Substantiierung einer Abstinenz nicht geeignet, weil der Wirkstoff THC im Blut, anders als im Urin, nur wenige Stunden nachweisbar sei. Seit der Polizeikontrolle vom 6. November 2018 seien nur drei Monate und damit kein ausreichender Zeitraum verstrichen.

Mit seiner Beschwerde, der der Antragsgegner entgegentritt, macht der Antragsteller geltend, die streitgegenständliche Gutachtensaufforderung sei rechtswidrig, weil ein Abstinenznachweis unter Berücksichtigung der einschlägigen Beurteilungskriterien schon aus zeitlichen Gründen nicht rechtzeitig beizubringen gewesen sei. Dies habe der Rechtsprechung des Senats widersprochen, wonach die Behörde eine ausreichende Zeitspanne einräumen müsse, wenn sie vom Betroffenen gemäß § 46 Abs. 3 i.V.m. § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV wegen nachgewiesenen Drogenkonsums die Beibringung eines Gutachtens fordere. Die unangemessen kurze Fristsetzung habe der Antragsteller auch in mehreren Schreiben geltend gemacht, was aber die Fahrerlaubnisbehörde nicht dazu veranlasst habe, von ihrer Auffassung abzugehen, obwohl sich die anerkannten Begutachtungsstellen an die Beurteilungskriterien halten müssten. Dem Antragsteller hätte eine Frist bis Ende Oktober 2019 gesetzt werden müssen. Zudem sei die Fahrt vom 27. August 2018 anderweitig, nämlich durch Bußgeldbescheid vom 1. Oktober 2018, geahndet worden, was den Antragsteller veranlasst habe, selbst zum Nachweis seiner Drogen- und Alkoholabstinenz tätig zu werden. Außerdem überwiege das öffentliche Vollzugsinteresse keineswegs das Suspensionsinteresse des Antragstellers. Im Zeitpunkt des Bescheiderlasses sei durch polizeiliche Kontrollen nachgewiesen gewesen, dass er keine die Fahreignung einschränkenden Substanzen zu sich nehme. Weder dies noch ein Abstinenznachweis vom 16. Januar 2019 habe die Fahrerlaubnisbehörde trotz ausdrücklichen Hinweises zu weiteren Auskünften und Überprüfungen veranlasst. Der Betroffene habe einen Anspruch, dass ihm günstige Umstände und Kriterien sachgerecht geprüft und berücksichtigt würden. Die inhaltlich strittige Aktennotiz des Sachbearbeiters stütze die Anordnung des Sofortvollzugs ebenfalls nicht. Nach der Auffassung des erkennenden Senats hätte zunächst darüber entschieden werden müssen, ob aus dem Verhalten des Betroffenen der Schluss gezogen werden könne, dass er auch in Zukunft unter dem Einfluss von Cannabis fahren werde. Die Anordnung des Sofortvollzugs stelle vorliegend die Vorwegnahme einer erst durch die Beibringung einer MPU zu treffenden Hauptsacheentscheidung dar. Dies und der Ausnahmecharakter der sofortigen Vollziehung seien nicht berücksichtigt worden. Trotz des öffentlichen Interesses an der Sicherheit des Straßenverkehrs seien die Umstände des Einzelfalls und die Abstinenznachweise zu beachten. Umfangreiche formelhafte Beurteilungen und „Begründungen“ stützten die Anordnung nicht. Dem allgemeinen Sicherheitsinteresse werde vorliegend durch die Anordnung einer MPU ausreichend Genüge getan. Im Übrigen stehe der Bescheid nicht in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. April 2019, wonach bei einem gelegentlichen Cannabiskonsumenten, der erstmals unter der Wirkung von Cannabis Kraftfahrzeug geführt habe, in der Regel nicht ohne weitere Aufklärung von fehlender Fahreignung ausgegangen werden könne und nicht unmittelbar die Fahrerlaubnis entzogen werden dürfe. In solchen Fällen habe die Fahrerlaubnisbehörde gemäß § 46 Abs. 3 i.V.m. § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV nach pflichtgemäßem Ermessen über die Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zur Klärung der durch diese Fahrt begründeten Zweifel an der Fahreignung zu entscheiden. Vorliegend könne angesichts der jeweils einmaligen Kontrolle und Fahrt nur von einem einmaligen Verstoß ausgegangen werden. Unterstellungen hätten zu unterbleiben. Ferner legte der Antragsteller eine Bescheinigung der Alphacog Consulting GmbH, mit der er ein forensisch gesichertes Drogenscreening vom 17. Dezember 2018 bis 16. Juni 2019 vereinbart hatte, über vier negative Urintests am 9. Januar, 15. März, 10. Mai und 13. Juni 2019 vor. Auf die ergänzende Beschwerdebegründung vom 30. Juli 2019 wird Bezug genommen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

