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Fahrerlaubnisentziehung – Fahreignungs-Bewertungssystem – Maßnahmestufen

VG Würzburg – Az.: W 6 S 22.1188 – Beschluss vom 17.08.2022

I. Der Antrag wird abgelehnt.

II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

IV. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen den sofortigen Vollzug der Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen A79, A179, AM, B und L nach dem Fahreignungsbewertungssystem.

1.

Mit Schreiben des Landratsamts Würzburg (nachfolgend: Landratsamt) vom 26. September 2016 wurde der Antragsteller gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG zu verkehrsgerechtem Verhalten ermahnt, da nach einer Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamtes im Fahreignungsregister für ihn fünf Punkte eingetragen waren (Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort vom 23.5.2014, bewertet mit 2 Punkten; Missachtung eines Überholverbots vom 26.5.2014, bewertet mit 1 Punkt; Geschwindigkeitsverstoß vom 19.2.2016, bewertet mit 2 Punkten). Der Antragsteller wurde darauf hingewiesen, dass bei weiterem Ansteigen der Punkte weitere Maßnahmen ergriffen würden. Bei Erreichen von acht Punkten werde ihm die Fahrerlaubnis entzogen. Auf die Möglichkeit der freiwilligen Teilnahme an einem Fahreignungsseminar nach § 4a StVG mit der Möglichkeit eines Punkteabzugs von einem Punkt wurde hingewiesen. Die Ermahnung wurde dem Antragsteller laut Postzustellungsurkunde am 28. September 2016 durch Niederlegung in der Postfiliale O… in der T… S…, O…, zugestellt.

Aufgrund weiterer Mitteilungen des Kraftfahrt-Bundesamts wurden nachfolgende Verkehrszuwiderhandlungen des Antragstellers bekannt, die insgesamt sieben Punkte ergaben (Inbetriebnahme eines Fahrzeugs obwohl die Betriebserlaubnis erloschen war vom 29.9.2018, bewertet mit 1 Punkt; Führen eines Kraftfahrzeugs ohne Fahrerlaubnis mit Fahrverbot vom 9.10.2018, bewertet mit 2 Punkten; Geschwindigkeitsverstöße vom 9.2.2019, 23.2.2019, 8.12.2019 und 13.7.2020, bewertet mit jeweils 1 Punkt).

Mit Schreiben vom 1. Dezember 2020 verwarnte daraufhin das Landratsamt den Antragsteller wegen des Erreichens von sieben Punkten im Fahreignungsregister wegen wiederholter Verkehrszuwiderhandlungen und forderte ihn zu verkehrsgerechtem Verhalten auf. Auf den Entzug der Fahrerlaubnis bei Erreichen von acht Punkten wurde hingewiesen. Ein Hinweis auf die Möglichkeit einer freiwilligen Teilnahme an einem Fahreignungsseminar gemäß § 4a StVG ohne die Folge des Punkteabzugs war der Verwarnung beigefügt.

Die Verwarnung sollte ausweislich der Behördenakte per Postzustellungsurkunde an die zu dem damaligen Zeitpunkt gemeldete Wohnanschrift des Antragstellers in der M…, O…, zugestellt werden. Laut Mitteilung der Deutschen Post vom 19. März 2021 ging die Postzustellungsurkunde für die Zustellung der Verwarnung vom 1. Dezember 2020 verloren und kam daher nicht in den Postrücklauf des Landratsamts. Die mit der Verwarnung in einem Schreiben verbundene Kostenrechnung in Höhe von 21,02 EUR wurde am 18. Januar 2021 beglichen, nachdem diese mit Schreiben vom 11. Januar 2021 von der Kreiskasse des Landratsamts angemahnt worden war, das ebenfalls an die zu dem damaligen Zeitpunkt gemeldete Wohnanschrift des Antragstellers in der M…, O…, gerichtet gewesen war. Weder das die Verwarnung übermittelnde Schreiben vom 1. Dezember 2020 noch das Mahnschreiben vom 11. Januar 2021 kamen als unzustellbar zum Absender zurück.

Ausweislich eines Aktenvermerks vom 3. März 2021 versandte das Landratsamt dem Antragsteller mit Schreiben vom selben Tag eine Kopie der Verwarnung vom 1. Dezember 2021 an die zu dem damaligen Zeitpunkt noch gemeldete Wohnanschrift des Antragstellers in der M…, O…, per Postzustellungsurkunde. Aus der Postzustellungsurkunde vom 5. März 2021 geht hervor, dass die Verwarnung durch Einlegen in einen zur Wohnung gehörenden Briefkasten zugestellt worden war, da eine Übergabe in der Wohnung nicht möglich war. Das Landratsamt bat den Antragsteller in dem Anschreiben, den Erhalt der Verwarnung vom 1. Dezember 2021 schriftlich gegenüber dem Landratsamt zu bestätigen, da kein Zustellnachweis in den Rücklauf gekommen sei. Eine Bestätigung oder sonstige Reaktion durch den Antragsteller erfolgte nicht.

