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Fahrerlaubnisentziehung – einmaliger Probierkonsum einer Mikrodosis von 1cP-LSD

Wiederherstellung der Fahrerlaubnis trotz Drogenkonsums

In einem bemerkenswerten Fall hat das Verwaltungsgericht Hamburg zugunsten eines 33-jährigen Fahrerlaubnisinhabers entschieden, dem die Fahrerlaubnis wegen des einmaligen Konsums einer legalen LSD-Derivat-Droge entzogen wurde. Das Hauptproblem des Falls liegt in der Diskrepanz zwischen dem Gesetz, das Drogenkonsum und das Fahren eines Fahrzeugs strikt trennt, und dem tatsächlichen Verhalten des Antragstellers, der nie unter dem Einfluss von Drogen oder Alkohol ein Fahrzeug geführt hat und auch nie zuvor mit Drogen in Konflikt mit dem Gesetz geraten war.

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Der Antrag und seine Hintergründe

Der Antragsteller hatte eine Mikrodosis des frei erhältlichen LSD-Derivats 1-Cyclopropionyl-LSD (1cP-LSD) konsumiert, das weder unter das Arzneimittelgesetz noch das Betäubungsmittelgesetz fällt. Trotz seiner bisherigen Unbescholtenheit und dem Fakt, dass er die Dosis unter sicheren Bedingungen in seiner Wohnung konsumierte, entzog ihm die Behörde seine Fahrerlaubnis und ordnete deren sofortige Vollziehung an, da von „ungeeigneten Fahrern“ eine erhöhte Gefahr für die Verkehrssicherheit ausgeht.

Die Begründung der Behörde

Die Antragsgegnerin begründete ihre Entscheidung damit, dass der Antragsteller den freiwilligen Konsum von LSD zugegeben hat. Obwohl das konsumierte LSD-Derivat legal ist, behandelte die Antragsgegnerin den Konsum als äquivalent zum Konsum einer „harten“ Droge im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes. Sie argumentierte, dass dieser einmalige Drogenkonsum die Fahreignung des Antragstellers ausschließt, ungeachtet der Tatsache, dass der Drogenkonsum nicht in Verbindung mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs stand.

Die Verteidigung des Antragstellers

Der Antragsteller legte gegen den Bescheid Widerspruch ein und argumentierte, dass er weder drogenabhängig ist noch regelmäßig Betäubungsmittel konsumiert. Er betonte, dass er noch nie unter Drogen- oder Alkoholeinfluss ein Fahrzeug geführt hat und auch nicht einschlägig vorbestraft ist. Darüber hinaus stellte er klar, dass es sich bei dem Vorfall um seinen erstmaligen und einmaligen Drogenkonsum handelte und dass das konsumierte LSD-Derivat legal ist.

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg

Das Verwaltungsgericht Hamburg gab dem Antragsteller Recht und stellte die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs wieder her. Die Antragsgegnerin wurde dazu verpflichtet, die Kosten des Verfahrens zu tragen.


Das vorliegende Urteil

VG Hamburg – Az.: 15 E 2295/21 – Beschluss vom 02.07.2021

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 26. April 2021 wird wiederhergestellt.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin nach einem Streitwert von 2.500 EUR.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis.

Der 33-jährige Antragsteller ist seit dem Jahr 2006 Inhaber einer Fahrerlaubnis. Er ist verkehrs- und strafrechtlich bisher nicht mit dem Konsum von Betäubungsmitteln in Erscheinung getreten.

Am 4. April 2021 konsumierte der Antragsteller in seiner Wohnung eine sogenannte Mikrodosis eines frei zugänglichen und nicht unter das Arzneimittelgesetz und das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) fallenden LSD-Derivats 1-Cyclopropionyl-LSD (kurz 1cP-LSD) mit einem Wirkstoffgehalt von 10 µg. Auf die Einnahme reagierte er unerwartet stark mit Kreislaufproblemen und Übelkeit. Nach etwa acht Stunden verständigte er eigenständig den Notruf und legte dabei den Konsum des LSD offen. Auch gegenüber den sodann eintreffenden Rettungssanitätern und Polizeibeamten schilderte er den Vorfall. Eine Blutprobe wurde dem Antragsteller nicht entnommen.

