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Fahrerlaubnisentziehung – Bindung an Eignungsfeststellungen im Strafverfahren

VG Hamburg, Az.: 15 E 5358/15, Beschluss vom 11.11.2015

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis.

Der 1990 geborene Antragsteller war Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klasse B.

Der Antragsteller wurde 2015 im Rahmen einer Verkehrskontrolle im Verlauf der Straße Harburger …/S.-Straße um etwa 22.50 h von Beamten der Polizei kontrolliert. Dabei wurde bei ihm Marihuana sichergestellt. Der Antragsteller gab gegenüber den Polizisten an, etwa drei Stunden vor Fahrtantritt Marihuana zu sich genommen zu haben. Ein freiwillig durchgeführter Schnelltest wies THC nach. Eine Blutprobe wurde kurz danach, Januar 2015 um 0.30 h entnommen. Nach den Ergebnissen der Blutuntersuchung durch das Institut für Rechtsmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf vom 27. Januar 2015 enthielt das Blut 22 ng/ml THC sowie 130 ng/mg THC-Carbonsäure.

Durch Strafbefehl des Amtsgerichts Hamburg-Harburg vom 1. April 2015 wurden gegen den Antragsteller wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln und wegen einer vorsätzlichen Ordnungswidrigkeit im Sinne des § 24a StVG eine Geldstrafe in Höhe von 30 Tagessätzen zu je 10 Euro und eine Geldbuße in Höhe von 500 Euro festgesetzt. Außerdem wurde ihm das Führen von Kraftfahrzeugen jeder Art im Straßenverkehr für die Dauer von einem Monat verboten.

Gegen diesen Strafbefehl legte der Antragsteller Einspruch ein und beschränkte diesen später in der Hauptverhandlung auf das Fahrverbot.

Mit Urteil vom 19. Juni 2015 stellte das Amtsgericht Hamburg-Harburg (623 Cs 117/15 6002 Js 218/15) fest, dass der Antragsteller nach einem Strafbefehl des Gerichts vom 1. April 2015 wegen des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln schuldig sei, dass er einen vorsätzlichen Verstoß gegen § 24a StVG begangen habe, und dass die Verurteilung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 10 Euro sowie die Geldbuße von 500 Euro rechtskräftig seien. Zusätzlich urteilte das Gericht, dass dem Antragsteller gem. § 44 StGB das Führen von Kraftfahrzeugen jeder Art im Straßenverkehr vom 28. Juli 2015 bis zum 11. August 2015 verboten werde. Das Gericht stellte in seinem Urteil fest:

„III.

Der Angeklagte ist seit dem 13. März 2012 im Besitz der Fahrerlaubnis und des Führerscheins. Nach der Auskunft aus dem Verkehrszentralregister vom 5. Juni 2015 sind dort lediglich zwei Eintragungen wegen Geschwindigkeitsüberschreitungen außerhalb geschlossener Ortschaften vermerkt. Der Angeklagte, der in einem Umzugsunternehmen als Fahrer beschäftigt ist, gab hierzu an, dass er zu Beginn seiner beruflichen Tätigkeit unbedingt überpünktlich und am besten vor Eintreffen des Vorgesetzten am Auftragsort sein wollte und daher diese zwei Ordnungswidrigkeiten begangen hat. Nachdem er jedoch Zeuge eines tödlichen Unfalls geworden sei, habe er seinen Fahrstil grundlegend geändert und sei ein ruhiger Fahrer geworden.

Auch ist der Angeklagte aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit auf den Führerschein angewiesen. Nach Auskunft seines Vorgesetzten würde ein einmonatiges Fahrverbot zur Kündigung führen. Der Angeklagte gab zudem an, vom 28. Juli 2015 bis zum 11. August 2015 Erholungsurlaub eingereicht zu haben, um sich in dieser Zeit auch therapeutische Hilfe hinsichtlich seines Marihuanakonsums zu suchen.“

Zur Bemessung der Strafe bzw. der Nebenfolge stellt das Gericht fest:

„IV.