Ausweislich eines Aktenvermerks vom 3. März 2021 über ein Telefonat mit einer Mitarbeiterin der Justizbehörden in W… wurde dem Landratsamt mitgeteilt, dass sich der Antragsteller seit 11. Januar 2021 in der Justizvollzugsanstalt (nachfolgend: JVA) W…, F…-B…-R…, W…, in Haft befindet. Nach einem in der Behördenakte befindlichen Auszug aus dem Bayerischen Behördeninformationssystem ist der Antragsteller seit dem 17. Mai 2021 in der JVA W… gemeldet.

Gemäß Aktenvermerk vom 7. Februar 2022 erkundigte sich das Landratsamt bei der Staatsanwaltschaft W… nach dem Stand des gegen den Antragsteller beim Amtsgericht W… anhängigen Strafverfahrens wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis und ob sich der Antragsteller noch in der JVA W… befände. Laut Staatsanwaltschaft war die Hauptverhandlung für den 16. Februar 2022 angesetzt, so dass das Landratsamt den Ausgang des Verfahrens abwarten wollte, um in der Folge ggf. wegen des Erreichens von acht Punkten im Fahreignungsregister das Entziehungsverfahren einzuleiten.

Mit Schreiben vom 9. Februar 2022, adressiert an die vormalige Wohnanschrift des Antragstellers in der M…, O…, bat das Landratsamt diesen bis zum 23. Februar 2022 um Mitteilung, ob er sich noch in Haft befinde, andernfalls werde davon ausgegangen, dass er bereits aus der Haft entlassen worden sei. Es erfolgte keine Reaktion durch den Antragsteller. Das Schreiben kam nicht als unzustellbar zum Absender zurück.

Mit Urteil des Amtsgerichts W… vom 16. Februar 2022, das am selben Tag in Rechtskraft erwuchs, wurde der Antragsteller wegen Führen eines Kraftfahrzeugs trotz eines Fahrverbots zu einer Freiheitsstraße von drei Monaten verurteilt. Zudem wurde die Tat mit der Eintragung von 42 Punkten im Fahreignungsregister geahndet.

Nach einer Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamts vom 21. März 2022 an das Landratsamt betrug der Punktestand des Antragstellers im Fahreignungsregister nunmehr insgesamt 49 Punkte.

Am 31. Mai 2022 erkundigte sich das Landratsamt telefonisch bei der JVA W…, ob sich der Antragsteller noch dort aufhalte und ihm im Post zugestellt werden könne, was bejaht wurde.

Mit Schreiben vom 31. Mai 2022 hörte das Landratsamt den Antragsteller zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis an, da für ihn zwischenzeitlich mehr als acht Punkte im Fahreignungsregister eingetragen waren. Aufgelistet waren folgende Verkehrszuwiderhandlungen:

Datum der 1. Tat 2. Rechtskraft                Behörde/Gericht            Art der Verkehrszuwiderhandlung    Pkt.

29.09.2018 07.02.2019 Stadt S…t          Sie nahmen das Fahrzeug in Betrieb, obwohl die Betriebserlaubnis erloschen war. Die Verkehrssicherheit war dadurch wesentlich beeinträchtig.        1

09.10.2018 05.09.2020 AG W… Führen oder Anordnen oder Zulassen des Führens eines Kraftfahrzeuges ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG) mit Fahrverbot.       2

09.02.2019 25.05.2019 BG-Beh. Stadt W…         Sie überschritten die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 25 km/h. Zulässige Geschwindigkeit: 30 km/h Festgestellte Geschwindigkeit (nach Toleranzabzug): 55 km/h            1

23.02.2019 19.04.2019 BG-Beh. ZBS V…             Sie überschritten die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 22 km/h. Zulässige Geschwindigkeit: 80 km/h Festgestellte Geschwindigkeit (nach Toleranzabzug): 102 km/h          1

08.12.2019 25.02.2020 BG-Beh. ZBS V…             Sie überschritten die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 23 km/h. Zulässige Geschwindigkeit: 120 km/h Festgestellte Geschwindigkeit (nach Toleranzabzug): 143 km/h          1

13.07.2020 24.10.2020 BG-Beh. ZBS V…             Sie überschritten die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 23 km/h. Zulässige Geschwindigkeit: 50 km/h Festgestellte Geschwindigkeit (nach Toleranzabzug): 73 km/h            1

11.12.2020 16.02.2022 AG W… Führen oder Anordnen oder Zulassen des Führens eines Kraftfahrzeuges trotz Fahrverbots oder trotz Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 21 StVG) ohne Entziehung/Sperre/Fahrverbot  42

Gesamtpunkte                             49

Das Anhörungsschreiben wurde dem Antragsteller am 2. Juni 2022 per Postzustellungsurkunde in die JVA W… zugestellt.

