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Fahrerlaubnisentziehung – gelegentlicher Cannabiskonsum – fehlendes Trennungsvermögen

VG Oldenburg – Az.: 7 A 7664/17 – Urteil vom 05.06.2018

Tatbestand

Der Kläger ist Berufskraftfahrer und wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis u.a. der Klassen C und CE.

In der Nacht vom 27. auf den 28. Februar 2017 nahm der Kläger mit einem Großraumtransport mit Überbreite am Straßenverkehr teil. Ein durchgeführter Urintest verlief positiv in Bezug auf Tetrahydrocannabinol (THC). Die wegen des Verdachts auf den Konsum von Cannabis durchgeführte Untersuchung des am 28. Februar 2017 (Entnahmezeitpunkt: 1:03 Uhr) entnommenen Blutes des Klägers ergab einen Befund von 1,1 ng/ml THC sowie 6,9 ng/ml Nor-THC-Carbonsäure (THC-COOH). Der Beklagte forderte den Kläger mit Schreiben vom 18. Juli 2017, zugestellt am 19. Juli 2017, auf, binnen 28 Tagen ein ärztliches Gutachten zum Konsumverhalten des Klägers vorzulegen und wies darauf hin, dass ihm andernfalls die Fahrerlaubnis entzogen werden könne. Am 26. Juli 2017 unterzog sich der Kläger einer Untersuchung durch eine Begutachtungsstelle des TÜV NORD; das daraufhin am 7. August 2017 erstellte Gutachten legte er jedoch nicht fristgerecht vor. Im Rahmen der Begutachtung gab der Kläger an, er habe unter anderem im Alter von 29 Jahren, am 18. Februar 2017 und zuletzt in der Nacht vom 26. auf den 27. Februar 2017 Cannabis konsumiert.

Mit Bescheid vom 24. August 2017, zugestellt am 31. August 2017, entzog der Beklagte dem Kläger die Fahrerlaubnis. Zur Begründung verwies er auf §§ 3 Abs. 1 StVG, 46 Abs. 1 FeV und führte aus, dass der Kläger wegen der Fahrt unter dem Einfluss von Cannabis ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen sei. Ein gegenteiliges medizinisches Gutachten habe der Kläger nicht rechtzeitig vorgelegt.

Der Kläger hat am 29. September 2017 Klage erhoben.

Er trägt vor: Der Fahrerlaubnisentzug beruhe auf Vermutungen sowie darauf, dass das Gutachten auf dem Postweg verloren gegangen sei und den Beklagten erst nach der Entziehung der Fahrerlaubnis erreicht habe. Er sei nur gelegentlicher Konsument von Cannabis. Er könne das Führen von Kraftfahrzeugen und den Konsum von Cannabis hinreichend trennen. Ein fehlendes Trennungsvermögen bestehe nicht schon bei einer festgestellten THC-Konzentration von mindestens 1,0 ng/ml THC. Es müssten drogentypische Auffälligkeiten hinzutreten. Im Rahmen der ärztlichen Untersuchung im zeitlichen Zusammenhang mit der Fahrt seien keine Auffälligkeiten festgestellt worden, so dass die Feststellungen der Polizeibeamten wenig glaubhaft erscheinen würden. Auch das Gutachten des TÜV-Nord belege keinen aktuellen Drogenmissbrauch oder Auswirkungen eines früheren Konsums. Ob fehlendes Trennungsvermögen bereits ab 1,0 ng/ml THC angenommen werden könne, sei schon seit längerer Zeit auch in der Rechtsprechung umstritten. Teilweise werde auch eine weitere Aufklärung, etwa durch eine medizinisch-psychologische Untersuchung, gefordert. Auch die sogenannte Grenzwertkommission schlage seit 2015 für die Annahme fehlenden Trennungsvermögens einen THC-Grenzwert von 3,0 ng/ml vor. Der je nach körperlicher Konstitution unterschiedliche Abbauwert sei zugunsten des Klägers zu berücksichtigen. THC sei bei gelegentlichem Konsum ca. ein bis fünf Tage im Blut nachweisbar.