Mit Bescheid vom 26. April 2021 entzog die Antragsgegnerin dem Antragsteller die Fahrerlaubnis für Kraftfahrzeuge, forderte ihn zur unverzüglichen Abgabe des Führerscheins auf und ordnete die sofortige Vollziehung des Bescheids an. Zur Begründung führte sie an, der Antragsteller habe gegenüber der Polizei den freiwilligen Konsum von LSD eingeräumt, was hier als Tatsache zugrunde zu legen sei. Bei LSD handele es sich um eine sogenannte „harte“ Droge im Sinne des BtMG. Dieser auch nur einmalige Drogenkonsum schließe die Fahreignung des Antragstellers aus, ohne dass es darauf ankomme, dass die Drogen nicht im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs genommen worden seien. Die sofortige Vollziehung sei im Hinblick auf den Schutz von Gesundheit und Leben anderer Verkehrsteilnehmer angezeigt. Von ungeeigneten Fahrern gehe eine erhöhte Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs aus. Bei Abwägung der Interessen der Allgemeinheit am Schutz von Leben und Gesundheit aller Verkehrsteilnehmer und dem Interesse des Antragstellers, seine Fahrerlaubnis bis zum rechtskräftigen Abschluss des Entziehungsverfahrens weiterhin zu nutzen, sei dem Interesse der Allgemeinheit der Vorrang zu geben.

Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 12. Mai 2021 legte der Antragsteller Widerspruch gegen den Bescheid vom 26. April 2021 ein. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass er weder drogenabhängig sei noch regelmäßig Betäubungsmittel konsumiere. Er habe noch nie unter Drogen- oder Alkoholeinfluss ein Fahrzeug geführt und sei auch nicht einschlägig vorbestraft. Beim Vorfall am 4. April 2021 habe es sich um seinen erst- und einmaligen Konsum von Drogen gehandelt. Es sei zu berücksichtigen, dass es sich bei dem konsumierten

1cP-LSD nicht um eine illegale Substanz gehandelt habe, sondern dieses LSD-Derivat in Deutschland frei verkäuflich und der Konsum legal sei. Der Antragsteller habe davon im Internet die kleinstmögliche dort bestellbare Dosis erworben (sog. „Microdosing“). Seine starke Reaktion auf die Substanz, die ihn sogar zur Verständigung des Notrufs veranlasst habe, zeige, dass er mit dem Konsum von Drogen nicht erfahren sei. An die offiziellen Stellen habe sich der Antragsteller auch deshalb gewandt, weil ihm die Legalität der Substanz bewusst gewesen sei. Insbesondere sei der Konsum in keinem Zusammenhang mit dem Straßenverkehr erfolgt. Die Situation in der Pandemie sei für den Antragsteller ein Grund gewesen, sich durch die Einnahme von LSD einen gewissen „Kick“ zu verschaffen. Unter normalen Umständen wäre dies für ihn nicht in Betracht gekommen. Es sprächen keinerlei Anzeichen dafür, dass er in Zukunft erneut diese oder ähnliche Substanzen konsumieren werde.

Am 17. Mai 2021 hat der Antragsteller das Gericht um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ersucht. Der Antragsteller wiederholt sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren und trägt ergänzend vor, die Antragsgegnerin habe die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht ordnungsgemäß begründet. Weiter habe sich der Antragsteller nicht im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen. Insbesondere habe die Antragsgegnerin die Ungeeignetheit oder mangelnde Befähigung des Antragstellers nicht aufgrund erwiesener Tatsachen positiv festgestellt. Die von ihr aufgezeigten Umstände würden nicht ausreichen, eine Befähigung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen zu negieren.

Der Antragsteller beantragt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Fahrerlaubnisentziehung vom 26. April 2021 wiederherzustellen.

Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag abzulehnen.

Sie nimmt Bezug auf ihre Ausführungen im Bescheid vom 26. April 2021 und trägt ergänzend vor, die sofortige Vollziehung des Bescheids sei formell ordnungsgemäß erfolgt. Diese sei insbesondere ausreichend begründet worden, weil die Antragsgegnerin auf die vom Antragsteller als ungeeignetem Kraftfahrer ausgehenden Gefahren hingewiesen und in diesem Zusammenhang klargestellt habe, dass diese ein unverzügliches Handeln unumgänglich machten. Die Entziehungsverfügung sei rechtmäßig, weil die Nichteignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen aufgrund des Konsums von 1cP-LSD feststehe. Dabei könne sich bei der Einordnung anderer, nicht ausdrücklich genannter Drogen an den in den Anlagen 4, 5 und 6 zur FeV nicht abschließend genannten Erkrankungen und Mängeln orientiert werden, denen ein beispielhafter Charakter zukomme. Hier sei § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV i.V.m. Ziff. 9.1 der Anlage 4 zur FeV anzuwenden, wonach zum Führen von Kraftfahrzeugen per se ungeeignet sei, wer Betäubungsmittel im Sinne des BtMG einnehme. Dabei genüge bei „harten“ Drogen wie LSD eine einmalige Einnahme für die Feststellung der Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen. Auf eine dauerhafte Gefährdung des Straßenverkehrs komme es nicht an. Im Fahrerlaubnisrecht als Teil des Gefahrenabwehrrechts komme es außerdem anders als im Strafrecht auch nicht darauf an, dass die eingenommene Substanz wegen ihrer veränderten chemischen Struktur zunächst noch nicht vom BtMG erfasst sei. Denn im Zentrum des gefahrenabwehrrechtlichen Fahrerlaubnisrechts stehe die Sicherheit des Straßenverkehrs und der umfassende Schutz der Teilnehmer vor ungeeigneten Kraftfahrern. Wenn die vom Konsum eines bestimmten Wirkstoffes ausgehende straßenverkehrsrelevante Gefahr bekannt werde, könne – auch angesichts der Dauer eines entsprechenden Gesetzgebungsverfahrens – nach Sinn und Zweck des Fahrerlaubnisrechts nicht entgegenstehen, dass die Substanz noch nicht in die entsprechenden Gesetze aufgenommen worden sei. Ansonsten könne den zwischenzeitlichen Gefahren für den öffentlichen Straßenverkehr nicht begegnet werden. Es müsse auch berücksichtigt werden, dass der Antragsteller das LSD-Derivat in Kenntnis des Umstands eingenommen habe, dass es dieselben Reaktionen im Körper hervorrufe wie „klassisches“ LSD. Das Fehlen einer Blutprobenentnahme stehe der Fahrerlaubnisentziehung hier nicht entgegen. Räume der Antragsteller – wie hier – den Konsum der Droge ein, bedürfe es keines weiteren wissenschaftlichen Nachweises.

Die Sachakte hat dem Gericht vorgelegen.

II.

Der nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO zulässige Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs führt zum Erfolg.