Mit Schreiben vom 7. Juni 2022 zeigte der Bevollmächtigte des Antragstellers seine Vertretung an und erbat Akteneinsicht. Er trug im Wesentlichen vor, dass sich der Antragsteller nicht daran erinnern könne, die Schreiben des Landrats-amts vom 26. September 2016 und 1. Dezember 2020 erhalten zu haben. Zudem sei die angestrebte Entziehung der Fahrerlaubnis rechtswidrig, da die Benachrichtigungen nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG und nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG dem Betroffenen nicht wirksam zugestellt worden seien. Mit weiterem Schriftsatz vom 21. Juni 2022 konkretisierte der Bevollmächtigte des Antragstellers seinen Vortrag dahingehend, dass der Antragsteller auch die Verwarnung mit Schreiben vom 3. März 2021 erhalten habe. Die Zahlung von 21,02 EUR am 18. Januar 2021 sei durch einen Verwandten des Antragstellers aufgrund eines Mahnschreibens vom 11. Januar 2021 erfolgt, da sich der Antragsteller sich seit dem 11. Januar 2021 in der JVA W… in Haft befinde. Daher habe ihn auch die Zustellung der Verwarnung vom 3. März 2021 unter seiner früheren Anschrift M…, O…, nicht erreichen können. Die Tatsache, dass der Antragsteller zu einer Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt und diese bereits vollstreckt worden sei, sei der Behörde ausweislich der Führerscheinakte auch bei Adressierung des Verwarnungsschreibens vom 3. März 2021 bekannt gewesen. Nachdem die nach Erreichen eines Punktestands von 6 oder 7 Punkten gemäß § 4 Abs. 6 StVG erforderliche schriftliche Verwarnung mangels Zustellung noch nicht wirksam erfolgt sei, sei nunmehr ein Punktestand von 6 Punkten zugrunde zu legen. Die Mitteilung an das Kraftfahrtbundesamt vom 13. April 2021 sei daher zu korrigieren.

Mit Bescheid vom 6. Juli 2022 entzog das Landratsamt dem Antragsteller die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen (Nr. 1) und forderte diesen auf, unverzüglich, spätestens eine Woche nach Zustellung, den Führerschein beim Landratsamt Würzburg abzugeben (Nr. 2). Die sofortige Vollziehbarkeit der Nr. 2 wurde angeordnet (Nr. 3) und für den Fall der Nichtbeachtung der Nr. 2 ein Zwangsgeld in Höhe von 200,00 EUR angedroht. Dem Antragsteller wurden die Kosten des Verfahrens auferlegt (Nr. 5 und 6). Zur Begründung wurde unter Wiedergabe des wesentlichen bisherigen Verfahrensablaufs und mit Verweis auf den Akteninhalt ausgeführt, dass der Antragsteller mit Schreiben vom 26. September 2016 ermahnt und mit Schreiben vom 1. Dezember 2020 verwarnt worden sei. Nach der jüngsten Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 21. März 2022 seien für den Antragsteller zwischenzeitlich 49 Punkte im Fahreignungsregister eingetragen. Er gelte daher als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, weshalb ihm gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG die Fahrerlaubnis zwingend zu entziehen sei. Im Übrigen wird auf den Bescheid vom 6. Juli 2022 verwiesen, der dem Bevollmächtigten des Antragstellers per Empfangsbekenntnis am 15. Juli 2022 zugestellt wurde.

Der Führerschein des Antragstellers wurde am 25. Juli 2022 beim Landratsamt abgegeben.

2.

Am 18. Juli 2022 ließ der Antragsteller Klage (W 6 K 22.1189) erheben, über die noch nicht entschieden ist, und zugleich im zugrundeliegenden Eilverfahren sinngemäß beantragen,

die sofortige Vollziehung des Bescheids des Landratsamts Würzburg vom 6. Juli 2022 (Nrn. 1 und 2) auszusetzen und die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen sowie dem Landratsamt aufzugeben, den Führerschein unverzüglich wieder herauszugeben, dem Antragsteller Prozesskostenhilfe zu bewilligen.

Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis rechtswidrig sei, da der Antragsteller bislang nicht rechtswirksam im Sinne von § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG verwarnt worden sei. Die vorzunehmende Interessenabwägung führe deshalb dazu, dass das Interesse des Antragstellers am Bestand seiner Fahrerlaubnis gegenüber dem besonderen öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des angegriffenen Bescheids überwiege. Zudem sei sich das Landratsamt des Ausnahmecharakters des Sofortvollzugs nicht bewusst. Die aufgeführten Gründe genügten nicht, um die Dringlichkeit der sofortigen Vollziehung zu belegen, zumal der Antragsteller sich in Haft befinde und ohnehin nicht als Führer eines Kraftfahrzeugs am Straßenverkehr teilnehmen könne.

Das Landratsamt Würzburg beantragte für den Antragsgegner, den Antrag abzulehnen.