Der Kläger beantragt, den Bescheid des Beklagten vom 24. August 2017 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Zur Begründung trägt er vor: Nach ständiger Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts könne ab einer THC-Konzentration von 1,0 ng/ml im Blutserum von fehlendem Trennungsvermögen ausgegangen werden. Die Einholung eines Gutachtens sei für diese Beurteilung nicht erforderlich. Ein ausreichendes Trennungsvermögen liege nur vor, wenn der Betroffene Konsum und Fahren in jedem Fall so trenne, dass eine verkehrsrelevante Beeinträchtigung unter keinen Umständen eintreten könne. Eine hinreichender Abstinenzzeitraum seit der Entziehung der Fahrerlaubnis sei nicht nachgewiesen worden.

Mit Beschluss vom 17. Oktober (Az. 7 B 7665/17) hat das Gericht den Antrag des Klägers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, aber unbegründet.

Der Bescheid vom 24. August 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).

Rechtsgrundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis sind die §§ 3 StVG, 46 Abs. 1 FeV. Danach ist demjenigen Fahrerlaubnisinhaber die Fahrerlaubnis zu entziehen, der sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Maßgeblich ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides (vgl. etwa BVerwG, Urteil v. 23. Oktober 2014 – 3 C 3.13 –, juris Rn. 13).

Der Beklagte konnte auf die Nichteignung des Klägers schließen, ohne dass es darauf ankäme, dass das verkehrsmedizinische Gutachten des TÜV NORD vom 7. August 2017 den Beklagten erst nach dem Fahrerlaubnisentzug erreichte. Nach § 11 Abs. 8 FeV, der auch auf Gutachtenanordnungen i.S.d. § 14 FeV anwendbar ist, darf die Fahrerlaubnisbehörde auf die Nichteignung des Betroffenen schließen, wenn ein (rechtmäßig) angefordertes Gutachten nicht fristgerecht beigebracht wird. Mit Schreiben vom 18. Juli 2017, zugestellt am 19. Juli 2017, hat der Beklagte den Kläger gem. § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 FeV aufgefordert, aufgrund der Teilnahme am Straßenverkehr am 27. Februar 2017 (unter dem Einfluss von Cannabis) binnen 28 Tagen ab Zustellung der Aufforderung ein ärztliches Gutachten zu der Frage vorzulegen, ob ein regelmäßiger oder gelegentlicher Cannabiskonsum vorliegt, der die Fahreignung in Frage stellt. Diese Frist hat der Kläger nicht eingehalten. Auf die Rechtsfolge des § 11 Abs. 8 FeV ist der Kläger auch hingewiesen worden. Zwar wendete der Kläger ein, das Gutachten sei auf dem Postweg verloren gegangen. Jedoch bleibt diese Behauptung pauschal und erfolgte lediglich mit dem Hinweis, dass auf dem Postweg häufig Sendungen verloren gingen. Wann das Gutachten „verloren gegangen“ sein soll, konkretisierte der Kläger nicht. Die Absendung an den Kläger erfolgte jedenfalls laut Aktenvermerk des TÜV NORD am 10. August 2017. Auch in der mündlichen Verhandlung wurde zu einer etwaig erfolgten rechtzeitigen Aufgabe zur Post durch den Kläger nichts vorgetragen, weshalb das Vorbringen insoweit als Schutzbehauptung gewertet wird.

Unabhängig vom Vorstehenden und die Rechtmäßigkeit der Fahrerlaubnisentziehung selbstständig tragend ist der Kläger ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, weil er unter dem Einfluss von Cannabis ein Kraftfahrzeug geführt hat und gelegentlich Cannabis konsumiert. Die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen liegt gem. §§ 11 Abs. 1 S. 2, 46 Abs. 1 S. 2 FeV insbesondere vor, wenn Mängel nach der Anlage 4 zur FeV gegeben sind. Nach Anlage 4 Nr. 9.2.2. zur FeV ist ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, wer zumindest gelegentlich Cannabis konsumiert und diesen Konsum nicht vom Fahren trennen kann. Bei dem Kläger sind beide Voraussetzungen erfüllt.

