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Fahrerlaubnisentziehung – Einstweiliger Rechtschutz

Fahrerlaubnisentziehung gekippt: Gericht sieht Begutachtung als unzureichend an

Das Verwaltungsgericht Köln hat entschieden, dass die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis teilweise wiederhergestellt wird. Das Gericht befand, dass die Ordnungsverfügung des Antragsgegners zur Entziehung der Fahrerlaubnis offensichtlich rechtswidrig ist, insbesondere wegen Mängeln im vorgelegten medizinischen Gutachten und der unzureichenden Nachweise zur Fahrungeeignetheit des Antragstellers.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 6 L 925/23  >>>

Das Wichtigste in Kürze


Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung: Teilweise Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis.
  2. Rechtswidrigkeit der Ordnungsverfügung: Das Gericht sieht die Verfügung zur Fahrerlaubnisentziehung als offensichtlich rechtswidrig an.
  3. Mängel im medizinischen Gutachten: Das vorgelegte Gutachten weist fachliche Mängel auf und ist nicht von einem Facharzt für Psychiatrie erstellt.
  4. Fehlende Nachweise zur Fahrungeeignetheit: Es steht nicht zweifelsfrei fest, dass der Antragsteller ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist.
  5. Unzulässiger Antrag gegen den Gebührenbescheid: Der Antrag gegen den Gebührenbescheid ist aufgrund fehlender formeller Voraussetzungen unzulässig.
  6. Interessenabwägung des Gerichts: Die Interessenabwägung fiel zugunsten des Antragstellers aus, da kein überwiegendes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung erkennbar war.
  7. Festsetzung des Streitwerts: Der Streitwert für das Verfahren wurde auf 2.500 Euro festgesetzt.
  8. Kostenverteilung des Verfahrens: Die Kosten des Verfahrens tragen der Antragsteller zu einem Viertel und der Antragsgegner zu drei Vierteln.

Fahrerlaubnisentziehung und Einstweiliger Rechtschutz: Ein juristischer Blickwinkel

In der aktuellen Rechtsprechung nimmt die Thematik der Fahrerlaubnisentziehung eine bedeutende Rolle ein, insbesondere wenn sie mit Fragen des einstweiligen Rechtsschutzes verbunden wird. Diese juristische Konstellation wirft oft komplexe Fragen auf, die nicht nur die Rechtmäßigkeit von behördlichen Entscheidungen betreffen, sondern auch die individuellen Rechte des Einzelnen berühren. Im Zentrum steht dabei häufig die Bewertung der Fahreignung, welche durch verschiedene Faktoren wie psychische Erkrankungen oder Suizidalität beeinflusst sein kann.

Die Rolle des Verwaltungsgerichts ist es in solchen Fällen, eine sorgfältige Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Verkehrssicherheit und den persönlichen Rechten des Antragstellers vorzunehmen. Dabei spielt die Qualität und Aussagekraft von medizinischen Gutachten, insbesondere aus der Psychiatrie, eine entscheidende Rolle. Die folgenden Ausführungen beleuchten einen spezifischen Fall, in dem diese Aspekte aufeinandertreffen und bieten Einblicke in die juristischen Feinheiten, die bei der Entscheidung über die Entziehung einer Fahrerlaubnis zum Tragen kommen. Lassen Sie uns nun einen detaillierteren Blick auf die Umstände und die juristische Bewertung in diesem speziellen Fall werfen.

Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung im Fahrerlaubnisfall

Das Verwaltungsgericht Köln befasste sich in seinem Beschluss vom 19.09.2023 mit einem Fall der Fahrerlaubnisentziehung. Kern des Verfahrens war die Klage eines Antragstellers gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 14.04.2023, welche die Entziehung seiner Fahrerlaubnis zur Folge hatte. Der Kläger forderte die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage. Diese juristische Maßnahme bedeutet, dass die ursprüngliche Entscheidung der Behörde vorübergehend nicht wirksam ist, bis eine endgültige gerichtliche Entscheidung getroffen wird. Der Antragsteller stellte sich gegen die Ordnungsverfügung, die seine Fahrerlaubnis betraf, und forderte somit ein rechtliches Eingreifen.