Zur Begründung wurde auf die Gründe des Bescheids verwiesen und ergänzend ausgeführt, dass der Antragsteller mit Schreiben vom 1. Dezember 2020 gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG verwarnt worden sei. Die Zustellung der Verwarnung sollte mit Postzustellungsurkunde erfolgen. Da die Postzustellungsurkunde nicht in den Rücklauf gekommen und eine entsprechende Nachfrage bei der Deutschen Post erfolglos geblieben sei, sei eine Kopie der Verwarnung vom 1. Dezember 2020 erneut mit Postzustellungsurkunde zugestellt worden. Ausweislich der Postzustellungsurkunde vom 5. März 2021 sei die Zustellung durch Einlegung des Schriftstücks in den zur Wohnung des Betroffenen gehörenden Briefkastens erfolgt. Es sei nicht verantwortbar, einen nicht geeigneten Fahrzeugführer weiterhin als Führer eines Fahrzeugs im öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen zu lassen, da hierdurch vorrangige Schutzgüter wie etwa Leben und Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer gefährdet würden. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei daher notwendig und gerechtfertigt. Der Umstand, dass sich der Antragsteller zum Zeitpunkt der Entziehung in der JVA W… befunden habe und weiterhin befinde, ändere nichts an der Notwendigkeit des Sofortvollzugs.

3.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, auch im Verfahren W 6 K 22.1189, und die beigezogene Behördenakte verwiesen.

II.

Der Antrag, der in Anwendung von §§ 122 Abs. 1, 88 VwGO auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen Nr. 1 des Bescheids des Landratsamts Würzburg vom 6. Juli 2022 sowie die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gegen Nr. 2 des Bescheids gerichtet ist, ist teilweise unzulässig, soweit er zulässig ist, ist er jedoch nicht begründet.

Der Antrag ist unzulässig, soweit der Antragsteller die sofortige Herausgabe seines Führerscheins verlangt. Für diesen Antrag fehlt es am erforderlichen Rechtsschutzinteresse, da nichts dafür ersichtlich ist, dass im Falle eines Obsiegens des Antragstellers die Behörde die Herausgabe des Führerscheins verweigern wollte.

Soweit sich der Antrag gegen Nr. 1 und 2 des Bescheides vom 6. Juli 2022 richtet, ist er zulässig, jedoch nicht begründet.

Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis (Nr. 1 des Bescheids) entfällt vorliegend kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 4 Abs. 9, Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG), ohne dass es einer behördlichen Anordnung des Sofortvollzugs bedarf. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Anordnung, den Führerschein beim Landratsamt abzugeben (Nr. 2 des Bescheids) entfällt, da das Landratsamt insoweit den Sofortvollzug angeordnet hat (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO).

Entfällt kraft Gesetzes die aufschiebende Wirkung oder ist diese wirksam angeordnet, so kann gemäß § 80 Abs. 5 VwGO das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen bzw. wiederherstellen, wobei es eine eigene Abwägungsentscheidung trifft. Hierbei ist das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage abzuwägen. Bei dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache dann von maßgeblicher Bedeutung, wenn nach summarischer Prüfung von der offensichtlichen Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Verwaltungsakts und der Rechtsverletzung des Antragstellers auszugehen ist. Jedenfalls hat das Gericht die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs bei seiner Entscheidung mit zu berücksichtigen, soweit diese sich bereits übersehen lassen (vgl. BVerfG, B.v. 24.2.2009 – 1 BvR 165/09 – NVwZ 2009, 581; BayVGH, B.v. 17.9.1987 – 26 CS 87.01144 – BayVBl. 1988, 369; Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 85 und 90 ff.).

1.

Das Landratsamt hat die Anordnung des Sofortvollzugs bezüglich der Anordnung zur Vorlage seines Führerscheins in Nr. 2 des Bescheids gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO hinreichend begründet. Die Begründung genügt den lediglich formell-rechtlichen Anforderungen. Die Vorschrift des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO verlangt eine Darlegung der Gründe, die zu erkennen gibt, dass die Behörde eine Anordnung des Sofortvollzugs im konkreten Fall für ausnahmsweise geboten erachtet (Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 55). Die Behörde verweist zutreffend auf die Gefahr des Rechtsscheins, den ein vorgezeigter Führerschein trotz entzogener Fahrerlaubnis bei Verkehrskontrollen durch die Polizei erzeugen kann und zeigt damit, dass sie sich des Ausnahmecharakters der Vollzugsanordnung bewusst war. Es liegt auf der Hand und braucht nicht weiter dargelegt zu werden, dass der sofortige Ausschluss eines nicht fahrgeeigneten Kraftfahrers von der Teilnahme am Straßenverkehr die Risiken für andere Verkehrsteilnehmer reduziert, unabhängig davon, ob dessen gegenwärtige individuelle Lebensumstände die tatsächliche Teilnahme am Straßenverkehr zulassen oder nicht.

Die Entziehung der Fahrerlaubnis (Nr. 1 des Bescheids) ist bereits von Gesetzes wegen sofort vollziehbar (s.o.), sodass es insoweit keiner gesondert begründeten behördlichen Anordnung des Sofortvollzugs bedurfte.

2.