Zu Unrecht rügt der Antragsteller zwar die formelle Ordnungsgemäßheit der Begründung des behördlich angeordneten Sofortvollzugs. Nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist in diesem Fall das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Dies erfordert grundsätzlich eine schlüssige, konkrete und substantiierte Darlegung der wesentlichen Erwägungen, warum aus Sicht der Behörde gerade im vorliegenden Einzelfall ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung gegeben ist und das Interesse des Betroffenen an der bestehenden aufschiebenden Wirkung ausnahmsweise zurückzutreten hat. Diesen Anforderungen hat die Antragsgegnerin vorliegend Genüge getan. Sie hat in ihrer Begründung deutlich gemacht, dass der Antragsteller ohne die Anordnung des Sofortvollzugs hochrangige Rechtsgüter anderer Menschen gefährden könnte. Damit ist einer der Zwecke des § 80 Abs. 3 VwGO, nämlich die Verwaltung dazu anzuhalten, die Notwendigkeit eines Sofortvollzugs sorgfältig zu prüfen, hier erreicht worden. Auch dem weiteren Zweck der Vorschrift, dem betroffenen Bürger eine wirksame Wahrnehmung seiner Rechte und die Abschätzung der Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels zu ermöglichen, genügt die Begründung. Angesichts der Tatsache, dass sich die Eilbedürftigkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis ungeeigneter Kraftfahrer und der möglichen Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer aus der Natur der Sache ergibt, war ein stärkeres Eingehen auf die konkreten Umstände des Einzelfalls hier nicht geboten (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 15.12.2005, 3 Bs 214/05, juris Rn. 2 ff.; dem folgend VG Hamburg, Beschluss vom 17.06.2020, 15 E 1639/20). Unerheblich ist dabei, ob die von der Antragsgegnerin angeführten Gründe inhaltlich tragfähig sind und den Sofortvollzug tatsächlich rechtfertigen (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 20.02.2012, 2 Bs 14/12, juris Rn. 10).

Der Antrag ist aber begründet, weil das private Aussetzungsinteresse des Antragstellers, vorläufig weiter ein Kraftfahrzeug führen zu dürfen, vorliegend das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Fahrerlaubnisentziehung überwiegt. Denn der Widerspruch des Antragstellers hat dafür ausreichende Erfolgsaussichten (1.). Auch ergibt die weitere Abwägung kein überwiegendes Vollzugsinteresse (2.).

1. Rechtsgrundlage der Entziehung ist § 3 Abs. 1 Satz 1 StVGi.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 1 lit. c) StVG und § 46 Abs. 1 FeV. Danach ist die Fahrerlaubnisbehörde verpflichtet, eine Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn der Inhaber sich als zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet erweist. Dies ist jedoch nach der im Eilverfahren möglichen Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht überwiegend wahrscheinlich.

a) Ohne Berücksichtigung im vorliegenden Eilverfahren bleibt die etwaige Verletzung verfahrensrechtlicher Vorschriften, da diese formellen Mängel geheilt worden oder noch heilbar sind. Weder aus der dem Gericht vorliegenden Sachakte der Antragsgegnerin noch aus dem Vorbringen der Beteiligten ergibt sich, dass der Antragsteller vor der Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Hamburgisches Verwaltungsverfahrensgesetz (HmbVwVfG) angehört worden ist oder dass die Antragsgegnerin das ihr nach § 28 Abs. 2 HmbVwVfG insoweit zustehende Ermessen ausgeübt hat. Allerdings ist nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 HmbVwVfG die Verletzung von Verfahrens- und Formvorschriften, die nicht den Verwaltungsakt nach § 44 HmbVwVfG nichtig macht, unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt wird. Dies ist hier geschehen. Im Widerspruchsverfahren ist der Antragsteller zu Wort gekommen. Zudem dürfte es dem Bescheid vom 26. April 2021 auch an der nach § 37 Abs. 3 Satz 1 HmbVwVfG erforderlichen Unterschrift oder Namenswiedergabe des Behördenleiters, seines Vertreters oder seines Beauftragten fehlen. Die Bemerkung in dem Bescheid, dass dieser maschinell erstellt und ohne Unterschrift gültig sei, dürfte hierüber nicht hinweghelfen. Denn Unterschrift und Namenswiedergabe dürfen gemäß § 37 Abs. 5 Satz 1 HmbVwVfG nur bei einem schriftlichen Verwaltungsakt, der mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassen wird, fehlen. Diese Vorschrift, die im Hinblick auf Massenverfahren erlassen wurde, ist ihrem Sinn und Zweck nach dahin auszulegen, dass sie nur die vollautomatische Erstellung eines Bescheids erfasst. Die Verwendung von Textbausteinen genügt hierfür noch nicht. Befasst sich dagegen ein Behördenmitarbeiter individuell mit der Angelegenheit, kann er dem Bescheid problemlos auch die Namensnennung hinzufügen und es besteht kein Bedürfnis mehr für eine Formerleichterung (vgl. Schröder, in: Schoch/Schneider, VwVfG, Stand: Juli 2020, § 37 Rn. 88 ff.; Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 19. Aufl. 2018, § 37 Rn. 38 ff.). Nach diesem Maßstab liegt hier kein Fall des § 37 Abs. 5 Satz 1 HmbVwVfG vor, weil sich der Verfasser des streitgegenständlichen Bescheids in der Begründung mit den individuellen Umständen des Antragstellers befasst hat. Es ist allerdings davon auszugehen, dass der Widerspruchsbescheid diesen Mangel nicht mehr aufweisen wird. Insoweit ist § 45 Abs. 1 HmbVwVfG als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens auf diesen Verfahrensfehler entsprechend anwendbar (vgl. VG Hamburg, Beschluss vom 27. Mai 2021, 15 E 1687/21, n.v.).