Vor diesem Hintergrund ist ein Fahrverbot im Sinne des § 44 StGB als Denk- und Warnzettel vom 28. Juli 2015 bis zum 11. August 2015 notwendig, aber auch ausreichend.“

Mit Bescheid vom 30. Juli 2015 entzog die Antragsgegnerin die Fahrerlaubnis des Antragstellers und ordnete die sofortige Vollziehung ihrer Entscheidung an. Der Antragsteller habe sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen. Die Fahrerlaubnis sei daher gem. § 46 FeV zu entziehen. Nach Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV, Ziff. 9 sei ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, wer regelmäßig Cannabis konsumiere. Er sei am 14. Januar 2015 unter Drogeneinfluss gefahren. Der festgestellte hohe Wert für THC-Carbonsäure deute auf einen regelmäßigen Konsum hin. Der Sofortvollzug werde angeordnet, weil der Antragsteller gelegentlich Cannabis konsumiere und diesen Konsum nicht vom Fahren trennen könne. Der Schutz anderer Verkehrsteilnehmer verlange, dass Personen, die zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet seien, unverzüglich von der Teilnahme am Straßenverkehr mit Kraftfahrzeugen ausgeschlossen werden.

Mit anwaltlichen Faxschreiben vom 12. August 2015 ließ der Antragsteller an diesem Tag Widerspruch gegen die Fahrerlaubnisentziehung erheben. Die Entziehung der Fahrerlaubnis sei aufzuheben. Die Antragsgegnerin sei durch eine widersprechende Entscheidung eines rechtskräftigen Strafurteils gehindert, seine Fahreignung zu verneinen. Dies ergebe sich aus § 3 Abs. 3 und Abs. 4 StVG, die dazu dienten, sich widersprechende Entscheidungen der Strafgerichte und der Fahrerlaubnisbehörden zu vermeiden. Das Amtsgericht Hamburg-Harburg habe denselben Lebenssachverhalt in seinem Urteil vom 19. Juni 2015 beurteilt und habe sich darin mit der Fahreignung befasst. Es sei zu dem Ergebnis gekommen, dass es einer Entziehung der Fahrerlaubnis nicht bedurft habe. Ein Fahrverbot sei als Denk- und Warnzettel ausreichend gewesen. Diese strafrichterliche Würdigung habe Vorrang. Es sei ausdrücklich festgestellt worden, dass die Fahrerlaubnis nicht aberkannt werden könne. Insoweit verweist er auf Rechtsprechung des VG Schleswig in einem Beschluss vom 8. Juli 2015.

Die Antragsgegnerin kündigte mit Schreiben vom 9. September 2015 an, dem Widerspruch voraussichtlich nicht abzuhelfen. Das strafrechtliche Verfahren sei von dem verwaltungsrechtlichen Verfahren zu trennen. Die Fahreignung werde im verwaltungsrechtlichen Verfahren geprüft. Aus dem Strafurteil gehe hervor, dass das Amtsgericht Hamburg-Harburg bei der Urteilsfindung nicht auf die Geeignetheit abgezielt und diese auch nicht abschließend geprüft habe.

Mit seinem Eilantrag vom 29. September 2015 begehrt der Antragsteller die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs. Die Entziehung der Fahrerlaubnis sei rechtswidrig. Der Entscheidung der Antragsgegnerin stehe die anderslautende Entscheidung des Strafgerichts entgegen. Das Amtsgericht habe sich offenkundig mit der Frage der Fahreignung auseinandergesetzt. Der Richterin sei ersichtlich der Unterschied zwischen der Entziehung der Fahrerlaubnis und der Verhängung eines Fahrverbotes gegenwärtig gewesen, wie sich aus den Urteilsausführungen unter Ziffer IV. ergebe. Es folge aber auch aus den Ausführungen unter Ziffer III., wonach sich die Richterin ein Bild von dem Angeklagten und dessen zukünftigen Verhaltens gemacht habe. Es sei auch berücksichtigt worden, dass der Angeklagte aus eigener Erkenntnis Urlaub beantragt habe, um zusätzlich therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Im Strafverfahren sei dann festgestellt worden, dass ein Fahrverbot ausreichend sei. Das Strafgericht habe demnach nach eigener Prüfung festgestellt, dass der Antragsteller nicht ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen sei. Daran sei die Antragsgegnerin gem. § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG gebunden.