Eine summarische Prüfung der Hauptsache, wie sie im Sofortverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO erforderlich und ausreichend ist, ergibt, dass die Klage des Antragstellers mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg haben wird, da dem Antragsteller die Fahrerlaubnis zu Recht entzogen wurde und damit auch die Abgabe des Führerscheins rechtmäßig angeordnet werden konnte (§ 113 Abs. 1 VwGO). Im Zeitpunkt der letzten im Fahreignungsregister eingetragenen Tat (Führen eines Kraftfahrzeugs trotz eines Fahrverbots vom 11. Dezember 2020) ergab sich ein Punktestand von 49 Punkten, die auch im Zeitpunkt des Erlasses des Entziehungsbescheids noch verwertbar waren. Die Fahrerlaubnis war deshalb nach § 4 Abs. 5 Nr. 3 StVG zu entziehen. Im Einzelnen:

2.1

Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG gilt der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen und die Fahrerlaubnis ist ihm zu entziehen, wenn sich acht oder mehr Punkte im Fahreignungsregister ergeben. Punkte ergeben sich mit der Begehung der Straftat oder Ordnungswidrigkeit, sofern sie rechtskräftig geahndet wird (§ 4 Abs. 2 Satz 3 StVG). Gemäß § 4 Abs. 5 Satz 5 StVG hat die Behörde für die Ergreifung der Maßnahme nach Satz 1 auf den Punktestand abzustellen, der sich zum Zeitpunkt der Begehung der letzten zur Ergreifung der Maßnahme führenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit ergeben hat. Bei der Berechnung des Punktestands werden nach § 4 Abs. 5 Satz 6 StVG Zuwiderhandlungen 1.) unabhängig davon berücksichtigt, ob nach der Begehung bereits Maßnahmen ergriffen worden sind, 2.) nur dann berücksichtigt, wenn deren Tilgungsfrist zudem in Satz 5 genannten Zeitpunkt noch nicht abgelaufen war. Nach § 4 Abs. 5 Satz 7 StVG bleiben spätere Verringerungen des Punktestands aufgrund von Tilgungen unberücksichtigt. Voraussetzung der Maßnahme nach § 4 Abs. 3 Nr. 3 StVG ist, dass vor Entziehung der Fahrerlaubnis die nach dem Stufensystem des § 4 Abs. 6 Sätze 1 und 2 StVG vorgesehenen Maßnahmen gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 und 2 StVG ergriffen worden sind. Danach ist der Inhaber einer Fahrerlaubnis beim Erreichen von vier oder fünf Punkten schriftlich zu ermahnen (Nr. 1) und beim Erreichen von sechs oder sieben Punkten schriftlich zu verwarnen (Nr. 2). Die Ermahnung und die Verwarnung müssen daneben gemäß § 4 Abs. 5 Satz 2 StVG den Hinweis enthalten, dass ein Fahreignungsseminar nach § 4a StVG freiwillig besucht werden kann, um das Verkehrsverhalten zu verbessern; im Falle der Verwarnung erfolgt zusätzlich der Hinweis, dass hierfür kein Punkteabzug gewährt wird (§ 4 Abs. 5 Satz 2 StVG). In der Verwarnung nach Satz 1 Nr. 2 ist darüber zu unterrichten, dass beim Erreichen von acht Punkten die Fahrerlaubnis entzogen wird (§ 4 Abs. 5 Satz 3 StVG). Die zuständige Be-hörde ist bei den Maßnahmen nach § 4 Satz 1 StVG an die rechtskräftige Entscheidung über die Straftat oder die Ordnungswidrigkeit gebunden (§ 4 Abs. 5 Satz 4 StVG).

2.2

Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Verkehrszuwiderhandlung (Führen eines Kraftfahrzeugs trotz eines Fahrverbots vom 11. Dezember 2020, bewertet mit 42 Punkten) waren für den Antragsteller im Fahreignungsregister insgesamt 49 Punkte eingetragen, die auch noch verwertbar waren. Dies wird vom Antragsteller im vorliegenden Sofortverfahren auch nicht weiter in Abrede gestellt, sodass auf die zutreffenden Ausführungen im Bescheid vom 6. Juli 2022 Bezug genommen werden kann.

2.3

Entgegen der Auffassung des Antragstellerbevollmächtigten wurden die der Entziehung der Fahrerlaubnis vorgelagerten Stufen der Ermahnung (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG) und Verwarnung (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG) auch ordnungsgemäß durchlaufen.

2.3.1

Der Antragsteller war beim Stand von fünf Punkten im Fahreignungsregister mit Schreiben des Landratsamts vom 26. September 2016 gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG mit den erforderlichen Hinweisen ermahnt worden. Zugrunde lagen eine Straftat (Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort nach § 142 StGB vom 23.5.2014, bewertet mit 2 Punkten) sowie zwei Ordnungswidrigkeiten (vom 26.5.2014, bewertet mit 1 Punkt, sowie vom 19.2.2016, bewertet mit 1 Punkt). Zum maßgeblichen Zeitpunkt des letzten Verstoßes hatten diese Zuwiderhandlungen noch nicht Tilgungsreife erlangt.

Die Ermahnung vom 26. September 2016 wurde dem Antragsteller ausweislich der Postzustellungsurkunde am 28. September 2016 auch ordnungsgemäß durch Niederlegung zugestellt.

Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 VwZG gelten für die Ausführung der Zustellung mittels Postzustellungsurkunde die §§ 177 bis 182 ZPO entsprechend. Ist eine Zustellung nach § 180 ZPO nicht möglich, ist das Schriftstück regelmäßig durch Niederlegung nach § 181 ZPO zuzustellen. Nach § 181 Abs. 1 Satz 2 bis 5 ZPO ist dabei das zuzustellende Schriftstück bei einer von der Post dafür bestimmten Stelle niederzulegen und über die Niederlegung eine schriftliche Mitteilung abzugeben, wobei das Schriftstück mit der Abgabe der schriftlichen Mitteilung als zugestellt gilt (§ 181 Abs. 1 Satz 4 ZPO). Zum Nachweis der Zustellung dient eine Urkunde auf dem hierfür vorgesehenen Formular (§ 182 Abs. 1 Satz 1 ZPO), sofern sie die nach § 182 Abs. 2 Nr. 1, 4, 6 bis 8 ZPO erforderlichen Angaben enthält.

Damit genannten Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Ersatzzustellung sind vorliegend erfüllt. Die Zustellerin hat in der Postzustellungsurkunde vermerkt, dass der Bescheid in der Postfiliale O… niedergelegt und die schriftliche Mitteilung über die Niederlegung in den Mehrfamilienbriefkasten eingelegt wurde. Die Postzustellungsurkunde enthält insbesondere den Grund für das Einlegen des Schreibens in den zur Wohnung des Antragstellers gehörenden Briefkasten oder eine ähnliche Vorrichtung, den Zeitpunkt der Zustellung, dessen Vermerk auf dem Umschlag des Schriftstücks sowie Name und Unterschrift der Zustellerin. Sie entspricht somit den gesetzlichen Vorgaben, was der Antragsteller auch nicht bestreitet. Als öffentliche Urkunde im Sinne von § 418 Abs. 1 ZPO erbringt die Postzustellungsurkunde den vollen Beweis für die darin bezeugten Tatsachen, mithin auch die Zustellung an den Antragsteller. Ein nach § 418 Abs. 2 ZPO erforderlicher voller Gegenbeweis in der Weise, dass die Beweiswirkung der Postzustellungsurkunde vollständig entkräftet und jede Möglichkeit der Richtigkeit der in ihr bezeugten Tatsachen ausgeschlossen wird, wurde vom Antragsteller nicht geführt.

2.3.2

Mit Schreiben des Landratsamts vom 1. Dezember 2020 war der Antragsteller gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG mit den erforderlichen Hinweisen beim Stand von sieben Punkten verwarnt worden. Zugrunde lagen folgende Verkehrszuwiderhandlungen: Inbetriebnahme eines Fahrzeugs ohne Betriebserlaubnis vom 29. September 2018, bewertet mit 1 Punkt; Führen eines Fahrzeugs ohne Fahrerlaubnis mit Fahrverbot vom 9. Oktober 2018, bewertet mit 2 Punkten; Geschwindigkeitsüberschreitungen vom 9. Februar 2019, 23. Februar 2019, 8. Dezember 2019, 13. Juli 2020, bewertet mit jeweils 1 Punkt. Die Tilgungsfristen der Verwarnung zugrundeliegenden Verkehrszuwiderhandlungen waren zum damals maßgeblichen Zeitpunkt bei Ergreifen der Maßnahme noch nicht abgelaufen.

Sofern der Antragstellerbevollmächtigte einwendet, dass die Verwarnung mit Schreiben vom 1. Dezember 2020 dem Antragsteller nicht rechtswirksam bekanntgegeben worden sei, so greift dieses Vorbringen nicht durch.

Das Landratsamt hat sich gemäß Art. 2 Abs. 3 Satz 1 VwZVG für die Bekanntgabe durch Zustellung mit Postzustellungsurkunde entschieden, für deren Ausführung wiederum die §§ 177 bis 182 ZPO entsprechend gelten (Art. 3 Abs. 2 Satz 1 VwZVG). Vorliegend ist die Postzustellungsurkunde, mit der die Verwarnung vom 1. Dezember 2020 an die damalige Wohn- und Meldeadresse des Antragstellers in der M…, O…, verschickt wurde, nicht in den Rücklauf gekommen. Eine entsprechende Nachfrage des Landratsamts bei der Deutschen Post hat ergeben, dass die Postzustellungsurkunde nicht mehr auffindbar ist. Somit kann der Nachweis der förmlichen Zustellung der Verwarnung vom 1. Dezember 2020 nicht über die Beweiskraft der Postzustellungsurkunde als öffentliche Urkunde gemäß § 182 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 418 Abs. 1 ZPO geführt werden.

