Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen – Az.: 16 B 1697/19 – Beschluss vom 09.11.2020
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen die Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Ordnungsverfügung und den Gebührenbescheid vom 22. Oktober 2019 durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln vom 2. Dezember 2019 wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird – zugleich unter Abänderung der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung – für beide Rechtszüge auf 2.540,58 Euro festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde gegen die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat keinen Erfolg. Die gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die dargelegten Gründe beschränkte Überprüfung der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes führt zu keinem für den Antragsgegner günstigeren Ergebnis.
Der Antragsgegner wendet sich mit seiner Beschwerde im Wesentlichen gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Gutachtenanordnung vom 25. Juni 2019 erweise sich aufgrund des darin enthaltenen Zusatzes bzw. Hinweises,
„Ich weise darauf hin, dass erfahrungsgemäß seitens der Untersuchungsstelle ein Drogenabstinenznachweis über mindestens sechs Monate verlangt wird.“,
als rechtswidrig, da eine sechsmonatige Abstinenz nach den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung in Fällen des gelegentlichen Konsums von Cannabis im Entziehungsverfahren grundsätzlich nicht gefordert werden dürfe. Aus der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ergebe sich, dass ein Abstinenzzeitraum zudem nach Ziff. 9.5 der Anlage 4 zur FeV dann gefordert werden könne, wenn die Frage der Wiedererlangung der Fahreignung streitgegenständlich sei und nicht – wie hier – die Frage des Verlustes derselben.
Soweit der Antragsgegner hiergegen einwendet, dass sich aus der unmittelbaren Fragestellung,
„Kann der zu Untersuchende trotz der Hinweise auf gelegentlichen Cannabiskonsum sowie der bekannten Verkehrsteilnahme unter Cannabis ein Kraftfahrzeug der Gruppe 1 sicher führen? Ist insbesondere nicht zu erwarten, dass er auch künftig ein Kraftfahrzeug unter Einfluss von Betäubungsmitteln oder deren Nachwirkungen führen wird (Fähigkeit zum Trennen von Konsum und Verkehrsteilnahme)?“,
keine Forderung eines sechsmonatigen Abstinenznachweises ergebe, führt dies nicht zum Erfolg der Beschwerde. Zwar ergibt sich aus der Formulierung der Gutachtenfrage selbst keine derartige Forderung (des Antragsgegners) nach Einhaltung eines sechsmonatigen Abstinenzzeitraums. Allerdings kommt es vorliegend nicht allein auf die unmittelbare Formulierung der Gutachtenfrage an, sondern auf den gesamten Inhalt der Gutachtenanordnung einschließlich ihrer Begründung.
Da eine Gutachtenanordnung nicht selbständig anfechtbar ist, sondern nur im Rahmen eines Rechtsbehelfsverfahrens gegen eine daran anknüpfende Fahrerlaubnisentziehung oder sonstige in Rechte des Betroffenen eingreifende Maßnahmen der Fahrerlaubnisbehörde – wie hier die Entziehung der Fahrerlaubnis – inzident auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden kann, ist es ein Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG), auch insoweit strenge Anforderungen zu stellen. Die Begutachtungsanordnung muss im Wesentlichen aus sich heraus verständlich sein. Für den Betroffenen muss ausgehend von der für die jeweilige Fallgestaltung in Betracht kommenden Befugnisnorm in der Fahrerlaubnis-Verordnung erkennbar sein, was der Anlass für die angeordnete Untersuchung ist und ob die in ihr verlautbarten Gründe die behördlichen Bedenken an der Kraftfahreignung zu rechtfertigen vermögen. Denn nur auf der Grundlage dieser Information kann er sachgerecht einschätzen, ob er sich trotz der mit einer Untersuchung verbundenen Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts und der Kostenbelastung der Begutachtung stellen oder ob er die mit der Verweigerung der Begutachtung verbundenen Risiken eingehen möchte.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 7. Februar 2013 – 16 E 1257/12 -, juris, Rn. 4 f. m. w. N.
Diese Anforderungen erfüllt die Gutachtenanordnung aufgrund des o. g. Zusatzes nicht. Der Antragsteller durfte bzw. musste bei verständiger Würdigung der Anordnung einschließlich ihrer Begründung wegen der Formulierung des Hinweises (“ … erfahrungsgemäß …“) davon ausgehen, dass die Erstellung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens vor Ablauf einer sechsmonatigen Abstinenz regelmäßig nicht in Betracht kommt. Dass diese Annahme jedoch unzutreffend ist, hat das Verwaltungsgericht – von dem Antragsgegner unbestritten – zutreffend dargelegt. Insoweit kann der Antragsgegner auch nicht mit Erfolg einwenden, er habe den Antragsteller nur aus Gründen der Bürgerfreundlichkeit darauf vorbereiten wollen, dass die Begutachtungsstelle je nach dem jeweiligen Konsumverhalten einen Abstinenznachweis verlangen könnte. Zwar ist zutreffend, dass nach den Begutachtungsleitlinien in bestimmten Fallgestaltungen ein solcher Abstinenznachweis auch bei gelegentlichem Cannabiskonsum sachgerecht gefordert werden kann.
Vgl. Schubert/Huetten/Reimann/Graw, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahrereignung, Kommentar, 3. Aufl. 2018, S. 438.
Jedoch lässt sich hieraus nicht ableiten, dass dieser regelmäßig gefordert werden darf. Soweit im Einzelfall einige Begutachtungsstellen – entgegen den Begutachtungsleitlinien und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum einzuhaltenden Abstinenzzeitraum vor einer Wiedererteilung der Fahrerlaubnis – generell derartige Abstinenznachweise anfordern, kann dies nicht zulasten des Antragstellers gehen.
Zwar hat der Antragsgegner mit Schreiben vom 24. September 2019 klargestellt, dass nicht in jedem Fall ein Abstinenznachweis erforderlich sei und hat insoweit auf Hypothesen und Prüfkriterien der Begutachtungsleitlinien verwiesen. Eine Verlängerung der Beibringungsfrist dahingehend, dass dem Antragsteller nach dieser Klarstellung noch der (ursprünglich festgesetzte) Zeitraum von drei Monaten zur Vorlage des angeordneten Gutachtens verblieben wäre, hat der Antragsgegner jedoch nicht gewährt.
Die Beschwerde gegen die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Gebührenbescheid vom 22. Oktober 2019 ist aus den o. g. Gründen ebenfalls unbegründet, zumal sich der Antragsgegner nicht i. S. v. § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO mit den diesbezüglichen Ausführungen im angefochtenen Beschluss auseinandersetzt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung und -änderung auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 bis 3, § 53 Abs. 2 Nr. 2 sowie § 63 Abs. 3 GKG. Zu dem für die Entziehung der Fahrerlaubnis anzusetzenden Betrag von 2.500 Euro kommt ein Viertel der festgesetzten Kosten in Höhe von 162,32 Euro hinzu (vgl. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).