Die Rolle des Verwaltungsgerichts und die Interessenabwägung

Das Verwaltungsgericht war in diesem Fall gefordert, eine sorgfältige Interessenabwägung vorzunehmen. Einerseits galt es, das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Ordnungsverfügung zu bewerten, andererseits die persönlichen Rechte des Antragstellers zu berücksichtigen. Für die Entscheidungsfindung waren die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache von Bedeutung. Besonders im Fokus stand dabei die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes und die Frage, ob ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der Fahrerlaubnisentziehung bestand.

Problematik und Beurteilung des medizinischen Gutachtens

Ein wesentlicher Aspekt des Verfahrens war die Beurteilung des medizinischen Gutachtens, das der Antragsteller zur Unterstützung seiner Klage vorgelegt hatte. Das Gericht stellte fest, dass das Gutachten, welches die Fahreignung des Klägers beurteilen sollte, erhebliche Mängel aufwies. Es wurde nicht von einem Facharzt für Psychiatrie, sondern von einer Fachärztin für Chirurgie erstellt. Diese Tatsache minderte die Glaubwürdigkeit und fachlicheAussagekraft des Gutachtens erheblich. Besonders problematisch war dies, da der Antragsteller aufgrund von Hinweisen auf Suizidalität und Depression als potenziell fahrungeeignet eingestuft wurde. Solche Einschätzungen erfordern eine spezialisierte psychiatrische Expertise, die in diesem Fall fehlte.

Abschließende Entscheidung und deren Begründung

Letztendlich entschied das Gericht, die aufschiebende Wirkung der Klage teilweise wiederherzustellen. Diese Entscheidung basierte auf der Feststellung, dass die formelle Rechtmäßigkeit der Ordnungsverfügung zwar nicht anzuzweifeln war, jedoch die materiellen Voraussetzungen für eine Fahrerlaubnisentziehung nicht vorlagen. Das Gericht erkannte, dass die Fahrungeeignetheit des Antragstellers aufgrund der Mängel im Gutachten nicht zweifelsfrei feststand. Somit wurde dem Antragsteller ein vorläufiger Rechtsschutz gewährt, bis eine endgültige Entscheidung in der Hauptsache getroffen wird.

Die detaillierte Analyse dieses Falles zeigt, wie komplex und vielschichtig juristische Verfahren im Kontext der Fahrerlaubnisentziehung sein können, insbesondere wenn sie Fragen der psychischen Gesundheit und der adäquaten Beurteilung durch Fachexperten berühren. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln setzt ein wichtiges Zeichen für die Notwendigkeit einer sorgfältigen und fachlich fundierten Bewertung in solchen Fällen.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Welche Rolle spielt ein medizinisches Gutachten bei der Beurteilung der Fahreignung?

Ein medizinisches Gutachten spielt eine entscheidende Rolle bei der Beurteilung der Fahreignung. Es wird in der Regel dann angefordert, wenn die Fahrerlaubnisbehörden Zweifel an der physischen oder psychischen Fahreignung einer Person haben. Dies kann aufgrund von körperlichen oder psychischen Beeinträchtigungen, Drogen- oder Alkoholmissbrauch oder nach Unfällen oder Auffälligkeiten bei Fahrzeugkontrollen der Fall sein.

Ein ärztliches Gutachten zur Fahreignung ist weniger umfangreich als eine medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) und muss nicht zwingend durch eine Begutachtungsstelle für Fahreignung (BfF) durchgeführt werden. Es kann von Fachärzten oder Fachärztinnen mit verkehrsmedizinischer Qualifikation, Ärzten oder Ärztinnen des Gesundheitsamts, Betriebsmedizinern oder -medizinerinnen oder einer Begutachtungsstelle für Fahreignung (BfF) durchgeführt werden.