Dies steht einer wirksamen Bekanntgabe der Verwarnung vom 1. Dezember 2020 gegenüber dem Antragsteller jedoch nicht entgegen. Denn die Postzustellungsurkunde ist für die Zustellung bzw. die hierdurch bewirkte Bekanntgabe nicht konstitutiv, sie dient lediglich dem gesicherten Nachweis der Zustellung (Loscher in Wernsmann, Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz. Kommentar, 2020, S. 23, Rn. 60 m.w.N.). Der Nachweis kann auch auf andere Weise geführt werden; Nachweislücken können daher durch Feststellungen des Gerichts, die aus Umständen außerhalb der Zustellungsurkunde herrühren, geschlossen werden (vgl. VG München, U.v. 30.11.2009 – M 8 K 09.131 – BeckRS 2009, 49117). Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung des Umstands, dass eine förmliche Zustellung der vom Antragsgegner ergriffenen Maßnahme der Verwarnung nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG für deren Bekanntgabe nicht erforderlich ist, insofern dies gesetzlich nicht vorgeschrieben ist. Der gesetzliche Verzicht auf eine förmliche Zustellung entspricht dem Systemwechsel, der mit dem durch die zum 5. Dezember 2014 in Kraft getretenen Gesetzesänderung vom alten Mehrfachtäter-Punktsystem auf das neue Fahreignungs-Bewertungssystem durch den Gesetzgeber intendiert war. Wurde im alten Mehrfachtäter-Punktsystem der Stufung der Maßnahmen noch eine „Warnfunktion“ beigemessen, die dem Betroffenen die „Möglichkeit der Verhaltensänderung“ eröffnen sollte (BVerwG, U.v. 25.9.2008 – 3 C 3.07 – BVerwGE 132, 48), dienen die Maßnahmen der Ermahnung und Verwarnung nunmehr in erster Linie der Information des Betroffenen über den Punktestand im Fahreignungsbewertungssystem (BT-Drs. 18/2775, S. 9 f.).

Zudem handelt es sich weder bei der Ermahnung noch der Verwarnung um Verwaltungsakte im Sinne von Art. 35 Satz 1 BayVwVfG (vgl. Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl., 2019, § 4 StVG, Rn. 75). Ebenso wie bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen genügt es daher, dass dem Betroffenen die Ermahnung und Verwarnung tatsächlich zugegangen sind. Ein Schriftstück ist dann zugegangen, wenn es derart in den Machtbereich des Adressaten gelangt ist, dass dieser bei gewöhnlichem Verlauf und unter normalen Umständen die Möglichkeit der Kenntnisnahme hat (VG Münster, B.v. 15.5.2020 – 10 L 295/20 – juris Rn. 8).

Gemessen an diesen Maßstäben ist das Gericht aufgrund der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren berücksichtigungsfähigen Erkenntnisse und der Umstände des Einzelfalles mit der für dieses Verfahren ausreichenden Sicherheit der Überzeugung, dass dem Antragsteller die Verwarnung mit Schreiben vom 1. Dezember 2020 zugegangen ist.

Der gegenteilige Vortrag des Antragstellers, welcher sich im Wesentlichen in der Behauptung erschöpft, das Schriftstück nicht erhalten zu haben, ist als unsubstantiiert und nicht glaubhaft zu bewerten. Hierfür spricht zunächst der Umstand, dass es sich bei der M…, O…, um die damalige Meldeadresse des Antragstellers handelt, wo er zum Zeitpunkt der Aufgabe der Verwarnung zur Post Anfang Dezember 2020 auch noch seinen tatsächlichen Lebensmittelpunkt hatte, bevor er am 11. Januar 2021 seine Haftstrafe in der JVA W… angetreten hat. Das in der Akte befindliche an den Antragsteller gerichtete Schreiben der Staatsanwaltschaft W… vom 20. November 2020, nach Aussagen des Antragstellers zugegangen am 24. November 2020, zeigt, dass dem Antragsteller Schriftstücke in dem relevanten Zeitraum an die o. g. Adresse zugestellt werden konnten, mithin der Antragsteller im maßgeblichen Zeitpunkt – und wohl auch darüber hinaus – über einen für den Postempfang eingerichteten Briefkasten verfügte. Dieser Eindruck findet seine Bestätigung in dem Umstand, dass keines der nachfolgend vom Landratsamt an die Anschrift in der M…, O…, gerichteten Schreiben als unzustellbar zurückgesandt wurden.

Ebenso die Tatsache, dass die der genannten Maßnahme beigefügte Kostenrechnung gleichen Datums mit Zahlungseingang zum 18. Januar 2021 beglichen wurde, spricht nach der Einschätzung des Gerichts indiziell dafür, dass dem Antragsteller das Schreiben vom 1. Dezember 2020 zugegangen ist. Denn ausweislich der Behördenakte nehmen Kostenrechnungen stets Bezug auf die ihnen zugrundeliegende Maßnahmen und sind auch körperlich in einem Dokument bzw. Umschlag verbunden. Aus weiteren in der Behördenakte befindlichen Postzustellungsurkunden geht deutlich hervor, dass diese Verbindung von Maßnahme und Kostenrechnung üblicherweise auch Niederschlag in der Beschriftung der Postzustellungsurkunde (Feld 1.1. „Aktenzeichen“) findet, insofern dort nicht nur das Aktenzeichen des jeweiligen Verwaltungsvorgangs eingetragen wird, sondern die Verbindung mit der Kostenrechnung durch den Zusatz „kr“ kenntlich gemacht wird. Zudem erscheint es dem Gericht völlig lebensfremd, eine Kostenrechnung zu begleichen oder von Dritten begleichen zu lassen ohne die kostenauslösende Maßnahme zu kennen oder zumindest vorab zu monieren, dass die kostenauslösende Maßnahme nicht durchgeführt worden sei. Dies gilt selbst unter Berücksichtigung der relativ geringfügigen Gebührenhöhe von 21,02 EUR, zumal der Antragsteller nach seinen im PKH-Verfahren gemachten Angaben über keine nennenswerten Vermögenswerte und Einkünfte verfügt. Sofern der Antragsteller sich darauf beruft, dass ein Verwandter für ihn die Gebühren beglichen haben soll und dies auch erst auf ein Mahnungsschreiben vom 11. Januar 2021 hin, fehlt es diesbezüglich an jeglichem substantiierten Vortrag und bleibt eine bloße Behauptung. Ferner würde hieraus nicht zwangsläufig folgen, dass der Antragsteller dadurch zum ersten Mal von der Verwarnung erfahren habe. Denn auch in diesem Fall würde es sich für jeden vernünftig Denkenden aufdrängen, bei der Behörde darauf hinzuweisen, dass die die Kostenpflicht und in der Folge auch die Mahnung auslösende Verwarnung bislang nicht zugegangen ist (vgl. OVG Sachsen, 29.10.2019 – 3 B 244/19; VG Münster, B.v. 15.5.2020 – 10 L 295/20 – juris Rn. 8). Diesen Weg hat der Antragsteller aber nicht beschritten.