Soweit mit der Beschwerde auch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Zwangsgeldandrohung in Nummer 5 des angefochtenen Bescheids begehrt wird, muss sie von vornherein erfolglos bleiben. Da sich die Zwangsgeldandrohung mit der Abgabe des Führerscheins am 18 Februar 2019 erledigt hatte und der Antragsgegner nicht zu erkennen gegeben hat, dass er das Zwangsgeld gleichwohl beizutreiben beabsichtigt, fehlte dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO insoweit bereits das Rechtsschutzbedürfnis (stRspr, vgl. BayVGH, B.v. 26.4.2012 – 11 CS 12.650 – juris Rn. 13 m.w.N.; B.v. 6.12.2018 – 11 CS 18.1777 – juris Rn. 14).

Im Übrigen ergibt sich aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), nicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern oder aufzuheben wäre.

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch Gesetz vom 4. Dezember 2018 (BGBl I S. 2251), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), im maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Verordnung vom 3. Mai 2018 (BGBl I S. 566), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 3 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 2 Abs. 8 StVG, § 46 Abs. 3 FeV). Im Falle einer gelegentlichen Einnahme von Cannabis ist nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV die Kraftfahreignung gegeben, wenn der Konsum und das Fahren getrennt werden, kein zusätzlicher Gebrauch von Alkohol oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen besteht und keine Störung der Persönlichkeit oder Kontrollverlust vorliegt. Begründen weitere Tatsachen, wie ein Verstoß gegen das Trennungsgebot, Zweifel an der Eignung, kann die Fahrerlaubnisbehörde nach § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anordnen. Nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV darf sie bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen, wenn dieser sich weigert, sich untersuchen zu lassen, oder wenn er das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt. Der Schluss aus der Nichtvorlage eines angeforderten Fahreignungsgutachtens auf die fehlende Fahreignung ist gerechtfertigt, wenn die Anordnung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig war (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – NJW 2017, 1765 = juris Rn. 19 m.w.N.). Dies ist hier der Fall.

Der Antragsgegner weist zu Recht darauf hin, dass die Gutachtensaufforderung vom 29. Oktober 2018 auf der Grundlage des § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV und nicht – wie der Antragsteller meint – des § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV ergangen ist. Damit hat das Landratsamt auch die einschlägige Rechtsgrundlage herangezogen, denn § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV wird durch die in § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV für den Fall gelegentlichen Cannabiskonsums getroffene Sonderregelung (BVerwG, U.v. 9.6.2005 – 3 C 25.04 – NJW 2005, 3081 = juris Rn. 21) verdrängt (BayVGH, B.v. 29.8.2002 – 11 CS 02.1606 – juris Rn. 18; SächsOVG, B.v. 8.11.2001 – 3 BS 136/01 – DÖV 2002, 577 = juris Rn. 3 ff.; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2019, § 14 FeV Rn. 23 a.E.).