Der Antragsteller beantragt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 12. August 2015 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 30. Juli 2015 wiederherzustellen.

Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag abzulehnen.

Zur Begründung bezieht sie sich auf ihren Ausgangsbescheid. Ergänzend meint sie, dass sie nicht gem. § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG durch das strafrechtliche Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Harburg gebunden sei. Dieses lasse nicht erkennen, dass die Fahreignung des Antragstellers geprüft und beurteilt worden wäre. Zudem stütze sich ihre Entscheidung über die Fahrerlaubnisentziehung auch auf den Umstand, dass der Antragsteller regelmäßiger, zumindest aber gelegentlicher Konsument von Cannabis sei und zwischen dem Konsum der Droge und dem Führen eines Kraftfahrzeuges nicht trennen könne. Letzteres bestreite der Antragsteller auch gar nicht.

II.

Der gemäß § 80 Abs. 5 VwGO zulässige Antrag hat in der Sache keinen Erfolg.

Die Antragsgegnerin hat die sofortige Vollziehung der gegenüber dem Antragsteller ausgesprochenen Entziehung der Fahrerlaubnis in einer den formalen Anforderungen des § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO genügenden Weise begründet. Insbesondere war angesichts der Tatsache, dass durch einen ungeeigneten Kraftfahrer hochrangige Schutzgüter, nämlich Leben und Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer, in nicht hinnehmbarer Weise gefährdet werden, ein stärkeres Eingehen auf konkrete Umstände des Einzelfalls nicht geboten (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 15. Dezember 2005, 3 Bs 214/05, juris Rn. 2 ff.).

Des Weiteren ergibt die Abwägung gem. § 80 Abs. 5 VwGO, dass dem öffentlichen Vollzugsinteresse der Vorrang einzuräumen ist. Nach dem bisherigen Sach- und Streitstand dürfte der Antragsteller in der Hauptsache aller Wahrscheinlichkeit nach keinen Erfolg haben, weil sich der angefochtene Bescheid als rechtmäßig erweisen wird (unten 1.). Darüber hinaus besteht ein besonderes, nicht durch private Interessen des Antragstellers aufgewogenes Interesse an der sofortigen Vollziehung (unten 2.).

1. Nach dem bisherigen Sach- und Streitstand dürfte der Widerspruch des Antragstellers keinen Erfolg haben, da sich der angefochtene Bescheid nach der hier allein gebotenen summarischen Prüfung im Ergebnis als rechtmäßig darstellt.

Zwar ist der Antragsteller entgegen § 28 HmbVwVfG nicht vor Erlass der Fahrerlaubnisentziehung angehört worden. Dieser Verfahrensfehler ist inzwischen aber gem. § 45 Abs. 1 Nr. 3 HmbVwVfG geheilt worden, indem die Ausgangsstelle das Vorb. en des Antragstellers aus seiner Widerspruchsbegründung zur Kenntnis genommen und inhaltlich gewürdigt hat. Dies ergibt sich aus dem Hinweisschreiben vom 9. September 2015, in dem angekündigt wird, dem Widerspruch auch nach dem Vorb. en des Antragstellers nicht abzuhelfen.

Die Entziehung ist voraussichtlich auch materiell rechtmäßig. Rechtsgrundlage ist § 3 Abs. 1 S. 1 StVG i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c) StVG und § 46 Abs. 1 FeV. Danach ist die Fahrerlaubnisbehörde verpflichtet, eine Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn der Inhaber sich als zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet erweist.