Ein gelegentlicher Cannabiskonsum setzt mindestens zwei in einem gewissen auch zeitlichen Zusammenhang stehende Konsumvorgänge voraus (vgl. BVerwG, Urteil v. 23. Oktober 2014 – 3 C 3.13 –, juris Rn. 20 f.; OVG Lüneburg Beschluss v. 7. Juni 2012 – 12 ME 31/12 –, juris Rn. 6; Beschluss v. 12. Oktober 2016 – 12 ME 138/16 –, S. 12 f.).

Der gelegentliche Konsum steht bereits aufgrund der eigenen Angaben des Klägers fest. Im Rahmen der vom TÜV-NORD am 26. Juli 2017 durchgeführten Drogenanamnese gab der am 10. März 1986 geborene Kläger an, er habe unter anderem im Alter von 29 Jahren, am 18. Februar 2017 und zuletzt in der Nacht vom 26. auf den 27. Februar 2017 Cannabis konsumiert. Bereits damit stehen mindestens zwei in einem engen zeitlichen Zusammenhang stehende Konsumvorgänge fest. Darüber hinaus spricht für einen weiteren Konsum des Klägers die Tatsache, dass nach dem Ergebnis der Blutuntersuchung (Verkehrskontrolle: 27. Februar 23:45 Uhr, Entnahmezeitpunkt: 28. Februar 2017, 01:03 Uhr) ein THC- Wert von 1,1 ng/ml festgestellt wurde. THC ist bei einmaligem Konsum im Blut lediglich 6-12 Stunden (vgl. etwa OVG Bremen, Beschluss v. 25. Februar 2016 – 1 B 9/16 -, juris m.w.N., nach weiterer Ansicht dann sogar nur ca. 4-6 Stunden (vgl. Urteilsbildung in der Medizinisch-Psychologischen Fahreignungsdiagnostik, Beurteilungskriterien, 2. Auflage 2009, S. 157) nachweisbar. Die gemessenen Blutwerte sprechen daher dafür, dass entweder nach dem angegebenen Zeitpunkt noch ein weiterer Konsumvorgang stattgefunden haben muss, oder, dass der Kläger – die Fahreignung ohne weiteres ausschließend – regelmäßig Cannabis konsumiert.

Bei dem Kläger ist auch das erforderliche Trennungsvermögen nicht gegeben. Er hat am 27. Februar 2017 um 23:45 Uhr ein Fahrzeug geführt, obwohl nach dem Ergebnis der Blutuntersuchung ein THC- Wert von 1,1 ng/ml festgestellt wurde. Die Grenze des hinnehmbaren Cannabiskonsums ist im Hinblick auf die schwerwiegenden Gefahren, welche von in ihrer Fahrtüchtigkeit beeinträchtigten Kraftfahrzeugführern ausgehen können, bereits dann überschritten, wenn hierdurch die Möglichkeit einer Beeinträchtigung der Fahrsicherheit besteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Oktober 2014 – 3 C 3.13 –, juris Rn. 33). Daher kann regelmäßig bereits ab einer THC-Konzentration von 1,0 ng/ml auf das fehlende Trennungsvermögen geschlossen werden (vgl. BVerwG, a.a.O., Rn. 37 ff.; OVG Lüneburg, Beschluss v. 28. November 2016 – 12 ME 180/16 – juris m.w.N. aus der obergerichtlichen Rechtsprechung). Des Nachweises konkreter Ausfallerscheinungen oder Beeinträchtigungen im zeitlichen Zusammenhang mit der Fahrt unter Cannabiseinfluss bedarf es nicht.