Das Gutachten dient als Entscheidungsgrundlage für die Fahrerlaubnisbehörden und soll überprüfen, ob eine Fahreignung gegeben ist. Es beinhaltet fachlich fundierte Aussagen zur Fahreignung und wird nach aktuellen wissenschaftlichen Standards erstellt. Nach der Erstellung des Gutachtens erhält der Betroffene das Gutachten per Post und muss es anschließend der Behörde übermitteln.

Sollte das Gutachten negativ ausfallen, kann der Betroffene das Recht zur Einsicht in dieses nutzen und mit dem Arzt über eventuelle Probleme reden. Der Arzt kann Informationen über eventuelle Programme oder Kurse geben, die es dem Betroffenen doch noch ermöglichen, ein Auto zu führen. Zudem kann das Gutachten angefochten werden, wenn Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit des Gutachtens bestehen.

Es ist zu erwähnen, dass die Kosten für das Gutachten in der Regel vom Betroffenen selbst getragen werden müssen und diese von Umfang und Art der Untersuchungen abhängig sind.


Das vorliegende Urteil

VG Köln – Az.: 6 L 925/23 – Beschluss vom 19.09.2023

1. Die aufschiebende Wirkung der Klage 6 K 2712/23 gegen Ziffer 1 der Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 14.04.2023 wird wiederhergestellt.

Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens tragen der Antragsteller zu 1/4 und der Antragsgegner zu 3/4.

2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

Der sinngemäße Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis durch Ziffer 1 der Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 14.04.2023 wiederherzustellen, und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Gebührenbescheid des Antragsgegners vom 14.04.2023 anzuordnen, hat in dem aus den Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Er ist größtenteils zulässig und begründet.

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Gebührenbescheid ist unzulässig, weil der Antragsteller entgegen § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO keinen vorherigen Aussetzungsantrag nach § 80 Abs. 4 VwGO beim Antragsgegner gestellt hat und dieses Erfordernis eine im gerichtlichen Verfahren nicht mehr nachholbare Zugangsvoraussetzung darstellt. Anhaltspunkte dafür, dass es eines vorherigen Aussetzungsantrags aufgrund der Ausnahmen in § 80 Abs. 6 Satz 2 VwGO nicht bedurfte, sind nicht ersichtlich.

Im Übrigen ist der Antrag zulässig und begründet. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO kann das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage ganz oder teilweise wiederherstellen, wenn das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt. Die vom Gericht vorzunehmende Interessenabwägung orientiert sich vor allem an den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache. Im Rahmen des Antrags auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung hat das Gericht bei Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes zudem zu prüfen, ob ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung besteht.

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung genügt dem Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, weil zum Ausdruck gebracht wird, dass die weitere Teilnahme des Antragstellers am Straßenverkehr wegen der Bedenken an der Kraftfahreignung des Antragstellers ein erhebliches Gefahrenrisiko für die Allgemeinheit und den Antragsteller darstellt. Dass diese Begründung sich teilweise mit den Ausführungen zur Begründung der Entziehungsverfügung selbst deckt, liegt in der Natur der Sache und stellt keinen Mangel der Vollziehungsanordnung dar,

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 07.04.2014 – 16 B 89/14 -, juris, Rn. 4.

Die an dem oben dargestellten Maßstab ausgerichtete Interessenabwägung fällt zu Gunsten des Antragstellers aus. Die angefochtene Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 14.04.2023 erweist sich nach der in diesem Verfahren gebotenen summarischen Überprüfung als offensichtlich rechtswidrig.

Die formelle Rechtmäßigkeit der auf § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i. V. m. § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV beruhenden Ordnungsverfügung vom 14.04.2023 begegnet zwar keinen durchgreifenden, zu Erfolgsaussichten des Antrags führenden Bedenken. Insbesondere ist der Antragsteller ordnungsgemäß angehört worden, § 28 VwVfG NRW. Mit Schreiben vom 27.03.2023 ist ihm Gelegenheit gegeben worden, zu der beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis Stellung zu nehmen.