Gemäß § 46 Abs. 1 S. 2 FeV fehlt es insbesondere dann an der Kraftfahreignung, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 FeV vorliegen. Dies ist hier voraussichtlich der Fall. Die Entziehung der Fahrerlaubnis stellt dabei eine gebundene Entscheidung dar; ein Ermessensspielraum wird der Behörde nicht eingeräumt.

Für den Fall einer regelmäßigen Einnahme von Cannabis bestimmt Nr. 9.2.1. der Anlage 4 zur FeV, dass eine Fahreignung im Regelfall nicht gegeben ist. Nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV ist auch ein Kraftfahrer, der nur gelegentlich Cannabis einnimmt, im Regelfall als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen, wenn insbesondere keine Trennung zwischen Konsum und Fahren erfolgt.

Die Antragsgegnerin war bei ihrer Entscheidung nicht an eine Beurteilung der Fahreignung durch das Amtsgericht Hamburg-Harburg gem. § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG gebunden (a). Ob dem Antragsteller bereits unter dem Gesichtspunkt regelmäßigen Konsums von Cannabis die Fahreignung abzusprechen ist, kann hier offen bleiben. Der Antragsteller ist voraussichtlich zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet, weil er als zumindest gelegentlicher Cannabiskonsument den Konsum nicht von der Teilnahme am Straßenverkehr getrennt hat, sondern jedenfalls am 14. Januar 2015 unter dem akuten Einfluss der Droge Auto gefahren ist (unten b), ohne dass eine Ausnahmesituation ersichtlich wäre (unten c).

a) § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG steht der Entscheidung der Antragsgegnerin entgegen der Ansicht des Antragstellers nicht entgegen. Danach kann die Fahrerlaubnisbehörde zum Nachteil des Inhabers einer Fahrerlaubnis vom Inhalt eines strafrechtlichen Urteils insoweit nicht abweichen, als es sich – u.a. – auf die Beurteilung der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bezieht. Diese Bindung gilt dann, wenn die Fahrerlaubnisbehörde in einem Entziehungsverfahren einen Sachverhalt berücksichtigen will, der Gegenstand der Urteilsfindung in einem Strafverfahren gegen den Inhaber der Fahrerlaubnis gewesen ist.

Nach allgemeiner Ansicht setzt eine solche Bindung zunächst voraus, dass das Strafgericht überhaupt über eine Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB zu entscheiden hatte, dass also eine rechtswidrige Tat gegeben ist, die bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen wurde. Eine rechtswidrige Tat ist hier gem. § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB eine Straftat, also eine Tat, die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht. Eine Ordnungswidrigkeit reicht nicht aus (Fischer, StGB, 59. Aufl., § 69 Rn. 5). Die Bindung des § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG setzt nach allgemeiner Meinung weiter voraus, dass das Gericht eine Entscheidung zu den genannten Merkmalen – hier: die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen – getroffen hat. Sie entfällt andererseits, wenn das Strafgericht keine Entscheidung getroffen hat, etwa wenn lediglich festgestellt wurde, dass kein Regelfall im Sinne von § 69 Abs. 2 StGB vorliegt (vgl. Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl., § 3 Rn. 28 m.w.N.). Nach soweit ersichtlich allgemeiner Ansicht entsteht auch keine Bindung, wenn ein Fahrverbot gem. § 44 StGB ausgesprochen wird, ohne ausdrücklich eine fehlende Eignung zu verneinen (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21. Juli 2004, 19 B 862/04, juris Rn. 11 ff.; Hentschel/König/Dauer a.a.O. m.w.N.). Von den Strafgerichten ist zwar gem. § 267 Abs. 6 Satz 2 StPO grundsätzlich ausdrücklich schriftlich zu begründen, dass und weshalb nicht auf eine Entziehung erkannt worden ist, obwohl diese Prüfung in Betracht kam. Fehlt dies, entsteht jedoch keine Bindung, auch wenn eine solche Prüfung erfolgt sein sollte. Eine Begründung, die nicht ausdrücklich die Ungeeignetheit als Merkmal des § 69 Abs. 1 Satz 1 StGB bejaht oder vereint, bindet die Verkehrsbehörde somit nicht (BVerwG, Beschluss vom 1. April 1993, 11 B 82/92, juris Rn. 3 m.w.N.; OVG Hamburg, Beschluss vom 7. Juli 1994, Bs VII 93/94, juris Rn. 3 m.w.N.). Bleibt in den schriftlichen Urteilsgründen unklar, ob das Strafgericht die Fahreignung beurteilt hat, soll die Bindungswirkung des § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG ebenfalls nicht gelten, weil die Verwaltungsbehörde dann schon nicht erkennen kann, ob und mit welchem Ergebnis das Strafgericht die Fahreignung beurteilt hat (BVerwG a.a.O.; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27. November 2013, 16 B 1031/13, juris Rn. 10 f. m.w.N.).