An dieser Rechtsprechung ist auch bei Berücksichtigung der Ausführungen der Grenzwertkommission vom 15. September 2015 und der neueren Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs festzuhalten (so wie hier etwa auch: OVG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 16. Juni 2016 – OVG 1 B 37.14 –; OVG Bremen, Beschluss v. 25. Februar 2016 – 1 B 9/16 –; jeweils juris). Das Oberverwaltungsgericht Niedersachsen hat sich bereits in seiner Entscheidung vom 28. November 2016 (Az. 12 ME 180/16) mit der Erwägung der Grenzwertkommission auseinandergesetzt, ein fehlendes Trennungsvermögen sei erst ab einem Wert von 3,0 ng/ml THC im Blutserum anzunehmen.

In Bezug auf den rechtlichen Prüfungsmaßstab ist zunächst (nochmals) klarzustellen, dass das Trennungsvermögen nur dann vorliegt, wenn ein gelegentlicher Konsument von Cannabis seinen Konsum und das Fahren in jedem Fall so trennt, dass eine Beeinträchtigung seiner Fahruntüchtigkeit unter keinen Umständen eintreten kann (BVerwG, Urteil v. 23. Oktober 2014 – 3 C 3/13 –, juris Rn. 33 ff.). Der Vorschlag der Grenzwertkommission wird diesem rechtlichen Maßstab nicht hinreichend gerecht. Dort wird unter anderem fälschlicherweise davon ausgegangen, dass es für die Annahme fehlenden Trennungsvermögens des Nachweises von Leistungseinbußen im zeitlichen Zusammenhang mit der Fahrt bedürfe. Es genügt für die Annahme fehlenden Trennungsvermögens mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts wie dargelegt jedoch, wenn nicht sicher ausgeschlossen werden kann, dass es zu einer Beeinträchtigung der Fahruntüchtigkeit kommt. Dies ist entsprechend dem bisher auch von der Grenzwertkommission vorgeschlagenen Wert (Beschluss v. 20. November 2002, aktualisiert durch Beschluss v. 22. Mai 2007, Blutalkohol 44 (2007), 311) ab einer THC-Konzentration von 1,0 ng/ml im Blutserum der Fall (vgl. unter Auswertung zahlreicher Studien bereits OVG Bremen, Beschluss v. 20. Juli 2012 – 2 B 341/11 –, juris Rn. 15 f.). Leistungsbeeinträchtigungen sind dann nicht mehr ausgeschlossen.

Das Oberverwaltungsgericht Niedersachsen stellt insoweit insbesondere zutreffend heraus (Urteil v. 28. November 2016 – 12 ME 180/16 -, juris Rn. 10 ff.; Hervorhebungen nicht im Original):

„Es ist weder dargelegt noch für den Senat ohne weiteres ersichtlich, dass die vom Antragsteller in Bezug genommene Empfehlung der Grenzwertkommission von dem insoweit anzulegenden rechtlichen Maßstab ausgegangen wäre. Wie sich bereits aus der vom Verwaltungsgericht in Bezug genommenen Entscheidung des Bayerischen VGH (Beschl. v. 23.5.2016 – 11 CS 16.690 -, NJW 2016, 2601, juris Rn. 17) ergibt, erscheint dies auch deswegen zweifelhaft, weil die Grenzwertkommission an ihrem empfohlenen Grenzwert von 1,0 ng/ml für die Anwendung des Ordnungswidrigkeitentatbestands nach § 24a Abs. 2 StVG festgehalten hat (vgl. dazu auch VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 22.7.2016 – 10 S 738/16 -, Blutalkohol 53, 399, juris Rn. 12 f.; OVG Bremen, Beschl. v. 25.2.2016 – 1 B 9/16 -, Blutalkohol 53, 275, juris Rn. 7). Auch hiermit setzt sich der Antragsteller nicht auseinander. Hierzu und zu den sich weiter stellenden Fragen führt etwa das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg in seinem Urteil vom 16. Juni 2016 (- OVG 1 B 37.14 -, Blutalkohol 53, 393, juris Rn. 27 ff.) u.a. aus:

„Diese Grenzwertbestimmung stützt sich auf den Beschluss der gemeinsamen Arbeitsgruppe für Grenzwertfragen und Qualitätskontrolle (sog. Grenzwertkommission) vom 20. November 2002 – aktualisiert durch Beschluss vom 22. Mai 2007 (Blutalkohol 44 [2007], 311) und bekräftigt durch Empfehlung aus September 2015 (Blutalkohol 44 [2007], 311) – wonach der Grenzwert für die Annahme einer Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 2 StVG bei einer THC-Konzentration von 1,0 ng/ml Blutserum liege. Bei der Grenzwertkommission handelt es sich um eine fachübergreifende Arbeitsgruppe, die von der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin, der Deutschen Gesellschaft für Verkehrsmedizin und der Gesellschaft für Forensische und Toxikologische Chemie im Jahr 1994 gegründet wurde und – paritätisch – mit hoch qualifizierten Wissenschaftlern besetzt ist (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 23. Februar 2016 – 16 B 45/16 -, Rn. 15, juris).

Bei diesem empfohlenen Grenzwert handelt es sich um einen sog. „analytischen Grenzwert“, d.h. einen Wert, der angibt, ab welcher Konzentration ein sicherer Nachweis und eine exakte Quantifizierung von THC bei Anwendung der Richtlinien der Gesellschaft für toxikologische und forensische Chemie möglich ist (vgl. Erläuterung im Beschluss der Grenzwertkommission vom 22. Mai 2007, (Blutalkohol 44 [2007], 311).

bb) Dieser „Risikogrenzwert“ bedarf keiner Korrektur durch die im September 2015 von der Grenzwertkommission veröffentlichte “Empfehlung für die Konzentration von Tetrahydrocannabinol (THC) im Blutserum zur Feststellung des Trennungsvermögens von Cannabiskonsum und Fahren“ (Blutalkohol 44 [2007], 311), denn diese Empfehlung beruht auf einem begrifflichen Fehlverständnis des Tatbestandsmerkmals „Trennungsvermögen“. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

In der Empfehlung der Grenzwertkommission aus September 2015 heißt es:

„Als Voraussetzung für die Fahreignung gelegentlicher Cannabiskonsumenten wird die Einhaltung ausreichender Wartezeiten zwischen Konsum und Fahrtantritt gefordert (Trennungsvermögen, vergleiche Nr. 9.2.2 der Anl. 4 zur Fev).

Eine Leistungseinbuße ließ sich in experimentellen Studien frühestens ab 2 ng THC/ml Serum nachweisen …; Ein erhöhtes Unfallrisiko ab einer THC-Konzentration im Serum von 4 ng/ml … . Pharmakokinetische Studien zeigen, dass bei Konzentrationen ab 2 ng THC/ml Serum … davon auszugehen ist, dass der letzte Konsum innerhalb weniger Stunden vor der Blutentnahme stattgefunden hat.

Die Grenzwertkommission empfiehlt daher auf der Grundlage dieser Ausführungen bei Feststellung einer THC-Konzentration von 3,0 ng/ml oder mehr im Blutserum bei gelegentlich Cannabis konsumierenden Personen eine Trennung von Konsum und Fahren … zu verneinen.

Eine Neubewertung des analytischen Grenzwertes von THC (1,0 ng/ml) gemäß der Empfehlung der Grenzwertkommission zur Anlage des § 24 Abs. 2 StVG ist nicht veranlasst.“

(1) Bereits dem Empfehlungswortlaut selbst lässt sich entnehmen, dass die Grenzwertkommission das Tatbestandsmerkmal des Trennungsvermögens (irrtümlich) dahin versteht, dass damit (nur) eine „ausreichende Wartezeit“ zwischen Konsum und Fahrtantritt gefordert werde. Im Übrigen begründet sie die Grenzwertbestimmung mit der (positiven) Feststellung von „Leistungseinbußen“.