Allerdings liegen die materiellen Voraussetzungen der mit Verfügung vom 14.04.2023 ausgesprochenen Fahrerlaubnisentziehung nicht vor. Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Fahrerlaubnisentziehung ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, hier also der Zeitpunkt des Erlasses bzw. der Zustellung des Entziehungsbescheids vom 14.04.2023.

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i. V. m. § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde einem Kraftfahrzeugführer die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn er sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Ein solcher Fall liegt gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere dann vor, wenn Erkrankungen oder Mängel im Sinne der Anlage 4 der FeV vorliegen und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Nach Nr. 7.5 und 7.6 der Anlage 4 zur FeV kann ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen sein, wer an affektiven und schizophrenen Psychosen leidet. Das ist bei Manien und schweren Depressionen sowie in akuten Phasen einer schizophrenen Psychose der Fall. Nach Abklingen der Phase bzw. der Störung ist die Fahreignung für Fahrzeuge der Gruppe 1 in der Regel wieder gegeben, für Fahrzeuge der Gruppe 2, wozu u.a. die Klasse C1 zählt, die der Antragsteller ebenfalls innehat, jedoch allenfalls bei Symptomfreiheit bzw. ausnahmsweise.

Auf Grundlage des von dem Antragsteller vorgelegten Gutachtens der E. vom 22.03.2023 steht nicht fest, dass der Antragsteller ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 und 2 ist.

Zunächst ist zwar festzuhalten, dass es auf die Rechtmäßigkeit der Aufforderung vom 17.11.2022 zur Beibringung eines fachärztlichen Gutachtens nicht mehr ankommt, weil das Gutachten vom Antragsteller vorgelegt wurde und eine selbstständige, neue Beweistatsache darstellt.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 28.04.2010 – 3 C 2.10 -.

Das Gutachten der E. vom 22.03.2023 weist aber fachliche Mängel auf und ist darüber hinaus nicht nachvollziehbar. Folglich werden auch nicht die sich aus Anlage 4a zur FeV ergebenden, insbesondere anerkannten wissenschaftlichen Grundsätze beachtet.

Die Verwertbarkeit des Gutachtens sowie die Aussagekraft der darin enthaltenen Aussagen sind bereits dadurch erheblich vermindert, dass das Gutachten nicht von einem Facharzt für Psychiatrie, sondern von einer Fachärztin für Chirurgie erstellt worden ist. Der Antragsgegner ging ausweislich der Begutachtungsanordnung vom 17.11.2022 davon aus, dass beim Antragsteller Anhaltspunkte für das Vorliegen einer affektiven Psychose im Sinne der Nr. 7.5 des Anlage 4 zur FeV vorliegen. Insbesondere die Hinweise auf mehrfache Suizidversuche des Antragstellers gaben dem Antragsgegner Anlass, an der Fahreignung des Antragstellers zu zweifeln, da akute Suizidalität für das Vorliegen einer sehr schweren Depression spricht (vgl. Nr. 7.5.1 der Anlage 4 zur FeV) bzw. in der Vergangenheit liegende Selbstmordversuche ohne akute Suizidalität für einen Zustand nach Abklingen der relevanten Symptome einer sehr schweren Depression sprechen (vgl. Nr. 7.5.2 der Anlage 4 zur FeV).

Vor diesem Hintergrund hätte die Begutachtung durch einen Facharzt für Psychiatrie erfolgen müssen. Nach § 11 Abs. 5 FeV i. V. m. Anlage 4a zur FeV bilden die Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung (Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Mensch und Sicherheit, Heft M 115 – im Folgenden: Begutachtungsleitlinien -), die Grundlage für die Beurteilung der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen. Nach deren Nr. 2.2 („Auswahl des Gutachters“) Buchstabe b („zur Qualifikation des Gutachters“) ist bei speziellen medizinischen Fragestellungen die fachärztliche Begutachtung sicherzustellen. Zudem ist in den Begutachtungsleitlinien in Nr. 3.12.4 in Bezug auf affektive Psychosen ausgeführt, dass die Begutachtungen nur von einem Facharzt für Psychiatrie durchzuführen sind. Diesen Leitlinien liegt ein entsprechendes verkehrsmedizinisches Erfahrungswissen zugrunde, das den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis auf diesem Gebiet wiedergibt.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 14.11.2013 – 3 C 32.12 -, juris, Rn. 19; OVG NRW, Urteil vom 30.03.2015 – 16 A 1741/13 -, juris, Rn. 26.

