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Fahrerlaubnisentziehung – Bindungswirkung an straf- oder bußgeldrechtliche Entscheidungen

Verkehrssanktionen und Rechtsschutz: Bindung der Fahrerlaubnisbehörde an strafrechtliche Entscheidungen

Dieser Fall dreht sich um die Fahrerlaubnisentziehung und die Bindungswirkung an straf- oder bußgeldrechtliche Entscheidungen, ein komplexer rechtlicher Sachverhalt, der durch das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen unter dem Aktenzeichen 16 B 1223/19 behandelt wurde. Es handelt sich dabei um einen Fall, bei dem der Beschwerdeführer argumentiert, die letzte Ordnungswidrigkeit, die zur Entziehung seiner Fahrerlaubnis führte, sei nicht von ihm, sondern von seinem Sohn begangen worden. Kernproblem ist hier die Frage, ob die Fahrerlaubnisbehörde und das Verwaltungsgericht an die straf- oder bußgeldrechtliche Entscheidung gebunden sind.

Weiter zum vorliegenden Urteil  Az.: 16 B 1223/19 >>>

Fahrerlaubnisentziehung und rechtliche Bindung

Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen entschied, dass die Beschwerde des Antragstellersgegen die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes offensichtlich rechtmäßig sei. Der Einwand, dass der Sohn und nicht der Antragsteller die Ordnungswidrigkeit begangen habe, wurde nicht als ausreichend erachtet, um die Beschwerde erfolgreich zu machen. Das Gericht stützte seine Entscheidung auf § 4 Abs. 5 Satz 4 StVG, wonach die Fahrerlaubnisbehörde nicht prüfen muss, ob die punktebewehrte Ahndung zu Recht erfolgt ist.

Rechtlicher Rahmen und gesetzgeberischer Wille

Aus der Sicht des Gerichts widerspräche eine andere Auslegung des Gesetzes dem klaren Wortlaut und dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Die Fahrerlaubnisbehörde und die Verwaltungsgerichte sind an rechtskräftige Strafurteile bzw. Bußgeldentscheidungen gebunden, es sei denn, diese Entscheidungen werden aufgehoben. Das Gericht betonte, dass diese Bindung aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung besteht und keine Ausnahmen zulässt.

Berufliche Auswirkungen und Interessenabwägung

Der Beschwerdeführer brachte vor, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis erhebliche berufliche Auswirkungen hätte. Das Gericht entschied jedoch, dass diese Umstände nicht dazu führen, dass dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers Vorrang vor dem öffentlichen Vollzugsinteresse eingeräumt werden sollte. Die gesetzliche Wertung in § 4 Abs. 9 StVG wurde dabei als entscheidend betrachtet.

Wiedereinsetzung und Beschwerderecht

Der Antrag des Antragstellers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Einspruchsfrist hatte keinen Erfolg. Dies zeigt die Schwierigkeiten, die sich ergeben können, wenn man versucht, gegen eine Fahrerlaubnisentziehung vorzugehen, insbesondere wenn die straf- oder bußgeldrechtlichen Entscheidungen rechtskräftig sind. Dieses Urteil bestätigt die Bindungswirkung solcher Entscheidungen auf die Fahrerlaubnisbehörde und die Verwaltungsgerichte.


Das vorliegende Urteil

Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen – Az.: 16 B 1223/19 – Beschluss vom 09.06.2020

Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 9. August 2019 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg. Die nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die dargelegten Gründe beschränkte Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung führt zu keinem für den Antragsteller günstigeren Ergebnis.

Die Annahme des Verwaltungsgerichts, die auf § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG gestützte Entziehungsverfügung des Antragsgegners vom 13. Juni 2019 erweise sich nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen und nur möglichen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtmäßig, wird durch das Beschwerdevorbringen nicht durchgreifend in Frage gestellt.

Der Einwand des Antragstellers, die zeitlich letzte in der Anlage zur Entziehungsverfügung aufgeführte, zum Erreichen von acht Punkten führende Ordnungswidrigkeit habe nicht er, sondern sein Sohn begangen, führt nicht zum Erfolg der Beschwerde. Gemäß § 4 Abs. 5 Satz 4 StVG ist die nach Landesrecht zuständige Behörde bei den Maßnahmen nach § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG an die rechtskräftige Entscheidung über die Straftat oder die Ordnungswidrigkeit gebunden. Der die Ordnungswidrigkeit, die nach dem Beschwerdevorbringen der Sohn des Antragstellers begangen haben soll, ahndende Bußgeldbescheid ist seit 16. April 2019 rechtskräftig. Daran war der Antragsgegner bei der Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers gebunden.