Die Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV sind erfüllt. Die Fahrerlaubnisbehörde durfte im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses (vgl. BVerwG, U.v. 23.10.2014 – 3 C 3.13 – NJW 2015, 2439 = juris Rn. 13) davon ausgehen, dass der Antragsteller gelegentlicher Cannabiskonsument war. Gelegentlicher Konsum von Cannabis liegt nach ständiger Rechtsprechung (vgl. BVerwG, a.a.O. Rn. 20 f.; BayVGH, U.v. 25.4.2017 – 11 BV 17.33 – DAR 2017, 417 = juris Rn. 17) vor, wenn der Betroffene in zwei oder mehr selbstständigen Konsumvorgängen Cannabis zu sich genommen hat und diese Konsumvorgänge einen gewissen, auch zeitlichen Zusammenhang aufweisen. Aufgrund der Ergebnisse des rechtsmedizinischen Gutachtens vom 4. September 2018 und der Angaben des Antragstellers gegenüber der Polizei und dem Landratsamt war – wie das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen hat – von mindestens zwei Konsumakten auszugehen. Da THC im Blutserum nach einem Einzelkonsum nur sechs bis zwölf Stunden nachweisbar ist (Schubert/ Huetten/Reimann/Graw, Begutachtungsleitlinien zu Kraftfahreignung, 3. Aufl. 2018, S. 322, Tabelle 4; Möller in Hettenbach/Kalus/Möller/Pießkalla/Uhle, Drogen und Straßenverkehr, 3. Aufl. 2016, § 3 Rn. 209, 230 ff.; Möller/Kauert/Tönnes/Schneider/ Theunissen/Ramaekers, Blutalkohol 2006, S. 361/365 f.; VGH BW, B.v. 2.10.2014 – 10 S 1586/14 – NZV 2015, 99 = juris Rn. 10 m.w.N.; BayVGH, B.v. 19.7.2010 – 11 CS 10.540 – juris Rn. 10 ff. m.w.N.), kann der Antragsteller am 27. August 2018 frühestens um 5:00 Uhr Cannabis konsumiert haben. Nach seinen nie widerrufenen Angaben hat er aber zwei Tage vorher zweimal an einem Joint gezogen. An diesen Äußerungen muss sich der Antragsteller festhalten lassen. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb er sich selbst der Wahrheit zuwider eines ihn belastenden Verhaltens bezichtigen sollte. Da sich THC nur in Fällen eines – von ihm nicht eingeräumten – regelmäßigen bzw. mehrfach täglichen Konsums auch deutlich mehr als 24 Stunden nachweisen lässt (Schubert/Huetten/Reimann/Graw, a.a.O.), muss er folglich auch am Tag der Verkehrskontrolle Cannabis zu sich genommen haben. Auf das in dem inhaltlich streitigen Aktenvermerk festgehaltene Abrücken von der Behauptung eines erstmaligen Konsums kommt es daher nicht an.