Soweit die Passage unter Nr. 3.12.4 in dem Gutachten der E. anderslautend, nämlich dahingehend zitiert wird, dass erforderliche regelmäßige „Kontrollen nur durch einen Facharzt für Psychiatrie“ durchgeführt werden können, ist dieses Zitat aus den Begutachtungsleitlinien entweder veraltet oder unrichtig wiedergegeben. Auch wenn die Gutachterin vorliegend in einer Begutachtungsstelle für Fahreignung tätig ist, die die Voraussetzungen der Anlage 14 zur FeV erfüllt, ändert dies nichts daran, dass im hier zu beurteilenden Einzelfall spezielle psychiatrische Fragestellungen im Raum stehen, deren Beantwortung eine hinreichende Fachkompetenz auf diesem medizinischen Fachgebiet voraussetzt. Dies gilt umso mehr, als ein dortiger Arzt, auch wenn bei ihm eine besondere verkehrsmedizinische Befähigung vorausgesetzt wird, kein Facharzt sein muss (vgl. Anlage 14 zur FeV) und im Falle des Antragstellers die Gutachterin tatsächlich keine einschlägige Fachärztin war.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 13.12.2021 – 16 B 784/21 -, Rn. 14.

Insoweit wäre vorliegend die Begutachtung durch einen Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie mit verkehrsmedizinischer Qualifikation im Sinne des § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 FeV in den durchzuführen gewesen.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 13.12.2021 – 16 B 784/21 -, juris, Rn. 8 ff, und – insoweit noch offen lassend – vom 25.03.2019 – 16 E 232/17 -, juris, Rn. 9; BayVGH, Urteil vom 19.12.2022 – 11 B 22.632 -, juris, Rn. 26 ff., jeweils zur Gutachterauswahl bei der Begutachtungsanordnung.

Der Einzelrichter verkennt nicht, dass die Gutachterin im konkreten Fall auf Fremdbefunde zurückgreifen konnte, die zum Teil von einschlägig fachlich qualifiziertem Personal erstellt wurden. So lagen der Gutachterin u. a. die Stellungnahmen der psychologischen Psychotherapeutin P. Q. vom 14.10.2022 und ein psychiatrisches Gutachten von Dr. I. -K. U. vom 04.03.2019 vor. Letzterem fehlt es allerdings bereits mit Blick auf den Zeitablauf an Aussagekraft über den aktuellen psychischen Gesundheitszustand des Antragstellers. Die Stellungnahme der psychologischen Psychotherapeutin P. Q. vom 14.10.2022 verhält sich ihrerseits in keiner Weise zu dem Vorfall am 03.08.2022, an dem der Antragsteller notfallmäßig in Folge eines angenommenen Suizidversuches in das T. . N. Krankenhaus eingeliefert wurde. Soweit dieser Vorfall in der Stellungnahme des Sanitätsversorgungszentrums I1. vom 21.10.2022 aufgegriffen und dort auch als Selbstmordversuch eingeordnet wird, ist die Aussagekraft der Einschätzung, wonach der Antragsteller aktuell kein Verhalten zeige, welches auf das derzeitige Vorliegen einer schweren Depression oder einer akuten Psychose hindeute, eingeschränkt. Denn diese Stellungnahme wurde ebenfalls nicht von einem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, sondern einer Fachärztin für Allgemeinmedizin verfasst. Zusammenfassend lagen der Gutachterin somit keine fachpsychiatrischen Stellungnahmen vor, die insbesondere unter Einbeziehung des Selbstmordversuchs vom 03.08.2022 qualifizierte Aussagen über den aktuellen Gesundheitszustand des Antragstellers hätten treffen können. Vor diesem Hintergrund konnte die eigene fehlende psychiatrische Fachkunde der Gutachterin nicht durch kompetente und aktuelle externe Befunde kompensiert werden.