Die Frage, ob – wie vom Bevollmächtigten des Antragstellers eingewandt – die per Postzustellungsurkunde vorgenommene Zustellung der Kopie der Verwarnung vom 1. Dezember 2020 mit Schreiben vom 3. März 2021 bereits deshalb unwirksam ist, weil der Antragsteller zum Zeitpunkt der Zustellung am 5. März 2021 die Wohnung in der M…, O…, nicht mehr tatsächlich als Lebensmittelpunkt genutzt hat, da er seit dem 11. Januar 2021 in der JVA W… inhaftiert ist, und jene somit keine Wohnung im Sinne von § 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO mehr war, kann daher dahinstehen.

2.4

Mit Erreichen von (mehr als) acht Punkten (durch die Straftat des Führens eines Kraftfahrzeugs trotz eines Fahrverbots vom 11. Dezember 2020, bewertet mit 42 Punkten Fahreignungsregister) war demzufolge die Fahrerlaubnis gemäß § 4 Abs. 5 Satz Nr. 3 StVG zu entziehen, was mit Bescheid vom 6. Juli 2022 auch in rechtmäßiger Weise erfolgte.

2.5

Da die Fahrerlaubnis somit rechtmäßig entzogen wurde, konnte auch gemäß § 47 Abs. 1 Sätze 1 und 2 FeV die Ablieferung des Führerscheins verlangt werden.

3.

Auch eine Abwägung der Interessen des Antragstellers mit den öffentlichen Interessen an der Sicherheit des Straßenverkehrs muss hier zu Lasten des Antragstellers ausfallen. Mit Erreichen von acht oder mehr Punkten im Fahreignungsregister gilt der Antragsteller kraft Gesetzes als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen und seine Fahrerlaubnis ist ihm deshalb zwingend zu entziehen (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG, § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG). Ermessen steht der Behörde dabei nicht zu, sodass auch Verhältnismäßigkeitserwägungen nicht zum Tragen kommen. Die mit der Fahrerlaubnisentziehung für den Antragsteller möglicherweise verbundenen Nachteile in Bezug auf seine berufliche Tätigkeit und seine private Lebensführung müssen von ihm im Hinblick auf den hohen Rang der durch die Verkehrsteilnahme eines ungeeigneten Kraftfahrers gefährdeten Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit sowie im Hinblick auf das überwiegende Interesse der Verkehrssicherheit hingenommen werden. Eventuelle persönliche oder berufliche Auswirkungen sind typisch und waren dem Gesetzgeber bei der Schaffung der Vorschriften bekannt (vgl. SächsOVG, B.v. 19.5.2016 – 3 B 37/16 – juris). Nach § 4 Abs. 10 StVG kann eine erneute Fahrerlaubnis frühestens sechs Monate nach der Wirksamkeit der Entziehung erteilt werden, wobei von der Fahrerlaubnisbehörde in der Regel die Beibringung eines Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle anzuordnen ist.

4.

Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.

5.

Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 63 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und Nr. 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Maßgebend war hierbei auf die Fahrerlaubnis der Klasse B abzustellen, die die anderen Klassen enthält, abzustellen. Diese ist mit dem Auffangwertstreitwert von 5.000,00 EUR zu bewerten, der im Eilverfahren zu halbieren ist.

6.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Nach § 166 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Eine hinreichende Erfolgsaussicht ist dabei bereits dann gegeben, wenn ein Obsiegen des Beteiligten ebenso wahrscheinlich ist wie sein Unterliegen. Die Erfolgsaussichten des gerichtlichen Verfahrens müssen im Zeitpunkt der Bewilligungsreife als offen zu beurteilen sein (st. Rspr. vgl. nur BayVGH, B.v. 16.6.2021 – 10 C 21.1523).

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, da der Antrag keine hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne von § 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO bietet. Auf die vorstehenden Ausführungen zum Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO wird insofern Bezug genommen.

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