b) Der Antragsteller dürfte sich jedoch voraussichtlich nicht aufgrund des einmaligen Konsums von 1cP-LSD als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen haben.

Gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV fehlt es insbesondere dann an der Kraftfahreignung, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 FeV vorliegen. Dies unterliegt hier aber erheblichen Zweifeln. Die Entziehung der Fahrerlaubnis stellt dabei eine gebundene Entscheidung dar; ein Ermessensspielraum wird der Behörde nicht eingeräumt (vgl. auch BayVGH, Beschluss vom 21.1.2019, 11 ZB 18.2066, juris Rn. 19).

Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Verfügung, die die Entziehung der Fahrerlaubnis zum Gegenstand hat, ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (m.w.N. BVerwG, Urteil vom 27.9.1995, 11 C 34/94, BVerwGE 99, 249 ff., juris Rn. 9), hier somit die aktuelle Sach- und Rechtslage, da ein Widerspruchsbescheid noch aussteht.

aa) Die Fahreignung des Antragstellers dürfte nicht gemäß Ziff. 9.1 der Anlage 4 FeV ausgeschlossen sein. Hiernach ist die Fahreignung bei der Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des BtMG (ausgenommen Cannabis) zu verneinen. Nach gefestigter Rechtsprechung begründet bereits der einmalige Konsum sogenannter „harter“ Drogen grundsätzlich die Ungeeignetheit, ohne dass es einer Abhängigkeit oder Regelmäßigkeit des Konsums bedarf (vgl. nur OVG Saarland, Beschluss vom 19.03.2018, 1 B 812/17; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23.07.2015, 16 B 656/15; OVG Hamburg, Beschluss vom 24.01.2007, 3 Bs 300/06, juris Rn. 11) oder der Betroffene unter der Einwirkung der Drogen ein Kraftfahrzeug geführt haben muss (vgl. VG Braunschweig, Beschluss vom 23.02.2005, 6 B 66/05). Ein positives chemisch-toxikologisches Gutachten setzt die Fahrerlaubnisentziehung nach der Rechtsprechung nicht voraus, wenn der Drogenkonsum gegenüber der Polizei eingeräumt wurde (OVG Hamburg, Beschluss vom 15.11.2017, 4 Bs 180/17, juris Rn. 15, vgl. auch z.B. VG Hamburg, Beschluss vom 3.6.2020, 15 E 2087/20, n.v.).