Die Kammer schließt sich dieser Rechtsprechung und allgemeinen Meinung an: Die Vorschriften der § 3 Abs. 3 und Abs. 4 StVG sollen doppelte Prüfungen und sich widersprechende Entscheidungen der jeweils in sich teils überschneidender Weise für eine Fahrerlaubnisentziehung zuständigen Stellen, der Strafgerichte einerseits und der Fahrerlaubnisbehörden andererseits, vermeiden. Die Zuständigkeiten überschneiden sich dabei lediglich zum Teil und decken sich nicht vollständig, weil für die Strafgerichte die Würdigung der Persönlichkeit im Vordergrund steht, wie sie durch die jeweilige Straftat zum Ausdruck gekommen ist, während der Verwaltungsbehörde eine umfassendere Würdigung obliegt. Dieser unterschiedliche Prüfungsumfang setzt voraus, dass in den schriftlichen Urteilsgründen des Strafgerichts zum Ausdruck kommt, welche Umstände mit welchem Ergebnis geprüft wurden. Nur so wird erkennbar, ob und in welchem Umfang bereits eine verbindliche Entscheidung zur Fahreignung getroffen wurde. Dieser Sinn und Zweck der Vorschrift begrenzt somit gleichzeitig die Bindungswirkung gem. § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG. Sie reicht nur soweit, wie eine vorangegangene Entscheidung des Strafgerichts ausdrücklich in den schriftlichen Urteilsgründen dokumentiert ist. Das Strafurteil muss eindeutig und transparent erkennen lassen, ob und in welchem Umfang das Gericht seine Entscheidungsbefugnis (mittelbar) zulasten der Verwaltungsbehörde bereits ausgeübt hat. Fehlt dagegen in der strafgerichtlichen Entscheidung eine ausdrückliche Bewertung der Fahreignung, kann aus dem Schweigen kein Schluss zugunsten des Betroffenen gezogen werden. Die Verwaltungsbehörde hat dann – wie zuvor – eigenständig und umfassend die Fahreignung zu prüfen (vgl. zu Vorstehendem BVerwG, Beschluss vom 1. April 1993, 11 B 82/92, juris Rn. 3). Auch die vom Antragsteller zitierte Rechtsprechung folgt im Übrigen diesen Grundsätzen. In dem genannten Fall hatte das Strafgericht allerdings – anders als hier – ausdrücklich die fehlende Eignung verneint. Hieran war die Fahrerlaubnisbehörde dann gebunden.