Beide Kriterien verkennen indes die bundesgerichtliche Rechtsprechung zum „Risikogrenzwert“, denn für die rechtliche Beurteilung des Trennungsvermögens kommt es weder auf eine bestimmte Wartezeit noch auf bereits erkennbare Leistungseinbußen an. Vielmehr liegt nach dem dargelegten Gefährdungsmaßstab eine ausreichende Trennung nur vor, wenn der Betroffene Konsum und Fahren in jedem Fall in einer Weise trennt, dass durch eine vorangegangene Einnahme von Cannabis eine Beeinträchtigung seiner verkehrsrelevanten Eigenschaften unter keinen Umständen eintreten kann (BVerwG, Urteil vom 23. Oktober 2014 – 3 C 3.13 -, Rn. 32, juris).““

Auch mit der Erwägung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. Beschlüsse v. 3. Januar 2017 – 11 CS 16.2401 – und v. 29. August 2016 – 11 CS 16.1460 –; siehe auch Urteil v. 13. Dezember 2017 – 11 BV 17.1876 –; jeweils juris), in den Fällen der erstmaligen Fahrt unter dem Einfluss von Cannabis in der Regel zunächst ein medizinisch-psychologisches Gutachten gem. § 14 Abs. 1 S. 3 FeV zu der Frage des Trennungsvermögens einzuholen, hat sich das Nds. OVG in seinem Beschluss vom 7. April 2017 (12 ME 49/17) bereits auseinandergesetzt. Die neuere Rechtsprechung des Bayerischen VGH steht ebenfalls nach hiesiger Auffassung mit der skizzierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht im Einklang. Zudem verkennt sie die unterschiedliche Ausgestaltung der Nichteignungstatbestände der Nrn. 8.1 und 9.2.2 der Anlage 4 zu den §§ 11,13 und 14 FeV. In dem Beschluss des Nds. OVG vom 7. April 2017 heißt es (juris, Rn. 7):

„Entgegen der von dem Antragsteller angeführten und mit Beschluss vom 3. Januar 2017 – 11 CS 16.2401 – (juris, Rn. 20) bekräftigten Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs hält der Senat in Übereinstimmung mit der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Beschl. v. 7.3.2017 – 10 S 328/17 -, juris, Rn. 4) an seiner bisherigen Rechtsprechung fest (vgl. etwa Beschl. v. 6.3.2017 – 12 ME 251/16 -), wonach Personen, die gelegentlich Cannabis einnehmen und zwischen dessen Konsum und dem Fahren von Kraftfahrzeugen nicht trennen, nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV in der Regel ohne weiteres, insbesondere ohne vorherige medizinisch-psychologische Untersuchung auf ihr Trennungsvermögen, als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen sind, selbst wenn nur eine einzelne Fahrt unter Cannabiseinfluss feststeht. Mit dem Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 23.10.2014 – BVerwG 3 C 3.13 -, NJW 2015, 2439 ff., hier zitiert nach juris, Rnrn. 32 und 36) ist nämlich davon auszugehen, dass eine ausreichende Trennung, die eine gelegentliche Einnahme von Cannabis im Hinblick auf die Verkehrssicherheit noch als hinnehmbar erscheinen lässt, nur dann vorliegt, wenn der Betroffene Konsum und Fahren in jedem Fall in einer Weise trennt, dass durch eine vorangegangene Einnahme von Cannabis eine Beeinträchtigung seiner verkehrsrelevanten Eigenschaften unter keinen Umständen eintreten kann. Die von dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof erwogene Parallelisierung des Vorgehens in den Fällen einer einzelnen Fahrt unter Cannabiseinfluss bei gelegentlichem Cannabiskonsum mit dem Vorgehen in den Fällen des Verdachts eines fahrerlaubnisrechtlichen Alkoholmissbrauchs ist nicht angezeigt. Das ergibt sich unter anderem bereits aus der unterschiedlichen Formulierung der Nichteignungstatbestände der Nrn. 8.1 und 9.2.2 der Anlage 4 zu den §§ 11,13 und 14 FeV. Denn während es zur Verneinung eines fahrerlaubnisrechtlichen Alkoholmissbrauchs genügt, dass das Führen von Fahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum „hinreichend sicher“ getrennt werden können, erfordert die Fahreignung bei gelegentlichem Cannabiskonsum die „Trennung von Konsum und Fahren“ schlechthin. Dafür, dass eine Ungleichbehandlung der beiden die Fahreignung beeinträchtigenden Substanzen Alkohol und Cannabis trotz unterschiedlicher Wirkungsweise nicht gerechtfertigt wäre, sind der von dem Antragsteller in Bezug genommenen Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte zu entnehmen. Auch überzeugt nicht das dort angeführte Hauptargument, wonach für § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV keinerlei Anwendungsbereich bliebe, wenn bereits der erstmalige Verstoß gegen das Trennungsgebot bei gelegentlichem Cannabiskonsum zur sofortigen Entziehung der Fahrerlaubnis führte. Denn auch unter dieser Prämisse hat die letztgenannte Vorschrift Anwendungsfälle. Zu denken ist etwa an Konstellationen, in denen außer einer Zuwiderhandlung gegen § 24a (Abs. 2) StVG unter Cannabiseinfluss, die so weit zurückliegt, dass Zweifel daran bestehen, ob eine Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen aus ihr noch herzuleiten ist, eine weitere Zuwiderhandlung gegen § 24a (Abs. 1) StVG unter Alkoholeinfluss begangen wurde (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 29.7.2009 – 18 B 895/09 -, DAR 2009, 598 f., hier zitiert nach juris, Rn. 5, und OVG Berlin-Bbg., Beschl. v. 21.3.2012 – OVG 1 S 18.12 -, BAK 49, 177 ff. [2012], hier zitiert nach juris, Rn. 6).“