Aller Voraussicht nach sind diese Maßstäbe auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar. Der Betäubungsmittelbegriff des BtMG ist nämlich auf die in den Positivlisten der Anlagen I bis III zum BtMG aufgeführten Stoffe und Zubereitungen beschränkt (§ 1 Abs. 1 BtMG). Das vom Antragsteller konsumierte 1cP-LSD ist davon nicht erfasst. Eine entsprechende Anwendung der Ziff. 9.1 der Anlage 4 FeV auf die Einnahme von 1cP-LSD ist jedenfalls im vorliegenden Eilverfahren nicht vorzunehmen. Hintergrund der Regelung in § 46 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Ziff. 9.1 der Anlage 4 FeV ist der Erfahrungssatz, dass Personen, die sogenannte „harte“ Drogen im Sinne des BtMG einnehmen, hierdurch charakterlich-sittliche Mängel offenbaren, die den Schluss auf ihre Bereitschaft rechtfertigen, die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit den eigenen Interessen unterzuordnen und dabei die sich hieraus ergebenden Gefahren im Straßenverkehr in Kauf zu nehmen. Aufgrund des typischen Ausmaßes der missbräuchlichen Verwendung dieser Drogen und ihrer Toxizität sind diese Stoffe gefährlich und schlecht kontrollierbar. Bei ihnen ist mit erheblicher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass sich problematische Konsummuster bilden und ein damit einhergehender Verlust der Verhaltenskontrolle eintritt. Insbesondere bei synthetischen Drogen lassen sich der Verlauf und die Intensität ihrer Wirkung sowie die verträgliche Konsummenge nur schwer einschätzen und das eigene Verhalten nur schwer steuern. Außerdem zeichnen sich diese Substanzen durch das Auftreten von atypischer Rauschverläufen, unerwünschten und oft unerwarteten Nachhalleffekten in der Nachrauschphase sowie Abklingsyndromen und Entzugserscheinungen aus. Typischerweise ist der Konsument in eine illegale Szene verstrickt und es ist unwahrscheinlich, dass sich bei ihm ein von Verantwortungsbewusstsein gekennzeichnetes Konsummuster entwickelt, das eine strikte Trennung von Drogenkonsum und Führen von Kraftfahrzeugen sicherstellt (vgl. BayVGH, Beschluss vom 18.10.2010, 11 CS 10.1810, juris Rn. 18 m.w.N.; VG Trier, Beschluss vom 31.03.2015, 1 L 669/15.TR, juris Rn. 11 f.). Diese Erwägungen rechtfertigen es, die Fahreignung bereits bei einer einmaligen Einnahme der genannten Drogen auszuschließen, ohne dass es auf eine bestimmte nachgewiesene Konzentration, einer Straßenverkehrsteilnahme im berauschten Zustand oder konkrete Ausfallerscheinungen ankommt (vgl. VG Trier, a.a.O.).