Anders insoweit der Fall bei VG Bayreuth, Beschluss vom 21.10.2013 – B 1 S 13.579 -, juris.

Auch inhaltlich fehlt es dem Gutachten der E. an Überzeugungskraft. So bleibt die Gutachterin eine Erklärung dafür schuldig, an welcher psychischen Krankheit der Antragsteller konkret leidet und inwiefern diese unter Nr. 7.5 der Anlage 4 FeV fällt. Zwar beschreibt sie den Gesundheitszustand des Antragstellers als einen „Zustand nach stattgehabter psychischer Erkrankung (Posttraumatische Belastungsstörung, Suizidversuch)“. Insoweit wendet der Antragsteller allerdings zu Recht ein, dass es sich bei einem Suizidversuch nicht um eine psychische Erkrankung handelt. Nach den Begutachtungsleitlinien handelt es sich vielmehr bei Suizidalität um ein beispielhaftes Symptom einer sehr schweren Depression. Mit Blick auf die angenommenen mehrmaligen Suizidversuche des Antragstellers sieht die Gutachterin „Hinweise auf erhebliche Auslenkungen der Stimmungslage hinsichtlich manischer oder depressiver Komponenten“. Ohne dass die Gutachterin selbst die betreffende Unternummer der Nummer 7.5 der Anlage 4 zur FeV bezeichnet, scheint sie die Auswirkungen der Erkrankung des Antragstellers an den Voraussetzungen der Nr. 7.5.4 zu beurteilen, weil sie die entsprechende Passage der Begutachtungsleitlinien unter Nr. 3.12.4 in diesem Zusammenhang zitiert. Eine Begründung liefert sie dafür freilich nicht, so dass unklar bleibt, warum nicht eine Einordnung unter andere Unternummern der Nr. 7.5 der Anlage 4 zur FeV in Betracht kommt. Soweit die Gutachterin sich bei ihrer Befundbewertung auf die aktenkundigen Suizidversuche stützt, fehlt es an einer Begründung, warum sie diese Vorfälle als wahr unterstellt. Ausweislich der Wiedergabe ihres Explorationsgesprächs hat der Antragsteller ihr gegenüber sämtliche Suizidversuche bestritten. Weshalb sie dennoch diese Vorkommnisse als Selbstmordversuche betrachtet und dem Antragsteller insoweit eine nur mäßige Krankheitseinsicht attestiert, bleibt ohne Begründung. Insbesondere lässt sich dem Gutachten nicht entnehmen, dass die Gutachterin sämtliche der aktenkundigen Vorfälle vom 04.10.2018, vom 25.10.2018, vom 21.04.2019 und vom 03.08.2022 mit dem Antragsteller erörtert hätte. Mit Blick darauf, dass lediglich der Suizidversuch vom 03.08.2022 seitens des Antragstellers nicht ernsthaft in Abrede gestellt wird, hätten entsprechende Nachfragen in Bezug auf die übrigen Vorfälle nahegelegen, zumal die Gutachterin offensichtlich bei ihrer Prognose auf eine Mehrzahl von Suizidversuchen im Gegensatz zu einem isolierten Einzelfall abhebt.

In seiner Gesamtbetrachtung ist das Gutachten der E. vom 22.03.2023 keine taugliche Beurteilungsgrundlage für Fahrgeeignetheit des Antragstellers. Die Fahrungeeignetheit des Antragstellers steht damit nicht zweifelsfrei fest.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Der gemäß § 52 Abs. 1, 2 § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG festgesetzte Streitwert entspricht in Anlehnung an Ziffer 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit der Hälfte des Betrags, der im Hauptsacheverfahren anzusetzen ist. Nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen ist der Streitwert in Hauptsacheverfahren wegen der Entziehung einer Fahrerlaubnis regelmäßig auf den Auffangbetrag festzusetzen. Ein streitwerterhöhendes besonderes Interesse liegt nicht vor.

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