Nach diesen Maßstäben entfaltet das Strafurteil des Amtsgerichts Hamburg-Harburg keine Bindungswirkung. Zwar hatte es möglicherweise die Fahreignung gem. § 69 Abs. 1 StGB zu prüfen. Als Anknüpfungstat kommt zwar nicht § 24a StVG in Betracht, weil es keine Straftat, sondern lediglich eine Ordnungswidrigkeit ist, aber immerhin § 29a BtMG. Diese rechtswidrige Tat hat der Antragsteller bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges begangen. Es kann offen bleiben, ob die Maßnahme nach der Art der Straftat im Sinne von § 267 Abs. 6 StPO überhaupt in Betracht kam, eine Entscheidung über die Fahreignung also ggf. zu treffen und darzulegen gewesen wäre. Zweifel ergeben sich insoweit daraus, dass jedenfalls kein Regelfall nach § 69 Abs. 2 StGB vorlag und zumindest offen erscheint, ob sich aus „der Tat“ – hier: dem unerlaubten Besitz – ergeben haben könnte, dass der Antragsteller zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Einer Bindungswirkung steht jedenfalls entgegen, dass die schriftliche Urteilsbegründung keine ausdrücklichen Feststellungen zur Fahreignung enthält. Die Frage der Fahreignung wird im gesamten Urteil nicht angesprochen. Die Vorschrift des § 69 StGB wird nicht erwähnt. Auch die vom Antragsteller gezogene Schlussfolgerung aus dem einzigen Begründungssatz – ein Fahrverbot sei ausreichend – teilt das Gericht nicht. Der bloße Umstand, dass lediglich ein Fahrverbot ausgesprochen wird, lässt eine solche Schlussfolgerung im Allgemeinen nicht zu. Hier gilt nichts anderes, zumal diese Begründung bei vollständiger Würdigung der kurzen Urteilsgründe doch recht eindeutig allein die Verkürzung des Fahrverbotes von ursprünglich einem Monat aus dem mit dem Einspruch angegriffenen Strafbefehl auf nur noch zwei Wochen (vom 28. Juli bis 11. August 2015) erläutert. Diese zwei Wochen Fahrverbot hielt das Gericht für notwendig, aber auch ausreichend. Mehr ist dieser Begründung nach dem oben dargelegten Maßstab nicht zu entnehmen.

b) Der Antragsteller ist zumindest „gelegentlicher“ Konsument von Cannabis im Sinne von Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV. Dies ist anzunehmen, wenn der Betroffene in zumindest zwei selbstständigen Konsumvorgängen Cannabis zu sich genommen hat und diese Konsumvorgänge einen gewissen, auch zeitlichen Zusammenhang aufweisen (BVerwG, Urteil vom 23. Oktober 2014, 3 C 3/13, NJW 2015, 2439 ff., juris Rn. 16 ff., so auch inzwischen das OVG Hamburg: vgl. den Beschluss vom 16. Mai 2014, 4 Bs 26/14, juris Rn. 11).

Ob ein gelegentlicher Konsum im rechtlichen Sinne vermutet werden darf, wenn in einem Fall erwiesen ist, dass jemand unter Einfluss von Cannabis am Straßenverkehr teilgenommen hat, ist obergerichtlich umstritten (vgl. OVG Hamburg, a.a.O., juris Rn. 16 f. m.w.N.). Die Kammer folgt der Ansicht, dass aus der statistisch ge. en Wahrscheinlichkeit, schon nach dem ersten Cannabis-Konsum beim Führen eines Kraftfahrzeuges sogleich entdeckt zu werden, alleine nicht auf einen gelegentlichen Konsum geschlossen werden darf, und zwar auch dann nicht, wenn der Betroffene sich nicht glaubhaft darauf beruft, sondern sich gar nicht einlässt. Als Indiz für häufigeren Konsum ist der Umstand aber heranzuziehen (OVG Hamburg, a.a.O.).

Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin lässt sich die Annahme eines gelegentlichen Konsums voraussichtlich auch nicht allein auf den im Blut festgestellten Wert für THC-Carbonsäure stützen (vgl. OVG Hamburg, a.a.O., juris Rn. 18 m.w.N.). Nach derzeitigen Erkenntnissen scheint wissenschaftlich nicht abschließend geklärt, ob und ab welchem Wert gesichert ein mehrfacher oder sogar regelmäßiger Konsum angenommen werden darf. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat in einer Entscheidung aus dem Jahr 2008 den seinerzeitigen Erkenntnisstand zusammengefasst (Beschluss vom 24. September 2009, 2 B 1365/08, juris Rn. 7 ff.). Danach gilt bei anlassbezogenen Blutentnahmen – Verkehrsteilnahme unter Cannabis-Einfluss – Folgendes: Ein Wert von unter 100 ng/ml THC-Carbonsäure rechtfertigt keine Aussage über die Konsumhäufigkeit, während ein Wert von über 100 ng/ml als Hinweis für gelegentlichen bzw. regelmäßigen Konsum gelte und ein Wert von mehr als 150 ng/ml als Beweis für häufigeren Konsum anzusehen sei. Dies beruht im Wesentlichen darauf, dass bei experimentellen Studien nach einmaligem Konsum in keinem Fall ein Wert von 150 ng/ml erreicht wurde.

Danach weist der THC-Carbonsäure-Wert auf einen zumindest gelegentlichen Konsum des Antragstellers hin: Der Antragsteller hat, wie die am 15. Januar 2015 in seinem Blut vorgefundenen Abbauprodukte belegen, Cannabis konsumiert. Dem Polizeibericht zufolge hat der Antragsteller ca. drei Stunden vor Fahrtantritt Marihuana zu sich genommen. Die chemisch-toxikologische Untersuchung ergab einen Wert für THC-Carbonsäure von 130 ng/ml.

Im vorliegenden Einzelfall besteht nach Auffassung der Kammer insgesamt eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Antragsteller zumindest gelegentlicher Konsument von Cannabis ist. Neben dem THC-Carbonsäure-Wert und der Tatsache, in einer Verkehrskontrolle entdeckt worden zu sein, spricht hierfür weiter der unerlaubte Besitz von Marihuana, der durch die rechtkräftige Verurteilung des Antragstellers durch den Strafbefehl des Amtsgerichts Hamburg-Harburg als erwiesen anzusehen ist. Das Marihuana wurde im Rahmen der Verkehrskontrolle sichergestellt. Schließlich spricht die Einlassung des Antragstellers im strafrechtlichen Verfahren ebenfalls dafür. Nach den Urteilsgründen hat er sich unter anderem dahin eingelassen, dass er den Erholungsurlaub nutzen wolle, um sich therapeutische Hilfe hinsichtlich seines Marihuana-Konsums zu suchen. All dies lässt sich in der Zusammenschau nicht mit einem lediglich einmaligen Konsum vereinbaren, sondern allein mit einem zumindest gelegentlichen Konsum.

Der Antragsteller hat den festgestellten Drogenkonsum nicht vom Autofahren getrennt:

Eine ausreichende Trennung von Cannabiskonsum und Autofahren ist nur dann gegeben, wenn der Betroffene Konsum und Fahren in jedem Fall in einer Weise trennt, dass durch eine vorangegangene Einnahme von Cannabis eine Beeinträchtigung seiner verkehrsrelevanten Eigenschaften unter keinen Umständen eintreten kann. Das bedeutet, dass auch die bloße Möglichkeit einer cannabisbedingten Beeinträchtigung der Fahrsicherheit ausgeschlossen sein muss (BVerwG, Urteil vom 23. Oktober 2014, 3 C 3/13, NJW 2015, 2439 ff., juris Rn. 32). Ein solches verlangt regelmäßig, dass eine THC-Konzentration im Blutserum von 1 ng/mg nicht überschritten wird (BVerwG a.a.O., juris Rn. 37 ff.). Diesen Grenzwert hat der Antragsteller am 14. Januar 2015 mit 22 ng/ml deutlich überschritten. Laut dem Polizeibericht gab der Antragsteller selbst zu, noch drei Stunden vor Fahrtantritt Cannabis konsumiert zu haben. Die chemisch-toxikologische Untersuchung durch das Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf vom 27. Januar 2015 bestätigt, dass der Antragsteller selbst zum Zeitpunkt der Blutentnahme um 0.30 h, also etwa eineinhalb Stunden nach der Verkehrskontrolle um 22.50 h, noch unter dem Einfluss höherer Konzentrationen von Cannabis stand.

c) Es ist auch nicht ersichtlich, dass ein Ausnahmefall vorläge. Hierzu hat der Antragsteller nichts vorgebracht.