Diese hinter Ziff. 9.1 der Anlage 4 FeV stehenden Erwägungen lassen sich aber im Hinblick auf den begrenzten gerichtlichen Prüfungsumfang im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht ohne weiteres auf die hier in Rede stehende Substanz 1cP-LSD übertragen. Dabei hat das Gericht gesehen, dass es sich bei 1cP-LSD um eine sogenannte Designerdroge („Legal High“) handeln dürfte, die als Reaktion auf das im Juli 2019 eingeführte Verbot des Umgangs mit dem zuvor gängigen LSD-Derivat 1P-LSD (§§ 3, 4 i.V.m. Ziff. 5.2 der Anlage zum Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz, im Folgenden: NpSG) auf den Markt gebracht wurde. Durch eine molekulare Veränderung des LSD sollen dabei die Verbote des BtMG so lange umgangen werden, bis der Gesetzgeber auf die neu synthetisierte Substanz reagiert und sie in das BtMG bzw. NpSG aufgenommen hat. Dabei dürfte aufgrund der Ähnlichkeiten in der chemischen Struktur zwischen 1cP-LSD und LSD auch von ähnlichen Wirkungen auszugehen sein. Nach ersten wissenschaftlichen Erkenntnissen dürfte es sich bei 1cP-LSD um eine sogenannte Prodrug handeln, welche nach der Einnahme durch Stoffwechselprozesse im menschlichen Körper zu LSD umgewandelt wird (vgl. Brandt/Kavanagh/Westphal u.a., Drug Testing Analysis 2020, S. 812 ff., DOI: 10.1002/dta.2789). Gleichwohl sprechen systematische Bedenken gegen eine entsprechende Anwendung der Ziff. 9.1 der Anlage 4 FeV auf den vorliegenden Fall. Denn die darin getroffene normative Wertung, an die das Gericht gebunden ist (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 20.11.2007, 3 So 147/06; Beschluss vom 24.01.2007, 3 Bs 300/06, juris Rn. 10 m.w.N.), hat der Verordnungsgeber ausdrücklich auf eine legal definierte und hier nicht einschlägige Gruppe von Stoffen begrenzt, während er an anderer Stelle, namentlich in § 14 Abs. 1 und Ziff. 9.3, 9.4 der Anlage 4 FeV, weiter differenziert und Betäubungsmittel im Sinne des BtMG von psychoaktiv wirkenden Arzneimitteln und anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen unterscheidet. Mit der Verordnung zur Änderung der Anlage des NpSG und von Anlagen des BtMG vom 15. Mai 2019 (BR-Drs. 238/19) wurde das mit 1cP-LSD vergleichbare Derivat 1P-LSD bewusst nicht in das gleichzeitig geänderte BtMG, sondern in das nicht von Ziff. 9.1 der Anlage 4 FeV erfasste NpSG aufgenommen. Gleiches ist nun für den Stoff 1cP-LSD vorgesehen (vgl. BR-Drs. 403/21, S. 26). Vor diesem Hintergrund kann voraussichtlich nicht davon ausgegangen werden, dass die einschneidende Wertung des § 46 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Ziff. 9.1 der Anlage 4 FeV, bereits bei einmaligem Drogenkonsum auch ohne Abhängigkeit oder Missbrauch und ohne einen konkreten Bezug zum Straßenverkehr die Fahreignung des Betroffenen regelmäßig auszuschließen, auch auf den Konsum von 1cP-LSD Anwendung finden soll. Dies wäre im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verfassungsrechtlich letztlich auch nur tragfähig, wenn es diesbezüglich entsprechende auf wissenschaftlicher Grundlage bestehende Erkenntnisse gäbe.

bb) Hingegen dürfte 1cP-LSD als psychoaktiv wirkender Stoff von Ziff. 9.3 und 9.4 der Anlage 4 FeV erfasst sein (für die Anwendung von Ziff. 9.4 der Anlage 4 FeV auf Designerdrogen auch Hahn/Kalus, in: Bender/König, Münchener Kommentar zum Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 14 FeV Rn. 32 ff.; Kalus, VD 2010, 146, 147). Hiernach ist die Fahreignung einer Person bei Abhängigkeit von Betäubungsmitteln im Sinne des BtMG oder von anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen sowie bei missbräuchlicher Einnahme von psychoaktiv wirkenden Arzneimitteln und anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen zu verneinen. Diese Voraussetzungen sind hier aller Voraussicht nach nicht gegeben.

Bei 1cP-LSD dürfte es sich um einen psychoaktiv wirkenden Stoff im Sinne der FeV handeln. Als psychoaktiv wirkend dürften solche Stoffe anzusehen sein, die von außen zugeführt werden und Veränderungen der Psyche und des menschlichen Bewusstseins durch die Anregung oder Dämpfung des Zentralnervensystems zur Folge haben, was etwa mit Halluzinationen oder Störungen der motorischen Funktionen, des Denkens, des Verhaltens, der Wahrnehmung oder der Stimmung einhergehen kann (vgl. Hahn/Kalus, a.a.O., § 14 FeV Rn. 29 ff.). Dies dürfte, wie bereits für den Stoff 1P-LSD angenommen wurde (VG Regensburg, Beschluss vom 16.03.2018, RN 8 S 17.2161, juris Rn. 24), auch auf den Stoff 1cP-LSD zutreffen. Es ist davon auszugehen, dass der Konsum ähnliche bewusstseinsändernde Wirkungen wie die Einnahme von LSD hat.