Bei der Wertung, dass er mindestens zweimal und damit gelegentlich Cannabis konsumiert hat, handelt es sich nicht, wie der Antragsteller meint, um eine Unterstellung, sondern um einen Akt der Beweiswürdigung. Zwar ist die Gelegentlichkeit des Cannabiskonsums ein Tatbestandsmerkmal, für das die Fahrerlaubnisbehörde die materielle Beweislast trägt, mit der Folge, dass eine etwaige Nichterweislichkeit zu ihren Lasten geht. Doch ist vor dem Hintergrund des – hier behaupteten – äußerst seltenen Falles, dass ein mit den Wirkungen der Droge noch völlig unerfahrener Erstkonsument bereits wenige Stunden nach dem Konsum ein Kraftfahrzeug führt und dann auch noch trotz der geringen Dichte der polizeilichen Verkehrsüberwachung in eine Verkehrskontrolle gerät, die Polizei drogentypische Auffälligkeiten feststellt und einen Drogentest durchführt, im Rahmen der Beweiswürdigung die Annahme gerechtfertigt, dass ohne substantiierte Darlegung des Gegenteils nicht von einem einmaligen Konsum ausgegangen werden muss (vgl. BayVGH, B.v. 6.11.2018 – 11 CS 18.821 – juris Rn. 16 m.w.N.; OVG NW, U.v. 15.3.2017 – 16 A 432/17 – Blutalkohol 54, 328 = juris Rn. 47 ff. m.w.N.). Unterlässt es ein Beteiligter, wie hier der Antragsteller, ohne zureichenden Grund, seinen Teil zur Sachaufklärung beizutragen, obwohl ihm das ohne weiteres möglich und zumutbar ist und er sich der Erheblichkeit der in Rede stehenden Umstände bewusst sein muss, kann dieses Verhalten je nach den Gegebenheiten des Falles bei der Beweiswürdigung zu seinen Lasten berücksichtigt werden. Das Verwaltungsverfahren kennt zwar ebenso wie der Verwaltungsprozess grundsätzlich keine Behauptungslast und Beweisführungspflicht des Betroffenen, da Behörden und Verwaltungsgerichte den entscheidungserheblichen Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln haben (vgl. § 86 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 VwGO), jedoch sollen die Beteiligten bei der Sachaufklärung mitwirken bzw. sind sie hierzu nach § 86 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 VwGO heranzuziehen (BayVGH, B.v. 13.5.2013 – 11 ZB 13.523 – NJW 2014, 407 = juris Rn. 25 m.w.N.).

Entgegen der Auffassung des Antragstellers war das Landratsamt nicht verpflichtet, ihm durch eine besonders großzügige Bemessung der Frist zur Gutachtensbeibringung den Nachweis zu ermöglichen, dass er die Fahreignung wiedererlangt habe (vgl. VGH BW, B.v. 8.9.2015 – 10 S 1667/15 – DAR 2016, 101 = juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 19.6.2019 – 11 CS 19.936 – juris Rn. 28). Auch wenn sich die Festlegung der Frist an den Umständen des Einzelfalls zu orientieren hat (Dauer, a.a.O. § 11 FeV Rn. 45), bedeutet dies nicht, dass hierfür die persönlichen Bedürfnisse des Fahrerlaubnisinhabers ausschlaggebend sind (BayVGH, B.v. 11.2.2019 – 11 CS 18.1808 – juris Rn. 26). Die Beibringungsfrist kann nur so bemessen werden, dass das Gutachten seinen Zweck nicht von vornherein verfehlt. Dies aber wäre bei einem Gutachten, das der Feststellung dient, ob der Betroffene gegenwärtig fahrgeeignet ist, bei der vom Antragsteller gewünschten Fristsetzung von rund einem Jahr der Fall. Die Frage nach der Wiedererlangung der Fahreignung stellt sich erst, wenn sie – was hier noch nicht geklärt war – entfallen ist. Der vom Antragsteller angeführten Entscheidung des Senats vom 27. Februar 2007 (11 CS 06.3132) lag eine ohne weiteres zum Wegfall der Fahreignung führende Einnahme harter Drogen zugrunde, wobei die Einhaltung einer für die zwischen Drogenaufnahme und Gutachtensaufforderung verstrichenen rund 22 Monate behaupteten, ausreichenden Abstinenz in zeitlicher Hinsicht durchaus in Betracht kam. Die Frage nach einer noch bestehenden Abhängigkeit oder einem anhaltenden Konsum von Betäubungsmitteln gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV zielte somit auf die zwischenzeitliche Wiedererlangung der Fahreignung ab. Ein gelegentlicher Cannabiskonsum allein führt nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV indessen noch nicht zum Wegfall der Fahreignung, so dass im Falle des Antragstellers zunächst die Frage zu klären war, ob jene überhaupt entfallen war. Dabei wäre die Wiedererlangung einer etwa entfallenen Fahreignung bis zum Tätigwerden der Behörde – wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat – ungeachtet negativer Verkehrskontrollen und vorgelegter Abstinenznachweise schon zeitlich von vornherein unmöglich gewesen, woran sich bis zum Erlass des Entziehungsbescheids nichts geändert hat. Die im Verwaltungsverfahren vorgelegten Abstinenznachweise waren damit nicht entscheidungserheblich und können ebenso wie die im Beschwerdeverfahren vorgelegten Nachweise erst in einem Wiedererteilungsverfahren berücksichtigt werden. Da das Landratsamt mit der Gutachtensaufforderung letztlich das Ziel verfolgte, mögliche gegenwärtige Gefahren für andere Verkehrsteilnehmer abzuwenden, musste es den Eignungszweifeln unter dem Gesichtspunkt des in Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV geforderten Trennungsvermögens so zeitnah wie möglich durch die gesetzlich vorgegebenen Aufklärungsmaßnahmen nachgehen. Die Beibringungsfrist war daher nach der Zeitspanne zu bemessen, die von einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung zur Erstattung des Gutachtens voraussichtlich benötigt wird (vgl. BayVGH, B.v. 23.4.2013 – 11 CS 13.219 – juris Rn. 20; Dauer, a.a.O. § 11 FeV Rn. 45).