Allein der Umstand, dass der Antragsteller möglicherweise aus beruflichen Gründen auf die Fahrerlaubnis angewiesen wäre, würde nicht ausreichen. Anders als noch im Strafverfahren hat der Antragsteller dies in diesem Verfahren auch nicht für sich in Anspruch genommen oder dargelegt. Aber selbst wenn dies zugunsten des Antragstellers aufgrund der Ausführungen im Strafurteil zu unterstellen wäre, stellte sich die rechtliche Situation des Antragstellers nicht günstiger dar: Zwar wäre die Entziehung der Fahrerlaubnis dann ein Eingriff in die Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG. Dieser wäre aber angesichts der hohen Bedeutung des Allgemeininteresses an der Sicherheit im Straßenverkehr, die dem Schutz von Leben und Gesundheit aller Verkehrsteilnehmer dient, geeignet und erforderlich. So geht von einem Kraftfahrer, der unter Einfluss von Cannabis, das er in erheblichem Umfang konsumiert hat, Auto gefahren ist, nicht deswegen eine geringere Gefahr für die Allgemeinheit aus, weil er nicht nur privat, sondern auch beruflich Kraftfahrzeuge führt (vgl. z.B. VG Hamburg, Beschluss vom 18.2.2015, 15 E 500/15, und vom 22.4.2013, 15 E 75/13). Vielmehr dürften im Falle des Drogenkonsums die Gefahren beruflicher Nutzung einer Fahrerlaubnis die der privaten regelmäßig übertreffen, da gerade bei jenen Personen, die berufsbedingt Auto fahren, Zeit und Umfang der Nutzung eines Kraftfahrzeuges durch berufliche Belange bestimmt werden und nicht allein von der persönlichen Befindlichkeit abhängig gemacht werden können.

Die Regelfallvermutung wird auch nicht durch die aus den schriftlichen Gründen des Strafurteils ersichtlichen Umstände widerlegt. Danach habe der Antragsteller seinen Fahrstil geändert und sei ein ruhiger Fahrer, nachdem er Zeuge eines tödlichen Verkehrsunfalls geworden sei. Dies stand aber offenbar in keinem Zusammenhang mit seinem Cannabiskonsum. Er wolle sich außerdem während seines Erholungsurlaubes vom 28. Juli bis 11. August 2015 therapeutische Hilfe hinsichtlich seines Cannabiskonsums suchen. Insoweit ist schon unklar, ob der Antragsteller dies inzwischen überhaupt getan hat. Jedenfalls wären dies lediglich ein Umstand, der bei der Wiedererteilung der Fahrerlaubnis zu berücksichtigen wäre.

2. Schließlich besteht auch ein besonderes, nicht durch Interessen des Antragstellers aufgewogenes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der voraussichtlich rechtmäßigen Fahrerlaubnisentziehung.

Der sofortige Schutz anderer Verkehrsteilnehmer vor einem ungeeigneten Kraftfahrer überwiegt das Interesse des Antragstellers daran, dass die angefochtene Fahrerlaubnisentziehung erst nach Eintritt der Bestandskraft vollziehbar wird. Die zuverlässige Abwehr von Gefahren für Leben und Gesundheit aller Verkehrsteilnehmer ist von solch hoher Bedeutung, dass das Interesse des Antragstellers, seine Fahrerlaubnis zumindest bis zum rechtskräftigen Abschluss des Entziehungsverfahrens insbesondere beruflich nutzen zu können, zurückstehen muss.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG. Dabei ist der Streitwert der Eilsache mit der Hälfte des in der Hauptsache anzunehmenden Streitwertes festzusetzen.

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