Die Bindung entfällt auch nicht ausnahmsweise. Dass § 4 Abs. 5 Satz 4 StVG wegen des Gebots materieller Gerechtigkeit im Einzelfall dahingehend auszulegen ist, dass fahrerlaubnisrechtliche Maßnahmen unzulässig sind, wenn die im Straf- oder Bußgeldverfahren zu Lasten des Betroffenen ergangene Entscheidung inhaltlich evident unrichtig ist, ist bei summarischer Prüfung grundsätzlich nicht anzunehmen.

Vgl. OVG Berlin-Bbg., Beschluss vom 28. Mai 2015 – OVG 1 S 71.14 -, juris, Rn. 8; bisher offen lassend: OVG NRW, Beschlüsse vom 24. Juni 2013 – 16 B 640/13 -, und vom 28. August 2013 – 16 B 904/13 -, juris, Rn. 8 ff.; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 4. November 2013 – 10 S 1933/13 -, juris, Rn. 7; zu § 2a StVG: OVG NRW, Beschlüsse vom 11. Dezember 2009 – 16 B 1505/09 -, juris, Rn. 4 f., und  vom 2. März 2010 – 16 B 1316/09 -, juris, Rn. 5 f.; Hamb. OVG, Beschluss vom 3. Dezember 1999 – 3 Bs 250/99 -, juris, Rn. 6; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 5. Februar 2013 – 10 S 2292/12 -, juris, Rn. 4.

Dies widerspräche dem den Willen des Gesetzgebers entsprechenden klaren, keine Ausnahme zulassenden Wortlaut und dem Sinn und Zweck der Vorschrift, wonach die Fahrerlaubnisbehörde aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung in Verfahren dieser Art gerade nicht prüfen muss, ob die punktebewehrte Ahndung zu Recht erfolgt ist.

Zur Gesetzesbegründung: BT-Drucks. 13/6914, S. 69 zu § 4 StVG („Die Bindung … gilt auch für die Gerichte, da diese nur über die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen der Fahrerlaubnisbehörden befinden.“) und S. 67 zu § 2a StVG („Außerdem wird durch Absatz 2 Satz 2 klargestellt, daß die Fahrerlaubnisbehörde bei der Anordnung einer Maßnahme in vollem Umfang an die rechtskräftige Entscheidung über die Ordnungswidrigkeit oder die Straftat gebunden ist und nicht noch einmal prüfen muß, ob der Fahranfänger die Tat tatsächlich begangen hat.“).

Da der Betroffene über hinreichende Rechtsschutzmöglichkeiten im Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitenverfahren verfügt, bestehen keine Bedenken im Hinblick auf die Garantie effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG). Er ist gehalten, sich gegen die straf- bzw. ordnungswidrigkeitenrechtliche Ahndung zur Wehr zu setzen, um (auch) die Berücksichtigung der betreffenden Taten im Verfahren nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem zu vermeiden. Ihn belastende rechtskräftige Entscheidungen muss er so lange gegen sich gelten lassen, als sie nicht aufgehoben worden sind oder nicht mehr verwertet werden dürfen. Die Bindung der Fahrerlaubnisbehörde sowie der Verwaltungsgerichte an rechtskräftige Strafurteile bzw. Strafbefehle oder Bußgeldentscheidungen kann nachträglich nur dann entfallen, wenn diese Entscheidungen – anders als vorliegend – im Wege der Wiederaufnahme des Verfahrens oder der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aufgehoben worden sind.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 24. Januar 2008 – 16 B 1269/07 -, DAR 2008, 540 = juris, Rn. 2 ff., und vom 25. Juli 2017 – 16 B 432/17 -, juris, Rn. 4 ff.

Gemessen daran ist das Vorbringen des Antragstellers, sein Sohn habe die zu dem Stand von acht Punkten führende Ordnungswidrigkeit begangen, unbeachtlich. Es wäre dem Antragsteller möglich und zumutbar gewesen, diesen Einwand im Bußgeldverfahren geltend zu machen. Wie sich aus dem Beschluss des Landgerichts Gießen vom 6. November 2019 ergibt, meldeten sich der Antragsteller und sein Sohn jedoch erst nach Ablauf der Einspruchsfrist bei der Bußgeldbehörde. Der Antrag des Antragstellers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Einspruchsfrist hatte deshalb keinen Erfolg.

Die (außerhalb der Beschwerdebegründungsfrist vorgetragenen) beruflichen Auswirkungen der Fahrerlaubnisentziehung stellen keine Umstände dar, die im Rahmen der Interessenabwägung dazu führen, dass dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers entgegen der gesetzlichen Wertung in § 4 Abs. 9 StVG Vorrang vor dem öffentlichen Vollzugsinteresse einzuräumen wäre.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 und 2 sowie § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

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