Der Einwand, es hätte zunächst darüber entschieden werden müssen, ob aus dem Verhalten des Antragstellers der Schluss gezogen werden könne, dass er auch in Zukunft unter dem Einfluss von Cannabis fahren werde, ist nicht nachvollziehbar. Denn eben diesem Ziel diente die streitgegenständliche Gutachtensaufforderung, der der Antragsteller keine Folge geleistet hat. Hätte das Ergebnis der Begutachtung dahin gelautet, dass er künftig die Einnahme von Cannabis von der Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr trennt, wäre dadurch seine Fahreignung bestätigt worden.

Unabhängig von einem positiven oder negativen Ergebnis der Begutachtung hätte das Landratsamt dann auf der Grundlage der gutachterlichen Feststellungen entscheiden können und nicht nach der gesetzlichen Vermutung des § 11 Abs. 8 FeV von einer fehlenden Fahreignung ausgehen müssen. Der Einwand, die Anordnung der sofortigen Vollziehung nehme eine auf der Grundlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zu treffende Hauptsacheentscheidung vorweg, geht schon im Ansatz fehl, weil im Falle einer wie hier verweigerten Begutachtung die Entscheidung allein auf § 11 Abs. 8 FeV beruht. Am Anwendungsbereich dieser Vorschrift hat die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. April 2019 (3 C 13.17 u.a.), wonach die Fahrerlaubnisbehörden bei einem gelegentlichen Cannabiskonsumenten, der erstmals unter der Wirkung von Cannabis ein Kraftfahrzeug geführt hat, gemäß § 46 Abs. 3 i.V.m. § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV nach pflichtgemäßem Ermessen über die Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zur Klärung der durch diese Fahrt begründeten Fahreignungszweifel zu entscheiden haben, nichts geändert. Stellt sich der betroffene Fahrerlaubnisinhaber einer rechtmäßig angeordneten Begutachtung nicht, ist § 11 Abs. 8 FeV ohne Einschränkung anwendbar.