Schließlich kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 24a Abs. 2 und 3 StVG – im Einklang mit den Erwägungen der Grenzwertkommission aus dem Jahr 2015 – (vgl. BGH, Beschluss v. 14. Februar 2017 – 4 StR 422/15 –, juris Rn. 13 ff.) allein aus der Feststellung des Überschreitens des analytischen Grenzwertes von 1,0 ng/ml THC auf ein objektiv und subjektiv sorgfaltswidriges Verhalten geschlossen werden.

In Fällen der vorliegenden Art, in denen ein Großraumtransport mit Überbreite geführt wird, ist es aufgrund des gesteigerten Gefahrenpotentials erst Recht geboten, das erforderliche Trennungsvermögen zu verneinen. Schließlich hatte der Beklagte keinen Anlass, die Entscheidung über den Fahrerlaubnisentzug aufgrund der nachträglichen Vorlage des verkehrsmedizinischen Gutachtens vom 7. August 2017 „aufzuheben“. Daher kommt es auch auf den Vortrag des Klägers, das Gutachten sei auf dem Postweg verloren gegangen, an dieser Stelle nicht an. Das Gutachten des TÜV-NORD vom 7. August 2017 steht dem Schluss auf die Nichteignung des Klägers nicht entgegen. Zwar konnte dort ein aktueller (Untersuchungstag 26. Juli 2017) Konsum durch die chemische Analyse nicht nachgewiesen werden. Dies war aber aufgrund des bereits dargestellten und hinreichend aktuellen Konsums auch nicht mehr erforderlich. Im Übrigen geht auch der Gutachter davon aus, dass bei dem Kläger ein Konsumverhalten bestehe, das die Fahreignung in Frage stelle. Ein durch regelmäßige Kontrollen zu erbringender Nachweis einer einjährigen Abstinenz, der gem. Ziff. 9.5 der Anlage 4 zu § 11 FeV für die Annahme der Wiederherstellung der Fahreignung erforderlich ist, liegt nicht vor.

Angesichts der Gefahren für die Teilnehmer am öffentlichen Straßenverkehr, die von einem Kraftfahrer ausgehen, der sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen hat, müssen die privaten bzw. beruflichen Belange des Klägers zurückstehen (vgl. z.B. OVG Niedersachsen, Beschluss v. 7. April 2017 – 12 ME 49/17 –, juris Rn. 9).

Vor diesem Hintergrund begegnet auch die Aufforderung zur Ablieferung des Führerscheins keinen rechtlichen Bedenken (vgl. § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11 ZPO.

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