Allerdings gibt es für eine Abhängigkeit oder eine missbräuchliche Einnahme des Antragstellers keine Anhaltspunkte. Insbesondere ist unter einer missbräuchlichen Einnahme nach Ziff. 9.4 der Anlage 4 FeV der regelmäßige übermäßige Gebrauch zu verstehen. Damit ist im Gegensatz zu Ziff. 9.1 der Anlage 4 FeV der bloß einmalige Konsum gerade nicht erfasst, sondern es ist ein Konsum erforderlich, der zumindest häufiger als nur sporadisch vorkommt (vgl. BayVGH, Beschluss vom 16.01.2020, 11 CS 19.1535, juris Rn. 25; Dauer, in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl. 2019, § 2 StVG Rn. 65). Dies dürfte im vorliegenden Fall aber nicht gegeben sein.

Nach derzeitigem Sachstand, welchen auch die Antragsgegnerin nicht in Zweifel zieht, spricht nichts dafür, dass der Antragsteller außer am 4. April 2021 noch ein weiteres Mal 1cP-LSD einnahm. Es besteht kein Anlass, an der Richtigkeit des Vorbringens des Antragstellers zu zweifeln, dass er den Konsum erstmalig probiert habe und davon in Zukunft Abstand nehmen werde. Dies wird gestützt durch die offenbar nur sehr geringe eingenommene „Mikrodosis“. Auch die starke körperliche Reaktion des Antragstellers, mit der er nicht umzugehen wusste und die ihn zur Verständigung des Notrufs veranlasste, spricht gegen eine auch nur ansatzweise vorhandene Gewöhnung des Antragstellers an den Drogenkonsum. Da es bereits an einem regelmäßigen Gebrauch fehlt, bedarf es hier keiner Klärung der Frage, ob bei einem außerhalb einer medizinischen Anwendung allein für den persönlichen Rausch erfolgten Konsum eines psychoaktiven Wirkstoffs ein übermäßiger Gebrauch überhaupt möglich ist und ab welcher Schwelle dieser beginnt.

Es dürfte hier voraussichtlich auch kein Raum dafür bestehen, eine vermutete Ungeeignetheit des Antragstellers durch Anordnung eines fachärztlichen Gutachtens weiter aufzuklären. Eine Gutachtenanordnung nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 FeV dürfte mangels Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des BtMG und mangels tatsächlicher Anhaltspunkte für eine missbräuchliche Einnahme psychoaktiv wirkender Stoffe ausscheiden. Ohne zusätzliche Anhaltspunkte für eine missbräuchliche Einnahme berechtigt auch der bloße Besitz solcher Stoffe – anders als beim Besitz von Betäubungsmitteln i.S.d. BtMG – die Antragsgegnerin nicht, ein ärztliches Gutachten anzuordnen, da eine mit § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV vergleichbare Ermessensvorschrift hinsichtlich psychoaktiver Arzneimittel und Stoffe nicht existiert (BayVGH, Beschluss vom 2.8.2017, 11 CS 17.1318, juris Rn. 19). Für die Anordnung der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV zur Klärung einer weiterhin erfolgenden Einnahme psychoaktiver Stoffe dürfte ebenfalls eine missbräuchliche Einnahme in der Vergangenheit zu verlangen sein, da die Vorschrift andernfalls auch eine Gutachtenanordnung rechtfertigen würden, wenn insbesondere psychoaktiv wirkende Arzneimittel bestimmungsgemäß eingenommen wurden (a.A. wohl Hahn/Kalus, in: Bender/König, Münchener Kommentar zum Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 14 FeV Rn. 38).

2. Angesichts der dargestellten Erfolgsaussichten ist dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers Vorrang einzuräumen. An einer rechtswidrigen Entziehung der Fahrerlaubnis besteht von vornherein kein öffentliches Vollzugsinteresse. Der bloße Verdacht der möglicherweise fehlenden Fahreignung rechtfertigt ebenfalls nicht die vorläufige Entziehung.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG. Die Kammer hat in Anlehnung an Nr. 46.3, 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit für die Entziehung einer nicht schwerpunktmäßig berufsbezogen genutzten Fahrerlaubnis den Auffangstreitwert angesetzt und diesen im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes halbiert.

 

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