Die übrigen gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung gerichteten Einwände greifen ebenfalls nicht durch. Das Verwaltungsgericht ist der ständigen Rechtsprechung des Senats gefolgt, wonach bei Kraftfahrern, denen die erforderliche Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeugs fehlt, das Erlassinteresse regelmäßig mit dem Vollzugsinteresse identisch ist (vgl. BayVGH, B.v. 14.9.2016 – 11 CS 16.1467 – juris Rn. 13 m.w.N.; ebenso SächsOVG, B.v. 10.12.2014 – 3 B 148/14 – juris Rn. 6; OVG NW, B.v. 14.11.2014 – 16 B 1195/14 – juris Rn. 3; VGH BW, B.v. 20.9.2011 – 10 S 625/11 – juris Rn. 4; Hoppe in Eyermann, 15. Aufl. 2019, VwGO, § 80 Rn. 46), was eine Wiederholung der für die Begründung des Verwaltungsakts maßgebenden Erwägungen oder eine Bezugnahme hierauf erlaubt (vgl. BayVGH, B.v. 27.2.2019 – 10 CS 19.180 – juris Rn. 10 f. m.w.N.; Hoppe a.a.O. Rn. 55). Abgesehen davon, dass es auf die inhaltliche Richtigkeit oder Tragfähigkeit der Begründung nicht ankommt, da es sich bei dem Begründungszwang des § 80 Abs. 3 VwGO um eine formelle und keine materielle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für die Vollzugsanordnung handelt (Hoppe, a.a.O. Rn. 54 f.; Bostedt in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 2016, § 80 Rn. 81), begegnet die behördliche Annahme, dass einem nicht fahrgeeigneten Kraftfahrer im Hinblick auf die damit für die Allgemeinheit verbundenen erheblichen Gefahren die Fahrerlaubnis ungeachtet des Gewichts seines persönlichen Interesses an der Teilnahme am individuellen Straßenverkehr (vgl. OVG NW, B.v. 22.1.2001 – 19 B 1757/00 u.a. – juris Rn. 17) nicht bis zum Eintritt der Bestandskraft des Entziehungsbescheids belassen werden kann, keinen Bedenken (stRspr des Senats, vgl. BayVGH, B.v. 20.2.2017 – 11 CS 16.2605 – juris Rn. 20; B.v. 22.10.2015 – 11 CS 15.1963 – juris Rn. 14; B.v. 10.3.2008 – 11 CS 07.3453 – juris Rn. 16). Angesichts der irreparablen Folgen, zu denen ein von einem ungeeigneten Kraftfahrer verursachter Verkehrsunfall führen kann, ist auch unbedenklich, dass als Folge hieraus bei der Entziehung von Fahrerlaubnissen die sofortige Vollziehung nicht nur ausnahmsweise, sondern in der großen Mehrzahl der Fälle angeordnet wird (vgl. Hoppe a.a.O. Rn. 46 a.E.; OVG Hamburg, B.v. 20.6.2005 – 3 Bs 214/05 – NJW 2006, 1367 = juris Rn. 2; VGH BW, B.v. 24.6.2002 – 10 S 985/02 – NZV 2002, 580 = juris Rn. 8). Schließlich ist auch nicht zu beanstanden, wenn in einem derartigen Fall, soweit er keine Besonderheiten aufweist, der ihn aus vielen gleich gelagerten Fällen heraushebt, Textbausteine oder Standardbegründungen verwendet werden (vgl. Bostedt, a.a.O. § 80 Rn. 80; Ramsauer in Kopp/Ramsauer, VwVfG, 19. Aufl. 2018, § 39 Rn. 18; BayVGH, B.v. 10.3.2008 a.a.O. Rn. 16 f.). Dies macht sie noch nicht zu inhaltsleeren Formeln oder Floskeln. Vorliegend hat das Landratsamt die von einem unter der Wirkung von Cannabis stehenden Autofahrer ausgehende Gefahr sogar sehr ausführlich, konkret und zutreffend dargelegt und sich mit dem Verhalten des Antragstellers auseinandergesetzt.

Dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird dadurch Rechnung getragen, dass die Vermutung fehlender Fahreignung nur für den Regelfall gilt (vgl. BayVGH, B.v. 10.6.2014 – 11 CS 14.347 – juris Rn. 8). Einen Ausnahmefall im Sinne der Vorbemerkung 3 der Anlage 4 zur FeV hat der Antragsteller nicht schlüssig vorgetragen. Die Folgen, die der Verlust der Fahrerlaubnis für seine Lebensführung, insbesondere die Erreichbarkeit seiner Arbeitsstelle, mit sich bringt, sind im Hinblick auf den hohen Rang von Leben und Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer, deren Schutz die wegen des zu vermutenden Wegfalls der Fahreignung erforderliche Entziehung der Fahrerlaubnis dient, als angemessen anzusehen.

Damit war die Beschwerde mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1, Nr. 46.2 und Nr. 46.3 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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